BT-Drucksache 18/1986

Überprüfung der Auslandsaufklärung des Bundesnachrichtendienstes

Vom 2. Juli 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1986
18. Wahlperiode 02.07.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Korte, Dr. André Hahn, Martina Renner, Wolfgang Gehrcke,
Sevim Dağdelen, Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger, Andrej Hunko,
Ulla Jelpke, Kerstin Kassner, Niema Movassat, Petra Pau, Harald Petzold
(Havelland), Dr. Petra Sitte, Kersten Steinke, Frank Tempel, Halina Wawzyniak
und der Fraktion DIE LINKE.

Überprüfung der Auslandsaufklärung des Bundesnachrichtendienstes

Nach Auffassung führender deutscher Verfassungsrechtler agiert der Bundes-
nachrichtendienst (BND) bei seiner Auslandsaufklärung nicht etwa im rechts-
freien Raum, sondern verstößt evident gegen das Grundgesetz, weil diese Aus-
spähung der Telekommunikation ohne die erforderliche, hinreichend bestimmte
und verhältnismäßige gesetzliche Ermächtigungsgrundlage erfolgt.
Namentlich der ehemalige Verfassungsgerichtspräsident, Prof. Dr. Hans-Jürgen
Papier, und die beiden übrigen Sachverständigen, die ehemaligen Richter des
Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann-Riem und Prof.
Dr. Matthias Bäcker, wiesen bei ihrer Anhörung durch den 1. Untersuchungs-
ausschuss des Deutschen Bundestages der 18. Wahlperiode, der den Spähskan-
dal um den US-Nachrichtendienst NSA (National Security Agency) wegen
massenhafter Überwachung von Bürgerinnen und Bürgern, Unternehmen und
Politikern durchleuchten soll, am 22. Mai 2014 nicht nur darauf hin, dass das
Sammeln und Speichern von Daten ohne konkreten Verdacht auf schwere Straf-
taten im Einzelfall hierzulande „strikt untersagt“ ist. Die Grundrechte der Bürger
müssten vom Staat auch gegenüber ausländischen Einrichtungen geschützt wer-
den, die in der Bundesrepublik Deutschland in die Freiheitsrechte eingriffen.
Ebenso dürften deutsche Stellen Daten, die ihnen von ausländischen Geheim-
diensten überlassen werden, nur auf der Grundlage hiesigen Rechts nutzen.
Gleiches gelte für die Übermittlung von hierzulande erfassten Daten an auslän-
dische Nachrichtendienste. Der Staat müsse Sorge dafür tragen, dass die Nutzung
dieser Erkenntnisse im Ausland nach deutschen Standards erfolge.
Einig waren sich alle Sachverständigen auch darin, dass eine Auslandsauf-
klärung des Telekommunikationsverkehrs im Ausland durch den Bundesnach-
richtendienst verfassungswidrig ist, weil die Bindung deutscher Hoheitsgewalt
an den grundgesetzlichen Schutz des Telekommunikationsgeheimnisses nach
Artikel 10 des Grundgesetzes (GG) auch die Überwachung der Telekommuni-
kation im Ausland erfasse, es insoweit aber an der erforderlichen verhältnis-
mäßigen, hinreichend bestimmten gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage, die
das Zitiergebot des Artikels 19 GG wahrt, fehlt. Die Überwachungspraxis des
Bundesnachrichtendienstes sei daher rechtswidrig. Die Ansicht der Bundes-
regierung, die Aufgabenzuweisung des BND-Gesetzes an den BND, Erkennt-
nisse über das Ausland zu gewinnen, die von außen- und sicherheitspolitischer
Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland sind, biete eine ausreichende

Drucksache 18/1986 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Rechtsgrundlage, wurde von allen Sachverständigen ausdrücklich zurückgewie-
sen. Ihr liege die Annahme zugrunde, dass das grundrechtliche Fernmelde-
geheimnis des Artikels 10 GG diese Auslandskommunikation nicht schütze.
Danach würde das Recht dieser Auslandsaufklärung eigentlich keinerlei Gren-
zen setzen. Dies sei mit dem Grundgesetz unvereinbar. In welchem Ausmaß der
BND Telekommunikationsdaten im Ausland erhebt, bevorratet und weiterüber-
mittelt, dürfe nicht von politischen Erwägungen seiner Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter und dessen personellen und technischen Ressourcen abhängen, son-
dern müsse abschließend in einer hinreichend bestimmten und verhältnismäßi-
gen gesetzlichen Eingriffsbefugnis geregelt sein.
Schließlich meldeten die Sachverständigen auch Bedenken gegenüber der Ver-
fassungsmäßigkeit des § 5 des Artikel 10-Gesetzes (G 10) an. Diese Ermächti-
gung des BND zur Überwachung internationaler Telekommunikationsbeziehun-
gen sei im Jahr 1999 zwar vom Bundesverfassungsgericht unter Hinweis auf die
Relevanz oder das Gewicht der Gefahrenbereiche und auf die Aufgabe des Bun-
desnachrichtendienstes, eben gerade eine Vorfeldaufklärung vor akuten Krisen-
lagen zu betreiben, für vereinbar mit Artikel 10 GG erachtet worden. Während
diese Ermächtigung damals auf die nicht leitungsgebundene Kommunikation
beschränkt war, darf seit dem Jahr 2011 indes jede Form von internationaler
Telekommunikation überwacht werden, wodurch der Gegenstandsbereich er-
heblich ausgeweitet wurde, ohne dass im Gegenzug wirksame Einschränkungen
der Tatbestandsvoraussetzungen erfolgt wären, die diese Ausweitung des
Gegenstandsbereichs verfassungsrechtlich zu legitimieren vermöchten. Zudem
würde die gesetzliche Begrenzung der Zugriffsmöglichkeiten des BND auf ma-
ximal 20 Prozent der Übertragungskapazität des jeweiligen Übertragungsweges
ins Leere gehen, da die Übertragungswege im Regelfall in wesentlich geringe-
rem Ausmaße ausgelastet seien und dem BND damit eine Totalerfassung des je-
weiligen Übertragungsweges gestattet sei. Angesichts all dessen seien Zweifel
angebracht, ob die Vorschrift in ihrer heutigen Form immer noch den verfas-
sungsrechtlichen Anforderungen genüge (vgl. www.bundestag.de, Video vom
22. Mai 2014 „Grundrechte wahren“).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Hat die Bundesregierung aufgrund der Ausführungen der Sachverständigen

zur mutmaßlichen Rechtswidrigkeit der Auslandsaufklärung von Telekom-
munikationsverbindungen, die auf § 1 des BND-Gesetzes gestützt werden, in
der Anhörung des 1. Untersuchungsausschusses des 18. Deutschen Bundes-
tages am 22. Mai 2014 eine Überprüfung dieser Praxis vorgenommen oder
veranlasst?

2. Falls dies der Fall sein sollte, was war das Ergebnis der Überprüfung dieser
Praxis?

3. Falls dies nicht der Fall sein sollte, ist eine solche Überprüfung im Hinblick
auf die Ausführungen der Sachverständigen zu deren mutmaßlicher Rechts-
widrigkeit der in der Vorbemerkung der Fragesteller genannten Anhörung
des 1. Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages noch beab-
sichtigt?

4. Hat insbesondere das Bundeskanzleramt im Rahmen seiner Fachaufsicht
über den BND im Hinblick auf die Zweifel der Gutachter an der Verfassungs-
mäßigkeit der Auslandsaufklärung eine (erneute) Sichtung und Bewertung
der Rechtsgrundlagen für die Auslandsaufklärung des BND vorgenommen?

5. Falls dies der Fall sein sollte, was war das Ergebnis?
6. Falls eine (erneute) Sichtung und Bewertung der Rechtslage durch das Bun-

deskanzleramt bisher nicht erfolgt sein sollte, ist eine solche vor dem Hinter-
grund der Ausführungen der Sachverständigen der in der Vorbemerkung der
Fragesteller genannten Anhörung des 1. Untersuchungsausschusses des
Deutschen Bundestages noch beabsichtigt?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1986
7. Gibt es in der Bundesregierung aufgrund der Ausführungen der Sach-
verständigen zur mutmaßlichen Verfassungswidrigkeit der Auslandsauf-
klärung von Telekommunikationsverbindungen, welche auf die Aufgaben-
zuweisung in § 1 des BND-Gesetzes gestützt wird, wegen des möglichen
Fehlens einer verhältnismäßigen und hinreichend bestimmten gesetzlichen
Ermächtigungsgrundlage sowie der Zweifel an der Rechtmäßigkeit der
Überwachung der internationalen Telekommunikationsbeziehungen, die
auf § 5 G 10 gestützt werden, in der Anhörung des 1. Untersuchungsaus-
schusses des 18. Deutschen Bundestages am 22. Mai 2014 geäußert werden,
Bestrebungen, die gesetzlichen Grundlagen für die Überwachung internatio-
naler Telekommunikationsbeziehungen nach § 5 G 10 und/oder für die Aus-
landsüberwachung nach dem BND-Gesetz zu reformieren?

8. Welche Ressorts haben Prüfungen und/oder Vorbereitungen für eine Reform
der gesetzlichen Grundlagen der Überwachung nach § 5 G 10 und nach dem
BND-Gesetz vorgenommen?

9. Hat es zwischen den beteiligten Ressorts dazu Ressortabstimmungen gege-
ben?

10. Wenn dies der Fall sein sollte, was war das Ergebnis dieser Ressortabstim-
mungen?

11. Falls dies (noch) nicht der Fall (gewesen) sein sollte, sind dazu Ressortab-
stimmungen geplant, und wenn ja, zwischen welchen Ressorts?

Berlin, den 30. Juni 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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