BT-Drucksache 18/198

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat am 19./20. Dezember 2013 in Brüssel

Vom 17. Dezember 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 18/198
18. Wahlperiode 17.12.2013

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Klaus Ernst, Dr. Sahra Wagenknecht, Wolfgang Gehrcke
und der Fraktion DIE LINKE.

zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin

zum Europäischen Rat am 19./20. Dezember 2013 in Brüssel

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die politischen Verantwortungsträger haben in der sogenannten Eurokrise bisher
Banken und Finanzinstitute zu Lasten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler
gerettet. Allein von 2008 bis 2011 wurden von den EU-Staaten 4,5 Bio. Euro,
rund ein Drittel der gesamten EU-Wirtschaftsleistung eines Jahres, für pleitebe-
drohte Finanzinstitute eingesetzt. Diese Politik der Bankenrettung mit öffentli-
chen Geldern hat selbst nach Ansicht der EU-Kommission einen wirtschafts- und
fiskalpolitisch schädlichen „Teufelskreis aus Staatsschulden und Bankschulden“
in Gang gesetzt, der den EU-Bürgerinnen und -Bürgern die Kosten für Banken-
sanierungen und -Abwicklungen aufzwingt (EU-Kommission 2012, Fahrplan für
eine Bankenunion). Auch die SPD verkündete vor der Wahl in ihrem „Regie-
rungsprogramm 2013-2017: Das wir entscheidet“ das Ziel, dass „Steuerzahlerin-
nen und Steuerzahler [...] nie wieder in Geiselhaft der Banken und Spekulanten
genommen werden“ dürfen. Und der Bundesminister der Finanzen Dr. Wolfgang
Schäuble sagte Anfang November 2013: „Ich habe erläutert, dass wir nach dem
Grundsatz der Zuordnung von Verantwortlichkeit handeln wollen, also: Kein
Steuergeld für die Rettung der Banken und schon gar nicht aus dem Rettungs-
fonds ESM.“
Diese Vorsätze und Versprechen werden in den Beschlüssen, Rahmenvereinba-
rungen und offiziellen Entwürfen zur Schaffung einer EU-weit einheitlichen
Abwicklung maroder Banken gebrochen. DIE LINKE lehnt die geplante europäi-
sche Bankenunion ab. Die bisherigen Beschlussvorlagen werden weder relevant
zur Finanzstabilität beitragen noch in Zukunft den Einsatz von öffentlichen Mit-
teln für teure Bankenrettungen vermeiden:
1. Bei den Haftungsregeln für Abwicklungsfälle sollen Gläubiger und Anteils-

eigner (d. h. Eigentümer) von Banken durch eine bereits mehrfach beschlos-
sene „Haftungskaskade“ mehr Verantwortung übernehmen. So ist vorgese-
hen, zuerst Aktionäre, dann vor- und nachrangige Bankanleihen eines Insti-
tuts und danach Einlagen über 100 000 Euro heranzuziehen. Allerdings wer-
den bereits hier erhebliche Ausnahmen gemacht, beispielsweise bei kurzfris-
tigen Interbankenkrediten und besicherten Anleihen, ohne dass die Qualität
der Sicherheit näher geprüft würde. Hinzu kommt, dass eine Verlustbeteili-

Drucksache 18/198 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

gung der Eigentümer und Gläubiger nur bis 8 Prozent der Verbindlichkeiten
einer Bank verbindlich vorgeschrieben ist. Für darüber hinausgehende Ver-
luste haben die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten einschließlich Deutsch-
land eine Ausnahme für „außergewöhnliche Umstände“ geschaffen. Liegen
diese vor, kann eine „weitere Finanzierung aus alternativen Finanzierungs-
quellen“, d. h. eine Verlustübernahme aus Steuermitteln erfolgen (Abwick-
lungsverordnung, Artikel 24 – Vorschlag für eine Verordnung des Europäi-
schen Parlaments und des Rates zur Festlegung einheitlicher Vorschriften
und eines einheitlichen Verfahrens für die Abwicklung von Kreditinstituten
und bestimmten Wertpapierfirmen im Rahmen eines einheitlichen Abwick-
lungsmechanismus und eines einheitlichen Bankenabwicklungsfonds sowie
zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 des Europäischen Parla-
ments und des Rates, Artikel 24 Absatz 9).

2. Die geplante europäische Bankenabgabe lehnt sich in wesentlichen Teilen an
die Bankenabgabe in Deutschland an. Laut Angaben des Bundesrechnungs-
hofes zahlten die beitragspflichtigen Kreditinstitute in den Jahren 2011 und
2012 insgesamt 1,3 Mrd. Euro in den Restrukturierungsfonds ein. Im Bei-
tragsjahr 2013 wurden 520,1 Mio. Euro erhoben. Die tatsächlichen Einnah-
men aus der Bankenabgabe bleiben damit bislang jedoch 50 Prozent hinter
den geplanten Einnahmen zurück. Die gemäß Restrukturierungsgesetz ange-
strebte Zielmarke für den deutschen Fonds von 70 Mrd. Euro wird demnach
nicht in 40 bis 60, sondern erst in 80 bis 120 Jahren erreicht. Angesichts der
Erfahrungen in Deutschland gibt es keinen Grund, für den europäischen Ab-
wicklungsfonds von einer erfolgreicheren Entwicklung auszugehen. Wenn
der europäische Abwicklungsfonds in zehn Jahren die geplanten Einnahmen
von 55 Mrd. Euro erreichen soll, muss die Bankenabgabe deutlich höher aus-
fallen. Und es ist mehr als fraglich, wie diese 55 Mrd. Euro zur Bewältigung
einer weiteren Bankenkrise ausreichen sollen. Da diese Regelungen ohnehin
erst ab 2016 greifen sollen, bieten sie für die zu erwartenden Kapitallücken,
die durch den Bilanztest der Europäischen Zentralbank im kommenden Jahr
nach Meinung von Experten mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Tage treten
werden, ohnehin keine Lösung. Schätzungen zufolge fehlen Europas Banken
nicht 55 Mrd., sondern mindestens eine Bio. Euro, die allein an Verlusten in
faulen Wertpapieren bei Bad Banks im Euroraum lagern (vgl. SPIEGEL
ONLINE vom 19. Juni 2013).

3. Die beschlossenen Regelungen setzen erst an, wenn eine Bank bereits in die
Schieflage geraten ist – das ist zu spät. Um vor Risiken wirksam und präven-
tiv zu schützen, ist die einzige richtige und logische Lösung, die Banken zu
verkleinern, den Finanzsektor zu schrumpfen und riskante Geschäfte viel
stärker zurückzudrängen. Anstatt an Symptomen herumzudoktern und an der
Abwicklung von Banken anzusetzen, wird nicht einmal im Ansatz das viel
diskutierte Problem der Systemrelevanz und des „too big to fail“ („zu groß,
um zu scheitern“) angegangen. Das Gegenteil ist der Fall: Viele Banken sind
jetzt noch größer als vor dem Ausbruch der Finanzmarktkrise und gefährden
in hohem Maße die Stabilität der Wirtschaft. Die Lösung des Problems einer
dringend notwendige Restrukturierung des Bankensektors, um Europas Ban-
ken in die Lage zu versetzen, endlich wieder Kredite zu vergeben, bleiben die
Bundesregierung wie auch die Staats- und Regierungschefs schuldig.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

sich im Europäischen Rat dafür einzusetzen, dass

im Finanzsektor eine effektive und konsequente Eigentümer- und Gläubiger-
haftung gewährleistet wird. Das politische Ziel muss ein europäischer Fi-

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/198

nanzsektor sein, in dem Größe und Komplexität jeder Bank durch Schrump-
fung und Entflechtung so weit reduziert werden, dass keinerlei Systemrele-
vanz mehr besteht. Eine Begrenzung der Eigentümer- und Gläubigerhaftung
auf lediglich 8 Prozent der ausstehenden Verbindlichkeiten der Bank ist ab-
zulehnen;
das Volumen des europäischen Abwicklungsfonds sehr viel höher angesetzt
wird und die Bankenabgabe entsprechend deutlich erhöht wird, wobei zudem
sicherzustellen ist, dass es für die in Schieflage geratene Bank auch weiterhin
keinen Rechtanspruch auf Eingreifen des Fonds gibt;
Banken in die Insolvenz gehen können und das seriöse Bankgeschäft öffent-
lich abgesichert wird. Jegliche öffentliche Stabilisierungshilfen für systemre-
levante Banken, die sich auf volkswirtschaftlich elementare Bankenfunktio-
nen beschränken, müssen mit einer Übernahme der Eigentümerfunktion
durch den Staat verbunden sein, der seinerseits für eine unverzügliche Be-
grenzung des Geschäftsmodells der Bank auf die Bereitstellung von Krediten
an die Realwirtschaft und das Angebot einfacher und sicherer Sparinstrumen-
te hinzuwirken hat. Eine auf diesem Wege „notverstaatlichte“ Bank muss an-
schließend durch eine Öffnung ihrer Kontrollgremien für gesellschaftliche
Organisationen und demokratisch legitimierte Bevölkerungsvertreter gesell-
schaftlicher Kontrolle unterworfen werden.

Berlin, den 17. Dezember 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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