BT-Drucksache 18/1943

Mögliche Aktenvernichtung beim Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen über Rechtsextremisten, V-Männer und MfS-Mitarbeiter

Vom 27. Juni 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1943
18. Wahlperiode 27.06.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Petra Pau, Dr. André Hahn, Ulla Jelpke, Katrin Kunert,
Harald Petzold (Havelland), Martina Renner, Frank Tempel, Halina Wawzyniak
und der Fraktion DIE LINKE.

Mögliche Aktenvernichtung beim Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen
über Rechtsextremisten, V-Männer und MfS-Mitarbeiter

In ihrem Buch „Heimatschutz – Der Staat und die Mordserie des NSU“ schrei-
ben die Autoren Stefan Aust und Dirk Laabs u. a. über den bundesdeutschen
Rechtsterroristen Odfried Hepp, der auch für das Ministerium für Staatssicher-
heit (MfS) als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) gearbeitet hatte. Die Autoren be-
schreiben, wie Odfried Hepp in den 1980er-Jahren vom MfS mit einem neuen
gefälschten Reisepass und einer neuen Legende in den Nahen Osten geschickt
wird. „Dort beginnt er erst für die PLO, später für die von Syrien unterstützte
PLF zu arbeiten – und wird daneben von der CIA bezahlt. Im Auftrag der PLF
reist er nach Frankreich. Als sich Hepp im April 1985 in einer Pariser Hotelbar
mit Kontaktmännern aus dem Nahen Osten trifft, darunter einflussreiche Waf-
fenhändler, wird er von Agenten des französischen Geheimdienstes DST obser-
viert. Die nehmen ihn schließlich fest. Er bleibt zwei Jahre in Abschiebehaft.
Dann wird er nach Deutschland ausgeliefert. Hepp entscheidet sich auszu-
packen. Loyalitäten, das wird sich auch später in der rechten Szene nicht ändern,
sind reine Verhandlungssache. Regine Igel berichtet, dass ein anderer IM der
Stasi behauptet hatte, Hepp hätte auch dem BfV [BfV: Bundesamt für Verfas-
sungsschutz] als V-Mann berichtet. Die Stasi habe Hepp deshalb zu dem Anwurf
einen langen Fragenkatalog vorgelegt, die Stasi-Unterlagen-Behörde hat die
Antworten jedoch geschwärzt.“ (Aust/Laabs, „Heimatschutz – Der Staat und die
Mordserie des NSU“, München 2014, S. 93).
Die hier im Buch von Stefan Aust und Dirk Laabs erwähnte Wissenschaftlerin
Regine Igel beschreibt in ihrem Buch „Terrorismus-Lügen – Wie die Stasi im
Untergrund agierte“ das Ausmaß der Schwärzungen und Ausdünnungen von
MfS-Akten durch die Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des
Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik
(BStU), wenn es in den Akten um die Führung von rechtsextremen und rechts-
terroristischen Vertrauenspersonen durch das BfV und den Bundesnachrichten-
dienst (BND) geht. Regine Igel führt aus, dass ihr von 15 MfS-Ordnern „die mit
den Nummern 10 und 11 zur Gänze und Hunderte Seiten zwischendurch nicht
ausgehändigt werden. Eine vollständige Aufklärung zu Hepp ist nicht er-
wünscht. Verständlich einerseits, denn Hepp war schließlich als Doppelagent
auch für den Verfassungsschutz tätig“ (Regine Igel, „Terrorismus-Lügen – Wie
die Stasi im Untergrund agierte“, München 2012, S. 260). Im Detail beschreibt
die Autorin, wie in dem Ordner 1 zu Odfried Hepp eine Unzahl Seiten entnom-
men worden sind und so die wissenschaftliche Forschung behindert wurde. Die-
ser Ordner enthält auch den Zeitraum des Jahres 1980. Regine Igel weist mit
Recht auf einen möglichen triftigen Grund hin: „Da ereignete sich nämlich der

Drucksache 18/1943 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
bis dato gravierendste Terroranschlag in Deutschland, das Oktoberattentat.“
(ebenda, S. 261).
An anderer Stelle weist Regine Igel auf Schwärzungen über die Rechtsterroris-
ten C. H. und K.-D. H. hin. Das Ehepaar H. und andere Neonazis waren „am
21. Oktober 1981 an einem Anschlag auf eine Synagoge in Antwerpen beteiligt
gewesen, zwei Menschen wurden dabei getötet und 100 verletzt“ (ebenda,
S. 266). Und zum Aktenbestand heißt es dann weiter: „Stasi-Kontakt zum Ehe-
paar [H.] wäre denkbar, lässt sich aus den zu ihnen vorgelegten gerade mal zwei
Blatt MfS-Akten nicht belegen. Ihr Name ist – auch in anderen Akten – meist
geschwärzt, was wundert, waren sie der Öffentlichkeit doch keine Unbekannten
und auch keine Stasi-Opfer. Die Schwärzungen kann die BStU also nicht aus
Gründen des Schutzes des Persönlichkeitsrechts vorgenommen haben. Sie deu-
ten eher auch auf ihre Tätigkeit für einen oder mehrere Geheimdienste.“
(ebenda, S. 266/267).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Treffen die im Vortext dargelegten Sachverhalte aus den Büchern Aust/Laabs

„Heimatschutz“ und Regine Igel „Terrorismus-Lügen“ nach Kenntnis der
Bundesregierung zu?

2. Mit welcher Begründung und auf welcher Rechtsgrundlage wurden Akten
der BStU zu Rechtsextremisten und Rechtsterroristen durch Schwärzungen
und Blattentnahmen sowie durch die Verweigerung, ganze Ordner auszuge-
ben, der wissenschaftlichen Forschung entzogen?

3. Welche Regelungen des Stasi-Unterlagen-Gesetzes (STuG) legitimieren
diese Praxis, und welche darauf basierenden Vorschriften und Verwaltungs-
verfahren wurden daraus entwickelt?

4. Welche Erkenntnisse und Probleme haben nach 1989 zu diesen Regelungen
geführt, und wann wurden sie erstmals aus welchem Anlass angewandt?

5. Trifft es zu, dass Odfried Hepp auch V-Mann des BfV, des Militärischen Ab-
schirmdienstes (MAD) und/oder des BND gewesen ist, und war dies der
Grund, Akten der BStU zu schwärzen und nicht auszugeben?

6. Wurden in den konkreten, hier befragten Fällen die entsprechenden Regelun-
gen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der BStU eigeninitiativ angewen-
det (bitte die Entscheidungsebene für das Verfahren in der BStU angeben),
oder gab es Rückfragen an BfV, BND oder andere Stellen des Bundes wie
dem Bundesministerium des Innern (BMI), wann haben solche Gespräche
mit welcher Beteiligung stattgefunden, und wer hat letzten Endes die konkre-
ten Schwärzungen mit welcher genauen Begründung veranlasst?

7. Welche Verfahren (Informations- und Entscheidungswege) sind vorgesehen
und auf welche Weise (Anordnungen, Richtlinien, Vermerke oder Ähnliches)
für die Fälle geregelt, in denen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der BStU bei
ihren Forschungsarbeiten, Recherchen oder Akteneinsichtsvorgängen auf
personelle Verbindungen (einschließlich Doppelagenten) des MfS zu rechts-
extremistischen Szenen oder Einzelpersonen stoßen, wenn sich hieraus wie-
derum Verbindungen zu westdeutschen Sicherheitsbehörden ergeben?

8. Wurde die ersatzlose Herausnahme der Akten aus dem Bestand der BStU zu
Odfried Hepp und C. H. vom BMI angeordnet, und wenn ja, wann geschah
es, und wie wurde dies begründet?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1943
9. Hat die Bundesregierung das Parlamentarische Kontrollgremium über die
Funde und Herausnahme von Akten und Aktenteilen zu Odfried Hepp und
C. H. im Zusammengang mit Rechtsterrorismus, MfS, BfV und BND unter-
richtet, und wenn ja, wann, und wie wurde die Herausnahme begründet, und
wenn nein, warum nicht?

10. Existiert in der BStU ein Forschungsbereich oder Forschungsprojekt, oder
sind solche geplant, die die Kooperation des MfS mit neofaschistischen oder
rechtsterroristischen Gruppen der alten Bundesrepublik Deutschland syste-
matisch erforschen?

Berlin, den 26. Juni 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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