BT-Drucksache 18/1876

zu der Beratung der Verordnung der Bundesregierung - Drucksachen 18/1280, 18/1379 (neu) Nr. 2.2, 18/1871 - Verordnung zur Änderung der Sechzehnten Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verkehrslärmschutzverordnung - 16. BImSchV)

Vom 24. Juni 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1876
18. Wahlperiode 24.06.2014

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Herbert Behrens, Sabine Leidig, Caren Lay, Dr. Dietmar
Bartsch, Annette Groth, Karin Binder, Katrin Kunert, Thomas Lutze und
der Fraktion DIE LINKE.

zu der Beratung der Verordnung der Bundesregierung
– Drucksachen 18/1280, 18/1379 (neu) Nr. 2.2, 18/1871 –

Verordnung zur Änderung der
Sechzehnten Verordnung zur Durchführung des
Bundes-Immissionsschutzgesetzes
(Verkehrslärmschutzverordnung – 16. BImSchV)

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Deutsche Bundestag begrüßt das im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU
und SPD verankerte Ziel einer Halbierung des Schienenverkehrslärms bis zum Jahr
2020. Lärm macht krank – physisch und psychisch. Schienenverkehrslärm ebenso
wie Fluglärm und Straßenverkehrslärm, an den neuen ebenso wie an den bestehen-
den Verkehrswegen.
Schädlich sind insbesondere hohe Spitzenlärmwerte in der Nacht, aber auch anhal-
tender Lärm am Tage. Die gesundheitlichen Schäden für die Menschen sind wis-
senschaftlich nachgewiesen. Dazu gehören unter anderem Herz-Kreislauf-
Erkrankungen, Brustkrebs, psychische Störungen und Entwicklungsverzögerungen
bei Kindern. Lärm ist eine Form der Umweltverschmutzung, bei der die Betroffe-
nenzahlen am schnellsten steigen. Das Leiden der Betroffenen und die Folgekosten
für die gesamte Gesellschaft sind erheblich. Aufgabe der Politik ist es, Lärm durch
Schutzmaßnahmen so weit zu mindern, dass Anwohnerinnen und Anwohner kei-
nem unzumutbaren Lärm ausgesetzt sind. Das gilt in besonderem Maße nachts.
Beim Neu- und Ausbau von Schienenstrecken wird die zukünftige Lärmbelastung
auf Basis von Verkehrsprognosen berechnet. Anhand der Ergebnisse werden
Lärmschutzmaßnahmen festgelegt, wenn die Grenzwerte der 16. BImSchV über-
schritten werden.
Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass der sog. Schienenbonus, ein Abschlag in
Höhe von 5 dB(A) auf den errechneten Schienenverkehrslärm Ende des Jahres
2012 abgeschafft wurde. Leider galt dies nicht sofort, sondern im Regelfall erst ab

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dem 1.1. 2015 und dies auch nur für solche Abschnitte von neuen oder auszubauen
Schienenstrecken, bei denen das Planfeststellungsverfahren zu diesem Zeitpunkt
noch nicht eröffnet wurde und die öffentliche Auslegung des Planes noch nicht
erfolgt sein wird.
Die Abschaffung des Schienenbonus bei den Lärmberechnungen ist dennoch nur
ein kleiner Schritt auf dem Weg zu einem umfassenden Schutz der Menschen vor
Verkehrslärm. Weitere Maßnahmen wie insbesondere die Gewährleistung eines
durchgehend glatten Fahrflächenzustands der Schienen und lärmarme Bremsen bei
Güterwagen sind erforderlich.
Grundlage der Lärmberechnung beim Neu- und Ausbau von Schienenwegen ist die
16. BImSchV. Die für den Schienenverkehr maßgebliche Anlage 2 soll durch den
vorliegenden Verordnungsentwurf ersetzt werden. Das grundsätzliche Erfordernis
einer Überarbeitung dieser Schall 03 genannten Anlage 2 steht außer Frage. Die
vorliegende Neufassung stößt aber auf berechtigte Kritik von Betroffenen sowie
Ingenieurinnen und Ingenieuren, wie sie auch in der öffentlichen Anhörung des
Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages zu dieser Verordnung zur Spra-
che kam.
Kritisiert wurde insbesondere, dass die Neufassung bei den in den Planfeststel-
lungsverfahren wesentlichen Geschwindigkeiten über 100 km/h (siehe Grafik S. 89
auf Bundestagsdrucksache 18/1280) niedrigere Lärmimmissionen berechnet als die
bisherige Schall 03.
In der Verordnung wird zudem von der international anerkannten Schallausbrei-
tungsrichtlinie ISO 9613-2:1999 abgewichen. Dies ist nicht angemessen, denn es
führt dazu, dass der berechnete Lärm um bis zu 3 dB(A) niedriger ist als bei kor-
rektem Faktor. Zudem würde Schienenverkehrslärm dann anders berechnet und
bewertet als Straßenverkehrslärm. Diese Verfahrensweise ist weder sachgerecht
noch nachvollziehbar.
Die Schall 03 nimmt nicht den aktuellen Stand der Technik zur Kenntnis und blen-
det gesicherte Erkenntnisse der Lärmwirkungsforschung aus, indem keine Maxi-
malpegel berücksichtigt werden – wie es seit nunmehr 7 Jahren im Fluglärm-
schutzgesetz für die Nacht der Fall ist. Die Bundesregierung kommt damit einem
Beschluss des Bundesrates nicht nach, der bereits vor drei Jahren gefordert hat,
„neben dem Dauerschallpegel ein Spitzenschallpegelkriterium für die Nacht“ ein-
zuführen (Bundesratsdrucksache 151/11 (Beschluss, Nr. 4)). Somit fallen wenige
laute Züge nachts wegen des Mittelungspegels weiterhin nicht ins Gewicht. Ein
Mittelungspegel lässt wesentliche Aspekte des Schienenlärms wie den Maximalpe-
gel, die Anstiegssteilheit und auftretende Lärm-Ruhe-Intervalle außer Acht, die für
die gesundheitliche Wirkung von wesentlicher Bedeutung sind. Die Lärmcharakte-
ristik des Schienenlärms (steiler Anstieg eines starken Lärmpegels aus einem rela-
tiv niedrigen Hintergrundniveau) weist eine sehr große Ähnlichkeit mit der Lärm-
charakteristik des Fluglärms auf, so dass angenommen werden muss, dass auch die
gesundheitlichen Folgen in vergleichbarer Weise auftreten, d. h. die Gesundheit der
von Schienenlärm betroffenen Bevölkerung in erheblicher Weise beeinträchtigt
wird.
Außerdem erfolgt durch die Verordnung weiterhin keine Definition des durch-
schnittlichen Fahrflächenzustandes. Einerseits gibt es mit dem Besonders über-
wachten Gleis (BüG) weiterhin einen Abschlag von bis zu 5 dB(A), andererseits
wird der Bezugspunkt dafür nicht ausreichend definiert. Dies kritisierten die Bun-
desvereinigung gegen Schienenlärm und der Arbeitsring Lärm der DEGA (ALD)
in ihren Stellungnahmen zur Anhörung sowie mündlich ebendort. Nach Angaben
des ALD können verriffelte Gleise bis zu 20 dB(A) lauter sein als glatte Gleise. In
der „Studie zur Lärmminderung im Schienengüterverkehr“ der TU Berlin (Bericht
Nr. 02/2014) vom 7. März 2014 heißt es diesbezüglich, dass das Gleis am Rollge-
räusch einen Anteil von 70 Prozent besitzt. Von daher ist es erforderlich, nicht nur

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die Güterwagen umzurüsten, sondern auch darauf zu achten, dass die Gleise nicht
übermäßig rau werden. Die angenommene Lärmreduktion um 10 dB(A) durch
umgerüstete Güterwagen lässt sich nur bei durchschnittlicher Schienenrauheit er-
zielen.
Beim BüG sieht die Verordnung zudem eine Vergrößerung der Abstände der Mess-
fahrten vor, indem grundsätzlich nur alle 12 Monate und nach dem ersten Jahr
nicht mehr alle sechs Monate gemessen werden soll.
Es bestehen somit erhebliche Zweifel daran, dass der Verordnungsgeber mit dem
vorgelegten Entwurf der grundrechtlich (in Art. 2 Abs. 2 GG) gebotenen Pflicht
zum Schutz vor Gesundheitsgefahren gerecht wird und dem in § 41 BImSchG
formulierten Anspruch genügt, „... sicherzustellen, dass ...keine schädlichen Um-
welteinwirkungen durch Verkehrsgeräusche hervorgerufen werden können, die
nach dem Stand der Technik vermeidbar sind.“
Dies führt dazu, dass Klagen gegen die Anwendung dieser Verordnung möglich
sind und die Vorlage der Bundesregierung somit eine Quelle von Rechtsunsicher-
heit ist. Nach Inkrafttreten wäre sie damit eine Belastung für zukünftige Plan-
feststellungsverfahren für Schieneninfrastrukturmaßnahmen, die angesichts der
großen Herausforderungen wie z. B. der Verbesserung der schienenseitigen Hinter-
landanbindung der Seehäfen ausgeschlossen werden muss.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. diese Verordnung nicht in Kraft treten zu lassen, sondern umgehend, aber
spätestens mit Verabschiedung der derzeit auf europäischer Ebene erarbeite-
ten Berechnungsmethodik CNOSSOS, die eine Harmonisierung der Berech-
nungsverfahren für die Verkehrslärmquellen und den Lärm von Industrieanla-
gen zum Ziel hat, eine Neufassung vorzulegen, die an diese EU-Methodik an-
gepasst ist, damit keine verschiedenen Berechnungsmethoden parallel neben-
einander existieren, also Lärmvorausberechnungen nach der 16. BImSchV
und Lärmnachberechnungen nach der EU-Umgebungslärmkartierung mitei-
nander vergleichbar sind und somit der errechnete Schienenverkehrslärm
nachträglich überprüft werden kann.
Bei der Neufassung sind für die Ermittlung des nächtlichen Lärms analog zum
Fluglärmgesetz auch Einzelschallereignisse und nicht ausschließlich Dauer-
schallpegel (Mittelungspegel) zu berücksichtigen und die internationale
Schallausbreitungsrichtlinie ISO 9613-2:1999 unverfälscht ohne Korrekturen
zu verwenden;

2. bis Ende dieses Jahres ein Konzept zur Bewältigung der Gesamtlärmproble-
matik vorzulegen, das Lösungen zur Kostenaufteilung erforderlicher Lärm-
schutzmaßnahmen auf die verschiedenen Lärmverursacher Straße, Schiene,
Luftverkehr und Industrielärm enthält, einerseits im Falle bestehender und an-
dererseits im Falle von Neuplanungen;

3. bis Ende des Jahres 2014 dem Deutschen Bundestag einen Entwurf für eine
Novellierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG) und der
Sechzehnten Verordnung zur Durchführung des Bundes-
Immissionsschutzgesetzes (16. BImSchV) vorzulegen, in dem – verbunden
mit Fristenregelungen – die Grenzwerte der 16. BImSchV auch auf Bestands-
strecken von Schienenwegen und öffentliche Straßen ausgedehnt werden. Da-
bei ist vorzusehen,
a) dass der sog. Schienenbonus (Korrektur um minus 5 dB(A) zur Berück-

sichtigung der behaupteten geringeren Störwirkung des Schienenver-
kehrslärms) in § 3 und Anlage 2 der 16. BImschV auch für bereits be-
gonnene Planungen nicht mehr gilt,
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b) dass der nächtliche Immissionsgrenzwert für Kerngebiete, Dorfgebiete
und Mischgebiete (§ 2 Absatz 1 Nummer 3 16. BImschV) den von all-
gemeinen Wohngebieten und Kleinsiedlungsgebieten (§ 2 Absatz 1
Nummer 2 16. BImschV) gleichgestellt wird,

c) dass spätestens im Jahr 2023 an den Schienenwegen des Bundes und an
Bundesfernstraßen in der Baulast des Bundes die Werte der
16. BImSchV eingehalten werden müssen,

d) dass 20 Prozent der am höchsten belasteten Abschnitte an bestehenden
Schienenstrecken bis zum Ende des Jahres 2019 einer Lärmsanierung zu
unterziehen sind,

e) dass für Verkehrswege, die sich nicht in der Baulast des Bundes befin-
den, andere Übergangsfristen möglich sind und

f) dass in der Planung für den Haushalt 2015 ausreichend Mittel für die
Lärmsanierung an Bundesfernstraßen und Schienenwegen des Bundes
eingestellt werden und zukünftig auf die gegenseitige Deckungsfähigkeit
dieser Titel mit anderen investiven Titeln verzichtet wird.

Berlin, den 24. Juni 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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