BT-Drucksache 18/1777

Halbierung des Schienenverkehrslärms bis zum Jahr 2020

Vom 17. Juni 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1777
18. Wahlperiode 17.06.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, Dr. Dietmar Bartsch,
Annette Groth, Katrin Kunert, Dr. Gesine Lötzsch, Thomas Lutze und der Fraktion
DIE LINKE.

Halbierung des Schienenverkehrslärms bis zum Jahr 2020

Im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vom November 2013 heißt
es: „Den Schienenlärm wollen wir bis 2020 deutschlandweit halbieren. Ab die-
sem Zeitpunkt sollen laute Güterwagen das deutsche Schienennetz nicht mehr
befahren dürfen. Die Bezuschussung für die Umrüstung auf lärmmindernde
Bremsen setzen wir fort. Den Stand der Umrüstung werden wir 2016 evaluieren.
Sollte bis zu diesem Zeitpunkt nicht mindestens die Hälfte der in Deutschland
verkehrenden Güterwagen umgerüstet sein, werden wir noch in dieser Wahl-
periode ordnungsrechtliche Maßnahmen auf stark befahrenen Güterstrecken
umsetzen – z. B. Nachtfahrverbote für nicht umgerüstete Güterwagen.“
In der Verordnung zur Änderung der Sechzehnten Verordnung zur Durchfüh-
rung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (Verkehrslärmschutzverordnung –
16. BImSchV) der Bundesregierung vom 30. April 2014 auf Bundestagsdruck-
sache 18/1280 heißt es (S. 34): „Bei Güterzügen kann damit gerechnet werden,
dass bis zum Jahr 2020 80 Prozent und bis zum Jahr 2030 100 Prozent der
Güterwagen mit Verbundstoff-Klotzbremsen ausgestattet sind.“ Diese Fest-
legungen widersprechen der Aussage im Koalitionsvertrag, denn wenn im Jahr
2020 nur 80 Prozent umgerüstete Güterwagen auf dem deutschen Schienennetz
fahren, gibt es nicht gleichzeitig ein Verbot des Einsatzes nicht umgerüsteter
Wagen.
Im Zuge einer Frage in einer Sitzung des Ausschusses für Verkehr und digitale
Infrastruktur des Deutschen Bundestages antwortete die Bundesregierung
schriftlich zur Frage des Standes der Umrüstung wie folgt: „Von den Güter-
wagen, die im nationalen Fahrzeugregister erfasst sind, sind derzeit rund 17 000
Güterwagen mit Verbundstoff-Bremssohlen ausgestattet“ (Ausschussdruck-
sache 18(15)22).
Neben dem nationalen Pilotprojekt „Leiser Rhein“, das auf die Umrüstung von
5 000 Güterwagen angelegt war, mit einer Umrüstung von derzeit lediglich
knapp 1 500 Güterwagen (siehe Ausschussdrucksache 18(15)22) aber nur einen
bescheidenen Beitrag zur Lärmminderung leistet, gibt es nun begleitend zum am
9. Dezember 2012 eingeführten lärmabhängigen Trassenpreissystem (laTPS)
eine weitere nationale Fördermöglichkeit über eine am 17. Oktober 2013 be-
kannt gegebene Förderrichtlinie (www.eba.bund.de/SharedDocs/Publikationen/
DE/Finanzierung/laTPS/rl_latps.html?nn=639068), über die maximal 50 Pro-
zent der Investitionsmehrkosten übernommen werden. Insgesamt ist das Förder-
volumen dabei auf 152 Mio. Euro begrenzt. Darüber hinaus besteht auf europä-
ischer Ebene über die am 11. Dezember 2013 in Kraft getretene Verordnung
(EU) Nr. 1316/2013 zur Schaffung der Fazilität „Connecting Europe“ (CEF) die

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Möglichkeit einer Förderung in Höhe von bis zu 20 Prozent der Kosten zur
Umrüstung von Schienen-Güterwagen. Das Volumen dabei ist allerdings auf ein
Prozent der CEF-Mittel begrenzt, die sich für den Verkehrssektor auf 26,25 Mrd.
Euro belaufen.
Beim Neu- und Ausbau von Schienenstrecken werden die Lärmschutzmaßnah-
men auf der Basis von Prognosen festgelegt. Rechtlich möglich ist es im Falle,
dass nach Inbetriebnahme einer Strecke tatsächlich höhere Lärmbelastungen
entstehen, nachträgliche Anordnungen zum Lärmschutz nach § 75 Absatz 2
Satz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) zu erlassen. Laut Antwort
der Bundesregierung vom 30. Mai 2014 auf die Schriftliche Frage des Abgeord-
neten Herbert Behrens, Fraktion DIE LINKE., ist „eine Pflicht der Planfeststel-
lungsbehörde zur Überprüfung, ob die dabei prognostizierten Beurteilungspegel
während des Betriebs tatsächlich auftreten, […] weder in der 16. BImSchV noch
im BImSchG vorgesehen. Eine derartige Evaluierung findet nicht statt.“
(Schriftliche Frage 60 auf Bundestagsdrucksache 18/1684). Die Frage, inwie-
weit es in den letzten fünf Jahren entsprechende nachträgliche Anordnungen
gegeben habe, konnte die Bundesregierung wegen der Kürze der Zeit nicht be-
antworten.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Vorbereitungen trifft die Bundesregierung derzeit für die für das Jahr

2016 vorgesehene Evaluation des Standes der Umrüstung?
2. Sollen dafür ein oder mehrere Aufträge an Gutachter vergeben werden?

Wenn ja, jeweils wann, warum, und mit welchem Auftrag?
3. Zu welchem genauen Zeitpunkt sollen die Ergebnisse der Evaluierung vorlie-

gen?
4. Wie viele Güterwagen verkehrten nach Kenntnis der Bundesregierung je-

weils in den Jahren 2010 bis 2013 in Deutschland?
a) Wie viele davon waren jeweils im nationalen Fahrzeugregister erfasst?
b) Wie viele davon (bitte für die unter Frage 4a abgefragten Wagen gesondert

angeben) waren mit Verbundstoff-Bremssohlen ausgestattet, und bei je-
weils wie vielen Fahrzeugen davon handelte es sich um umgerüstete Gü-
terwagen, und wie viele waren bereits bei der Zulassung entsprechend
ausgestattet?

5. Hat die Bundesregierung bzw. das Eisenbahn-Bundesamt selber Kenntnis
von allen in Deutschland verkehrenden Güterwagen, oder verfügt nur die DB
Netz AG über die entsprechenden Informationen (bitte mit Begründung)?

6. Wird die DB Netz AG der Bundesregierung die ihr verfügbaren Informatio-
nen über die auf dem Netz der Schienenwege des Bundes verkehrenden
Güterwagen und insbesondere die Angabe des jeweiligen Bremssystems zur
Verfügung stellen, bzw. tut sie dies bereits regelmäßig oder unregelmäßig
(bitte mit Begründung)?
a) Könnte die DB Netz AG diese Information verweigern, und wenn ja, mit

welcher Begründung?
b) Wann, wie oft, und wie hat sich die Bundesregierung seit Beginn des Jahres

2010 über die auf dem Netz der Schienenwege des Bundes verkehrende
Zahl an Güterwagen und deren Ausrüstung mit Bremssystemen infor-
miert?

7. Wie viele Güterwagen waren in den Jahren 2010 bis 2013 jeweils im natio-
nalen Fahrzeugregister registriert?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1777
a) Sind darin nur Güterwagen nationaler Halter registriert?
b) Wie viele der darin registrierten Güterwagen gehören der Deutschen

Bahn AG (DB AG)?
c) Wie viele der registrierten Güterwagen davon sind mit Verbundstoff-

Bremssohlen ausgestattet, und bei jeweils wie vielen Fahrzeugen davon
handelte es sich um umgerüstete Güterwagen, und wie viele waren be-
reits bei der Zulassung entsprechend ausgestattet (bitte unterschieden für
DB AG und andere Halter angeben)?

8. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus der Aussage der DB AG, dass eine Umrüstung von 50 Prozent ihrer
Güterwagen erst im Jahr 2017 zu schaffen sei?

9. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus den Aussagen der Vereinigung der Privatgüterwagen-Interessenten –
VPI – e. V. vom 14. Januar 2014, dass sich „diejenigen, die die Umrüstung
weiter hinauszögern und darauf spekulieren, dass der Betrieb von Grauguss-
bremsen auch noch 2020 noch erlaubt wäre, sich Wettbewerbsvorteile ver-
schaffen“, da die „Subventionierung zwar die Kosten der Umrüstung“,
„aber nicht die Mehrkosten des Betriebs“ abdecke (www.vpihamburg.de/
file_downloads/1124, S. 19 ff.)?

10. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass der Betrieb umgerüsteter
Güterwagen höhere Kosten verursacht, als der Betrieb von Güterwagen mit
Graugussbremsen (bitte mit Begründung)?
a) Welche Informationen zu den Betriebskosten der verschiedenen Brems-

systeme liegen der Bundesregierung vor?
b) Welche eigenen Untersuchungen hat sie diesbezüglich angestellt?
c) Wie viel höher liegen nach Kenntnis der Bundesregierung die durch-

schnittlichen Betriebskosten jeweils eines umgerüsteten und eines be-
reits mit einem lärmarmen Bremssystem ausgestatteten Güterwagens im
Vergleich zu einem Güterwagen mit Graugussbremse?

11. Wie hoch sind nach Kenntnis der Bundesregierung die durchschnittlichen
Kosten für die Umrüstung eines Güterwagens?

12. Wie groß ist nach Kenntnis der Bundesregierung der durchschnittliche Zeit-
aufwand für die Umrüstung eines Güterwagens, in dem dieser nicht für den
Verkehr zur Verfügung steht?
Können in dieser Zeit weitere Überprüfungs- oder Wartungsarbeiten durch-
geführt werden (bitte mit Begründung)?

13. Wie viele Hersteller für Verbundstoff-Klotzbremsen zum Ersatz bestehen-
der Graugussbremsen in Güterwagen (sog. LL-Sohle) sind der Bundesregie-
rung bekannt?
a) Welche Produktionskapazitäten haben diese nach Kenntnis der Bundes-

regierung jeweils?
b) Gibt es nach Auffassung der Bundesregierung ausreichende Kapazitäten

zur Umrüstung von Güterwagen (bitte mit Begründung)?
14. Kann ausgeschlossen werden, dass umgerüstete Güterwagen zu einem spä-

teren Zeitpunkt wieder mit Graugussbremsen ausgestattet werden (bitte mit
Begründung)?

15. Welche Überlegungen gibt es innerhalb der Bundesregierung, die – nach
Auffassung der Fragesteller bestehende – Diskrepanz zwischen dem finan-
ziellen Anreiz für die Wagenhalter für eine spätere Umrüstung einerseits
und der politischen Zielvorgabe einer Umrüstungsquote von 50 Prozent bis
zum Jahr 2016 andererseits aufzulösen?

Drucksache 18/1777 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
16. Gibt es Überlegungen, die höheren Betriebskosten über das – aus Sicht der
Wagenhalter – in der derzeitigen Form nicht ausreichende Anreizsystem der
lärmabhängigen Trassenpreise (laTPS) hinaus auszugleichen?
Wenn nein, warum nicht?
Wenn ja, welche?

17. Wie soll die in der o. g. Ausschussdrucksache erwähnte „stärkere Spreizung
der Trassenpreise“ zur „Erhöhung der Wirksamkeit des laTPS“ konkret aus-
gestaltet werden?
a) Wann soll dies umgesetzt werden (bitte mit Begründung)?
b) Gab es hierzu bereits Gespräche mit der DB Netz AG?

Wann ja, wann, und mit welchem Ergebnis?
Wenn nein, warum noch nicht?

18. Welche weiteren ordnungsrechtlichen Maßnahmen zur Reduzierung des
Schienenverkehrslärms stehen der Bundesregierung außer den im Koali-
tionsvertrag explizit genannten Nachtfahrverboten für nicht umgerüstete
Wagen zur Verfügung?
Welche davon präferiert die Bundesregierung (bitte jeweils begründen)?

19. Mit welchen Maßnahmen will die Bundesregierung die Umrüstung auslän-
discher Güterwagen befördern?

20. Soll das Pilotprojekt „Leiser Rhein“ fortgeführt werden (bitte mit Begrün-
dung)?

21. Inwieweit unterscheiden sich die Förderbedingungen der beiden nationalen
Förderrichtlinien zur Umrüstung von Güterwagen, insbesondere bezüglich
der gewährten finanziellen Förderkonditionen?

22. Wie viele Anträge zur Förderung wie vieler Güterwagen sind nach der das
laTPS begleitenden Förderrichtlinie bereits eingegangen?

23. Inwieweit unterscheiden sich diese beiden nationalen Förderprogramme je-
weils von der Möglichkeit der Förderung über die CEF, insbesondere be-
züglich der gewährten finanziellen Förderkonditionen?

24. Wie ist das Verfahren zur Beantragung einer Förderung zur Umrüstung aus
der CEF?

25. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung aus Deutschland bereits An-
träge zur Umrüstung aus Mitteln der CEF?
Wenn ja, die Umrüstung wie vieler Güterwagen ist beantragt?
Wenn nein, wie erklärt sich die Bundesregierung dies?

Nachträgliche Anordnungen zum Lärmschutz
26. An welchen Streckenabschnitten wurden nach Kenntnis der Bundesregie-

rung seit dem Jahr 2008 aufgrund der Überschreitung des zuvor erwarteten
Beurteilungspegels Lärmschutzmaßnahmen als nachträgliche Anordnungen
gemäß § 75 Absatz 2 Satz 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes erlassen?

27. Durch wen können grundsätzlich nachträgliche Anordnungen im Sinne der
vorhergehenden Frage bei wem beantragt werden (bitte das Verfahren für
nachträgliche Anordnungen beschreiben)?

28. Auf Basis welcher Erkenntnisse sind grundsätzlich nachträgliche Anord-
nungen im Sinne der vorhergehenden Frage möglich?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/1777
29. Sind – vor dem Hintergrund, dass es keine Überprüfung der prognostizier-
ten Beurteilungspegel während der Betriebsphase gibt – stattdessen die Er-
gebnisse der Umgebungslärmkartierung, die auf Basis der EU-Umgebungs-
lärmrichtlinie regelmäßig auch für Schienenwege zu erfolgen hat, grund-
sätzlich eine geeignete Grundlage für den rechtssicheren Erlass nachträg-
licher Anordnungen im Sinne der vorhergehenden Frage (bitte mit
Begründung)?

30. Inwieweit fließen Lärmmessungen an Schienenwegen in die Umgebungs-
lärmkartierung der Schienenwege ein (bitte das Verfahren der Umgebungs-
lärmkartierung an Schienenwegen beschreiben)?

31. In welcher Art und Weise, durch wen, und zu welchen Anlässen werden
Lärmmessungen an Schienenwegen des Bundes durchgeführt?

32. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Fragesteller, dass es grund-
sätzlich problematisch ist, wenn es zwar einen Rechtsanspruch auf Lärm-
schutzmaßnahmen gibt, jedoch keine entsprechende Überprüfung durch
Lärmmessung erfolgt, ob die festgelegten Maßnahmen auch tatsächlich
einen ausreichenden Schutz der Anwohnerinnen und Anwohner vor Schie-
nenverkehrslärm entsprechend den Vorgaben des Bundes-Immissions-
schutzgesetzes und der Grenzwerte der 16. Bundesimmissionsschutzver-
ordnung erhalten (bitte mit Begründung)?

33. Plant die Bundesregierung diese nach Auffassung der Fragesteller konzep-
tionelle Schwäche des Immissionsschutzrechtes zu beheben (bitte mit Be-
gründung)?

Besonders überwachtes Gleis (BüG)
34. In wie vielen Fällen und auf jeweils welchen Strecken des Bundes gab es in

den Jahren 2012 und 2013 Verstöße gegen die Auflage zur Durchführung
von Messfahrten zur Kontrolle des BüG?

35. In wie vielen Fällen und auf jeweils welchen Strecken des Bundes gab es in
den Jahren 2012 und 2013 Verstöße gegen die Auflage zum Schleifen?
Welche Sanktionen oder sonstige Maßnahmen wurden daraufhin jeweils an-
geordnet bzw. erlassen?

Berlin, den 17. Juni 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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