BT-Drucksache 18/1664

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - Drucksachen 18/1307, 18/1579, 18/1657 - Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Finanzstruktur und der Qualität in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Finanzstruktur- und Qualitäts-Weiterentwicklungsgesetz - GKV-FQWG)

Vom 4. Juni 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1664
18. Wahlperiode 04.06.2014

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Kordula Schulz-Asche,
Dr. Harald Terpe, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Franziska Brantner,
Katja Dörner, Kai Gehring, Britta Haßelmann, Ulle Schauws, Tabea
Rößner, Doris Wagner, Beate Walter-Rosenheimer, Ekin Deligöz
und der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 18/1307, 18/1579, 18/1657 –

Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Finanzstruktur und der
Qualität in der gesetzlichen Krankenversicherung
(GKV-Finanzstruktur- und Qualitäts-Weiterentwicklungsgesetz – GKV-FQWG)

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung gibt keine Antwort auf die Gerechtig-
keitsdefizite des deutschen Gesundheitssystems. Die gesetzliche Krankenversiche-
rung ist nach wie vor ein Solidarsystem, das ohne die Stärksten auskommen muss.
Die europaweit faktisch einmalige Zweiteilung des Versicherungsmarktes in ge-
setzliche und private Krankenversicherung ist ungerecht. Junge, gesunde, gutver-
dienende Frauen und Männer, Beamtinnen und Beamte und Selbständige können
sich der Solidarität (zwischen gesund – krank, reich – arm) in der gesetzlichen
Krankenversicherung entziehen und sich privat krankenversichern. Gleichzeitig
können sich viele die hohen Beiträge in der privaten Krankenversicherung nicht
mehr leisten. So verfügen viele Selbständige heute über geringere Einkommen als
vergleichbar qualifizierte Angestellte. Viele Rentnerinnen und Rentner sind den
galoppierenden Beitragssteigerungen in der privaten Krankenversicherung kaum
noch gewachsen. Durch die höheren Honorare für Privatversicherte bestehen für
Ärztinnen und Ärzte massive Anreize, Art und Ausmaß ihrer Leistungen von der
Art des Krankenversicherungsschutzes der Patientinnen und Patienten abhängig zu
machen und nicht von der Schwere ihrer Erkrankung.
Der Anteil der beitragspflichtigen Löhne, Gehälter und Renten am Gesamtein-
kommen der Haushalte ist in den letzten Jahren gesunken. Die Finanzierungsbasis
der gesetzlichen Krankenversicherung ist rückläufig. Weitere Einkommen aus
Kapital, Vermietung und Verpachtung werden nicht einbezogen. Das kann auf die

Drucksache 18/1664 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Dauer nicht gutgehen. Um die Krankenversicherung zukunftsfähig, nachhaltig und
solidarisch sowie neutral bezüglich der individuellen Arbeitsteilung von Paaren zu
machen, ist die Einführung einer solidarischen Bürgerversicherung überfällig.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung stellt die Finanzierung der gesetzlichen
Krankenversicherung weder auf eine gerechtere noch auf eine breitere und solidere
Basis. Ebenso fehlen Schritte zur Überwindung der überkommenen Zweiteilung
des deutschen Krankenversicherungsmarktes. Stattdessen zementiert der Gesetz-
entwurf das Einfrieren des Arbeitgeberbeitrags, sodass alle künftigen Kostenstei-
gerungen allein von den beitragszahlenden Versicherten über Zusatzbeiträge getra-
gen werden müssen. Dabei werden durch die Streichung der Belastungsgrenzen
und des Sozialausgleichs Menschen mit geringen Einkommen schon in Kürze deut-
lich mehr zahlen als nach der jetzigen Rechtslage. Verschärft wird diese Situation
durch die im Haushaltsbegleitgesetz vorgenommene Kürzung des Bundeszuschus-
ses. Zusammengenommen müssen die Versicherten in den nächsten 4 Jahren somit
knapp 10 Mrd. Euro mehr durch Beiträge aufbringen.
Der Bundeszuschuss dient der Finanzierung gesellschaftlich erwünschter soge-
nannter versicherungsfremder Leistungen – wie z. B. der kostenlosen Versicherung
von Kindern. Es ist unverantwortlich, dass er, wie von der jetzigen Bundesregie-
rung, als Steinbruch zur Finanzierung des Bundeshaushaltes genutzt wird und da-
mit Haushaltsanierung auf Kosten der Versicherten der gesetzlichen Krankenversi-
cherung vornimmt.
Bei der Qualitätssicherung wird die Chance vertan, eine einheitliche transparente
Bewertung der Versorgungsangebote für die Patientinnen und Patienten zu schaf-
fen. Beim neuen Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheits-
wesen gibt es deutliche Mängel in Bezug auf die Unabhängigkeit, die angemessene
Patientenbeteiligung und die Berücksichtigung der ambulanten Versorgung.
Die Änderungen am morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich greifen zu
kurz. Sie verfehlen das Ziel, eine faire, an der Krankheitslast der Versicherten ori-
entierte, Risikoverteilung zwischen den gesetzlichen Krankenkassen zu erreichen.
Im Vordergrund sollte ein Wettbewerb um die beste Versorgung und nicht um
bestimmte Versicherungsgruppen stehen.
Der Sicherstellungszuschlag für freiberufliche Hebammen wird das Problem der
massiv steigenden Haftpflichtprämien für Geburten auf Dauer nicht lösen. Zudem
wird sich die praktische Umsetzung des Zuschlags voraussichtlich als sehr schwie-
rig erweisen. Somit ist eine flächendeckende geburtshilfliche Versorgung auch
weiterhin in Frage gestellt.

II. Der Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

den Entwurf für ein GKV-Finanzstruktur- und Qualitäts-Weiterentwicklungsgesetz
(GKV-FQWG) zurückzuziehen und einen Gesetzentwurf vorzulegen, der folgen-
den Anforderungen gerecht wird:

1. Durch die schrittweise Zusammenführung der gesetzlichen und privaten Kran-
kenversicherung in einer Bürgerversicherung werden die Gerechtigkeitsdefizi-
te des dualen Versicherungssystems behoben. Alle Bevölkerungsgruppen wer-
den in den Solidarausgleich einbezogen. Die Finanzierung erfolgt über ein-
kommensabhängige, von den Kassen jeweils festgelegte Beiträge und den
Bundeszuschuss. Die Finanzierungsbasis wird um weitere Einkunftsarten – aus
Kapital, Vermietung und Verpachtung sowie Gewinnen – verbreitert. Zugleich
wird die paritätische Finanzierung durch Arbeitgeber sowie Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer wieder vollständig hergestellt. Die Zusatzbeiträge wer-
den abgeschafft.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1664

2. Die Unabhängigkeit des vorgesehenen Instituts für Qualitätssicherung und
Transparenz im Gesundheitswesen wird gestärkt. Dazu ist insbesondere ein
transparenter Umgang mit Interessenkonflikten vorzusehen. Im Stiftungsvor-
stand des Instituts wird eine angemessene Patientenbeteiligung durch ein
Mitberatungsrecht und ein Antragsrecht der Patientenvertretung sichergestellt.
Damit Patientinnen und Patienten auch im ambulanten Sektor qualitätsorien-
tierte Entscheidungen bei der Auswahl von Leistungserbringern treffen kön-
nen, ist auch in diesem Sektor eine stärkere Qualitätstransparenz nötig.

3. Der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich muss weiterentwickelt wer-
den, um die Zielgenauigkeit der Zuweisungen zu verbessern und eine faire Ri-
sikoverteilung zwischen den gesetzlichen Krankenkassen zu erreichen. Dazu
gehört insbesondere die Abschaffung der willkürlichen Festlegung des zu be-
rücksichtigenden Krankheitsspektrums sowie die Prüfung der Wiedereinfüh-
rung eines Risikopools. Darüber hinaus ist zu überprüfen, mit welchen Stell-
schrauben die Anreize für ein patientenorientiertes Krankengeldfallmanage-
ment verbessert und bisherige Fehlentwicklungen vermieden werden können.

4. Zur Sicherung einer flächendeckenden Geburtshilfe und der Wahlfreiheit wer-
dender Eltern müssen die Kosten der Berufshaftpflichtversicherung gesenkt
werden. Dazu ist die Prüfung in Betracht kommender Modelle, wie beispiels-
weise ein Haftungsfonds oder eine Regressbeschränkung, zügig abzuschließen.
Des Weiteren sollte eine grundlegende Neuordnung der Regelungen zur Be-
rufshaftpflicht aller Gesundheitsberufe in Angriff genommen werden. Dabei ist
insbesondere die Möglichkeit zu prüfen, die Regelungsprinzipien der gesetzli-
chen Unfallversicherung auf eine Berufshaftpflichtversicherung für alle
Gesundheitsberufe bzw. deren Arbeitgeber (wie z. B. Krankenhäuser) zu über-
tragen.

Berlin, den 3. Juni 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Begründung

Der vorliegende Gesetzentwurf versäumt die Behebung der zentralen Gerechtigkeitsdefizite des Finanzie-
rungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung. Stattdessen enthält er zahlreiche kritikwürdige Rege-
lungen. So wird der Arbeitgeberbeitrag auf 7,3 Prozent eingefroren. Die Arbeitgeber verlieren damit sukzes-
sive das Interesse, ihren gesellschaftlichen Einfluss für moderate Ausgabensteigerungen im Gesundheitswe-
sen einzusetzen. Dies wird den Kostenanstieg in der gesetzlichen Krankenversicherung deutlich beschleuni-
gen. Dies ist weit entfernt von der behaupteten Absicht, die Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Kran-
kenversicherung auf eine solide und nachhaltige Grundlage zu stellen. Dieses Ziel ist nur mit der Einführung
der Bürgerversicherung zu erreichen.
Dem Ziel einer besseren Ausgewogenheit zwischen Preis- und Qualitätswettbewerb wird der Gesetzentwurf
ebenfalls nicht gerecht. Wesentliche Schritte hin zu einer Stärkung des Wettbewerbs um die beste Leistung
bei der Versorgung der Versicherten sind in diesem Gesetzentwurf nicht vorgesehen.
Beim neu zu schaffenden Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen ist die Unab-
hängigkeit nicht ausreichend sichergestellt, da Regelungen, wie sie auch beim Institut für Qualität und Wirt-
schaftlichkeit existieren, fehlen. Möglichen Interessenskonflikten wird durch eine fehlende Offenlegungs-
pflicht der Beschäftigten und Auftragnehmer für Beziehungen zu Interessensverbänden nicht ausreichend
vorgebeugt. Zudem ist bislang keine angemessene Patientenbeteiligung vorgesehen. Nach dem Gesetzent-
wurf haben die für die Wahrnehmung der Interessen der Patientinnen und Patienten maßgeblichen Organisa-
tionen lediglich die Möglichkeit, einen Antrag zur Beauftragung des Instituts beim Gemeinsamen Bundes-
Drucksache 18/1664 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

ausschuss zu stellen. Die Aufgaben des vorgesehenen Instituts bei der Qualitätssicherung beziehen sich vor
allem auf den Krankenhaussektor. So fehlt etwa die Möglichkeit zu einrichtungsbezogenen Qualitätsverglei-
chen auch im ambulanten Sektor.
Die Weiterentwicklung des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (Morbi-RSA) bleibt halbherzig.
Wesentliche Bestandteile des Gutachtens des Wissenschaftlichen Beirats von 2011 werden nicht einmal bei
den geplanten Gutachten zur Prüfung weiterer Entwicklungsschritte einbezogen. Dies gilt insbesondere für
eine mögliche Ausweitung des im Morbi-RSA berücksichtigten Krankheitsspektrums.
Die Zuweisungen für die Bereiche Krankengeld und Auslandsversicherte werden jeweils zunächst mit einer
Übergangsregelung verändert, welche umstritten ist. Gutachten des Bundesversicherungsamtes sollen jeweils
bis Ende 2015 Vorschläge unterbreiten, wie die Zuweisungen in den beiden Bereichen zielgerichteter ermit-
telt werden können. Da in diesen Gutachten jedoch zunächst nur Bestimmungsfaktoren und Datengrundlagen
untersucht werden, ist zu befürchten, dass Lösungsvorschläge für zukünftige Zuweisungsmodelle auch An-
fang 2016 nicht vorliegen werden. Damit könnten die Übergangsregelungen zur Dauereinrichtung werden. Es
fehlt eine Befristungsregelung. Berichte über Probleme bei den Anspruchsvoraussetzungen des Krankengeld-
bezugs, den Möglichkeiten und Erfolgsaussichten zur Durchsetzung dieser Ansprüche sowie zu sozialmedi-
zinischen Untersuchungen (siehe UPD-Monitor von 2013) belegten ein forciertes Einwirken von einzelnen
Krankenkassen auf Krankengeld beziehende Versicherte mit der Zielsetzung, Ausgaben zu sparen. Deshalb
muss die Bundesregierung dafür sorgen, dass die Anreize für ein patientenorientiertes Krankengeldfallmana-
gement der gesetzlichen Krankenkassen verbessert werden.
Der vorgesehene Sicherstellungszuschlag für freiberufliche Hebammen vermag als Lösung für die massive
Haftpflichtproblematik in der Geburtshilfe nicht zu überzeugen. Dies hat nicht zuletzt die öffentliche Anhö-
rung des Gesundheitsausschusses zum GKV-FQWG am 21. Mai 2014 ergeben, bei der von Verbändeseite
auf praktische Probleme und offene Fragen bei der konkreten Umsetzung des Zuschlags hingewiesen wurde.
Es muss daher schnell eine Lösung gefunden werden, mit der die Haftpflichtprämien für eine Überganszeit
real gesenkt werden können. Dafür bieten sich ein Haftungsfonds oder eine Regressbegrenzung an, die nun
schnellstmöglich in die Umsetzung gebracht werden müssen. Beide Modelle sind ausreichend geprüft, eine
weitere langjährige Prüfung verbietet sich angesichts des akuten Handlungsdrucks. Langfristig jedoch ist eine
grundlegende Neuordnung der Berufshaftpflicht vonnöten. Die Übertragung der Regelungsprinzipien der
gesetzlichen Unfallversicherung auf eine Berufshaftpflichtversicherung für alle Gesundheitsberufe stellt da-
bei eine prüfenswerte Option dar, die eine kollektive Haftung aller Gesundheitsanbieter gegenüber den Pati-
entinnen/Patienten begründen würde. Im Übrigen wird verwiesen auf den Antrag der Bundestagsfraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Geburtshilfe heute und in Zukunft sichern – Haftpflichtproblematik bei Heb-
ammen und anderen Gesundheitsberufen entschlossen anpacken“ (Bundestagsdrucksache 18/850).

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.