BT-Drucksache 18/1625

Kompetenzen und Zuständigkeiten einer Europäischen Staatsanwaltschaft

Vom 2. Juni 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1625
18. Wahlperiode 02.06.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Wolfgang Gehrcke, Annette Groth, Inge Höger,
Stefan Liebich, Dr. Alexander S. Neu, Harald Petzold (Havelland)
und der Fraktion DIE LINKE.

Kompetenzen und Zuständigkeiten einer Europäischen Staatsanwaltschaft

Seit über zehn Jahren diskutieren die Mitgliedstaaten der Europäischen Union
die Errichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft (KOM(2001) 715 endgül-
tig). So sollen (zunächst) „Straftaten zum Nachteil der finanziellen Interessen
der Union“ bekämpft werden. Im Juli 2013 hatte die Europäische Kommission
den ersten Entwurf einer Verordnung des Rates über die Errichtung der Eu-
ropäischen Staatsanwaltschaft präsentiert (COM(2013) 534 final). Das Papier
wird derzeit im Deutschen Bundestag beraten.
Die Europäische Staatsanwaltschaft soll Strafverfolgungsbefugnisse erhalten
und „Ermittlungen in grenzübergreifenden oder komplexen Fällen durchfüh-
ren“. Neu ist auch, dass die Europäische Staatsanwaltschaft nicht nur dann tätig
würde, wenn mindestens zwei Mitgliedstaaten betroffen sind. Dieses Prinzip
war bisher für die Arbeit anderer EU-Agenturen grundlegend. Für die operative
Tätigkeit der Europäischen Staatsanwaltschaft sollen in jedem Mitgliedstaat
„Abgeordnete Europäische Staatsanwälte“ benannt werden. Diese würden dann
über eigene Büros, Personal und Ausrüstung verfügen. Die Europäische Staats-
anwaltschaft solle dennoch als „unteilbares Ganzes“ angesehen werden. Wo sie
schließlich ihren Hauptsitz hat, ist noch nicht festgelegt. Dänemark, Großbritan-
nien und Irland scheiden aus, denn die Länder wollen zunächst nicht partizipie-
ren. Der „Sitzmitgliedstaat“ soll ein „Sitzabkommen“ aushandeln. Dort würde
die Überlassung eines Gebäudes, einer ersten Ausstattung sowie „sämtliche[n]
Büro-, IT- und Sicherheitsgerät[s]“ geregelt.
Für die spätere Anklageerhebung wären Gerichte der Mitgliedstaaten zuständig.
Die benötigten rechtlichen Grundlagen werden gerade auf EU-Ebene ange-
glichen: Noch in diesem Jahr soll eine Richtlinie zur Zusammenarbeit von Er-
mittlungsbehörden der EU-Mitgliedstaaten verabschiedet werden (Bundestags-
drucksache 18/1179). Diese „Europäische Ermittlungsanordnung“ würde die
grenzüberschreitende Anordnung von Zwangsmaßnahmen vereinfachen. Hierzu
gehören Hausdurchsuchungen, die Überwachung von Telekommunikation oder
das Entsenden verdeckter Ermittler. Bevor die Europäische Staatsanwaltschaft
aktiviert werden könnte, muss für Zuständigkeiten und Verfahren eine ent-
sprechende Verordnung verabschiedet werden. Hierfür hatten das EU-Parlament
und der Rat bereits im Jahr 2012 eine Richtlinie über die strafrechtliche Be-
kämpfung von „gegen die finanziellen Interessen der Europäischen Union ge-
richtetem Betrug“ vorgeschlagen (COM(2012) 363 final). Zusammen mit der
neuen Europäischen Staatsanwaltschaft bilden die Maßnahmen ein sogenanntes
Legislativpaket.

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Mit dem europäischen Polizeiamt Europol und der europäischen Stelle für jus-
tizielle Zusammenarbeit Eurojust verfügt die EU bereits über zwei Agenturen,
um Ermittlungen zu koordinieren und Informationen auszutauschen. Auch das
Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) übernimmt schon jetzt Auf-
gaben, die der Europäischen Staatsanwaltschaft übertragen werden sollen. An
der Struktur der vorhandenen Agenturen würde sich aber nach der Einrichtung
einer Europäischen Staatsanwaltschaft nichts ändern: Im Gegenteil sollen sie der
neuen Behörde zuarbeiten. Europol könne etwa Erkenntnisse bereitstellen und
„einzelstaatliche Strafverfolgungsmaßnahmen“ unterstützen. Laut dem Ver-
ordnungsvorschlag soll auch Eurojust erhalten bleiben, aber eng mit der Staats-
anwaltschaft kooperieren. Vorgesehen sei, dass Eurojust in Verwaltungsangele-
genheiten, Personal-, Finanz- und IT-Fragen „auf Nullkostenbasis“ praktische
Unterstützung leiste. Die neue Behörde darf auch die IT-Infrastruktur von Euro-
just nutzen, darunter ein Fallbearbeitungssystem, Arbeitsdateien und ein Index-
system. Für Einzelheiten soll eine Vereinbarung zwischen der Europäischen
Staatsanwaltschaft und Eurojust geschlossen werden.
Die Europäische Staatsanwaltschaft soll „einzelstaatlichen Strafverfolgungs-
behörden“ Weisungen erteilen dürfen. Diese müssten dann der EU-Institution
zuarbeiten. Hierzu gehört etwa die Bearbeitung richterlicher Anordnungen oder
anderer Genehmigungen. Dadurch wird die Europäische Staatsanwaltschaft mit
erheblichen Kompetenzen ausgestattet. So soll sie befugt werden, die Durch-
suchung und Versiegelung von Gebäuden, Grundstücken, Fahrzeugen oder Pri-
vatwohnungen anzuordnen. Hiervon sind auch „Computersysteme“, „Verkehrs-
daten“ und „Bankkontodaten“ in verschlüsselter oder entschlüsselter Form er-
fasst. Telekommunikationsverkehre und Finanztransaktionen dürfen in Echtzeit
überwacht werden, auch Verkehrsdaten zur Ermittlung des Aufenthaltsorts kön-
nen verarbeitet werden. Die Maßnahmen können laut dem Verordnungsvor-
schlag nicht nur gegen Verdächtige, sondern auch gegen Kontaktpersonen ein-
gesetzt werden. Zwangsmaßnahmen schließen auch die Observation mittels ver-
deckter „Video- und Audioüberwachung“ ein. Sogar die Entsendung verdeckter
Ermittler soll zum Repertoire gehören. Schließlich kann die Europäischen Staats-
anwaltschaft Verdächtige und Zeugen vorladen oder im Rahmen von „Identifi-
kationsmaßnahmen“ fotografieren lassen. Selbst die Erhebung biometrischer
Merkmale soll möglich sein. Sofern bei den Maßnahmen Vermögen gefunden
wird, darf es „eingefroren“ werden. Bei den Ermittlungen erhobene Daten dür-
fen auch außerhalb der EU weitergegeben werden. Dies beträfe nicht nur die
„Behörde eines Drittlandes“, sondern auch „internationale Organisationen“.
Hierunter ist nicht nur die Polizeiorganisation Interpol zu verstehen, denn diese
wird ebenfalls eigens aufgeführt. Allerdings sollen zunächst mit allen genannten
Einrichtungen Arbeitsvereinbarungen abgeschlossen werden.
Viele polizeiliche und justizielle Maßnahmen auf EU-Ebene verwässern die
Rechte von Verdächtigen und Beschuldigten. Häufig ist unklar, wer im Falle von
Beschwerden zuständig ist oder welches Recht beachtet werden muss. In diese
Richtung geht die Kritik der Bundesrechtsanwaltskammer und des Deutschen
Anwaltsvereins: So sollten Beschuldigten- und Verteidigerrechte stärker ge-
wichtet werden (Stellungnahme Nr. 48/2013, Bundesrechtsanwaltskammer und
Deutscher Anwaltverein, Oktober 2013). Betroffene müssten sofort unterrichtet
werden, wenn gegen sie strafrechtlich ermittelt wird. Die Verbände fordern, für
die Verteidigung in Verfahren der Europäischen Staatsanwaltschaft einen eige-
nen Rechtsrahmen zu schaffen. Notwendig sei es, Anwälte aus allen Mitglied-
staaten vor Gericht zuzulassen. Ebenfalls müssten Beschuldigte eine bessere
Rechtshilfe in Anspruch nehmen können und Verteidiger zur Verfügung gestellt
bekommen. In jedem Mitgliedstaat solle daher ein permanenter Anwaltsnot-
dienst eingerichtet werden. Laut der Bundesrechtsanwaltskammer und dem
Deutschen Anwaltverein liefe der Verordnungsvorschlag auf eine „europäische
Aufsichtsbehörde über die nationalen Staatsanwaltschaften“ und auf „ein weite-

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1625
res Instrument der gegenseitigen Anerkennung“ hinaus. Unterschiede im Recht
der Mitgliedstaaten würden „weiter zementiert“.
Aus Sicht der Fragestellerinnen und Fragesteller müssen die Beschuldigten- und
Verteidigerrechte auch deshalb ausdrücklich gestärkt werden, da die Auswei-
tung von Kompetenzen der Europäischen Staatsanwaltschaft schon in entspre-
chenden Papieren verankert ist. So heißt es im Vertrag über die Arbeitsweise der
Europäischen Union, eine „Ausdehnung der Befugnisse“ auf eine „Bekämpfung
der schweren Kriminalität mit grenzüberschreitender Dimension“ sei möglich.
Dies müsse aber vom Europäischen Parlament befürwortet werden. Nach An-
hörung der Europäischen Kommission muss der Europäische Rat eine Änderung
einstimmig beschließen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Defizite sollte eine Europäische Staatsanwaltschaft aus Sicht der

Bundesregierung ausgleichen?

2. Inwiefern teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Europäischen
Kommission, wonach die Mitgliedstaaten über zu wenig „Strafverfolgungs-
kapazitäten“ verfügen würden?

3. Inwiefern trifft es nach Ansicht der Bundesregierung zu oder nicht zu, das
Vorgehen der Mitgliedstaaten sei, wie von der Europäischen Kommission
behauptet, derzeit nicht als effektiv, gleichwertig und abschreckend zu be-
zeichnen (COM(2013) 534 final)?

a) Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Tatsache,
dass von der Europäischen Kommission konkrete Defizite in einzelnen
Mitgliedstaaten benannt werden?

b) Wie sollte also umgesetzt werden, dass diejenigen Mitgliedstaaten, bei de-
nen ein Ermittlungsdefizit bestehen soll, an Maßnahmen der Europäischen
Staatsanwaltschaft teilnehmen werden?

4. Welche Delikte sind aus Sicht der Bundesregierung unter „Straftaten zum
Nachteil der finanziellen Interessen der Europäischen Union“ zu fassen?

a) Für welche konkreten Delikte sollte eine Europäische Staatsanwaltschaft
aus Sicht der Bundesregierung zuständig sein?

b) Welche Zuständigkeiten sollten hingegen weiter von dem europäischen
Polizeiamt Europol, der europäischen Stelle für justizielle Zusammen-
arbeit Eurojust oder dem Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung
(OLAF) übernommen werden?

5. Inwiefern waren welche Behörden der Bundesregierung am Zustandekom-
men des ersten Entwurfs der Verordnung für die Europäische Staatsanwalt-
schaft beteiligt?

6. Was ist der Bundesregierung über die Haltung von Dänemark, Großbritan-
nien und Irland bezüglich der Mitarbeit an der Europäischen Staatsanwalt-
schaft bekannt, und welche Gründe gaben die Länder hierfür an?

7. Auf welche Weise sollte ein europäischer Staatsanwalt bzw. eine europäische
Staatsanwältin aus Sicht der Bundesregierung gewählt oder benannt werden?

8. Worin sieht die Bundesregierung eine „europäische Ausrichtung“ des Vor-
schlags zur Errichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft?

9. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zum Vorschlag einer „dezentra-
len“ Struktur für die Europäische Staatsanwaltschaft?

Drucksache 18/1625 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
10. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zum Vorschlag der Ernennung
von „Abgeordneten Europäischen Staatsanwälten“?
a) Wo könnten diese in Deutschland organisatorisch und administrativ an-

gesiedelt werden, und welcher Behörde gegenüber wären diese nach-
geordnet?

b) Wie würden Büros, Personal und Ausstattung finanziert?
11. Wie sollte aus Sicht der Bundesregierung juristisch, organisatorisch und ad-

ministrativ umgesetzt werden, dass die Europäische Staatsanwaltschaft den-
noch als „unteilbares Ganzes“ angesehen wird?

12. Wo könnte die Europäische Staatsanwaltschaft aus Sicht der Bundesregie-
rung ihren Hauptsitz einrichten?
a) Welche Vorschläge anderer Mitgliedstaaten oder der Europäischen Kom-

mission sind der Bundesregierung hierzu bekannt?
b) Welche Regelungen sollte ein „Sitzabkommen“ aus Sicht der Bundes-

regierung für den „Sitzmitgliedstaat“ treffen?
c) Wie sollten die Kosten für die Überlassung eines Gebäudes, einer ersten

Ausstattung sowie „sämtliche[n] Büro-, IT- und Sicherheitsgerät[s]“ ge-
regelt werden?

13. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zu der Frage, ob die Europä-
ische Staatsanwaltschaft auch zuständig sein sollte, wenn nur ein Mitglied-
staat betroffen ist, und wie begründet sie dies?

14. Inwiefern sollte die Zuständigkeit der Europäischen Staatsanwaltschaft aus
Sicht der Bundesregierung auf „grenzübergreifende“ oder „komplexe“ Fälle
beschränkt bleiben, und was ist hierunter zu verstehen?
a) Wer ist nach Ansicht der Bundesregierung bei Straftaten gegen die finan-

ziellen Interessen der EU mit „direkten Opfern“ gemeint, zumal es ja um
die EU als potentielles Opfer gehen soll?

b) Inwiefern könnte dies als geeignetes Kriterium für die Wahl des Ortes der
Anklageerhebung dienen?

15. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zu der Frage, wie in Fällen zu
verfahren wäre, in denen die zu ermittelnden Vorwürfe sowohl Straftaten
gegen die finanziellen Interessen der EU als auch andere Vorwürfe betreffen
und wer zu entscheiden hätte, inwiefern die Europäische Staatsanwaltschaft
zuständig wäre?
a) Welche Rechtsmittel sollten für die Beschuldigten bezüglich dieser Ent-

scheidung vorgesehen werden?
b) Nach welchen Maßgaben müsste ein Akteneinsichtsrecht für die Betrof-

fenen ausgestaltet werden?
c) Inwiefern teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass es von erheb-

licher Bedeutung sein kann, ob sich ein Beschuldigter bzw. eine Beschul-
digte den Ermittlungen eines nationalen oder eines europäischen Staats-
anwalts gegenüber sieht?

d) Inwiefern sollte aus Sicht der Bundesregierung der Ort, an dem sich die
Beweismittel befinden, als Anknüpfungspunkt für den Ort der Anklage-
erhebung dienen können?

16. Inwiefern teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass bei einer Ent-
scheidung einer nationalen Behörde zum Ort des Verfahrens auch maßgeb-

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/1625
lich sein könnte, das aus fiskalischen Gründen auf den europäischen Staats-
anwalt abzuwälzen?
a) Wie könnte derart sachfremden Entscheidungen begegnet werden?
b) Auf welche Weise könnte dies gerichtlich überprüfbar sein?
c) Inwiefern könnte hierfür auch der Europäische Gerichtshof zuständig

sein?
17. Wie sollte aus Sicht der Bundesregierung der Gefahr eines „Forumshop-

pings“ begegnet werden, um also den Ort des Verfahrens danach auszusu-
chen, wo das günstigste nationale Recht herrscht, und es dadurch zu einer
europaweiten Absenkung des rechtsstaatlichen Standards kommen kann?
a) Wie sollte aus Sicht der Bundesregierung dem Umstand begegnet wer-

den, dass die gleiche Maßnahme des europäischen Staatsanwalts bzw.
der europäischen Staatsanwältin in einem Mitgliedstaat als rechtmäßig,
in einem anderen aber als unrechtmäßig behandelt werden könnte?

b) Welche Regelungen sollten in der Verordnung hierzu getroffen werden?
c) Welche Kriterien für die Wahl des Ortes der Anklage sollten demnach

gelten?
d) Welche Anforderungen sollte die Verordnung an den Grad eines Tatver-

dachts stellen, der Ermittlungen zugrunde liegen müsste?
e) Wie ist es nach Ansicht der Bundesregierung zu definieren, wann „kein

vernünftiger Grund“ vorliegt, um eine Ermittlungsmaßnahme anzuord-
nen?

18. Wie sollte die Arbeit von Eurojust aus Sicht der Bundesregierung weiter ge-
staltet werden?

19. Inwiefern ist es aus Sicht der Bundesregierung notwendig, zwischen der
Europäischen Staatsanwaltschaft und Eurojust ein Arbeitsabkommen zu
schließen?
a) Welche Regelungen müssten dort zwingend getroffen werden?
b) Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zu dem Vorschlag, Eurojust

könne für die Europäische Staatsanwaltschaft in Verwaltungsangelegen-
heiten, Personal-, Finanz- und IT-Fragen praktische Unterstützung leis-
ten?

c) Inwiefern bzw. auf welcher rechtlichen Grundlage sollte dies „auf Null-
kostenbasis“ geschehen?

d) Inwiefern könnte die Europäische Staatsanwaltschaft aus Sicht der Bun-
desregierung auch die IT-Infrastruktur von Eurojust nutzen?

e) Welche Regelungen müsste die Verordnung für die Nutzung des Fallbe-
arbeitungssystems von Eurojust treffen?

f) Wer ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Hersteller des Systems,
wie ist es aufgebaut, und wer ist mit der Wartung betraut?

g) Inwiefern könnte die Europäische Staatsanwaltschaft aus Sicht der Bun-
desregierung auch auf Arbeitsdateien und ein Indexsystem bei Eurojust
zugreifen?

h) Nach welchen Bestimmungen sollte die Sammlung und Auswertung von
Daten erfolgen, die nicht durch Zwangsmaßnahmen in einem der Mit-
gliedstaaten, etwa durch die Zusammenarbeit mit Europol oder OLAF,
erlangt wurden?

Drucksache 18/1625 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
20. Unter welchen Voraussetzungen sollte der europäische Staatsanwalt bzw.
die europäische Staatsanwältin ein Ermittlungsverfahren selbst und nicht
durch „Abgeordnete Europäische Staatsanwälte“ führen?
a) Wer sollte die Ermittlungstätigkeit dann überwachen?
b) Wie ist es aus Sicht der Bundesregierung zu verstehen, wenn Ermitt-

lungsmaßnahmen „in Verbindung mit den Behörden des Mitgliedstaates“
durchführen seien?

c) Wie sollte eine dann „zuständige nationale Behörde“, für die der euro-
päische Staatsanwalt nicht weisungsbefugt ist, Zwangsmaßnahmen in
einem nicht von ihr betriebenen Verfahren durchführen?

21. Inwiefern erfordert die unmittelbare Tätigkeit eines europäischen Staats-
anwalts bzw. einer europäischen Staatsanwältin, soweit sie nicht nach dem
Recht eines Mitgliedstaates vorgenommen wird, nach Ansicht der Bundes-
regierung auch eine europäische Rechtskontrolle?
a) Sofern die Bundesregierung die Auffassung vertritt, dies könne von na-

tionalen Gerichten übernommen werden, wie begründet sie diese Hal-
tung?

b) Wie sollte die Aufsicht über die Erfüllung von Auskunftsersuchen aus-
gestaltet werden?

22. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zu der Frage, ob die Europä-
ische Staatsanwaltschaft ermächtigt werden sollte, Verdächtigen oder Be-
schuldigten vor einer Anklageerhebung einen Vergleich vorzuschlagen?
a) Inwiefern sollte die Europäische Staatsanwaltschaft ermächtigt sein,

auch eine „Geldstrafe“ verhängen zu können?
b) Welche Rechtsmittel müssten dann eingelegt werden können, und wel-

che Gerichte wären dann zuständig?
c) Wie sollte ausgeschlossen werden, dass finanziell gutgestellte Beschul-

digte von dieser Regelung besonders profitieren?
23. Inwiefern steht aus Sicht der Bundesregierung auch die Verabschiedung ei-

ner Richtlinie zur Zusammenarbeit von Ermittlungsbehörden der EU-Mit-
gliedstaaten (Europäische Ermittlungsanordnung) im Zusammenhang mit
der Europäischen Staatsanwaltschaft, bzw. inwiefern könnte diese von der
neuen Richtline profitieren?

24. Welche Strafverfolgungsbefugnisse sollte eine Europäische Staatsanwalt-
schaft aus Sicht der Bundesregierung erhalten?

25. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Frage, ob die Europäische
Staatsanwaltschaft „einzelstaatlichen Strafverfolgungsbehörden“ Weisun-
gen erteilen dürfte?
a) Wie will die Bundesregierung dies juristisch, organisatorisch und admi-

nistrativ umsetzen?
b) Auf welche Weise würden die „Weisungen“ dann hinsichtlich richter-

licher Anordnungen oder anderer erforderlicher Genehmigungen ge-
prüft?

c) Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Frage, ob die Europä-
ische Staatsanwaltschaft die Durchsuchung und Versiegelung von Ge-
bäuden, Grundstücken, Fahrzeugen, Computersystemen oder Privatwoh-
nungen anordnen dürfte?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/1625
d) Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Frage, ob die Europä-
ische Staatsanwaltschaft auch Telekommunikationsverkehre und Finanz-
transaktionen in Echtzeit überwachen sowie „Verkehrsdaten“ oder
„Bankkontodaten“ verarbeiten dürfte?

e) Inwiefern ist nach Kenntnis der Bundesregierung mit der vorgesehenen
Möglichkeit der technischen Ermittlung des Aufenthaltsorts auch der
Einsatz sogenannter stiller SMS gemeint, und welche Haltung vertritt die
Bundesregierung zur Frage, ob die Europäische Staatsanwaltschaft diese
anordnen können sollte?

f) Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Frage, ob die Europä-
ische Staatsanwaltschaft auch die Observation mittels verdeckter „Vi-
deo- und Audioüberwachung“ oder die Entsendung verdeckter Ermittle-
rinnen und Ermittler anordnen dürfte?

26. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Frage, ob die Europäische
Staatsanwaltschaft bei den Ermittlungen erhobene Daten auch außerhalb der
EU weitergeben dürfte, und welche Beschränkungen müssten hierfür gel-
ten?
a) Welche „Behörden eines Drittlandes“ oder „internationale Organisatio-

nen“ könnten aus Sicht der Bundesregierung hierunter gefasst werden?
b) Inwiefern müssten mit den Einrichtungen zuvor eigene Arbeitsvereinba-

rungen abgeschlossen werden, und welche Regelungen müssten diese
treffen?

27. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Umstand,
dass der Verordnungsentwurf in Artikel 26 einen umfassenden Katalog von
Ermittlungsmaßnahmen vorsieht, ohne gleichzeitig – wie in Erwägungs-
grund 34 angekündigt – einen Katalog von Beschuldigtenrechten festzu-
legen?
a) Wie sollte aus Sicht der Bundesregierung praktisch sichergestellt wer-

den, dass Betroffene sofort unterrichtet werden, wenn gegen sie durch
die Europäische Staatsanwaltschaft strafrechtlich ermittelt wird?

b) Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Forde-
rung der Bundesrechtsanwaltskammer und des Deutschen Anwaltver-
eins, für die Verteidigung in Verfahren der Europäischen Staatsanwalt-
schaft einen eigenen Rechtsrahmen zu schaffen?

c) Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Forde-
rung der Bundesrechtsanwaltskammer und des Deutschen Anwaltver-
eins, Verteidigerinnen und Verteidiger aus allen EU-Mitgliedstaaten bei
Ermittlungen der Europäischen Staatsanwaltschaft vor Gericht zuzulas-
sen?

d) Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Forde-
rung der Bundesrechtsanwaltskammer und des Deutschen Anwaltver-
eins, in jedem Mitgliedstaat solle hierfür ein permanenter Anwaltsnot-
dienst eingerichtet werden, und wie könnte dieser finanziert werden?

e) Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Forde-
rung der Bundesrechtsanwaltskammer und des Deutschen Anwaltver-
eins, für die Prozesskostenhilfe ein europäisches Budget zu schaffen, um
allen Beschuldigten eines Verfahrens, das von der Europäischen Staats-
anwaltschaft geführt wird, gleichermaßen Unterstützung zu gewähren?

f) Hat die Bundesregierung, um die Folgen von Artikel 26 der Verordnung
absehen zu können, eine Evaluation über die rechtlichen Voraussetzun-
gen der in Artikel 26 Absatz 1a bis 1u aufgeführten, nach Auffassung der

Drucksache 18/1625 – 8 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Fragesteller teilweise sehr weitreichenden Ermittlungsbefugnisse nach
den nationalen Verfahrensordnungen der anderen 27 Mitgliedstaaten der
EU vorgenommen?
Wenn ja, was war das Ergebnis der Prüfung?
Wenn nein, warum nicht, und anhand welcher Informationen wurde an-
sonsten eine Folgenabschätzung für den deutschen Strafprozess und die
in der Verordnung angestrebte Anerkennung von in anderen EU-Mit-
gliedstaaten gewonnenen Beweisen vorgenommen?

28. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Frage, wie eine parlamen-
tarische Kontrolle der Europäischen Staatsanwaltschaft ausgestaltet werden
sollte?
a) Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zum Vorschlag der Euro-

päischen Kommission, wonach diese ausschließlich beim Europäischen
Parlament liegen sollte?

b) Wie wäre dies aus Sicht der Bundesregierung mit dem Diktum des Bun-
desverfassungsgerichts zum Europäischen Parlament im Hinblick auf
seine Repräsentanzmängel zu vereinbaren?

29. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Frage, ob die Europäische
Staatsanwaltschaft später weitere Kompetenzen erhalten könnte, und wel-
che wären hierunter zu verstehen?
a) Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Frage, ob eine „Aus-

dehnung der Befugnisse“ auf eine „Bekämpfung der schweren Krimina-
lität mit grenzüberschreitender Dimension“ rechtlich möglich ist?

b) Inwiefern und unter welchen Umständen würde die Bundesregierung
dies befürworten?

c) Wie hat sich die Bunderegierung in den zuständigen Ratsarbeitsgruppen
zu dieser Frage positioniert, und wie haben andere Mitgliedstaaten dies
kommentiert?

d) Wie wird die Bundesregierung bei den Verhandlungen im Rat am 26./
27. Juni 2014 darauf hinwirken, dass im zu beratende Mehrjahrespro-
gramm der Justiz- und Innenpolitik, dass das „Stockholmer Programm“
ablösen soll, die Gefahr der Kompetenzausweitung der Europäischen
Staatsanwaltschaft ausgeschlossen wird und entsprechende, eine spätere
Kompetenzergänzung nahelegende Formulierungen aus der Mitteillung
der Kommission zur EU-Justizagenda für 2020 (KOM(2014)144 endg.;
Ratsdok.-Nr: 7838/14; dort unter 4.1.v, 4.3., Seite 9/10 des deutschen
Dokuments) nicht in das neue Programm übernommen werden?

Berlin, den 2. Juni 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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