BT-Drucksache 18/1619

Die Energiewende durch Energieeffizienz voranbringen - EU-Energieeffizienzrichtlinie unverzüglich umsetzen

Vom 4. Juni 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1619
18. Wahlperiode 04.06.2014

Antrag
der Abgeordneten Dr. Julia Verlinden, Christian Kühn (Tübingen), Oliver
Krischer, Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, Steffi
Lemke, Peter Meiwald, Harald Ebner, Matthias Gastel, Kai Gehring, Stephan
Kühn (Dresden), Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, Lisa Paus, Markus
Tressel, Dr. Valerie Wilms und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die Energiewende durch Energieeffizienz voranbringen –
EU-Energieeffizienzrichtlinie unverzüglich umsetzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Europäische Union hat sich das Ziel gesetzt, ihren Primärenergieverbrauch im
Vergleich zum Trend für das Jahr 2020 um 20 Prozent zu verringern. Am 4. De-
zember 2012 ist dazu die Richtlinie 2012/29/EU zur Energieeffizienz in Kraft ge-
treten. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, die Richtlinie bis zum 5. Juni 2014 in
nationales Recht umzusetzen. Für Deutschland ergibt sich daraus ein Reduktions-
ziel für den Energieverbrauch von 20 Prozent bis 2020 gegenüber 2008. Die Bun-
desregierung hat bis heute Fristen für Zwischenziele, wie zum Beispiel die Mel-
dung des dritten Nationalen Energieeffizienz-Aktionsplans, verstreichen lassen
oder nur unzureichende Mitteilungen an die EU-Kommission geschickt. So führen
die Maßnahmen nach Artikel 7 der Richtlinie, die die Bundesregierung am 5. De-
zember 2013 an die EU-Kommission gemeldet hat, lediglich zu Einsparungen von
460 Petajoule pro Jahr. Das Einsparziel für Deutschland liegt aber bei rund 2 000
Petajoule pro Jahr. Dadurch bleibt bis zum Jahr 2020 eine Umsetzungslücke von
rund 1 500 Petajoule.

Damit vergibt die Bundesregierung nicht nur Chancen für den Klimaschutz, son-
dern auch Chancen für die Erschließung von Kostensenkungspotentialen und neuen
Geschäftsfeldern für Handwerk und Mittelstand. Insbesondere die Untätigkeit von
Wirtschaftsminister Gabriel ist unverständlich, denn noch in der letzten Wahlperi-
ode hatte die SPD-Fraktion einen schnellen Fortschritt bei der Energieeffizienz-
richtlinie zu einem der zentralen Verhandlungspunkte bei der Zustimmung zum
Fiskalpakt gemacht.

Die zügige Umsetzung der EU-Energieeffizienzrichtlinie in Form zusätzlicher
Energieeffizienzmaßnahmen ist dringend erforderlich, um die Klimaschutzziele zu
erreichen. Schon jetzt drohen die nationalen und europäischen Energiesparziele
verfehlt zu werden. Zudem wird unnötig viel Geld für Energierohstoffe ausgegeben
und die Abhängigkeit der europäischen Energieversorgung von Importen fossiler
Energieträger könnten durch Einsparmaßnahmen reduziert werden. Die Bundesre-
gierung bleibt dennoch untätig und setzt sich der Gefahr eines Vertragsverlet-

Drucksache 18/1619 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

zungsverfahrens aus. Sie hat bislang nicht einmal den Nationalen Energieeffizienz-
aktionsplan vorgelegt, obwohl dieser bereits im April 2014 hätte nach Brüssel
übersandt werden müssen.

Bei der Umsetzung der Richtlinie müssen soziale Rahmenbedingungen berücksich-
tigt und insbesondere finanzschwache Haushalte dabei unterstützt werden, durch
Einsparungen ihre Energiekosten zu senken. Denn: Jeder Haushalt kann Energie
sparen. Die Energieeffizienzpotenziale sind enorm. Zugleich sind die technischen
und wirtschaftlichen Möglichkeiten vorhanden: das Know-how beim Handwerk,
bei Energiedienstleistern sowie qualitativ hochwertige Produkte der Energieeffizi-
enz-Industrie steht zur Verfügung. Doch die Erfahrung zeigt, dass die Politik den
richtigen Rahmen setzen muss, damit Energiesparen erleichtert wird.

Es bedarf einer ambitionierten Energieeffizienzgesetzgebung mit einem Mix aus
Energiesparstandards für Geräte und Gebäude, finanziellen Anreizen, marktwirt-
schaftlichen Instrumenten sowie qualifizierter Beratung und Information. Ein neues
Energieeffizienzgesetz muss eine koordinierende Funktion gegenüber den zahlrei-
chen, aber kaum vernetzten Einzelvorschriften zur Senkung des Energieverbrauchs
einnehmen, eine klare Zielbestimmung für Energiewirtschaft und Energieverbrau-
cherinnen und -verbraucher vornehmen und eine regelmäßige Berichtspflicht der
Bunderegierung gegenüber dem Parlament enthalten.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. unverzüglich einen Gesetzentwurf für die Umsetzung der EU-Energie-
effizienzrichtlinie vorzulegen, der als Zielsetzung mindestens die Verdopplung
der Energieproduktivität zwischen 1990 und 2020 vorsieht und den Energie-
verbrauch in Deutschland bis zum Jahr 2020 um mindestens 20 Prozent ge-
genüber 2008 reduziert. Hierzu sind insbesondere die folgenden Maßnahmen
umzusetzen:

die Bundesstelle für Energieeffizienz zum zentralen Akteur zur Umset-
zung von Energieeffizienzmaßnahmen und einem von der Energiewirt-
schaft unabhängigen Kompetenzzentrum auszubauen, das über seine bis-
herigen Aufgaben hinaus auch Förderprogramme weiterentwickelt und
dem sowohl die fachliche Ausgestaltung des Energiesparfonds als auch die
Organisation wettbewerblicher Ausschreibungen für Energieeffizienz-
dienstleistungen obliegt;
die Umsetzungslücke von Effizienzmaßnahmen kosteneffizient und Inno-
vationen auslösend insbesondere in den Marktsegmenten zu schließen, die
von bestehenden politischen Instrumenten bisher nicht ausreichend erfasst
werden, beispielsweise durch ein marktorientiertes wettbewerbliches Aus-
schreibungsmodell;
einen neuen Energiesparfonds mit einem Finanzvolumen von 3 Mrd. Euro
jährlich aufzulegen sowie zu einer zielgerichteten und dauerhaften Ener-
gieeffizienzinitiative auszubauen. Der Fonds soll dazu beitragen, den
Strom- und Wärmeverbrauch zu senken und folgende Förderprogramme
umfassen:
o Energieberatung und Informationen verbessern und die Erstellung von

Energiebedarfsausweisen für jedes Wohngebäude sowie individueller
Sanierungsfahrpläne für Haus und Quartier auch finanziell fördern;

o die Kommunen darin unterstützen, die energetische Quartierssanie-
rung von Gebäuden und Wärmenetzen insbesondere in Wohnquartie-
ren mit hohem Anteil einkommensschwacher und investitionsschwa-
cher Haushalte zu erhöhen und auch für diese bezahlbar zu gestalten;

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1619

o Stromeffizienz besonders sparsamer strombetriebener Geräte in priva-
ten Haushalten fördern, mit besonderem Fokus auf einkommens-
schwache Haushalte;

o energetische Modernisierung öffentlicher Gebäude;
o Einführung eines Klimazuschusses zum Wohngeld, mit dem soziale

Härten im Zuge der Modernisierung verhindert werden;
o Marktanreizprogramme (inklusive Information, Beratung, Investiti-

onszuschüsse) für verschiedene Schlüssel- und Querschnitts-
technologien wie Elektromotoren, Beleuchtung, GreenIT, Abwärme-
nutzung oder Industriepumpen;

o ein Programm zum beschleunigten Austausch ineffizienter Stromhei-
zungen;

für eine zügige energetische Modernisierung von Bundesliegenschaften zu
sorgen und mit den Ländern in Kontakt zu treten, um auch den Gebäude-
bestand der Bundesländer bei der Umsetzung des Artikels 5 der EU-
Energieeffizienzrichtline einzubeziehen;
alle großen Unternehmen sowie zusätzlich energieintensive KMUs zu ver-
pflichten, ein zertifiziertes Energiemanagementsystem (z. B. EMAS, DIN
EN 16001 oder ISO 50001) einzuführen;
die in der EU-Energieeffizienzrichtlinie vorgesehene unterjährige Ver-
brauchsinformation über den Wärme- und Warmwasserverbrauch umzu-
setzen, indem die Regelungen zur Betriebskostenabrechnung mit Blick auf
Rechtssicherheit, Einfachheit, Nachvollziehbarkeit und Transparenz im
Dialog mit Mieter- und Vermieterverbänden reformiert werden, denn Ver-
braucherinnen und Verbraucher sollen mehr Transparenz über den eigenen
Energieverbrauch erhalten, Energieeinsparungen im Gebäudebereich da-
durch zunehmen;

2. die finanzielle Ausstattung der KfW-Förderprogramme zur Gebäudemoderni-
sierung wieder in den Bundeshaushalt zu überführen, auf 2 Mrd. Euro pro Jahr
zu erhöhen, auf diesem Niveau langfristig zu verstetigen, um insgesamt die
energetische Sanierungsquote auf 3 Prozent p. a. zu erhöhen. Dabei wird die
KfW-Förderung zielgruppengerecht ausgestaltet, indem die Zuschusslinie so-
wie Einzelmaßnahmen, die in den Sanierungsfahrplan für das Haus passen, ge-
stärkt und Mitnahmeeffekte begrenzt werden;

3. eine steuerliche Förderung der energetischen Modernisierung als zusätzlichen
Anreiz einzuführen;

4. das Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz (KWK-G) so zu novellieren, dass das
Ausbauziel von mindestens 25 Prozent bis 2020 erreicht wird und systematisch
Barrieren zu beseitigen, u. a. durch Rücknahme der Eigenverbrauchsbeteili-
gung am EEG;

5. die Regeln zu Stromspeicherheizungen aus § 10a der Energieeinsparverord-
nung (EnEV) 2009 wieder in Kraft zu setzen;

6. sich im Rahmen der europäischen Top-Runner-Strategie dafür einzusetzen,
dass die EU-Ökodesign-Richtlinie dahingehend weiterentwickelt wird, dass
Innovationen stärker gefördert werden und ineffiziente energieverbrauchsrele-
vante Produkte noch schneller vom Markt genommen werden, während hoch-
effiziente Produkte zum Standard werden.

7. ergänzend zur Strategie zur Sanierung des Nationalen Gebäudebestands, die
zum 30. April 2014 an die EU-Kommission übermittelt wurde, einen nationa-
len Sanierungsfahrplan mit langfristig geltenden Kennwerten und zusätzlichen,
zur Erreichung eines klimaneutralen Gebäudebestandes notwendigen Maß-
nahmen zu unterlegen;

Drucksache 18/1619 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

8. die interdisziplinäre und transdisziplinäre Forschung zur Energieeffizienz vo-
ranzutreiben und neu auszurichten, indem praxisnah geforscht wird und nicht
nur technische und ökonomische Effizienzpotentiale und -maßnahmen sowie
Benchmarks ermittelt werden, sondern auch sozialwissenschaftliche Forschung
zur konkreten Umsetzung von Energieeffizienz- und Suffizienz-Politik durch-
geführt wird;

9. ein Aus- und Weiterbildungsprogramm z. B. für Energiedienstleister, Energie-
berater einzuführen;

10. bei der öffentlichen Beschaffung des Bundes sicherzustellen, dass die energie-
effizienteste am Markt verbreitete Technik ausgewählt wird und dies durch ei-
nen übergreifenden „Aktionsplan energieeffiziente Beschaffung“ auf allen
staatlichen Ebenen vorangetrieben wird, indem auch die Lebenszykluskosten-
betrachtung eine stärkere Rolle spielt. Durch eine Prüfpflicht soll zudem si-
chergestellt werden, dass Energiedienstleistungslösungen (z. B. Energieein-
sparcontracting) wenn wirtschaftlich sinnvoll, bei Ausschreibungen und Ver-
gaben berücksichtig werden.

Berlin, den 3. Juni 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Begründung

Die Verbesserung der Energieeffizienz ist neben dem Ausbau erneuerbarer Energien die zweite unabdingbare
Säule, um die Abhängigkeit von fossilen und nuklearen Energieträgern zu beenden, die Klimaziele zu errei-
chen und trotz steigender Preise für herkömmliche Energieressourcen die Energiekosten zu senken. Laut der
„Stellungnahme zum zweiten Monitoring-Bericht der Bundesregierung für das Berichtsjahr 2012“ der Exper-
tenkommission zum Monitoring-Prozess „Energie der Zukunft“ fällt der Energieeffizienz bei der Reduktion
der energiebedingten CO2-Emmission sogar die zentrale Rolle zu. So müssten zwei Drittel der Emissionen
durch Effizienzmaßnahmen eingespart werden, während die erneuerbaren Energien das letzte Drittel erbrin-
gen. Deshalb kann nur die Verbindung von Energieeinsparung, Energieeffizienz und erneuerbaren Energien
die zentralen Herausforderungen bewältigen, die sich in den Bereichen Klimawandel, Energiesicherheit und
Wettbewerbsfähigkeit stellen.

Dabei ist Energieeffizienz nicht nur ein Klimaschutzinstrument und trägt zur Versorgungssicherheit bei, son-
dern bietet auch sehr gute Chancen, ein wahrer Jobmotor zu werden. Laut Berechnungen des Deutschen Insti-
tuts für Wirtschaftsforschung können in Deutschland durch neue weitergehende Effizienzmaßnahmen bis
2020 zusätzlich 150 000 neue Jobs geschaffen werden. Zudem würden zusätzlich 45 Millionen t CO2 vermie-
den und 10,2 Mrd. Euro Energiekosten eingespart.

Die Energiepreise sind seit 2002 stark angestiegen und werden weiter steigen. Deshalb muss die Energiepoli-
tik der Zukunft das Ziel haben, dass die Energieversorgung durch verstärkte Energieeinsparbemühungen und
den Ausbau der erneuerbaren Energien klimafreundlich wird und zugleich für alle bezahlbar bleibt.

Der Wärmebedarf ist seit 2000 zwar um rund 10 Prozent gesunken, doch liegen riesige Einsparpotenziale
weiterhin brach. Nur 12 Prozent der Heizungen sind in Deutschland auf dem Stand der Technik. Der Anteil
des Verkehrs am Endenergieverbrauch in Deutschland ist von 1990 bis 2012 von 25 Prozent auf 28 Prozent
gestiegen. Eine Steigerung der Energieeffizienz im Verkehr ist daher dringend geboten.

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Die Expertenkommission zum Monitoring-Prozess „Energie der Zukunft“ kommt in ihrer Stellungnahme
ebenfalls zu dem Schluss, „dass die bisherige Entwicklung der Energieeffizienz hinter den zur Zielerreichung
notwendigen Steigerungsraten zurückbleibt“ und zusätzliche Anstrengungen unternommen werden müssen.

Die bisherigen Maßnahmen sind unzureichend, obwohl belegt ist, dass eine Steigerung der Energieeffizienz
Wachstum und Beschäftigungsentwicklung erhöhen kann. Neben der Gebäudesanierung als wichtigstem
Bereich muss auch der Effizienzsteigerung in privaten Haushalten und der Industrie ein großes Gewicht ein-
geräumt werden. Gesteigerte Anstrengung in diesen Bereich mit einer Sanierungsquote von 2 Prozent und
einer erhöhten Energieproduktivität von 2,1 Prozent, würden laut einer Studie des Deutschen Instituts für
Wirtschaftsforschung dazu führen, dass sich das Bruttoinlandsprodukt schon im Jahr 2020 um 0,5 Prozent,
2050 sogar um 1 Prozent erhöht, was mit erheblichen Beschäftigungseffekten einhergehen kann. Dabei ste-
hen 2020 energetischen Mehr-Investitionen in Höhe von 7 Mrd. Euro noch Einsparungen von 4 Mrd. Euro
gegenüber, 2030 jedoch werden durch Mehrinvestitionen von 9 Mrd. 11 Mrd. Euro eingespart, 2050 durch
Mehrinvestitionen von 14 Mrd. Euro 32 Mrd. Euro eingespart (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung,
„Steigerung der Energieeffizienz: ein Muss für die Energiewende, ein Wachstumsimpuls für die Wirtschaft“,
Januar 2014).

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