BT-Drucksache 18/1615

Verhandlungen über die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen - Neustart ohne Drohungen und Fristen

Vom 4. Juni 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1615
18. Wahlperiode 04.06.2014

Antrag
der Abgeordneten Heike Hänsel, Niema Movassat, Wolfgang Gehrcke, Jan
van Aken, hristine Buchhol , evim Da delen, Dr. Diether Dehm, Annette
Groth, Inge Höger, Andrej Hunko, Katrin Kunert, Stefan Liebich,
Dr. Alexander S. Neu, Thomas Nord, Azize Tank, Alexander Ulrich und
der Fraktion DIE LINKE.

Verhandlungen über die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen –
Neustart ohne Drohungen und Fristen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Europäische Union (EU) will bis zum Herbst 2014 die Verhandlungen, die sie
seit 2002 mit afrikanischen Ländern über Wirtschaftspartnerschaftsabkommen
(engl. Economic Partnership Agreements, EPAs) führt, abschließen. Mit dem Ab-
schluss der EPAs sollen sich die afrikanischen Länder u. a. zum Abbau von Im-
port- und Exportzöllen und zur Liberalisierung ihrer öffentlichen Beschaffungs-
märkte verpflichten. Damit würden wichtige entwicklungspolitische Steuerungs-
möglichkeiten der afrikanischen Regierungen zugunsten des freien Marktzugangs
für europäische Konzerne preisgegeben.

Um dies zu erreichen, setzt die EU erheblichen wirtschaftlichen Druck ein: Länder,
die bis zum 1. Oktober 2014 kein Abkommen abschließen, verlieren für ihre Ex-
portprodukte den bisherigen präferenziellen Zugang zum EU-Markt, sofern ihnen
nicht andere Präferenzen wie in der Initiative Everything but arms für die am we-
nigsten entwickelten Länder eingeräumt werden.

Der Druck wurde für die Länder mittleren Einkommens (nach Weltbank-
Kategorisierung) zusätzlich dadurch erhöht, dass erst vor kurzem eine Reform des
Allgemeinen Präferenzsystems (APS) der EU die Einkommensschwelle für Han-
delspräferenzen deutlich herabgesenkt hatte. Diese Staaten würden also eine erheb-
liche Verteuerung ihrer Waren auf ihrem wichtigsten Absatzmarkt, der EU, riskie-
ren, wenn sie nicht fristgerecht EPAs abschließen.

Dieser Zusammenhang verdeutlicht das wesentliche Merkmal der EPA-
Verhandlungen: die große Asymmetrie zwischen den Verhandlungspartnern, die es
der EU ermöglicht, auch auf solchen Forderungen zu bestehen, die bei den afrika-
nischen Regierungen auf erhebliche Ablehnung stoßen.

Ein Bespiel dafür ist die Forderung der EU nach Beseitigung bestehender bzw.
Verbot künftiger Exportsteuern, mit denen die afrikanischen Länder den Export
ihrer Rohstoffe verteuern, um sie in den Aufbau der einheimischen Industrie zu

Drucksache 18/1615 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

lenken. Entsprechend ihrer Rohstoffstrategie will die EU auf diese Weise ihren
Konzernen den ungehinderten Zugriff auf die Rohstoffe in Afrika ermöglichen.

Damit unterläuft die EU die Industrialisierung in Afrika. Die Folge ist, dass die
kolonial entstandene Struktur der internationalen Arbeitsteilung zwischen industri-
alisierten Ländern im Norden auf der einen und Rohstofflieferanten im Süden auf
der anderen Seite konserviert wird. Betroffen sind davon gerade solche Länder, die
bereits eine zaghafte Industrialisierung in Gang setzen konnten. Sie verlieren nun
entweder Marktzugangserleichterungen in der EU oder die Souveränität über den
Einsatz ihrer Rohstoffe.

Die afrikanischen Länder befürchten außerdem dass die Vielzahl der unterschiedli-
chen Abkommen, die die EU entweder bereits abgeschlossen hat oder anstrebt
abzuschließen, eine Bedrohung für die regionale wirtschaftliche Integration auf
ihrem Kontinent darstellt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

sich in der Europäischen Union dafür einzusetzen, dass

die Handelspolitik der EU an dem Ziel ausgerichtet wird, die selbstbestimmte
Entwicklung, industrielle Wertschöpfung, Ernährungssouveränität und regio-
nale Integration in den Ländern des Südens zu unterstützen,

die Reform des Allgemeinen Präferenzsystems und unilaterale Fristsetzungen,
mit denen die afrikanischen Staaten vor die Wahl gestellt werden, ein für sie
schädliches Abkommen zu unterzeichnen oder Marktzugang zur EU zu verlie-
ren, rückgängig gemacht werden und der präferenzielle Marktzugang für alle
AKP-Staaten (Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifik) über den 1. Okto-
ber 2014 hinaus sichergestellt wird, unabhängig davon, ob sie ein EPA ab-
schließen oder nicht,

alle Möglichkeiten geprüft werden, wie den afrikanischen Staaten weiterhin
Handelspräferenzen ohne Gegenseitigkeit eingeräumt werden können,

die Verhandlungen über die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen gestoppt und
neue entwicklungsförderliche Verhandlungsmandate formuliert werden, die
auf Liberalisierungs- und Privatisierungsforderungen ebenso verzichten wie
auf den Abbau von Exportbeschränkungen und die einen Mechanismus veran-
kern, der fortlaufend die Auswirkungen der Abkommen auf die Achtung der
Menschenrechte kontrolliert.

Berlin, den 3. Juni 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1615

Begründung

Die afrikanischen Staaten als Teil der AKP-Staaten (Afrika, Karibik, Pazifik) waren nach ihrer Unabhängig-
keit zunächst durch das Abkommen von Lomé und ein einseitiges Präferenzabkommen mit der EU verbun-
den. Sie konnten ihre Produkte zu vergünstigten Bedingungen auf den EU-Markt exportieren, ohne der EU
dieselben Vergünstigungen einräumen zu müssen.

Nach dem Jahr 2000 machten neue Vorgaben der Welthandelsorganisation (WTO) eine Neuregelung der
Handelsbeziehungen zwischen der EU und den AKP-Staaten notwendig. Gefordert war von der WTO die
weitgehende Gegenseitigkeit von Präferenzen. Das Abkommen von Cotonou zwischen EU und AKP aus
demselben Jahr formulierte den Auftrag, WTO-konforme Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zu verhan-
deln.

Die EU formulierte in ihrem Verhandlungsmandat allerdings wesentlich weitergehende Forderungen, die
nicht von der WTO vorgegeben waren, etwa hinsichtlich der Liberalisierung von öffentlichen Beschaffungs-
märkten oder der Beseitigung bzw. dem Verbot von Exportsteuern.

Während die karibischen Staaten im Jahr 2007 mit der EU ein vollständiges EPA abschlossen, waren die
afrikanischen Staaten lediglich zum Abschluss von Interimsabkommen bereit, die die Absenkung der Import-
zölle regeln, andere Forderungen der EU aber außen vor ließen. In der darüber hinausgehenden Verhand-
lungsagenda der EU sehen die afrikanischen Länder einen Angriff auf ihre politische Souveränität.

Zuletzt hatten sich die Mitgliedstaaten der Afrikanischen Union (AU) auf ihrem Gipfel im Januar 2014 kri-
tisch zu den EPAs geäußert. Entgegen ihrem ausdrücklichen Wunsch wurden die EPAs nicht auf die Tages-
ordnung des EU-Afrika-Gipfels im April 2014 gesetzt. Die EU setzt anstatt auf Dialog weiterhin auf Druck.
Sie hat eine Frist gesetzt, bis zu der EPAs abgeschlossen werden sollen. Anderenfalls drohen einige afrikani-
sche Länder Handelspräferenzen auf dem EU-Markt zu verlieren. Auch diese Maßnahme ist seitens der afri-
kanischen Verhandlungspartner auf Kritik gestoßen.

Dennoch hat der wirtschaftliche Druck Wirkung erzielt. Nach der Vereinbarung eines EPAs mit einer Gruppe
von vier ostafrikanischen Staaten im Jahr 2011 hatte zuletzt die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft
(ECOWAS) angekündigt, ein Abkommen abzuschließen. Allerdings ist der Abschluss noch keineswegs gesi-
chert. Umso weniger, als dem Deutschen Bundestag noch kein paraphierter Text des Abkommens vorliegt.

Währenddessen verweisen entwicklungspolitische Organisationen auf alternative Möglichkeiten, den afrika-
nischen Staaten WTO-konform Handelspräferenzen ohne Gegenseitigkeit zu gewähren, etwa durch die An-
wendung der Kriterien für die Everything-but-arms-Initiative auf ganze Regionen anstatt auf einzelne Staa-
ten. Solche Möglichkeiten wurden bislang seitens der EU ohne Prüfung verworfen.

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