BT-Drucksache 18/1520

Politisch motivierte Straftaten 2013

Vom 21. Mai 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1520
18. Wahlperiode 21.05.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Harald Petzold (Havelland),
Martina Renner, Dr. Petra Sitte, Halina Wawzyniak, Jörn Wunderlich und
der Fraktion DIE LINKE.

Politisch motivierte Straftaten 2013

Der Bundesminister des Innern, Dr. Thomas de Maizière, hat am 29. April 2014
die Statistik zur Politisch Motivierten Kriminalität (PMK) für das Jahr 2013
vorgestellt. Diese Statistik ist aus Sicht der Fragestellerinnen und Fragesteller
mehr ein Mittel der Politik als ein Abbild der tatsächlich von politisch motivier-
ten Täterinnen und Tätern ausgehenden Gefährdungslage.
Bestätigt sehen sich die Fragestellerinnen und Fragesteller darin durch eine
Meldung von „SPIEGEL ONLINE“ („Die Mär vom Anstieg der linken Krimi-
nalität“, 4. Mai 2014) sowie durch Angaben des niedersächsischen Ministers
für Inneres und Sport, Boris Pistorius, zur PMK-Statistik in Niedersachsen
(„Erhebung der PMK-Zahlen bei der Innenministerkonferenz diskutieren“,
www.cop2cop.de sowie Powerpoint-Präsentation des Ministeriums
(www.mi.niedersachsen.de/download/86750).
Daraus ergibt sich, dass ein hoher Anteil des im Bereich PMK-links verzeichne-
ten Anstiegs auf Sachbeschädigungen und Verstöße gegen das Versammlungs-
gesetz zurückgeht sowie im Zusammenhang mit Wahlen zu Landtagen oder dem
Deutschen Bundestag steht. Eine Beschädigung etwa von Wahlplakaten der
rechtsextremen NPD durch Antifaschistinnen und Antifaschisten wird nicht als
Ausdruck zivilgesellschaftlichen Engagements gegen die Nazigefahr gewertet,
sondern als politisch motivierte Straftat.
Gerade im Zusammenhang mit der Abwehr neofaschistischer Aufmärsche
kommt es bei antifaschistischen Gegendemonstrationen immer wieder zu coura-
giertem Verhalten, wie etwa Sitzblockaden, die auch bei gewaltfreiem Verlauf
von der Polizei als Straftat gewertet werden. Dabei hat das Bundesverfassungs-
gericht die pauschale Einstufung von Sitzblockaden als Straftaten verworfen.
In Niedersachsen zeigt sich, dass die registrierte Zunahme der PMK-links-
Delikte um insgesamt 334 wesentlich auf die Wahlen zum Landtag, zum Deut-
schen Bundestag und auf Proteste gegen den neofaschistischen „Trauermarsch“
in Bad Nenndorf sowie den „Zukunftstag“ in Wolfsburg zurückgehen. Bei
diesen drei Anlässen wurden 355 Taten als „linksmotiviert“ verzeichnet. In Bad
Nenndorf wurden 127 „Delikte“ als „links“ und sogar 536 „Delikte“ als „sons-
tige“ PMK erfasst, weil sich auch das „bürgerliche Spektrum“ an den Protesten
beteiligt hatte. Laut niedersächsischem Innenministerium sind 90 Prozent der
daraufhin eingeleiteten Strafverfahren eingestellt worden – dennoch tauchen sie
in der PMK-Statistik auf. Der Innenminister Niedersachsens, Boris Pistorius,
wird mit den Worten zitiert: „Plakativ gesprochen hätten wir ohne die immensen
Fallzahlen bei der Sitzblockade in Bad Nenndorf, die fast alle eingestellt wur-

Drucksache 18/1520 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
den, eine völlig andere Statistik mit knapp 20 Prozent weniger Gesamtfall-
zahlen“.
Der Bundesminister des Innern Dr. Thomas de Maizière selbst hat bei der Prä-
sentation der Statistik darauf hingewiesen, dass neun Prozent der PMK-Taten im
Zusammenhang mit der Bundestagswahl 2013 stehen. Die Fragestellerinnen und
Fragesteller gehen zudem davon aus, dass die Proteste gegen Naziaufmärsche in
verschiedenen Großstädten ebenfalls für diese Zunahme verantwortlich sind.
Die genannten Angaben widersprechen dem Sinn einer Statistik, die die Gefähr-
lichkeit politisch motivierter Delinquenz aufzeigen soll. Das sieht auch die
Gewerkschaft der Polizei so, die formuliert: „Gesamtgesellschaftliches Engage-
ment ist nicht automatisch der Statistik der PMK zuzuordnen“, sonst werde die
Verfolgung tatsächlicher staatsgefährdender Delikte vielmehr erschwert („GdP
unterstützt Innenminister-Forderung nach Überarbeitung der PMK-Kriterien“,
www.gdp.de vom 28. April 2014).
Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius hat angekündigt, sich bei der
Frühjahrs-IMK für eine Überarbeitung der Kriterien einzusetzen. Vom Bundes-
minister des Innern Dr. Thomas de Maizière gab es bei der Präsentation der
Zahlen keine entsprechende Ankündigung.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Ist sich die Bundesregierung der Problematik bewusst, dass eine bloße

Aneinanderreihung bzw. Gegenüberstellung von Straftatbeständen der ver-
schiedenen PMK-Bereiche wenig aussagekräftig ist, um die Gefährlichkeit
dieser Bereiche auszudrücken, und welche Schlussfolgerungen zieht sie
daraus?

2. Wie viele der unter PMK-links sowie unter PMK-sonstige erfassten Strafta-
ten stehen nach Kenntnis der Bundesregierung im Zusammenhang mit
Protesten gegen rechtsextreme Aufmärsche (bitte möglichst nach Bundes-
ländern aufschlüsseln)?
Sofern die Bundesregierung darüber keine (vollständige) Kenntnis hat, ist sie
bereit, bei den Ländern eine solche Aufschlüsselung zu erbitten und sie dem
Deutschen Bundestag zugänglich zu machen oder sich im Rahmen der Innen-
ministerkonferenz für eine Modifikation der Erfassung einzusetzen, um eine
solche Aufschlüsselung zu ermöglichen?

3. Werden Sitzblockaden gegen Naziaufmärsche nach Kenntnis der Bundes-
regierung generell als PMK-Straftaten registriert, und wenn ja,
a) wie ist dies mit dem einschlägigen Urteil des Bundesverfassungsgerichts

vom 10. Januar 1995 zu vereinbaren, demzufolge Sitzblockaden nicht per
se Straftaten darstellen,

b) wie ist dies damit zu vereinbaren, dass Blockaden von Naziaufmärschen
von deutschen Gerichten nicht einheitlich als versammlungsrechtliche
Straftaten, sondern auch als Wahrnehmung der Versammlungsfreiheit be-
wertet werden,

c) welchen Sinn macht ein solches Herangehen, wenn, wie in Niedersachsen,
90 Prozent der daraufhin eingeleiteten Verfahren wieder eingestellt wer-
den?

4. Wie viele der verzeichneten Straftaten im Zusammenhang mit Wahlen zu
einem Landtag oder zum Deutschen Bundestag wurden jeweils welchem
PMK-Bereich zugeordnet?
Wie viele Sachbeschädigungen an Wahlplakaten wurden jeweils welchem
PMK-Bereich zugeordnet?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1520
5. Wie viele Tatverdächtige gab es in den jeweiligen PMK-Deliktbereichen im
Jahr 2013 (bitte nach einfachen Straftaten und Gewalttaten aufgliedern)?

6. Wird die PMK-Statistik auch im Rahmen des Gemeinsamen Extremismus-
und Terrorismusabwehrzentrums (GETZ) erörtert, und wenn ja,
a) inwiefern befasst sich das GETZ auch mit der „sonstigen“ PMK,
b) welche Schlussfolgerungen zieht das GETZ und welche Schlussfolge-

rungen zieht die Bundesregierung hieraus?
7. Wie erklärt die Bundesregierung, dass im Bereich der PMK-links zwar laut

Statistik mehr Körperverletzungsdelikte begangen wurden als im Bereich
PMK-rechts, aber dennoch mehr Opfer durch rechts- als durch links-
motivierte Gewalt verletzt wurden?

8. Wie viele Straf- sowie Gewalttaten, die nicht gegen Polizeibeamte und poli-
tische Kontrahenten gerichtet waren, wurden in den unterschiedlichen
PMK-Bereichen im Jahr 2013 jeweils verzeichnet?

9. Wie gliedern sich die PMK-Delikte des Jahres 2013 pro Monat auf?
10. Wie erklärt sich die Bundesregierung den deutlichen Anstieg der Straftaten

„PMK-sonstige“ um 82 Prozent im Vergleich zum Jahr 2012 auf nunmehr
5 056?
a) Wie lassen sich diese Straftaten nach politischen Motivationslagen wei-

ter aufgliedern?
b) Werden auch Straftaten im Zusammenhang mit Protestaktionen der

Flüchtlingsbewegung (seitens Flüchtlingen oder Sympathisanten) der
„PMK-sonstige“ zugeordnet, oder erfolgt erfahrungsgemäß keine Zu-
ordnung oder eine zu anderen Phänomenbereichen, und wenn ja,
zu welchen?

c) In welchem Maße ereigneten sich diese Straftaten im Zusammenhang
mit Schul- und Studierendenprotesten, wie Schulstreiks?

d) In welchem Maße gehen diese Straftaten auf das Engagement des
„bürgerlichen Spektrums“ gegen rechtsextreme Aufmärsche zurück?

e) In welchem Maße gehen diese Taten auf rassistische oder rechtspopulis-
tische „Bürgerinitiativen“ gegen Flüchtlingsheime oder auf antimusli-
mische Hetze oder Anschläge auf Moscheen zurück?

f) Welche Organisationen sind in Zusammenhang mit diesen „sonstigen“
PMK-Delikten auffällig geworden (bitte namentlich benennen und
Erläuterungen zu ihrer Rolle im Deliktbereich machen)?

g) In welchen Zusammenhängen hat es im Bereich der „sonstigen“ PMK-
Delikte Körperverletzungen gegeben (bitte die 112 Delikte möglichst
einzeln angeben)?

h) Welche weiteren Angaben kann die Bundesregierung zu den vier ver-
suchten Tötungsdelikten des „sonstigen“ PMK-Bereiches machen?

11. Inwiefern hält es die Bundesregierung generell für angemessen, friedliche
Sitzblockaden gegen Naziaufmärsche in der PMK-Statistik zu verzeichnen?

12. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung daraus, dass die bis-
herige Untergliederung der PMK-Straftaten in die Unterfelder Hasskrimina-
lität, fremdenfeindlich, antisemitisch, Konfrontation mit dem politischen
Gegner sowie Straftaten gegen Polizeibeamte sich auf den Bereich der
PMK-sonstige kaum anwenden lassen (die Fragesteller beziehen sich hier-
bei auf die Antworten der Bundesregierung auf die bis August 2013 gestell-
ten Kleinen Anfragen der Fraktionen CDU/CSU und FDP zu politisch moti-
vierten Straftaten, die zeigen, dass nur ein Bruchteil der unter PMK-sonstige
rubrizierten Taten sich auf diese Unterfelder aufschlüsseln lassen)?

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13. Inwiefern trifft die Darstellung von „SPIEGEL ONLINE“ zu, dass das
Bundesministerium des Innern das Bundeskriminalamt (BKA) und die
Landeskriminalämter aufgefordert habe, „den Themenfeldkatalog für poli-
tisch motivierte Straftaten zu überarbeiten“?
a) Inwiefern teilt die Bundesregierung die Kritik des niedersächsischen

Innenministers sowie der GdP Niedersachsen an der PMK-Statistik?
b) Waren dem Bundesminister des Innern Dr. Thomas de Maizière Vor-

behalte gegen die Aussagefähigkeit der Fallzahlen (vor allem im Bereich
PMK-links) vor der Pressekonferenz am 29. April 2014 bekannt?
Wenn ja, warum hat er nicht darauf hingewiesen?
Wenn nein, wann hat der Bundesinnenminister vom Vorhaben, den
Themenkatalog zu überarbeiten, erfahren?

c) Teilt die Bundesregierung die Auffassung der von „SPIEGEL ONLINE“
im o. g. Artikel zitierten Polizeikreise, die Statistik sei „abstrus“, und
wenn nein, worin besteht der Gebrauchswert der PMK-Statistik in ihrer
derzeitigen Form für Politik, Sicherheitsbehörden und die Öffentlich-
keit?

d) Inwiefern sieht die Bundesregierung selbst Änderungsbedarf bei der
PMK-Statistik (bitte möglichst konkret benennen, welche Änderungen
sie ggf. im Rahmen der Innenministerkonferenz vorschlagen will)?

e) Inwiefern sieht die Bundesregierung Änderungsbedarf im Bereich der
jeweiligen PMK-Bereiche?

f) Sehen nach Kenntnis der Bundesregierung außer dem niedersächsischen
Innenministerium auch die Innenministerien anderer Länder Änderungs-
bedarf bei der PMK-Statistik, und wenn ja, welche Länder sind dies?

g) Inwiefern liegt eine Stellungnahme, Ausarbeitung oder Ähnliches seitens
des BKA zu einer allfälligen Änderung der PMK-Statistik vor?

Berlin, den 21. Mai 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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