BT-Drucksache 18/1461

Europäische Energieunion - Unabhängigkeit durch Effizienz, Einsparung und erneuerbare Energien schaffen

Vom 21. Mai 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1461
18. Wahlperiode 21.05.2014

Antrag
der Abgeordneten Oliver Krischer, Jürgen Trittin, Annalena Baerbock,
Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, Christian Kühn (Tübingen), Steffi Lemke,
Peter Meiwald, Dr. Julia Verlinden, Harald Ebner, Matthias Gastel, Stephan
Kühn (Dresden), Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, Markus Tressel,
Dr. Valerie Wilms und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN

Europäische Energieunion – Unabhängigkeit durch Effizienz, Einsparung
und erneuerbare Energien schaffen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Mitte Juni 2014 will sich die Europäische Union über Maßnahmen zur Stärkung
der Unabhängigkeit in der Energieversorgung verständigen. Hintergrund ist die
Krise in der Ukraine und das angespannte Verhältnis zu Russland, dem wichtigsten
Energielieferanten Europas. Russland drohte jüngst wiederholt mit dem Stopp von
Erdgaslieferungen in die Ukraine und setzt damit auch die Europäische Union (EU)
unter Druck.

Als Reaktion auf die zunehmenden Spannungen werden auf europäischer Ebene
Forderungen laut, eine „Europäische Energieunion“ zu gründen und so die Zu-
sammenarbeit bei der Energieversorgung zu stärken. So schlägt der Ministerpräsi-
dent Polens, Donald Tusk, vor, den Einkauf von Erdgas aus Russland künftig für
die gesamte EU zu zentralisieren und die Kohle- sowie Schiefergasvorräte in der
EU voll zu nutzen. Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel hat für diese Vorschläge
die Unterstützung der Bundesregierung signalisiert. Beim Treffen der Wirtschafts-
minister der G7-Staaten wurde zudem unter anderem die verstärkte Nutzung von
Flüssiggas (LNG) als Alternative zu russischem Erdgas vereinbart.

Der Deutsche Bundestag erwartet von der Bundesregierung, dass sie sich bei den
anstehenden Gesprächen mit allem Nachdruck für klare, ambitionierte und ver-
bindliche Ziele bei CO2-Reduktions-, Erneuerbaren- und Effizienzzielen einsetzt.
Denn Energieeinsparung, mehr Energieeffizienz und der konsequente Umstieg auf
erneuerbare Energien sind der beste Weg sich von Energierohstoffabhängigkeiten
zu lösen. Erneuerbare Energien, Energiesparen und Energieeffizienz sind allesamt
heimische Ressourcen. Deutschland und Europa müssen jetzt die Weichen dafür
stellen.

Der Deutsche Bundestag verweist darauf, dass die wachsende Handlungslücke der
Bundesregierung in den Bereichen Energieeffizienz und Wärme ihre Position bei
internationalen Verhandlungen deutlich schwächt und erwartet mehr Anstrengung
auf nationaler Ebene, damit Deutschland bei Klimaschutz und Energiewende wie-
der eine Vorreiterposition in Europa einnimmt.

Drucksache 18/1461 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich bei den Beratungen der EU-Klima- und -Energieziele mit Nachdruck da-
für einzusetzen,

dass die verbindliche Zieltrias beibehalten und mit folgenden Zielwerten
unterlegt wird: Verringerung der CO2-Emission um mindestens 55 Prozent
bis 2030 und um mindestens 30 Prozent bis 2020 gegenüber dem Stand
von 1990, Anstieg des Anteils erneuerbarer Energien am Bruttoenergie-
verbrauch auf mindestens 45 Prozent sowie eine Senkung des Energiever-
brauchs um mindestens 40 Prozent bis 2030;
dass für diese Bereiche verbindliche nationale Ziele für die einzelnen Mit-
gliedsstaaten festgelegt werden;

2. zur Stärkung der eigenen Verhandlungsposition
die EU-Effizienzrichtlinie schnellstmöglich und ambitioniert in nationales
Recht umzusetzen,
umwelt- und klimaschädliche Subvention abzubauen, etwa die Steuerprivi-
legierung des nicht energetischen Verbrauchs von Erdöl in der Chemiein-
dustrie und die Energiesteuerbegünstigung der Mineralölindustrie, um
Einsparungen beim Erdölverbrauch zu stimulieren und
daraus resultierende Steuermehreinnahmen für einen Energiesparfonds in
Höhe von 3 Mrd. Euro zu nutzen, der sicherstellt, dass jährlich 3 Prozent
der Gebäude energetisch saniert werden;

3. sich bei den anstehenden Gesprächen zur „Europäischen Energieunion“ gegen
die verstärkte Nutzung von Kohle und Fracking-Gas einzusetzen;

4. stattdessen im Hinblick auf die Kooperation mit den Staaten Ost- und Südost-
europas mit Nachdruck einen Vorrang für Maßnahmen zur Effizienzsteigerung
und zum Ausbau erneuerbarer Energien einzufordern;

5. die Anstrengungen zum Ausbau eines funktionierenden Gasnetzes in ganz
Europa zu verstärken, sich für den notwendigen Ausbau der Infrastruktur zur
Stärkung der gegenseitigen Energiekooperation mit den Ländern Ost- und
Südosteuropas einzusetzen, z. B. die rasche Realisierung der Rückflussmög-
lichkeiten für Gas in die Ukraine;

6. zur Sicherung der Energieversorgung in Anlehnung an das Erdölbevorratungs-
gesetz (ErdölBevG) einen Gesetzentwurf zur öffentlich-rechtlich organisierten
Erdgasbevorratung zu erarbeiten und dem Bundestag zur Beschlussfassung
vorzulegen, wodurch ausreichende Erdgasreserven bei Lieferunterbrechungen
in Deutschland, eingebettet in ein europäisches System zur Versorgungssi-
cherheit, zur Verfügung stehen;

7. damit für klarere Regelungen und höhere Transparenz bei der Bewirtschaftung
der Erdgasspeicher in Bezug auf Füllstände, unterbrechbare Verträge und Ver-
fügbarkeit von Speicherkapazitäten für den Erdgasmarkt zu sorgen;

8. eine Absicherungsstrategie für die Erdgasversorgung zu entwickeln, durch die
ein besserer Austausch von Erdgasspeicherkapazitäten mit anderen Staaten
sowie die Verbesserung der Infrastruktur von Flüssigerdgas (LNG) in Europa
ermöglicht wird.

Berlin, den 20. Mai 2014

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1461

Begründung

Bestrebungen, die Unabhängigkeit Europas von Gasimporten zu verstärken, sind grundsätzlich richtig. Doch
muss es hier zu mehr kommen als bloßen Versprechen, wie sie etwa bei der im Jahr 2006 gegründeten „Eu-
ropäischen Energiegemeinschaft“ der EU-Staaten mit den Staaten Südosteuropas gemacht wurden. Seit 2010
ist auch die Ukraine Vollmitglied der Gemeinschaft. Die Initiative sollte u. a. das Ziel verfolgen, die Versor-
gungssicherheit Südosteuropas durch den Ausbau der Beziehungen mit den europäischen Nachbarländern
sowie die Energieeffizienz und den Ausbau erneuerbarer Energien zu stärken. Doch sie bleibt bis heute weit
hinter den Erwartungen zurück und hat kaumWirkung erzielt.

Auch jetzt liegt der Fokus der internationalen Verhandlungen allzu sehr auf der alternativen Beschaffung
fossiler Brennstoffe, während der weitere Ausbau der erneuerbaren Energien, Energieeinsparung und die
Steigerung der Energieeffizienz sowie der Ausbau und Zugang zu den transeuropäischen Netzen bestenfalls
als Randthema behandelt werden. Diese Strategie ist rückwärtsgewandt und nicht geeignet, die angestrebte
größere Unabhängigkeit bei der Energieversorgung nachhaltig zu stärken. Bloße Diversifikation ohne Substi-
tution und Einsparung ist höchstens eine Übergangslösung. Der Rückgriff auf die Reste fossiler heimischer
Energien widerspricht zudem den nationalen und europäischen Klima- und Energiezielen und wird erhebliche
Umweltschäden nach sich ziehen. Eine Europäische Energieunion darf nicht zu einer Kohle- und Fracking-
Union werden. Stattdessen muss eine Europäische Energieunion sich auf Energieeinsparung, Energieeffizienz
und erneuerbare Energien ausrichten.

Die Dringlichkeit zeigt sich auch am Beispiel Deutschland, das fast 90 Prozent des Erdgases importiert, ne-
ben den Niederlanden und Norwegen vor allem aus Russland. Vier Prozent seines Bruttosozialprodukts ver-
schwendet Deutschland für fossile Brennstoffimporte. Alleine die jährlichen Mehrkosten seit der Finanzkrise
2008 sind höher als die gesamte EEG-Umlage.

Rund 85 Prozent des Erdgases werden für die Gebäudeheizung und industrielle Prozesswärme verbraucht.
Nur etwa 10 Prozent dienen der Stromerzeugung. Da Erdgas in Deutschland ganz überwiegend für Raum-
wärme und industrielle Prozesswärme verwendet wird, gilt es, vor allem bei der energetischen Gebäudesanie-
rung und Effizienzmaßnahmen in der Industrie anzusetzen. Eine aktuelle Studie von ECOFYS kommt dies-
bezüglich zum Ergebnis, dass eine konsequente Effizienzstrategie im Wärmebereich die Erdgasabhängigkeit
von Russland in den kommenden zehn Jahren halbiert werden kann. Doch hier versagt die Bundesregierung
bisher völlig. Trotz unzähliger Ankündigungen sind bis heute keine wirksamen Maßnahmen ergriffen wor-
den, die Energieeinsparung voranzubringen. Dazu kommt, dass die Bundesregierung die Förderung erneuer-
bar erzeugter Wärme zurückfahren will, obwohl der Anteil erneuerbarer Energien im Wärmebereich bei nur
etwa 10 Prozent liegt und seit Jahren stagniert.

Dessen ungeachtet braucht es eine Neuausrichtung auch der deutschen Regierungspolitik im Hinblick auf die
Diversifizierung. In den letzten Jahren hat Deutschland trotz vieler Warnungen völlig einseitig auf die Belie-
ferung mit Erdgas aus Russland gesetzt und damit die Abhängigkeit immer weiter erhöht. Sie hat es dabei
versäumt, eine Absicherungsstrategie für die Erdgasversorgung Deutschlands anzugehen. Auch deshalb feh-
len wirkliche Alternativen zum Erdgasbezug aus Russland, etwa neue Lieferländer oder die Nutzung von
Flüssigerdgas (LNG).

Mit einer Speicherkapazität von 22,6 Mrd. m3 ist Deutschland zwar das Land in Europa mit der größten Zahl
an Gasspeichern. Doch die Speicher werden von den Unternehmern bisher nur nach kommerziellen Interes-
sen – nicht aber nach Aspekten der Versorgungssicherheit – betrieben. Eine strategische Bevorratung, die
über rein aus kommerziellen Interessen gehaltene Bestände hinausgeht, erfolgt in Deutschland folglich nicht.
Wenn Speicher darüber hinaus, wie im Fall von Wintershall und Gazprom, in die Hände eines russischen
Staatskonzerns gelangen, ist es sogar möglich, dass sie explizit gegen die Ziele der Versorgungssicherheit
Europas bewirtschaftet werden können. Der reine Betrieb von Erdgasspeichern führt deshalb keineswegs zu
immer mehr Versorgungssicherheit.

Diesem Missstand sollte mit einer öffentlich-rechtlich organisierten Erdgasbevorratung oder einer entspre-
chenden Regulierung entgegengewirkt werden. Im Erdölbereich gibt es in Deutschland seit den 1970er Jah-
ren eine solche Pflichtbevorratung. Die Bundesrepublik Deutschland hatte diese wegen des hohen Abhängig-
keitsgrades und Erdölkrisen von Mineralölimporten eingeführt. Das Erdölbevorratungsgesetz (ErdölBevG)
legt eine Vorratspflicht an Erdöl für mindestens 90 Tage fest. Für die Verbraucherinnen und Verbraucher
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bedeutet dies die Sicherstellung der vollen Verfügbarkeit der Vorratsbestände im Krisenfall. Mit einer analo-
gen Regelung für die Erdgasversorgung wären auch hier höhere Versorgungssicherheit und schnelle Reakti-
onsmöglichkeiten im Krisenfall sowie eine wettbewerbsneutrale Gestaltung der Bevorratung möglich. Dabei
sollte die öffentliche Aufgabe der Sicherung der Erdgasbevorratung an Unternehmen der Gaswirtschaft zur
Durchführung übertragen werden.

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