BT-Drucksache 18/1448

Konkrete Ermittlungen zur Prüfung möglicher rechtsextremer und rassistischer Hintergründe bei ungeklärten vollendeten und versuchten Tötungsdelikten in den Jahren 1990 bis 2011

Vom 14. Mai 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1448
18. Wahlperiode 14.05.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Martina Renner, Jan Korte, Ulla Jelpke, Katrin Kunert,
Petra Pau, Harald Petzold (Havelland), Frank Tempel, Halina Wawzyniak,
Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Konkrete Ermittlungen zur Prüfung möglicher rechtsextremer und/oder
rassistischer Hintergründe bei ungeklärten vollendeten und versuchten
Tötungsdelikten in den Jahren 1990 bis 2011

Die Polizeibehörden des Bundes und der Länder haben sich unmittelbar nach der
Selbstenttarnung des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) darauf ver-
ständigt, alle bislang ungeklärten „Altfälle“ von versuchten und vollendeten Tö-
tungsdelikte aus den Jahren 1990 bis 2011 neu zu überprüfen. 3 330 ungeklärte
und erfasste Tötungsdelikte wurden nach einem neuen und jetzt weiter gefassten
Indikatorenkatalog in Bezug auf eine mögliche politisch rechte Tatmotivation
überprüft. Dies ist eine gewaltige Herausforderung an die Polizeibehörden des
Bundes und der Länder. Sollte dies mit aller Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt
betrieben werden, würde dies eine grundlegende Umkehr in der Praxis der Poli-
zeibehörden und der Innenministerien des Bundes und der Länder bedeuten.
Noch im September 2011 hatte es die Bundesregierung abgelehnt, im Rahmen
einer Großen Anfrage der Fraktion DIE LINKE. zu rechtsextrem motivierten
Tötungsdelikten im Zeitraum von 1990 bis 2011 eine erneute Überprüfung
durchführen zu lassen. Für die Bundesregierung erklärte der damalige Parla-
mentarische Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, Dr. Ole Schröder,
dass die offizielle Statistik der rechts motivierten Tötungsdelikte „nicht in Zwei-
fel zu ziehen“ sei (Bundestagsdrucksache 17/7161, S. 21). Die gegenwärtigen
Überprüfungen der Polizeibehörden, sollten sie ernsthaft durchgeführt werden,
stellen nunmehr alle bislang ergangenen Antworten der Bundesregierung auf
entsprechende parlamentarische Anfragen in Frage.
In der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE
LINKE. auf Bundestagsdrucksache 18/343 wurden 745 Fälle von vollendeten
und versuchten Tötungsdelikten differenziert nach Bundesländern benannt, zu
denen nunmehr durch das Bundeskriminalamt (BKA) und die Landeskriminal-
ämter eine Prüfung auf einen möglichen rassistischen, rechtsextremen Hinter-
grund vorgenommen werden soll. Nach einer ersten Überprüfungsphase soll es
anschließend zu einer Evaluation kommen, die Gegenstand einer Beratung in
den zuständigen Gremien der Innenministerkonferenz (IMK) werden soll.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wann ist mit einem Abschluss der Evaluation der auf Bundestagsdrucksache

18/343 genannten 745 vollendeten und versuchten Tötungsdelikten zu rech-
nen?

Drucksache 18/1448 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
2. In welchen IMK-Gremien werden die Ergebnisse mit welchen Fragestellun-
gen diskutiert werden (bitte unter Angabe des geplanten Datums und Ar-
beitskreises bzw. Arbeitsgruppe der IMK)?

3. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus den signifikanten zahlenmäßigen Unterschieden der ungeklärten Tö-
tungsdelikte in den einzelnen Bundesländern, die zur erneuten Untersu-
chung durch die einzelnen Bundesländer ausgesucht wurden?
Wie lässt sich beispielsweise erklären, dass in Schleswig-Holstein drei, in
Thüringen zwei Tötungsdelikte und im Saarland ein Tötungsdelikt erneut
untersucht werden, in Baden-Württemberg dagegen über 200 (vgl. Bundes-
tagsdrucksache 18/343, S. 3 f.)?

4. Zu welchen auf Bundestagsdrucksache 18/343 (S. 3 f.) genannten Fällen der
vollendeten und versuchten Tötungsdelikte in Tabelle 1 und der Auflistung
in Tabelle 2, die mit den 137 Fällen aus „DER TAGESSPIEGEL“ und
„ZEIT ONLINE“ korrespondieren, wurden nach Kenntnis der Bundesregie-
rung Akten beigezogen (bitte differenziert nach Ermittlungsarbeit in Über-
prüfungs- und Evaluationsphase, nach Bundesland, Fall, Behördenbezeich-
nung, die Akten angefordert hat, Herkunft der Akten, Polizei, Staatsanwalt-
schaft, Gericht und Ergebnis der Aktenauswertung darstellen)?

5. Wie wurden nach Kenntnis der Bundesregierung die einzelnen Polizeibe-
amten des Bundes und der Länder, die an diesen Überprüfungen beteiligt
waren und sind, auf ihre Aufgabe vorbereitet?

6. Wie wurden nach Kenntnis der Bundesregierung mögliche Schwachstellen
der damaligen Ermittlungen in den Jahren 1990 bis 2011 untersucht und be-
wertet, und welche Konsequenzen wurden daraus gezogen?

7. Wurden nach Kenntnis der Bundesregierung bei jedem der zu überprüfen-
den Tötungsdelikte neue Beamte zur Überprüfung von möglichen rechten
bzw. rassistischen Tatmotiven bzw. mutmaßlichen Täterinnen und Tätern
aus der extremen rechten, neonazistischen Szene eingesetzt, oder haben
diese Aufgabe auch Beamte ausgeführt, die früher schon den jeweiligen Fall
bearbeitet haben (bitte prozentual nach Bund, Ländern und Jahren auffüh-
ren, in wie vielen Fällen Beamte ihre alten Fälle wieder bearbeitet haben
und in wie vielen Fällen hier neue Beamte eingesetzt waren bzw. sind)?

8. Wurden die Justizbehörden des Bundes und nach Kenntnis der Bundesregie-
rung der Länder in diese Überprüfungen mit einbezogen, und wenn ja, in
welchem Umfang ist dies geschehen?

9. Wenn nein, wieso wurden die Justizbehörden nicht mit einbezogen?
10. Zu welchen der auf Bundestagsdrucksache 18/343 genannten Fällen in den

Tabellen 1 und 2 wurden nach Kenntnis der Bundesregierung Nachverneh-
mungen von Zeugen und Zeuginnen bzw. Tatverdächtigen vorgenommen
(bitte differenziert nach Ermittlungsarbeit in Überprüfungs- und Evalua-
tionsphase, nach Bundesland, Fall, Behördenbezeichnung, die Nachver-
nehmungen durchgeführt hat, Status der vernommenen Personen und Er-
gebnis der Nachvernehmungen darstellen)?

11. Zu welchen der auf Bundestagsdrucksache 18/343 in den Tabellen 1 und 2
genannten Fälle wurden nach Kenntnis der Bundesregierung Befragungen
der Beamten und Beamtinnen aus den Ermittlungsverfahren vorgenommen
(bitte differenziert nach Ermittlungsarbeit in Überprüfungs- und Evalua-
tionsphase, nach Bundesland, Fall, Behördenbezeichnung, die Befragungen
durchgeführt hat, Amtsbezeichnung der befragten Beamten und Ergebnis
der Befragungen darstellen)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1448
12. Zu welchen der auf Bundestagsdrucksache 18/343 in den Tabellen 1 und 2
genannten Fällen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung Asservate,
Spuren und andere Beweismittel erneut gesichtet und bewertet (bitte diffe-
renziert nach Ermittlungsarbeit in Überprüfungs- und Evaluationsphase,
nach Bundesland, Fall, Behördenbezeichnung, die Untersuchungen durch-
geführt hat, Art des Beweismittels und Ergebnis der Untersuchungen dar-
stellen)?

13. Zu welchen der auf Bundestagsdrucksache 18/343 genannten Fällen in den
Tabellen 1 und 2 wurde nach Kenntnis der Bundesregierung mit Nebenklä-
gervertretern der Opfer bzw. Angehörigen der Opfer Kontakt aufgenommen
(bitte differenziert nach Ermittlungsarbeit in Überprüfungs- und Evalua-
tionsphase, nach Bundesland, Fall, Behördenbezeichnung, die Kontakt auf-
genommen hat und Ergebnis der Kontaktaufnahme darstellen)?

14. Wie viele Beamte in welchen Abteilungen des BKA, des Gemeinsamen Ex-
tremismus- und Terrorismusabwehrzentrums (GETZ)/Gemeinsamen Ab-
wehrzentrums gegen Rechtsextremismus und -terrorismus (GAR) sind mit
der Überprüfung der zunächst 3 300 durch die Bundesländer vorgelegten
ungeklärten Tötungsdelikte befasst gewesen?

15. Wie viele Beamte in welchen Abteilungen des BKA und des GETZ/GAR
sind mit der Überprüfung der nunmehr ausgewählten 745 ungeklärten voll-
endeten und versuchten Tötungsdelikte in Tabelle 1 und Tabelle 2, die der
Auflistung bei „DER TAGESSPIEGEL“ und „ZEIT ONLINE“ entspricht,
befasst?

16. Welche Kosten sind dem Bund und nach Kenntnis der Bundesregierung den
Ländern dadurch entstanden, dass im Zusammenhang mit den NSU-Morden
nunmehr ungeklärte vollendete und versuchte Tötungsdelikte seit dem Jahr
1990 nach einem abgestimmten erweiterten Indikatorenkatalog neu (nach
einer möglichen rechtsextremen, fremdenfeindlichen bzw. rassistischen
oder antisemitischen Motivation der Täter) überprüft werden müssen?

17. Welche Fehler sind nach Ansicht der Bundesregierung in der Vergangenheit
in Bezug auf die Anerkennung von Tötungsdelikten als politisch rechts
motiviert durch die jeweiligen Bundesregierungen gemacht worden, wenn
die Polizei- und Justizbehörden des Bundes und der Länder nunmehr zu sol-
chen Überprüfungsmaßnahmen aller ungeklärten vollendeten und versuch-
ten Tötungsdelikte greifen müssen?

18. Würde die Bundesregierung vor dem Hintergrund des Ausmaßes dieser
Überprüfungsmaßnahmen die Äußerungen des Parlamentarischen Staats-
sekretärs beim Bundesminister des Innern, Dr. Ole Schröder, vom 27. Sep-
tember 2011 im Rahmen der Beantwortung der Großen Anfrage „Mindes-
tens 137 Todesopfer rechter Gewalt in der Bundesrepublik Deutschland seit
1990“ (Bundestagsdrucksache 17/7161), dass die offizielle Statistik (der
Tötungsdelikte) „nicht in Zweifel zu ziehen“ sei (Bundestagsdrucksache 17/
7161, S. 21), weiterhin aufrecht erhalten (vgl. Antwort der Bundesregierung
auf die Kleine Anfrage „Prüfung von weiteren ungeklärten Tötungsdelikten
auf einen möglichen rechtsextremen und rassistischen Hintergrund zwi-
schen den Jahren 1990 und 2011 durch die Bundesregierung“, Bundestags-
drucksache 18/343, S. 9)?

19. In welchen der nunmehr zur Überprüfung ausgewählten 745 Fälle in Ta-
belle 1 und in Tabelle 2 auf Bundestagsdrucksache 18/343 gibt es bislang
Hinweise, dass die Tatverdächtigen dem rechten und/oder neonazistischen
Milieu zugeordnet werden müssen (bitte nach Bundesländern und Tatdatum
auflisten)?

Berlin, den 14. Mai 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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