BT-Drucksache 18/13534

Herdenschutz als agrarpolitische Verantwortung

Vom 6. September 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/13534
18. Wahlperiode 06.09.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Caren Lay, Karin Binder,
Heidrun Bluhm, Eva Bulling-Schröter, Birgit Menz, Cornelia Möhring,
Hubertus Zdebel und der Fraktion DIE LINKE.

Herdenschutz als agrarpolitische Verantwortung

Seit Jahren steigt die Zahl, der sich in Deutschland ansiedelnden Wölfe in immer
mehr Regionen und Bundesländern. Damit häufen sich die Begegnungen von
Wölfen mit Weide- und auch Haustieren, in seltenen Fällen auch mit Menschen.
Im Jahr 2017 stieg die Zahl der gemeldeten Übergriffe und nachweislichen
Wolfsrisse bei Nutztieren deutlich, auch in kürzlich neu besiedelten Regionen mit
wenig Erfahrungen im Umgang mit dem Wolf. Parallel dazu hat sich das Kon-
fliktpotenzial zwischen dem Arten- und Naturschutz und anderen Interessenbe-
reichen, wie der Weidetierhaltung und auch der Jagd verstärkt. Dieser Entwick-
lung muss sich insbesondere das Bundesministerium für Ernährung und Land-
wirtschaft annehmen und zu Lösungen für einen effektiven präventiven Herden-
schutz aktiv beitragen. Denn trotz seines hohen internationalen Schutzstatus, wird
für die Zukunft des Wolfes in der Bundesrepublik Deutschland die gesellschaft-
liche Akzeptanz gebraucht. Ein Interessenausgleich mit der Weidetierhaltung und
Wildforschung sind besonders wichtig. Sowohl Experteninnen und Experten aus
der Wissenschaft, der Praxis der Weidetierhaltung als auch die Naturschutzver-
bände halten einen wolfssicheren Herdenschutz für eine vordringliche Aufgabe
und unerlässlich, um die allgemeine Akzeptanz des Wolfes als wildlebende ge-
schützte Tierart in unseren Regionen zu erreichen. Darüber hinaus ist auch die
Aufklärung der Bevölkerung dringend erforderlich.
Die Fraktion DIE LINKE. hat in den letzten Jahren immer wieder in parlamenta-
rischen Anträgen (z. B. Antrag der Fraktion DIE LINKE. „Herdenschutz ist
Wolfsschutz – Jetzt ein bundesweites Kompetenzzentrum aufbauen“, Bundes-
tagsdrucksache 18/6327) gefordert, dass die Bundesregierung ihre Verantwor-
tung wahrnimmt und entsprechend der Expertenempfehlung ein bundesweites
Herdenschutz-Kompetenzzentrum einrichtet zur Bündelung und zum Transfer
von Wissen und Erfahrungen sowie zur Entwicklung bundeseinheitlicher Stan-
dards auf Grundlage von aktuellen Ergebnissen der Verhaltensanpassung des
Wolfes an die dicht besiedelte Kulturlandschaft.
Verschiedene Bundesländer haben – auch in Reaktion auf das fehlende Agieren
der Bundesregierung – unterdessen eigene Initiativen zum Umgang mit Konflik-
ten durch Wolfsübergriffe ergriffen. Sachsen-Anhalt hat beispielsweise am 6. Juli
2017 eine „Leitlinie Wolf“ veröffentlicht. In Brandenburg wird aktuell über eine
Wolfsverordnung diskutiert.

Drucksache 18/13534 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Aufgrund der sich in einigen Regionen zuspitzenden Situation besteht weiterhin
die dringende Notwendigkeit einer Strategie für den Herdenschutz zur Klärung
und Bündelung von Kompetenzen. Es geht um einen raschen Transfer von Wis-
sen und Erfahrungen sowie die Entwicklung bundeseinheitlicher Standards für
einen präventiven Herdenschutz auf der Grundlage der aktuellen Ergebnisse der
Verhaltensanpassung des Wolfes an die dicht besiedelte Kulturlandschaft. Nach
Auffassung der Fragesteller muss das Bundesministerium für Ernährung und
Landwirtschaft umgehend ein bundeseinheitliches Regelwerk auf den Weg brin-
gen. Auch wenn die Aspekte des Artenschutzes klar in der Zuständigkeit des Bun-
desministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit liegen, ge-
hört der Herdenschutz hingegen in den Verantwortungsbereich des Bundesminis-
teriums für Landwirtschaft und Ernährung. Daraus ergeben sich eigens an das
Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft die nachfolgenden Fragen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Position vertritt die Bundesregierung hinsichtlich der Aufgabenver-

teilung und der Zuständigkeit für einen wolfssicheren Herdenschutz zwi-
schen Bundesumweltministerium und Bundeslandwirtschaftsministerium?

2. Wie und bis wann soll in welcher Zuständigkeit und nach welchen bundes-
weit einheitlichen Kriterien ein wolfssicherer Herdenschutz entwickelt wer-
den (bitte ausführlich erläutern)?

3. Welchen Forschungsbedarf sieht die Bundesregierung für die Entwicklung
und Erprobung von wolfssicheren praxisnahen Herdenschutzsystemen zur
Pflege verschiedener geschützter Lebensraumtypen durch Beweidung?

4. Gibt es derzeit Vorhaben in der Agrarressortforschung generell und für un-
terschiedliche Nutztierrassen zur Entwicklung und wissenschaftlichen Be-
gleitung von wolfssicheren Herdenschutzsystemen einschließlich der prakti-
schen Erprobung mit Referenzbetrieben?

Wenn ja, welche, von wem finanziert, und mit welcher Projektlaufzeit?
Wenn nein, warum nicht, und bis wann werden welche Vorhaben von der
Bundesregierung initiiert?

5. Aus welchen EU-finanzierten Forschungsvorhaben sind welche Erkennt-
nisse in der Bundesrepublik Deutschland in Herdenschutzempfehlungen ein-
geflossen (bitte ausführlich erläutern; siehe Kleine Anfrage „Bundeseinheit-
licher Herdenschutz“, Bundestagsdrucksache 18/11393)?

6. Wann wird die Bundesregierung eine Änderung des § 4 (Vorschrift von
Hund-Schutzhütten für Hunde im Freien) der Tierschutz-Hundeverordnung
initiieren, um Rechtssicherheit für weidetierhaltende Betriebe beim Einsatz
von Herdenschutzhunde zu gewährleisten, nachdem die Bundesratsinitiative
der Länder Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern (Agrarminister-
konferenz vom 14. März 2016, TOP 33) nicht weiter verfolgt wurde?
Beabsichtigt die Bundesregierung eine rechtliche Gleichstellung von Her-
denschutz- und Hütehunden als Arbeitshunde entsprechend den Polizei- und
Blindenhunden?
Wenn ja, bis wann?
Wenn nein, warum nicht (bitte ausführlich erläutern)?
Beabsichtigt die Bundesregierung bis zur entsprechenden rechtlichen Rege-
lung den oben genannten § 4 der Tierschutz-Hundeverordnung für Herden-
schutzhunde auszusetzen?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/13534
Wenn ja, bis wann wird die Bundesregierung die einzelnen Schritte umset-
zen?
Wenn nein, warum nicht?

7. Wie und bis wann will die Bundesregierung in Fragen der Nutztierhaltung
und des praktischen Herdenschutzes fachliche und rechtliche Kompetenzen
in Bezug auf den Schutz von Weidetieren vor Wolfsübergriffen und der Stär-
kung der öffentlichen Akzeptanz des Wolfes als freilebende Tierart bündeln,
und welche politische Einigung wird dazu zwischen den Ressorts angestrebt
(bitte ausführlich erläutern)?

8. Wie will die Bundesregierung die in der Zuständigkeit des Landwirtschafts-
ressorts liegenden Themen zur Nutztierhaltung mit der Artenschutzzustän-
digkeit des Bundesumweltministeriums harmonisieren und effizient entwi-
ckeln (bitte ausführlich erläutern nach den Aufgaben: Entwicklung von Emp-
fehlungen für Nutztierhalter, Beratung der Bundesländer, Forschungsdefizi-
tanalyse, Anpassung der Fördermöglichkeiten sowie Prävention und Kom-
pensation)?

9. Wie viele Nutztiere mussten in den Jahren 2014 bis 2016 Tierkörperbeseiti-
gungsstellen zugeführt werden, und wie viele davon aufgrund von Wolfsris-
sen (bitte nach Jahren und Bundesländern für Pferde, Rinder, Schafe und
Ziegen einzeln auflisten)?

10. Wie lautet die bundeseinheitliche Definition für „auffällige Wölfe“, die von
der Bundesregierung für das dritte bzw. vierte Quartal 2017 angekündigt
wurde, bzw. wann wird sie konkret vorliegen, und welche Expertinnen und
Experten und Verbände wurden zur Definitionsfindung angehört?

11. Welche Erkenntnisse und welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregie-
rung aus den Erfahrungen des Landes Sachsen zum Wolf mit ganzjährigem
Schutz im Landesjagdgesetz, und wird sie in der 19. Legislaturperiode des
Deutschen Bundestages die Aufnahme des Wolfes in das Bundesjagdrecht
vorantreiben?
Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung dazu, wie und ob das Land
Sachsen Wolfsrisse als Wildschäden reguliert, wie dies nach Jagdrecht zu
erwarten wäre, und welche Beispiele gibt es dafür, bei denen Schäden als
Wildschäden reguliert wurden oder auch nur teilweise den Jagdausübenden
angelastet wurden, und um welche Summen ging es dabei?
Können Wolfsrisse generell aus den Wildschadensregulierungen ausgenom-
men werden?
Wenn ja, wer kann das entscheiden, und welche Kriterien müssten einer sol-
chen Entscheidung zugrunde liegen?

Berlin, den 5. September 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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