BT-Drucksache 18/13189

Ergänzende Informationen zur Asylstatistik für das zweite Quartal 2017 - Schwerpunktfragen zu Widerrufsprüfungen und Verfahrensmängel

Vom 20. Juli 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/13189
18. Wahlperiode 20.07.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Frank Tempel, Sevim Dağdelen, Jan Korte,
Petra Pau, Harald Petzold (Havelland), Dr. Petra Sitte, Kersten Steinke,
Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Ergänzende Informationen zur Asylstatistik für das zweite Quartal 2017 –
Schwerpunktfragen zu Widerrufsprüfungen und Verfahrensmängeln

Im Jahr 2016 gab es vergleichsweise wenige Widerrufsverfahren (2 207), zu
82 Prozent hatte dabei der Schutzstatus Bestand (Bundestagsdrucksache
18/11262). Für die Zukunft ist angesichts der großen Zahl gewährter Schutzstatus
und nach Abbau der Altverfahren im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
(BAMF) mit einer massiven Ausweitung der Widerrufsprüfungen drei Jahre nach
einer Anerkennung zu rechnen. Für die Betroffenen – nicht selten traumatisierte
Flüchtlinge – sind diese Verfahren und die damit verbundene Unsicherheit sehr
belastend.
Infolge der Aufarbeitung des Falls „Franco A.“ hat der Bundesminister des Innern,
Dr. Thomas de Maizière, angekündigt, in 80 000 bis 100 000 Fällen positiver Asy-
lentscheidungen vorzeitige Widerrufsprüfungen vorzunehmen – diese seien ge-
setzlich ohnehin vorgesehen (vgl. www.tagesschau.de/inland/asylentscheidungen-
103.html). Es soll dabei insbesondere um Anerkennungen der letzten zwei Jahre
gehen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele Widerrufsverfahren wurden im zweiten Quartal 2017 bzw. im vor-

herigen Quartal eingeleitet (bitte Gesamtzahlen angeben und nach den ver-
schiedenen Formen der Anerkennung und den 15 wichtigsten Herkunftslän-
dern differenzieren), und wie viele Entscheidungen in Widerrufsverfahren
mit welchem Ergebnis gab es in diesen Zeiträumen (bitte Gesamtzahlen an-
geben und nach den verschiedenen Formen der Anerkennung und den 15
wichtigsten Herkunftsländern differenzieren)?

2. Wie sollen die im Zusammenhang des Falls „Franco A.“ angekündigten vor-
gezogenen Widerrufsprüfungen in ca. 80 000 bis 100 000 Fällen genau ver-
laufen (zeitlich, organisatorisch usw.), welche Fälle werden nach welchen
Kriterien ausgewählt (bitte möglichst genau auflisten), wie viel Personal ist
hierfür vorgesehen, und inwieweit werden diese Widerrufsprüfungen zu Las-
ten anderer dringender Aufgaben im BAMF erfolgen (etwa Abbau von Alt-
verfahren, Verfahrensbeschleunigung, Qualitätsverbesserung, Weiterbil-
dung der Beschäftigten, Rückkehr zur Einheit von Anhörer und Entscheider,
verbesserte Prozessvertretung des BAMF in Gerichtsverfahren; bitte begrün-
den und auf alle genannten Aspekte gesondert eingehen)?

Drucksache 18/13189 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
3. Wie genau sollen die Widerrufsprüfungen in Fällen verlaufen, in denen bis-
lang nur ein schriftliches Anhörungsverfahren durchgeführt wurde, wird es
in all diesen Fällen oder nur in einer Auswahl der Fälle (bitte gegebenenfalls
entsprechende Auswahlkriterien nennen) erneute mündliche Anhörungen ge-
ben, und mit welcher Fallzahl, mit welchem Prüfaufwand und wie vielen zu-
sätzlichen Gerichtsverfahren wird in diesem Zusammenhang gerechnet (bitte
darlegen)?

4. Inwieweit soll in den Widerrufsverfahren auch geprüft werden, ob statt eines
Flüchtlingsstatus nur ein subsidiärer Schutzstatus oder statt eines subsidiären
Schutzstatus nur nationaler Abschiebungsschutz oder statt eines subsidiären
Schutzstatus doch ein Flüchtlingsstatus erteilt werden soll, welche genau
sind die Rechtsgrundlagen und internen Anwendungshinweise hierzu, mit
welchen Fallzahlen, welchem Prüfaufwand und wie vielen zusätzlichen Ge-
richtsverfahren wird in diesem Zusammenhang gerechnet (bitte darlegen)?

5. Inwieweit ist die vom Bundesinnenminister in und nach der Sitzung des
Innenausschusses des Deutschen Bundestages am 31. Mai 2017 gegebene
Begründung, Widerrufsprüfungen seien gesetzlich ohnehin spätestens nach
drei Jahren vorgesehen (www.tagesschau.de/inland/asylentscheidungen-103.
html) stichhaltig, da eine solche Widerrufsprüfung nach spätestens drei Jah-
ren nur für die Anerkennung internationalen Schutzes, nicht aber für den
subsidiären oder Abschiebungsschutz gilt (vgl. § 73 Absatz 2a und die
§§ 73b und 73c AsylG), oder sollen Widerrufsprüfungen nur in Fällen eines
gewährten internationalen Flüchtlingsschutzes erfolgen (bitte darlegen)?

6. Falls auch subsidiäre Schutzstatus im Widerrufsverfahren überprüft werden
sollen, welche Anhaltspunkte für erheblich geänderte Umstände im Sinne
des § 73b Absatz 1 i. V. m. Absatz 2 AsylG gibt es, um entsprechende Ver-
fahren pauschal einzuleiten, insbesondere z. B. in Bezug auf die Länder Sy-
rien, Irak und Afghanistan (bitte im Detail darlegen)?

7. Warum sollen nur positive Entscheidungen überprüft werden, obwohl der
Anlass für die Überprüfung Mängel sein sollen, die durch die Prüfung von
2 000 Verfahren infolge des Falls „Franco A.“ zu Tage getreten sind (www.
tagesschau.de/inland/asylentscheidungen-103.html), die aber (mindestens)
genauso bei negativen Entscheidungen festzustellen sind, etwa „fehlende
bzw. unvollständige Begründung/keine Würdigung der Verfolgungsgründe“,
„vorliegende Unterlagen und Dokumente nicht Bestandteil der Akte oder
nicht gewürdigt“, „kein individueller Text, nur standardisierte Textbau-
steine“ usw. (vgl. den internen Revisionsbericht des BAMF, Ausschuss-
drucksache 18(4)914); bitte begründen)?

8. Inwieweit stimmt die Bundesregierung der Auffassung zu, dass durch die
Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung negativer Asylentscheidungen
nicht alle in dem internen Revisionsbericht des BAMF genannten Verfah-
rensmängel überprüft werden können und dass es auch nicht die vorrangige
Aufgabe der ohnehin überlasteten Gerichte ist, Qualitätsmängel im BAMF
abzustellen und systematische Verfahrensfehler aufzuarbeiten (bitte darle-
gen)?

9. Inwieweit stimmt die Bundesregierung dem Gesamtfazit des internen Revi-
sionsberichts des BAMF (Ausschussdrucksache 18(4)914, S. 6f) zu, wonach
„als Ursache für eine verbesserungswürdige Arbeitsweise die verkürzte
Schulung des Personals und der hohe Erledigungsdruck identifiziert werden
konnten“ und „die Trennung von Anhörung und Entscheidung … überdacht
werden (sollte)“, und wenn nein, warum nicht, und welche Konsequenzen
wurden aus diesem Fazit der internen Revision gezogen, insbesondere was
die verkürzte Schulung des Personals und den hohen Erledigungsdruck und
die Trennung von Anhörung und Entscheidung anbelangt (bitte darlegen)?

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10. Wie ist die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Frak-

tion DIE LINKE. „Mögliche Verfahrensmängel im Asylverfahren infolge in-
terner Erledigungsvorgaben“ (Bundestagsdrucksache 18/11964, Antworten
zu den Fragen 18 und 19) „Für das BAMF hat die Qualität der Asylverfahren
hohe Priorität“ und „Es werden keine Abstriche bei der Qualitätssicherung
im Zusammenhang mit der Abarbeitung anhängiger Asylverfahren gemacht“
vereinbar mit der Erklärung des ehemaligen Leiters des BAMF, Frank-Jür-
gen Weise, in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 19. Mai 2017, es sei von
Anfang an klar gewesen, dass die schnellen Neueinstellungen und kurzen
Schulungen von Mitarbeitern „auf Kosten der Qualität gehen müssen“, damit
sei auch das Risiko von Fehlentscheidungen gestiegen, die Alternative wären
verzögerte Asylverfahren gewesen (bitte nachvollziehbar darlegen)?

11. Was genau werden die Maßnahmen zur „Qualitätssicherung“ beinhalten, von
denen in der Pressemitteilung des Bundesministeriums des Innern vom
7. Juli 2017 zur Zahl der Asylsuchenden im ersten Halbjahr 2017 die Rede
ist (bitte auflisten)?

12. Wie reagiert die Bundeskanzlerin auf Forderungen besorgter Bürger, wonach
eine Überprüfung der Ablehnungen von afghanischen Asylsuchenden, die
spätestens die seit Abschluss des Abschiebeabkommens mit Afghanistan er-
folgt sind, gefordert wird, weil diese häufig auf angeblich unfairen Prüfun-
gen, unzureichenden und oberflächlichen Verfahren bzw. Bescheiden, auf
der unzulässigen Unterstellung von (nicht vorhandenen) Widersprüchen, auf
der pauschalen Unterstellung von angeblich „sicheren“ Gebieten usw. beruh-
ten und diese Ablehnungen nicht nur für die Betroffenen fatal seien, sondern
auch die in der Flüchtlingshilfe engagierten Bürgerinnen und Bürger in ihrem
Glauben an den Rechtsstaat erschüttern würden, inwieweit wird es solche
Überprüfungen geben, und welche Bedeutung bemisst die Bundesregierung
diesen Einschätzungen und Reaktionen besorgter Bürgerinnen und Bürger
bei (bitte ausführen)?

13. Inwieweit werden negative Asylentscheidungen gegenüber afghanischen
Asylsuchenden jedenfalls dann von Amts wegen überprüft werden, wenn
eine aktualisierte Lageeinschätzung eine verschärfte Sicherheitslage oder
eine andere Auffassung zur Frage interner Fluchtalternativen erbringt (bitte
begründen)?

14. Welche Auffassung vertritt die Bundesregierung heute im Hinblick auf ihre
damalige Einschätzung, die Türkei solle ihrer Auffassung nach als „sicherer
Herkunftsstaat“ eingestuft werden, an der sie auch ausdrücklich entgegen ei-
ner anders lautenden öffentlichen Einschätzung von Kanzleramtsminister
Peter Altmaier festhielt (vgl. Bundestagsdrucksache 18/9128, Antwort der
Bundesregierung zu Frage 14, S. 10), und welche Lehren zieht sie aus dieser
Entwicklung in der Türkei und ihre diesbezüglich falsche Sicherheitsvermu-
tung für künftige Fälle einer geplanten Einstufung von Staaten als (angeb-
lich) sichere Herkunftsstaaten – zumal auch die aktuellen bereinigten
Schutzquoten in Bezug auf die Länder Marokko, Tunesien und Algerien mit
8,9, 8,4 und 3,9 Prozent (Bundestagsdrucksache 18/12623, Antwort der Bun-
desregierung zu Frage 1b) aus Sicht der Fragestellerinnen und Fragesteller
nicht gerade dafür sprechen, dass diese Länder tatsächlich als „sicher“ ein-
gestuft werden können (bitte begründet ausführen)?

Berlin, den 19. Juli 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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