BT-Drucksache 18/13128

Erkenntnisse zum Angriff auf islamistische Dschihadisten in der syrischen Stadt Chan Scheichun

Vom 11. Juli 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/13128
18. Wahlperiode 11.07.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Annette Groth, Heike Hänsel, Andrej Hunko,
Niema Movassat, Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Erkenntnisse zum Angriff auf islamistische Dschihadisten in der syrischen Stadt
Chan Scheichun

Am 16. März 2017 schrieb Nils Zeizinger, seit 2012 Kommunikationsberater
sowie freier Autor für Wirtschafts- und Finanzthemen, im „FOCUS“ unter dem
Titel „Die Manipulation der öffentlichen Meinung im Krieg“ in einem Gast-
kommentar, dass ein Blick auf die vergangenen 70 Jahre zeigt, dass die „verant-
wortlichen Regierungen waren und sind sehr erfinderisch, wenn es darum geht,
diese Kriege zu rechtfertigen.“ Beispielhaft führt er unter anderem Vietnam, den
Kosovo und den Irak an (www.focus.de/politik/experten/wenn-worte-waffen-
werden-die-manipulation-der-oeffentlichen-meinung-im-krieg_id_6799641.html).
Das „Massaker von Racak“ zeigt, „welche Macht den Worten zukommt, wenn es
darum geht, einen illegalen Krieg – wie den Angriff ohne UNO-Mandat auf Ju-
goslawien – zu rechtfertigen“. Es war die „Kriegspropaganda“ vom „Massaker
von Racak“, „welches 1999 den Kosovokrieg auslöste. Offiziell wurden 45 unbe-
waffnete albanische Zivilisten im Dorf Racak von serbischen Soldaten hingerich-
tet. Diese „ethnischen Säuberungen“ wurden von westlichen Politikern benutzt,
um die kritische europäische Öffentlichkeit von der Notwendigkeit eines NATO-
Einsatzes in Jugoslawien zu überzeugen. Erst nach dem Krieg wurden die Opfer
von der finnischen Pathologin Helen Ranta untersucht und als UCK-Kämpfer,
d. h. Mitglieder der albanischen Befreiungsarmee für den Kosovo, identifiziert“
(www.focus.de/politik/experten/wenn-worte-waffen-werden-die-manipulation-
der-oeffentlichen-meinung-im-krieg_id_6799641.html).
Der wohl bekannteste illegale Krieg der jüngeren Vergangenheit sei nach Nils
Zeizinger der Angriff der USA und Großbritanniens auf den Irak im Jahr 2003
gewesen. „Um den Krieg moralisch zu rechtfertigen, wurde die Weltöffentlich-
keit von US-Präsident George Bush und Premier Tony Blair mit drei Lügen ge-
zielt getäuscht. Erstens wurden Saddam Hussein Verbindungen zu den Anschlä-
gen vom 11. September unterstellt – was nachweislich falsch war. Zweitens
wurde dem irakischen Diktator vorgeworfen, er wolle eine Atombombe bauen –
was ebenfalls nie bewiesen werden konnte. Drittens wurde behauptet, der Irak
besitze chemische und biologische Waffen – auch das war eine Lüge […] Der
damalige US-Außenminister Colin Powell räumte 2005 selbst ein, dass er die
ganze Welt angelogen habe ob der vermeintlichen Beweise für ABC-Waffen […]
Bush und Blair gaben im Nachhinein an, von den Geheimdiensten falsch infor-
miert worden zu sein“ (www.focus.de/politik/experten/wenn-worte-waffen-werden-
die-manipulation-der-oeffentlichen-meinung-im-krieg_id_6799641.html). Doch
möglicherweise könnten sie sich auch nach Auffassung der Fragesteller über Ge-
heimdienstinformationen und -analysen hinweggesetzt haben.

Drucksache 18/13128 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

„Anfang April gingen Bilder um die Welt, die einen Giftgasangriff von Baschar
al-Assad auf Zivilisten belegen sollten. Der US-Präsident ließ als Vergeltung ei-
nen syrischen Militärflughafen bombardieren und wurde für seine Entschlossen-
heit gelobt. Doch eine Recherche des US-Reporters Seymour M. Hersh zeigt nun,
dass er sich über massive Bedenken seiner Geheimdienste hinwegsetzte, die
große Zweifel am Einsatz von Sarin durch Assads Luftwaffe hatten“ (www.
welt.de/politik/ausland/article165904082/Vergeltungsschlag-in-Syrien-Trumps-
rote-Linie.html). Die USA nutzten den mutmaßlichen Giftgasangriff als Vorwand
für den US-Luftangriff auf die syrische Armee. Aktuell beobachten die USA
angeblich Aktivitäten, die den Vorbereitungen glichen, „die das Regime vor sei-
nem Chemiewaffenangriff am 4. April 2017 getroffen hat“ (www.zeit.de/politik/
ausland/2017-06/syrien-usa-giftgasangriff-vorbereitung-baschar-al-assad).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnisse (auch nachrichtendienstli-

che), ob die islamistische Terrorgruppe Ha'yat al-Tahrir al-Sham, deren
größte Mitgliedsgruppe Dschabhat Fatah asch-Scham – die ehemalige al-
Nusra-Front – ist, den Ort Chan Scheichun und die Umgebung zum Zeit-
punkt des Angriffs am 4. April 2017 beherrscht hat?

2. Inwieweit kann die Bundesregierung ausschließen, dass die syrische Luft-
waffe am 4. April 2017 ein regionales Hauptquartier der Dschihadisten in
Chan Scheichun ins Visier genommen hatte (www.welt.de/politik/ausland/
article165904082/Vergeltungsschlag-in-Syrien-Trumps-rote-Linie.html)?

3. Inwieweit kann die Bundesregierung ausschließen, dass das russische Militär
der syrischen Luftwaffe für den Angriff am 4. April 2017 eine spezielle
Bombe zur Verfügung gestellt, eine „guided bomb“, eine gelenkte Bombe,
die mit konventionellem Sprengstoff bestückt war (www.welt.de/politik/
ausland/article165904082/Vergeltungsschlag-in-Syrien-Trumps-rote-Linie.
html)?

4. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnisse (auch nachrichtendienstli-
che), dass die russischen Dienste die in Doha stationierten US-Militärs über
einen bevorstehenden Angriff auf das Ziel informiert hatten (www.welt.de/
politik/ausland/article165904082/Vergeltungsschlag-in-Syrien-Trumps-rote-
Linie.html)?

5. Inwieweit kann die Bundesregierung ausschließen, dass der Keller des Hau-
ses, das als regionales Hauptquartier der Dschihadisten in Chan Scheichun
identifiziert wurde, als Lager für Raketen, Waffen und Munition sowie für
Produkte, die kostenlos an die Bevölkerung verteilt werden sollten, darunter
Medikamente und Mittel auf Chlorbasis zur Reinigung Toter vor deren Be-
erdigung, diente (www.welt.de/politik/ausland/article165904082/Vergeltungs
schlag-in-Syrien-Trumps-rote-Linie.html)?

6. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnisse (auch nachrichtendienstliche)
über einen Befund des US-Militärs, einem sogenannten Battle Damage As-
sessment (BDA), wonach die beim Angriff verwendete 500-Pfund-Bombe
durch ihre Druck- und Hitzewelle weitere, kleinere Explosionen auslöste,
wobei eine gewaltige giftige Wolke aus freigesetzten Düngemitteln, Desin-
fektionsmitteln und anderen Stoffen entstanden sein soll, die sich über der
Stadt ausbreitete (www.welt.de/politik/ausland/article165904082/Vergeltungs
schlag-in-Syrien-Trumps-rote-Linie.html)?

7. Inwieweit kann die Bundesregierung ausschließen, dass infolge des Angriffs
mehr als eine Chemikalie durch die Explosionen freigesetzt wurde, unter an-
derem Chlorgas und Organophosphate, wie sie in Düngemitteln vorkommen
(www.welt.de/politik/ausland/article165904082/Vergeltungsschlag-in-Syrien-
Trumps-rote-Linie.html)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/13128
8. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnisse (auch nachrichtendienstliche),
dass die durch die beim Angriff ausgelösten Explosionen freigesetzten Che-
mikalien, unter anderem Chlorgas und Organophosphate, wie sie in Dünge-
mitteln vorkommen, ähnliche neurotoxische Symptome verursachen können
wie Sarin (www.welt.de/politik/ausland/article165904082/Vergeltungsschlag-
in-Syrien-Trumps-rote-Linie.html)?

9. Von wem genau (Personen, Organisationen o. Ä.) wurden nach Kenntnis der
Bundesregierung (auch nachrichtendienstlicher) die Proben von zehn Opfern
des Angriffs – drei Todesopfern und sieben Betroffenen, die in Krankenhäu-
ser eingeliefert wurden – in welche vier verschiedenen Labors verbracht
(www.tagesschau.de/ausland/syrien-giftgas-opcw-101.html)?

10. In welche Krankenhäuser sind nach Kenntnis der Bundesregierung (auch
nachrichtendienstlicher) die drei Todesopfer und sieben Betroffenen des An-
griffs von Chan Scheichun verbracht worden, und unter der Kontrolle wel-
cher islamistischen Milizen stehen die Gebiete, in denen sich diese Kranken-
häuser befinden?

11. Von wem genau (Personen, Organisationen o. Ä.) wurden nach Kenntnis der
Bundesregierung (auch nachrichtendienstlicher) wie viele Opfer des An-
griffs von Chan Scheichun zur medizinischen Versorgung von Syrien in
Kliniken der Türkei verbracht, und bei wie vielen wurde nach der Obduktion
der Einsatz von Giftgas als erwiesen erklärt (www.tagesschau.de/ausland/
syrien-giftgas-opcw-101.html)?

12. Mit welchen nachrichtendienstlichen Mitteln will sich der Bundesnachrich-
tendienst (BND) Bodenproben aus Chan Scheichun nach dem Angriff vom
4. April 2017 besorgt und diese auf die enthaltenen chemischen Substanzen
untersucht haben, mittels derer aufgrund von Vergleichswerten und in Ver-
bindung mit weiteren Faktoren der BND zu dem Ergebnis gekommen sei,
dass das syrische Regime für den Giftgasangriff verantwortlich sein müsse
(www.tagesschau.de/ausland/syrien-giftgas-opcw-101.html)?

13. Über welche konkreten (auch nachrichtendienstlichen), über die in ihrer Ant-
wort auf die Mündliche Frage 10 auf Bundestagsdrucksache 18/12020 hin-
ausgehenden Beweise verfügt die Bundesregierung inzwischen, dass die sy-
rische Armee für den mutmaßlichen Giftgaseinsatz in Chan Scheichun ver-
antwortlich ist?

14. Inwieweit verfügt die Bundesregierung zum gegenwärtigen Zeitpunkt nach
wie vor noch über keine endgültigen Beweise zur Urheberschaft des Che-
miewaffeneinsatzes in Chan Scheichun, bzw. inwieweit deuten aus Sicht der
Bundesregierung nach wie vor lediglich „alle Indizien mit hoher Plausibili-
tät“ darauf hin, dass die syrische Armee Sarin in Chan Scheichun eingesetzt
hat (Plenarprotokoll 18/230, Frage 10)?

Berlin, den 30. Juni 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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