BT-Drucksache 18/12948

Emissionsfreier Mobilität zum Durchbruch verhelfen - Mit sauberen Autos Wettbewerbsstärke, Wertschöpfung und Arbeitsplätze in der Automobilwirtschaft erhalten

Vom 28. Juni 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12948
18. Wahlperiode 28.06.2017
Antrag
der Abgeordneten Cem Özdemir, Dr. Anton Hofreiter, Oliver Krischer,
Stephan Kühn (Dresden), Kerstin Andreae, Dieter Janecek, Dr. Thomas
Gambke, Matthias Gastel, Markus Tressel, Dr. Valerie Wilms, Annalena
Baerbock, Harald Ebner, Bärbel Höhn, Sylvia Kotting-Uhl, Christian
Kühn (Tübingen), Steffi Lemke, Nicole Maisch, Peter Meiwald, Friedrich
Ostendorff, Corinna Rüffer, Dr. Julia Verlinden und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Emissionsfreier Mobilität zum Durchbruch verhelfen – Mit sauberen Autos
Wettbewerbsstärke, Wertschöpfung und Arbeitsplätze in der Automobilwirt-
schaft erhalten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Deutschland hat große Innovationen für die Mobilität hervorgebracht, etwa mit der
Erfindung des Fahrrads, der Elektrolokomotive oder der Entwicklung des Automobils.
Die Bundesrepublik Deutschland verfügt über eines der dichtesten Schienennetze und
in vielen Regionen über gute Nahverkehrsangebote. Spitzenprodukte, die im Bereich
der deutschen Automobil-, Bahn- und Luftfahrtindustrie entstehen, setzen weltweite
Standards. Unser Wohlstand hängt davon ab, dass wir weiterhin die besten Mobilitäts-
lösungen und -technologien hervorbringen. Deutschland muss das Land sein, das auch
für das 21. Jahrhundert die Mobilität erfindet.
Unsere alltägliche Mobilität verändert sich. Damit verändern sich auch die Ansprüche
an das Auto, an die Automobilwirtschaft und an die Politik: Das Auto von morgen
fährt mit erneuerbarer Energie, leise, sicher und schadstofffrei – unabhängig von Ben-
zin oder Diesel. Es ist vernetzt, zunehmend selbstfahrend und kombinierbarer Teil der
Reisekette. Aber nicht nur die sogenannte Hardware, also das Auto, wird sich tech-
nisch erheblich verändern. Das Auto wird öfter geteilt und dadurch effizienter genutzt.
Individuelle Mobilität wird zunehmend als Kombination verschiedener Mobilitätsan-
gebote realisiert werden.
Als Leitplanken für das Verkehrsgeschehen geben Lebensqualität sowie Klima-, Um-
welt- und Gesundheitsschutz die Richtung vor und lösen ein veraltetes Denken ab, das
die Grenzen unseres Planeten ignoriert. Mit Verkehrsmitteln, in denen sich die Welt
immer weiter in Megastaus, Dauersmog und Klimakrise manövriert, kommen wir
nicht weiter. Der volkswirtschaftliche Schaden ist zu hoch. Es ist Zeit für eine Ver-
kehrswende, die die Dominanz fossil betriebener Fahrzeuge auf unseren Straßen be-
endet und den Ressourcen- und Flächenbedarf des Verkehrs verringert.

Drucksache 18/12948 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Um eine lebenswerte Welt für alle zu bewahren, hat sich die Weltgemeinschaft im
Pariser Klimaschutzabkommen darauf verpflichtet, die Erderwärmung auf unter 2
Grad zu begrenzen. Für Deutschland heißt das, dass der Verkehrssektor bis 2050 na-
hezu klimaneutral unterwegs sein muss.
Die Automobilwirtschaft in Deutschland ist eine stark exportorientierte Branche. Mit
jährlichen Exportquoten von rund 75 Prozent betrifft sie internationale Veränderungen
unmittelbar. Autos aus deutscher Produktion werden Mobilitätsgarant und Export-
schlager bleiben, wenn sie mit klimafreundlichen Antrieben und auf Basis erneuerba-
rer Energien fahren.
Um ihre Wettbewerbsstärke zu sichern, muss die deutsche Automobilwirtschaft bei
der Energie- und Antriebswende sowie rund um die Megatrends Digitalisierung, Sha-
ring Economy und automatisiertes Fahren eine Führungsposition erlangen. Hier liegen
Potentiale für neue Geschäftsfelder, Innovationen und zusätzliche Wertschöpfung.
Vorn bleiben die Unternehmen, die diese Trends zu Erfolgsmodellen machen und mo-
derne Mobilitätsprodukte und -dienstleistungen anbieten. Aufgabe der Politik ist es,
einen klaren und verlässlichen Ordnungs- und Investitionsrahmen vorzugeben, der
diese Entwicklungen unterstützt, Experimentierräume schafft und den Marktzugang
auch für neue Player, die etablierte tarifliche Standards und Arbeitsbedingungen be-
achten, eröffnet.
Die Märkte stellen bereits auf moderne Mobilität um. China wird als größter Absatz-
markt der Welt eine Quote für Elektroautos einführen. Schon im vergangenen Jahr
wurden in China rund eine halbe Million E-Autos verkauft, jedes zweite E-Auto welt-
weit wird zurzeit in China zugelassen. In zahlreichen Ländern wird der Ausbau der
Elektromobilität gezielt vorangetrieben und insbesondere in Städten wird an modernen
Mobilitätskonzepten gearbeitet. In den USA hat ein Autohersteller, der ausschließlich
in batterieelektrische Antriebe investiert, zwischenzeitlich eine höhere Marktkapitali-
sierung erreicht als die traditionellen US-Autobauer, obwohl noch keine Gewinne ein-
gefahren werden.
Aus Gründen des Klimaschutzes hängt am fossilen Verbrennungsmotor und an Autos
mit hohen Kraftstoffverbräuchen ein Verfallsdatum. Die deutsche Automobilindustrie
hat sich in den vergangenen Jahrzehnten in eine einseitige Abhängigkeit von fossilen
Verbrennungsmotoren und insbesondere der Dieseltechnologie gewirtschaftet. Der
Abgasskandal um manipulierte Abgastests offenbart, dass Autohersteller einen immer
höheren technischen und finanziellen Aufwand betreiben müssten, um Abgase von
giftigen Schadstoffen zu reinigen.
Die Bundesregierung trägt für die Abhängigkeit vom fossilen Verbrennungsmotor eine
große Verantwortung. Sie versäumt seit Jahren, die notwendigen Voraussetzungen für
emissionsfreie Mobilität zu schaffen. Weil die Bundesregierung weiterhin verbrauchs-
starke und hochmotorisierte Fahrzeuge auf dem deutschen Automobilmarkt subventi-
oniert, verfehlt sie ihr eigenes Ziel, bis 2020 eine Million Elektrofahrzeuge auf die
Straße zu bringen. Die Europäische Kommission hat eine Strategie für emissionsfreie
Mobilität vorgelegt, und der Bundesrat hat sich dafür ausgesprochen, ab dem Jahr 2030
nur noch emissionsfreie PKW neu zuzulassen.
Bei den Beschäftigten in der Automobil- und Zulieferwirtschaft wächst die Sorge um
die Zukunftsfähigkeit des Produktionsstandorts Deutschland. Um Arbeitsplätze lang-
fristig zu erhalten und neue zu schaffen, fordert etwa die IG Metall, statt der bisherigen
Abwehrhaltung eine neue Offensivstrategie gegenüber umweltpolitischer Regulierung
einzunehmen. In der Tat hat die Automobilwirtschaft in der Vergangenheit immer wie-
der durch ihre hohe Innovationskraft bewiesen, dass Deutschland zum Schaufenster
der besten Umwelt- und Effizienztechnologien werden kann.
Die ökologische Modernisierung des Verkehrssektors ist eine große Chance. Jetzt
braucht es eine industriepolitische Strategie für Deutschland, um sie zu einem Erfolg

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/12948
für Unternehmen und Beschäftigte, für Verbraucherinnen und Verbraucher, für Klima
und Umwelt zu machen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. eine verkehrspolitische Strategie für Deutschland vorzulegen, mit der sicherge-
stellt wird, dass der Verkehrssektor seine Treibhausgasemissionen bis zum Jahr
2030 um 40 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 verringert und bis zum Jahr 2050
treibhausgasneutral wird; dafür wird es nötig sein, ab 2030 ausschließlich Autos
mit abgasfreiem Antrieb neu zuzulassen. Bis dahin sind die notwendigen steuer-
lichen, fiskalischen und infrastrukturellen Voraussetzungen zu schaffen. Für die-
jenigen, die dann noch ein Diesel- oder Benzinfahrzeug besitzen soll sich dadurch
nichts ändern;

2. sich auf europäischer Ebene für die Fortentwicklung wirksamer und ambitionier-
ter Verbrauchs- und CO2-Flottengrenzwerte für das Jahr 2025, die Einführung
von Verbrauchstests im Realbetrieb und die Besteuerung von Kraftstoffen nach
ihrem CO2-Gehalt einzusetzen;

3. alle Subventionen für klimaschädliche Kraftstoffe im Verkehrssektor auf den
Prüfstand zu stellen und ein Szenario für ihren schrittweisen Abbau vorzulegen;

4. die Besteuerung von Dienstwagen in Deutschland an den CO2-Ausstoß zu kop-
peln;

5. den Kommunen mit der Einführung einer blauen Plakette eine bundesweit ein-
heitliche Möglichkeit zu geben, den Straßenverkehr zum Schutz der Gesundheit
ihrer Bürgerinnen und Bürger zu regulieren. Fahrzeuge, die die Schadstoffgrenz-
werte für die blaue Plakette einhalten, haben weiterhin freie Fahrt in innerstädti-
schen Bereichen. Der Bund muss sich schnellstmöglich für eine Nachrüstung
schmutziger Dieselfahrzeuge einsetzen und die Voraussetzungen und Rahmenbe-
dingungen für die technische Nachrüstung schaffen;

6. die Kaufprämie für Elektroautos in ein Bonus-Malus-System in der Kraftfahr-
zeugsteuer zu überführen, um einen starken Anreiz für den Kauf emissionsarmer
Pkw zu setzen;

7. für Flotten- und Fuhrparkbetreiber darauf hinzuwirken, dass die Beschaffungsbe-
dingungen für E-Autos verbessert werden, um höhere Stückzahlen in den Markt
zu bringen und eine Beschaffungsoffensive für Elektrofahrzeuge in öffentlichen
Fuhrparks (z. B. Müll- und Kehrfahrzeuge) aufzulegen, damit die öffentliche
Hand schnellstmöglich vorangeht und seine Beschaffung auf moderne Elektro-
mobilität umstellt;

8. Experimentierräume für neue Mobilität deutlich auszubauen, in denen Ride-Sel-
ling-Modelle und nachfragegesteuerter öffentlicher Verkehr im Wettbewerb un-
terschiedlicher Akteure ermöglicht werden. Dabei sind die Regelungen des Per-
sonenbeförderungsgesetzes einer kritischen Bestandsprüfung unter Wahrung von
Sozial- und Arbeitsstandards zu unterziehen;

9. die Chancen der neuen Mobilitätsmärkte für Gründungen, Start-ups und innova-
tive KMU zu eröffnen, indem ein einfach zugängliches Gründerkapital und un-
bürokratischere Regeln für Gründer und junge Unternehmen eingeführt, der Zu-
gang zu Wagniskapital verbessert und ein steuerlicher Forschungsbonus einge-
führt wird;

10. das Bundesprogramm für die Errichtung von Ladeinfrastruktur auszuweiten,
klare Regelungen für diskriminierungsfreies und anbieterübergreifendes Laden
an allen öffentlichen Ladesäulen einzuführen und das Wohneigentums- und Miet-
recht zu ändern, sodass E-Auto-Fahrer die Installation von Lademöglichkeiten in
Tiefgaragen und in Mehrfamilienhäusern leichter durchsetzen können;

Drucksache 18/12948 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
11. gemeinsam mit der Automobil- und Zulieferindustrie einen „Zukunftspakt Batte-

riezellentechnologie“ zu verabreden, um diese für die automobile Wertschöpfung
zentrale Kompetenz am Industriestandort Deutschland aufzubauen und langfris-
tig zu sichern;

12. gemeinsam mit den Sozialpartnern in der Automobilindustrie einen Zukunftspakt
„Fit für die E-Zukunft“ zu vereinbaren, der auch gute Entlohnungs- und Arbeits-
bedingungen umfasst, um die Beschäftigten in der Automobilindustrie beim
Wandel hin zu einer emissionsfreien, vernetzten und digitalen Mobilität mitzu-
nehmen.

Berlin, den 27. Juni 2017

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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