BT-Drucksache 18/12917

Sicherheitsrelevante Erkenntnisse zur türkischen Band Grup Yorum

Vom 23. Juni 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12917
18. Wahlperiode 23.06.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Christine Buchholz, Dr. Diether Dehm,
Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger, Andrej Hunko, Niema Movassat,
Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Sicherheitsrelevante Erkenntnisse zur türkischen Band Grup Yorum

Die 1985 gegründete Band Grup Yorum ist die wohl populärste linksgerichtete
Musikgruppe der Türkei. So feierte die Band, die mehr als 20 Alben mit explizit
politischen Liedern veröffentlicht hat, ihr 25-jähriges Jubiläum 2010 im Istanbu-
ler Inönü-Stadion vor 50 000 Gästen in Begleitung des Istanbuler Sinfonieorches-
ters. Zu sogenannten Volkskonzerten mit freiem Eintritt, die mehrere Jahre lang
in Istanbul stattfanden, kamen nach verschiedenen Medienberichten über eine
Million Besucher. Die Gruppe ist in der Türkei aufgrund ihrer politischen Aus-
richtung seit ihrer Gründung politischer Verfolgung ausgesetzt. Dutzende Kon-
zerte wurden verboten, gegen die über 40 Musikerinnen und Musiker, die die
Band durchlaufen haben, wurden knapp 500 Verfahren eröffnet, alle Mitglieder
wurden mehrmals festgenommen oder inhaftiert. Dabei waren sie auch Folterun-
gen ausgesetzt. Die türkischen Behörden beschuldigen Grup Yorum, der illegalen
linksradikalen DHKP-C anzugehören, die als terroristische Vereinigung verfolgt
wird. „Wir sind marxistisch-leninistische Musiker“, erklärte einer der Musiker zu
diesem Vorwurf. „Aber diese Organisation kämpft bewaffnet, wir machen Musik –
das ist der Unterschied“ (www.welt.de/kultur/pop/article143151517/Wo-hoert-
die-Musik-auf-wo-faengt-die-Propaganda-an.html; www.hurriyetdailynews.com/
alleged-police-torture-against-music-group.aspx?pageID=238&nID=30468&
NewsCatID=339&fb_source=message).
Zuletzt wurde am 30. Mai 2017 eine Razzia gegen das von Grup Yorum genutzte
Idil-Kulturzentrum in Istanbul durchgeführt. Dabei wurden sieben Band-Mitglie-
der festgenommen und einige von ihnen sichtbar von der Polizei gefoltert (www.
cumhuriyet.com.tr/haber/siyaset/756462/Mehter_Marsi_yla_kadina_iskence.html).
Seit 2012 findet alljährlich in Deutschland ein „Fest gegen Rassismus“ mit Grup
Yorum statt, zu dem bis zu 15 000 Besucher kamen. Anlässlich des im November
2015 in Oberhausen veranstalteten Konzerts „Herz und Stimmen gegen den Ras-
sismus“ warnte der Verfassungsschutz laut einer den Fragestellern vorliegenden
Mail der Konzertveranstalter, es gäbe Hinweise auf ein Selbstmordattentat. Diese
Behauptung erwies sich zwar als haltlos, doch mehreren Grup-Yorum-Mitglie-
dern wurde anlässlich dieses Konzerts das Einreisevisum nach Deutschland ver-
weigert. Als Begründung hieß es, elf Grup-Yorum-Musiker seien im Schengener
Informationssystem (SIS) eingetragen – auf Antrag Deutschlands (www.hinter-
grund.de/politik/inland/schikane-razzien-einreiseverbote/).
Mehreren Aktivisten der Anatolischen Föderation, die unter dem Vorwurf der
Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland (§129b des Straf-
gesetzbuchs) zu Haftstrafen verurteilt worden waren, wurde insbesondere die Or-
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ganisierung eines Grup-Yorum-Konzertes 2014 in Deutschland als Beleg einer
vermeintlichen DHKP-C-Kadertätigkeit angekreidet (https://rotehilfeogkiel.
gaarden.net/hohe-haftstrafen-im-stuttgarter-129b-prozess/).
Anlässlich eines für den 17. Juni 2017 in Fulda geplanten „Festes der Völker und
gegen Rassismus“ erteilte die Stadtverwaltung Grup Yorum ein Auftrittsverbot.
Nach Angaben der Veranstalter geht das Auftrittsverbot auf ein Rundschreiben
des Bundesministeriums des Innern zurück. Darin heißt es demnach, dass die
Auftritte von Grup Yorum verhindert werden müssten, weil die Konzert-Einnah-
men zur Finanzierung des bewaffneten Kampfes in der Türkei dienen. Demge-
genüber weisen die Veranstalter daraufhin, dass die Eintrittspreise so niedrig
gehalten werden, dass die Veranstaltung familienfreundlich ist. „Das Budget, mit
dem tausende Menschen aus allen Ecken Europas mit kostenlosen Bussen zum
Konzert fahren, reicht manchmal nicht aus, um die Kosten zu decken“ (www.
jungewelt.de/artikel/312457.grup-yorum-in-fulda-verboten.html).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Geschichte und politi-

sche Ausrichtung von Grup Yorum sowie über die Stellung der Band im Kul-
turbetrieb der Türkei und ihre Resonanz in der Öffentlichkeit?

2. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Anklagen, Festnahmen,
Inhaftierungen, Verurteilungen, Misshandlungen und Folterungen von Grup-
Yorum-Mitgliedern in der Türkei?

3. Inwieweit kann Grup Yorum nach Kenntnis der Bundesregierung in der Tür-
kei öffentlich auftreten?
a) Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung Auftrittsverbote gegen Grup

Yorum in der Türkei?
Wenn ja, wann, wo, und mit welcher Begründung wurden Grup Yorum
Konzerte verboten?

b) Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über kostenlose Volkskon-
zerte mit hunderttausenden Besucherinnen und Besuchern, die von Grup
Yorum mehrfach in Istanbul veranstaltet wurden?
Wann und unter welchen Umständen wurden diese Konzerte nach Kennt-
nis der Bundesregierung von Behördenseite genehmigt, und inwieweit
gab es in den vergangenen Jahren Verbote?

4. Sind die Tonträger von Grup Yorum nach Kenntnis der Bundesregierung in
der Türkei freiverkäuflich und auch im normalen Musikfachhandel erhält-
lich?
Inwieweit unterliegt der Verkauf von Grup-Yorum-Tonträgern nach Kennt-
nis der Bundesregierung in der Türkei Restriktionen?

5. Inwieweit, wann, und mit welchem Inhalt waren Auftritte von Grup Yorum
Thema von bilateralen Gesprächen deutscher und türkischer Behörden oder
Regierungsstellen?

6. Wurde jemals von Seiten der türkischen Regierung oder türkischer Behörden
in offizieller oder inoffizieller Form die Bitte an die Bundesregierung gerich-
tet, öffentliche Auftritte von Grup Yorum in Deutschland zu unterbinden?
Wenn ja, wann, und in welchem Zusammenhang, und durch welche türki-
schen Regierungsstellen oder Behörden?

7. Sind Grup Yorum oder einzelner ihrer Mitglieder in einer der von Vertretern
des türkischen Staates an deutsche Behörden überreichten Listen genannt?

Fall ja, in welchem Zusammenhang?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/12917
8. Inwieweit sind der Bundesregierung Liedtexte von Grup Yorum bekannt, die
einen volksverhetzenden, rassistischen, kriegstreiberischen oder sonstigen
gegen ein friedliches Zusammenleben der Völker gerichteten Inhalt haben,
und inwieweit sieht die Bundesregierung von solchen Texten eine Gefahr für
die Öffentlichkeit ausgehen?

9. Inwieweit sind der Bundesregierung Liedtexte von Grup Yorum bekannt, die
sich für ein friedliches Zusammenleben der Völker, Frieden, soziale Gerech-
tigkeit, Sozialismus und Demokratie einsetzen, und inwieweit sieht die Bun-
desregierung von solchen Texten eine Gefahr für die Öffentlichkeit ausge-
hen?

10. Inwieweit sind der Bundesregierung Äußerungen Mitgliedern von Grup Yo-
rum bekannt, die einen volksverhetzenden, rassistischen, kriegstreiberischen
oder sonstigen gegen ein friedliches Zusammenleben der Völker gerichteten
Inhalt haben?

11. Wie viele und welche Auftritte von Grup Yorum seit 2012 in der Bundesre-
publik Deutschland sind der Bundesregierung bekannt (bitte Veranstalter
bzw. Einlader, Titel der Veranstaltung oder Rahmen des Konzerts sowie Zu-
hörerzahl angeben)?

12. Kam es im Zusammenhang mit Auftritten von Grup Yorum in der Bundes-
republik Deutschland nach Kenntnis der Bundesregierung zu einschlägigen
politisch motivierten Straftaten von Seiten der Band oder der Besucherinnen
und Besucher?

Wenn ja, welcher Art waren diese Straftaten?
13. Kam es im Zusammenhang mit Auftritten von Grup Yorum in der Bundes-

republik Deutschland nach Kenntnis der Bundesregierung jemals zu einer
wie auch immer gearteten Gefährdung der Konzertbesucherinnen und Kon-
zertbesucher oder der öffentlichen Sicherheit?

Wenn ja, wann, wo, und in welcher Form?
14. Inwieweit bestehen nach Kenntnis der Bundesregierung Einreiseverbote ge-

gen Musikerinnen und Musiker von Grup Yorum in den Schengenraum?
a) Welche entsprechenden Eintragungen im Schengener Informationssys-

tem (SIS) gegen wie viele Musikerinnen und Musiker von Grup Yorum
liegen vor?

b) Auf welche Mitgliedstaaten gehen die entsprechenden Eintragungen im
SIS zurück?

15. Inwieweit kann die Bundesregierung die Existenz eines Rundschreibens des
Bundesministeriums des Innern bezüglich Grup Yorum bestätigen, wonach
Auftritte der Gruppe verhindert werden sollten, weil Konzerteinnahmen zur
Finanzierung des bewaffneten Kampfes in der Türkei dienten?
a) Von wann datiert dieses Rundschreiben?
b) Wer bzw. welche Behörde oder Abteilung ist für das Rundschreiben ver-

antwortlich?
c) An wen im Einzelnen richtete sich das Rundschreiben?
d) Welchen genauen Inhalt hat dieses Rundschreiben?
e) Inwieweit ist der Inhalt des Rundschreibens für Landes- und Kommunal-

behörden bindend?

Drucksache 18/12917 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

16. Inwieweit, unter welchen Umständen und mit welcher Begründung befür-

wortet die Bundesregierung ein Auftrittsverbot für Grup Yorum in der Bun-
desrepublik Deutschland, und inwieweit setzt sie sich gegenüber den Län-
dern für ein solches Auftrittsverbot bzw. die Verhinderung von Grup-
Yorum-Konzerten ein?

17. Inwieweit gibt es Überlegungen oder konkrete Pläne der Bundesregierung
für ein Betätigungsverbot gegen Grup Yorum?

18. Inwieweit dienen Konzerteinnahmen von Grup Yorum nach Kenntnis der
Bundesregierung der Finanzierung illegaler politischer oder bewaffneter Ak-
tivitäten in der Türkei?
a) Welche konkreten Belege hat die Bundesregierung für die Behauptung,

wonach Einnahmen aus Grup-Yorum-Konzerten der Finanzierung be-
waffneter Aktivitäten in der Türkei dienten?

b) Auf welche Höhe schätzt die Bundesregierung den finanziellen Aufwand
für die Organisierung der bisherigen Grup-Yorum-Konzerte gegen Ras-
sismus seit 2012 (einschließlich Anmietung von Hallen, Reisekosten der
Musiker, Subventionierung von Bussen zur Anreise etc.)?

c) Auf welche Höhe schätzt die Bundesregierung die finanziellen Einnah-
men bei den bisherigen Grup-Yorum-Konzerten gegen Rassismus seit
2012?

d) Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Verwendung von
möglichen Gewinnen aus Grup-Yorum-Konzerten in Deutschland?

19. Inwieweit, wann, wie oft, und in welchem Zusammenhang wurde Grup
Yorum im Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum
(GETZ) thematisiert?

Berlin, den 22. Juni 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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