BT-Drucksache 18/12799

Abrüstung jetzt und hier beginnen

Vom 21. Juni 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12799
18. Wahlperiode 21.06.2017
Antrag
der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Dr. Alexander S. Neu, Inge Höger, Jan
van Aken, Christine Buchholz, Dr. Dieter Dehm, Annette Groth, Heike Hänsel,
Andrej Hunko, Katrin Kunert, Stefan Liebich, Niema Movassat, Dr. Petra Sitte,
Alexander Ulrich, Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Abrüstung jetzt und hier beginnen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das Jahr 2017 ist ein Jahr der Kriege: Krieg in Syrien und im Jemen, Krieg in der
Ukraine, kriegerische Auseinandersetzungen in Libyen, Mali, Somalia, Afghanistan,
Irak. An vielen dieser Kriege ist Deutschland direkt oder indirekt beteiligt. Nicht nur
US-Präsident Trump setzt Deutschland massiv unter Druck, den Rüstungsetat signifi-
kant zu erhöhen. Auch die eigenen Ambitionen treiben die Bundesregierung zur
„Trendwende“: Zum ersten Mal seit Ende des Kalten Krieges soll die Bundeswehr
wieder wachsen, mit mehr Waffensystemen und mehr Soldatinnen und Soldaten. Die
Politik der militärischen Zurückhaltung, die noch unter Außenminister Westerwelle
zumindest debattiert wurde, liegt weit zurück. Aktuell dominieren Forderungen, au-
ßenpolitisch und immer auch militärisch „mehr Verantwortung zu übernehmen“, d. h.
deutschen Machtambitionen auch militärisch Weltgeltung zu verschaffen. Angesichts
dieser Tendenzen ist festzuhalten:
1. Aufrüstung hat ihren Preis und bringt nicht mehr, sondern weniger Sicherheit.

Nicht erst Präsident Trump, sondern Bundesverteidigungsministerin von der
Leyen und andere Mitglieder der Bundesregierung selbst haben fortwährend eine
Erhöhung der Rüstungsausgaben in dieser Legislaturperiode vorangetrieben. Im
Jahr 2017 gibt die Bundesrepublik bereits 37 Mrd. Euro allein im Verteidigungs-
haushalt aus, bis 2021 sollen diese Ausgaben auf 42,3 Mrd. Euro steigen, die
Ausgaben für die „Ertüchtigung“ anderer Armeen und die „Hilfe“ für deren Aus-
stattung noch nicht eingeschlossen. Ab 2024 sind Ausgaben von dann jährlich
fast 70 Mrd. Euro geplant, wenn das von der NATO angestrebte und von Trump
eingeforderte Ziel umgesetzt wird, 2 Prozent der Wirtschaftsleistung für das Mi-
litär auszugeben. Dies bedeutet nahezu eine Verdopplung der deutschen Militär-
ausgaben; sie allein wären dann höher als die derzeitigen russischen Militäraus-
gaben von 64 Mrd. Dollar. Die zuständigen Politiker mögen das vor der Bundes-
tagswahl noch nicht öffentlich sagen, doch die neu veröffentlichten Bewaffnungs-
pläne des Heeres und der Luftwaffe für die nächsten 15 Jahre gehen schon von
diesen Summen aus: Mit einer Erhöhung der Anzahl „schwerer“ Brigaden, einer
Verdreifachung der Artilleriebataillone, und einer massiven Aufstockung der
Zahlen bei Kampfflugzeugen. Dass solche Aufrüstungspläne in anderen Staaten

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Gegenreaktionen hervorrufen, liegt in der Logik militärischer Konfrontation. Die
derzeitige Bundesregierung ist offensichtlich unfähig zu der Einsicht, dass es
dringend eines Ausstiegs aus dieser Eskalationslogik bedarf.

2. Selbst eine Debatte über eine deutsche Nuklearwaffenkapazität ist vom Zaun ge-
brochen worden – ungeachtet der Tatsache, dass sich Deutschland seit der Unter-
zeichnung der Londoner Akte von 1954, der Ratifizierung des Nichtweiterver-
breitungsvertrags 1969 und erneut im 2+4-Vertrag 1990 zum Verzicht auf Atom-
waffen verpflichtet. Gleichzeitig votiert die Bundesrepublik in der UN-Vollver-
sammlung gegen die maßgeblich von Österreich beförderte Initiative von über
100 meist nichtpaktgebundenen Staaten zu einem Atomwaffenverbot und boy-
kottiert die entsprechenden Verhandlungen im Rahmen der Vereinten Nationen.

3. In dem Maß, wie auch die Gewinne der deutschen Rüstungsindustrie steigen,
nimmt die globale Sicherheit ab. Die Bundesrepublik beschafft immer komple-
xere Kriegswaffensysteme, insbesondere Offensiv-Waffen wie moderne Panzer
und Kampfdrohnen, des Weiteren massiv Großraumtransport-Flugzeuge und Ra-
ketentechnik. Die deutschen Rüstungsexporte erreichten 2016 den zweithöchsten
Wert seit der Gründung der Bundesrepublik, wie die aktuellen Zahlen des Frie-
densforschungsinstituts SIPRI belegen. Waffen deutscher Rüstungshersteller wie
Heckler & Koch sind in fast allen gewaltsamen Auseinandersetzungen weltweit
zu finden. Deutsche Rüstungsschmieden errichten zunehmend mehr Rüstungs-
produktionsstätten in anderen Ländern, auch nichteuropäischen. Der unverant-
wortliche Rüstungsdeal zwischen Rheinmetall und der Türkei zum Aufbau von
Rüstungsbetrieben in der Türkei zeigt, was die Rüstungsindustrie bei entspre-
chenden Profiterwartungen macht, wenn ihr keine politischen Schranken gesetzt
werden.

4. Auch der weitere Ausbau der militärischen Strukturen der NATO innerhalb der
Bundesrepublik destabilisiert die Sicherheit in Europa und weltweit. Die in Bü-
chel lagernden Atomwaffen der USA sollen, allen Protesten zum Trotz, nicht ab-
gezogen, sondern modernisiert und so niedrigschwelliger einsetzbar werden. Die
Vereinbarung über die Nukleare Teilhabe Deutschlands verpflichtet die Bundes-
republik, im Ernstfall unter dem Kommando der USA mit Flugzeugen der Bun-
deswehr US-Atomwaffen abzuwerfen. Diese Einsätze werden fortdauernd geübt.
Der deutsche Sitz in der Nuklearen Planungsgruppe der NATO erscheint offen-
sichtlich so prestigeträchtig, dass die Bundesregierung zu keinem Zeitpunkt
ernsthaft einen Ausstieg aus der Nuklearen Teilhabe erwogen, und deshalb auch
nicht wirklich auf den Abzug der US-Massenvenichtungswaffen aus Deutschland
gedrängt hat. Vom NATO-Luftkommando AIRCOM auf dem Luftwaffenstütz-
punkt Ramstein leiten die USA über dessen Relaisstation weiter unbehelligt völ-
kerrechtswidrige Drohneneinsätze in Afrika und dem Nahen Osten an. Von
Ramstein aus sollen ab 2018 auch alle Raketenabschussbasen des NATO-Rake-
tenschilds kommandiert werden. Es handelt sich dabei um ein System, das das
strategische Gleichgewicht zwischen den USA und Russland im Bereich nukle-
arer Waffen auf fatale Weise untergraben wird.
Auch die geheimdienstlichen Strukturen der NATO-Staaten, v. a. der USA, wer-
den weiter aufgerüstet. In Wiesbaden, bei Darmstadt und im Generalkonsulat der
USA in Frankfurt/M befinden sich große Ausspäheinrichtungen von NSA und
CIA, die millionenfach den Telefon- und Fernmeldeverkehr in Deutschland über-
wachen können. Auch sie sollen weiter ausgebaut werden.

5. Präsident Trump begründet seine Aufrüstungspläne unter anderem mit dem
Kampf gegen den Terrorismus. Dabei ist längst klar: Der Kampf gegen den Terror
kann sozial und kulturell gewonnen werden, militärisch, mit einem „Krieg gegen
Terror“, jedoch niemals. Sollte die Bundesregierung das Zwei-Prozent-Aufrüs-
tungs-Ziel akzeptieren, unterwirft sie sich Trumps militärischer Logik. Zugleich

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/12799

erklärt sich Deutschland aber außerstande, die 0,7 Prozent des Bruttoinlandspro-
duktes für Entwicklungszusammenarbeit aufzubringen, zu deren Zahlung sich die
Bundesrepublik rechtsverbindlich verpflichtet hat, anders als bei den NATO-
Rüstungszielen, die nicht rechtsverbindlich sind.

6. Nicht nur die NATO, auch die ursprünglich zivil ausgerichtete Europäische
Union militarisiert sich. Sie ist schon heute nicht mehr nur zivil, sondern hat sich
mit der Global Strategy nun auch eine eigene militärische Strategie und eigene
militärische Instrumente, zur Erhöhung und Effektivierung der Rüstungsausga-
ben geschaffen, z. B. einen „Verteidigungsfonds“. Zwischen „willigen“ EU-Län-
dern soll die militärische Zusammenarbeit mit Battle Groups und einem neuen
eigenen Hauptquartier für eigenständige EU-Militärmissionen forciert werden.
Die Bundesregierung verfolgt das Ziel einer europäischen Armee. Schon heute
werden in „multi-nationalen Verbänden“ bei der Bundeswehr militärische For-
mationen anderer Länder dem deutschen Kommando unterstellt.

7. Angesichts dieser Tatsachen ist Abrüstung und nicht Aufrüstung das Gebot der
Stunde. Durch wirksame Rüstungsbegrenzung und internationale Verträge müs-
sen Angriffskriege unmöglich gemacht werden. Im Bewusstsein der historischen
Verantwortung, die aus der deutschen Geschichte erwächst, muss die Bundesre-
gierung vorangehen, um eine Wende von einer Politik der Aufrüstung zur Abrüs-
tung einzuleiten: Mit einseitigen Schritten zur Abrüstung, mit Initiativen für Ver-
tragsverhandlungen im Rahmen der OSZE, zuallererst zur konventionellen Ab-
rüstung in Europa in der Nachfolge des KSE-Vertrags; und auch indem sich
Deutschland für ein atomwaffenfreies Mitteleuropa einsetzt. All das hätte Signal-
charakter und würde Vertrauen bilden, nicht zuletzt im Verhältnis zu Russland.
Sicherheit in Europa braucht die Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen aller
Länder, und dies setzt Abrüstung voraus.
Durch einen Verzicht auf bestimmte Waffensysteme könnte Deutschland Schritte
zur strukturellen Nichtangriffsfähigkeit gehen und andere Staaten ermuntern,
ebenfalls ihre militärischen Kapazitäten zu verringern. Zugleich muss der Rüs-
tungsexport in die Länder des Südens als Export von Tod und Verwüstung ge-
stoppt werden. Ein solcher Einstieg in die Abrüstung würde hier und weltweit
finanzielle Ressourcen freisetzen, die dringend benötigt werden, um Hunger,
Krankheiten, Unterentwicklung und andere Menschheitsaufgaben wirksam ange-
hen zu können.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. statt einer Agenda der Aufrüstung der NATO ein Programm der Abrüstung auf-
zulegen. Als großes Land in der Mitte Europas hat Deutschland die Verantwor-
tung, Entspannung und Vertrauensbildung voranzubringen;

2. die auf verschiedenen NATO-Gipfeln debattierte Orientierung, 2 % des BIP für
Rüstung einzusetzen, abzulehnen;

3. jegliche Exporte von deutschen Rüstungsgütern, inklusive Kleinwaffen, in die
Länder außerhalb Europas sofort zu verbieten;

4. einen umfassenden Plan für die Industrie-Konversion zu erarbeiten, um ohne
Verlust von Arbeitsplätzen den Ausstieg aus der Rüstungsindustrie einzuleiten,
und einen entsprechenden Strukturwandel in Gang zu setzen;

5. die Initiative für eine ständige Abrüstungskonferenz zu konventionellen und nuk-
learen Waffen in Europa im Rahmen der OSZE zu ergreifen; auf der Verhand-
lungen zu Truppenstärken, Waffenobergrenzen, Abstandsregeln und taktischen
Atomwaffen mit Russland aufgenommen werden;

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6. die Stationierung von Bundeswehreinheiten an den Westgrenzen Russlands so-

fort zu beenden. Deutschland wird sich nicht weiter an militärischen Manövern
an den Grenzen Russlands beteiligen;

7. die Stationierung von US-Atomwaffen auf dem Boden der Bundesrepublik und
die Nukleare Teilhabe umgehend aufzukündigen;

8. eine weitere Mitarbeit Deutschlands am Raketenschirm in Osteuropa einzustel-
len: Die Übernahme des Kommandos durch AIRCOM in Ramstein wird gestoppt
und der Betrieb der Überwachungszentrale untersagt. Die Zahlung von finanziel-
len Projekt-Beiträgen wird eingestellt;

9. sich sofort im Rahmen der Vereinten Nationen an den Verhandlungen über ein
Verbot von Atomwaffen zu beteiligen und den rechtsverbindlichen deutschen
Verzicht auf Atomwaffen zu bekräftigen. Die Bundesregierung wird an der
nächsten Verbots-Verhandlungsrunde im Juni 2017 in New York konstruktiv teil-
nehmen;

10. eine Initiative für ein völkerrechtlich bindendes Verbot von bewaffneten Droh-
nen, autonomen Waffensystemen und von atomwaffenfähigen Marschflugkör-
pern auf den Weg zu bringen;

11. desgleichen Initiativen zur Eindämmung von Cyber Warfare zu unternehmen;
12. den Etat des Verteidigungsministeriums 2018 in einem ersten Schritt um 6 Milli-

arden Euro zu kürzen. Die Beschaffung u. a. der Waffensysteme Korvette 130,
der bewaffnungsfähigen Drohne Heron TP, des Kampfpanzer Leopard 2 (Nach-
lieferung), Transportpanzer Boxer, Airbus A400M sowie Mehrzweckkampf-
schiff 180, European Drone und Taktisches Luftverteidigungssystem MEADS
sind zu streichen bzw. zu stoppen. Über diese Entscheidung hinaus wird Deutsch-
land ab 2018 seine jährlichen Rüstungsausgaben um 10 Prozent senken.

Berlin, den 20. Juni 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

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