BT-Drucksache 18/12771

Der Wiederaufbau des Gazastreifens und der Gaza Reconstruction Mechanism

Vom 16. Juni 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12771
18. Wahlperiode 16.06.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Annette Groth, Heike Hänsel, Christine Buchholz, Inge Höger,
Andrej Hunko, Niema Movassat, Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Der Wiederaufbau des Gazastreifens und der Gaza Reconstruction Mechanism

Im Gazastreifen leben 1,9 Millionen Menschen. 1,3 Millionen davon waren Ende
2016 laut dem United Nations Office for the Coordination of Humanitarian
Affairs (OCHA) auf humanitäre Hilfe angewiesen (www.ochaopt.org/content/
gaza-strip-humanitarian-impact-blockade-november-2016), von den etwa 100 000
Menschen, deren Häuser im Krieg von 2014 zerstört oder extrem beschädigt wur-
den, sind demnach 65 000 weiterhin obdachlos, der Wiederaufbau der Infrastruk-
tur geht sehr schleppend voran. Von den sieben Schulen, die im Jahr 2014 kom-
plett zerstört wurden, sei bislang erst eine wieder errichtet worden. Ein Drittel der
beschädigten Wasser- sowie der sanitären Infrastruktur könne aufgrund fehlender
Gelder bis heute nicht wieder hergestellt werden. Bislang seien nur 27 Prozent
der im „Humanitarian Response Plan 2016“ für Gaza geforderten Mittel bis Som-
mer 2016 bereitgestellt worden (www.ochaopt.org/content/gaza-two-years-2014-
hostilities-august-2016).
Die restriktive Genehmigungspraxis der israelischen Behörden und die seit
nunmehr zehn Jahren währende Blockade des Gazastreifens durch Israel und
Ägypten sind nach Ansicht der Fragesteller für die Verlangsamung des Wieder-
aufbaus in Gaza maßgeblich. Gleiches gilt für die massive Einschränkung der
Bewegungsfreiheit, die Behinderung der palästinensischen Wirtschaft sowie die
extreme Einschränkung der Gesundheitsversorgung. Nach dem Krieg von 2014,
der mehr als 2 100 Palästinenserinnen und Palästinenser sowie mehr als 70 Isra-
elis das Leben kostete und während dem ein großer Teil der Infrastruktur im Ga-
zastreifen zerstört wurde, richteten im September 2014 die Vereinten Nationen,
Israel und die Palästinensische Autonomiebehörde den Gaza Reconstruction Me-
chanism (GRM) ein. Dabei handelt es sich um eine Regelung für die Einfuhr so
genannter Dual-Use-Güter in den Gazastreifen, die für den Wiederaufbau benö-
tigt wurden und werden.
Im März 2017 hat die internationale Nothilfe- und Entwicklungsorganisation
OXFAM einen Bericht vorgelegt, der sich mit der Wasserkrise im Gazastreifen
und dem GRM auseinandersetzt. OXFAM kommt darin zu dem Schluss, zwei-
einhalb Jahre nach Einführung des GRM habe dieser die Aufgabe, dringend be-
nötigten Wiederaufbau zu erleichtern, nicht erfüllen können, da es nicht gelungen
sei, die Hürden der Blockade des Gazastreifens zu überwinden (www.oxfam.de/
system/files/oxfam-treading-water-gaza-reconstruction-mechanism-220317-en.pdf).

Drucksache 18/12771 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie beurteilt die Bundesregierung die aktuelle humanitäre Lage im Gaza-
streifen?

2. Wie viel Prozent der Bewohner des Gazastreifens sind nach Kenntnis der
Bundesregierung aktuell auf humanitäre Hilfe angewiesen, und wie viele
Wohnhäuser sind weiterhin nicht bewohnbar?

3. Wie viel Prozent der von den Vereinten Nationen empfohlenen Trinkwasser-
menge stehen nach Kenntnis der Bundesregierung für die Bewohner des Ga-
zastreifens pro Tag pro Person zur Verfügung?

4. Wie viel Prozent der empfohlenen Tagesdosis an Kalorien stehen nach
Kenntnis der Bundesregierung den Bewohnern des Gazastreifens pro Tag
pro Person zur Verfügung?

5. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Ansicht, dass die derzeitige Lage im
Gazastreifen und insbesondere die Hilfsbedürftigkeit eines Großteils der dort
lebenden Menschen in erster Linie auf die seit nunmehr zehn Jahren andau-
ernde Abriegelung des Küstenstreifens zurückzuführen ist?

6. Welche konkreten Schritte hat die Bundesregierung unternommen, um den
im Mai 2010 einhellig gefassten Beschluss des Deutschen Bundestages, dass
die Blockade des Gazastreifens schnellstmöglich aufgehoben werden muss
und die Bundesregierung sich zu diesem Zweck einsetzen soll, umzusetzen?

7. Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung der bereits ausgezahlte An-
teil der von der internationalen Gemeinschaft für den Wiederaufbau des Ga-
zastreifens zugesagten finanziellen Mittel (bitte nach Geberländern und der
jeweiligen Summe der bereits zugesagten sowie der ausgezahlten Gelder auf-
schlüsseln)?

8. Bis wann sollen nach Kenntnis der Bundesregierung die von der internatio-
nalen Gemeinschaft für den Wiederaufbau des Gazastreifens zugesagten
Gelder komplett ausgezahlt sein?

9. Inwieweit sind nach Kenntnis der Bundesregierung die zwar von der inter-
nationalen Gemeinschaft zugesagten, bislang aber nicht ausgezahlten Gelder
für den Wiederaufbau des Gazastreifens dafür verantwortlich, dass die Wie-
dererrichtung von Wohnhäusern und Infrastruktur so schleppend vorangeht?

10. Wie viel Prozent des geplanten Wiederaufbaus des Gazastreifens konnte
nach Kenntnis der Bundesregierung seit 2014 bewerkstelligt werden, und
wie viel Prozent des benötigten Wiederaufbaus wurden im
a) Bereich der Infrastruktur unter gesonderter Aufführung von Schulen und

Gesundheitseinrichtungen,
b) der Wohnhäuser,
c) der Wasserversorgung,
d) der Abwasserentsorgung
beendet?

11. Wie viel Prozent der Wasserversorgungssysteme im Gazastreifen sind nach
Kenntnis der Bundesregierung derzeit funktionstüchtig?

12. Wie schätzt die Bundesregierung die in einem UN-Bericht aus dem Jahr 2012
aufgestellte These, der Gazastreifen werde im Jahr 2020 unbewohnbar und
diese Entwicklung auch irreparabel sein, ein (www.unrwa.org/userfiles/file/
publications/gaza/Gaza%20in%202020.pdf)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/12771

13. Wie viel Prozent der für den Wiederaufbau des Gazastreifens bestimmten

Materialien, die durch die internationale Gemeinschaft finanziert wurden,
konnten nach Kenntnis der Bundesregierung tatsächlich in den Gazastreifen
eingeführt werden?

14. Wie viel Prozent der für den Wiederaufbau des Gazastreifens bestimmten
Materialien, die durch die internationale Gemeinschaft finanziert wurden,
wurden nach Kenntnis der Bundesregierung durch israelische Behörden als
Dual-Use-Güter eingestuft?
a) Wie viel Prozent der von den israelischen Behörden als Dual-Use-Güter

eingestuften Materialien konnten in den Gazastreifen eingeführt werden?
b) Wie wurde mit den als Dual-Use-Güter eingestuften Materialien verfah-

ren, deren Einfuhr in den Gazastreifen von israelischen Behörden verwei-
gert wurde?

In welcher Form hat die internationale Gemeinschaft protestiert?
Was war das Resultat des Protestes?

15. Haben israelische Behörden ihre Genehmigungspraxis für Einfuhren in den
Gazastreifen in den letzten zehn Jahren nach Einschätzung der Bundesregie-
rung gelockert (bitte detailliert darstellen, wann und aus welchem Anlass die
Restriktionen gelockert bzw. angezogen wurden, und möglichst einen Trend
ausmachen, sofern dieser für die Bundesregierung erkennbar ist)?

16. Wie viele Güter stehen nach Kenntnis der Bundesregierung aktuell auf der
Dual-Use-Liste?

17. Um welche Materialien handelt es sich dabei (bitte in Kategorien einteilen
und möglichst umfassend auflisten)?

18. Wie stellt sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Entwicklung der Zu-
sammensetzung der Dual-Use-Liste dar?
Wann wurde die Liste erweitert, wann Güter von der Liste gestrichen (bitte
detailliert auflisten)?

19. Wie viele der für den Wiederaufbau des Gazastreifens dringend benötigten
Materialien finden sich nach Kenntnis der Bundesregierung auf der Dual-
Use-Liste wieder?
a) Wie viele dieser Materialien sind nach Kenntnis der Bundesregierung für

den Wiederaufbau der Infrastruktur des Gazastreifens unverzichtbar (bitte
ebenfalls angeben, wie viel Prozent der konkret für die Infrastruktur be-
nötigten Materialien als Dual-Use-Güter eingestuft sind)?

b) Wie viele dieser Materialien werden für die Wasserversorgung und die
Abwasserentsorgung benötigt (bitte ebenfalls angeben, wie viel Prozent
der konkret für die Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung benötig-
ten Materialien als Dual-Use-Güter eingestuft sind)?

20. Wie beurteilt die Bundesregierung die Wirksamkeit des GRM?
Hat der GRM nach Ansicht der Bundesregierung dazu beigetragen, den Wie-
deraufbau des Gazastreifens
a) zu beschleunigen;
b) die Anzahl der für den Wiederaufbau benötigten Materialien, die tatsäch-

lich in den Gazastreifen eingeführt werden konnten, zu erhöhen (bitte ge-
nau angeben, um wieviel Prozent sich der Anteil von Gütern, die aufgrund
des GRM eingeführt werden konnten, erhöht hat)?

Drucksache 18/12771 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

21. In welchem Maße wird die Umsetzung des GRM von

a) den Vereinten Nationen,
b) Israel,
c) der Palästinensischen Autonomiebehörde
kontrolliert?

22. Wie schätzt die Bundesregierung die Rolle der Palästinensischen Autono-
miebehörde in Bezug auf den GRM ein?

Inwiefern stellt sich diese als konstruktiv bzw. destruktiv dar?
23. Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, dass allein der israelischen

Regierung die Dual-Use-Liste und deren Inhalte obliegen, und die Einfuhr
von Gütern in den Gazastreifen von israelischen Behörden selbst dann ver-
hindert werden kann und wird, wenn die betreffenden Güter von den Verein-
ten Nationen als unbedenklich eingestuft wurden?

24. Wie verhält sich nach Auffassung der Bundesregierung die Tatsache, dass
israelische Behörden die Einfuhr von dringend benötigten Gütern in den Ga-
zastreifen verhindern können, und dies auch tun, vor dem Hintergrund der
im humanitären Völkerrecht verankerten Verpflichtung einer Besatzungs-
macht, für das Wohlergehen der Bevölkerung im besetzten Gebiet Sorge zu
tragen, und was bedeutet dies für die Rolle der Vereinten Nationen als eine
der Parteien des GRM?

25. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Verfasser des oben genannten
OXFAM-Berichts, dass der GRM die bestehende Blockade des Gazastrei-
fens ungefragt als gegeben hinnimmt oder gar „legitimiert“?

Berlin, den 13. Juni 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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