BT-Drucksache 18/12705

Ausweitung der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit mit Ägypten

Vom 8. Juni 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12705
18. Wahlperiode 08.06.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Niema Movassat, Christine Buchholz,
Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger, Jan Korte, Martina Renner,
Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Ausweitung der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit mit Ägypten

Nach jahrelangen Verhandlungen haben die deutsche und die ägyptische Regie-
rung am 11. Juli 2016 ein „Abkommen über die Zusammenarbeit im Sicherheits-
bereich“ unterzeichnet. Es soll die Bekämpfung von Terrorismus und schweren
Straftaten verbessern und dadurch die innere Sicherheit in beiden Staaten erhö-
hen. Zu den Inhalten gehört auch die Bekämpfung unerwünschter Migration. Für
das Sicherheitsabkommen hat die Bundesregierung am 27. April 2017 ein eigenes
Gesetz erlassen (Bundestagsdrucksache 18/11508). Gegen die Stimmen der Op-
position gab der Innenausschuss zuvor grünes Licht zur Verabschiedung und er-
klärte die Zusammenarbeit als „politisch notwendig“ (Bundestagdrucksa-
che 18/11812).
Das Bundeskriminalamt arbeitet eng mit dem ägyptischen Staatsicherheitsdienst
zusammen, der geheimdienstliche Befugnisse hat und nach Kenntnis der Frage-
steller für Folterungen auf Polizeistationen und in Gefängnissen bekannt ist (Bun-
destagsdrucksache 18/9965). Die Bundespolizei führt ebenfalls weitere Fortbil-
dungen für die ägyptische Polizei durch. Schätzungen zufolge sind 60 000 Men-
schen aus politischen Gründen inhaftiert, viele davon werden den Muslimbrüdern
zugerechnet (Telepolis vom 13. Juli 2016, „Ägypten: Hunderte verschwinden –
nur ein Kratzer am neuen Lack?“). Als Reaktion auf die erneuten Angriffe auf
christliche Kirchen wurde ab dem 10. April 2017 für drei Monaten der Ausnah-
mezustand verhängt (tagesschau.de vom 10. April 2017, „Drei Monate Ausnah-
mezustand“). Das könnte für noch mehr Verhaftungen, Fälle von Verschwinden-
lassen und Folter sorgen. Selbst das Auswärtige Amt bestätigt Misshandlungen,
Folter und Verschwindenlassen durch Polizei und Militär (Bundestagsdrucksa-
che 18/10437, Antwort zu Frage 1). Das trifft auch Migranten, die in Ägypten
rechtlos sind.
Das im Jahr 2004 zwischen der EU und Ägypten geschlossene Assoziierungsab-
kommen behandelt auch Migrationsfragen (Bundestagsdrucksache 18/11098,
Antwort zu Frage 5). Ein EU-Verbindungsbeamter für Migration wird nach Kairo
entsandt um einzelne Maßnahmen vorzubereiten. Derzeit werden ein Migrations-
dialog und eine Migrationspartnerschaft eingefädelt. Ägypten müsste sich darin
verpflichten, abzuschiebende Staatsangehörige aus den EU-Mitgliedstaaten zu-
rückzunehmen.
Zur Steuerung und Kontrolle von Migration soll Ägypten auch Gelder aus dem
EU-Treuhandfonds für Afrika erhalten (Bundestagsdrucksache 18/12459, Ant-
wort zu Frage 20). Mit dem Geld könnte die Küstenwache an das Netzwerk „See-
pferdchen Mittelmeer“ angeschlossen werden, über das die Militärs und Grenz-

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polizeien der EU-Mittelmeeranrainer kommunizieren (Bundestagsdrucksa-
che 18/12459). Auch die europäische Grenzagentur FRONTEX hat direkten Kon-
takt zu den ägyptischen Behörden.
Unter den Geflüchteten finden sich zunehmend ägyptische Staatsangehörige.
Die Bundesregierung sieht diesbezüglich keinen Trend (Bundestagsdruck-
sache 18/11098, Antwort zu Frage 1), FRONTEX jedoch schlägt angesichts
steigender Fluchten Alarm. Ägypten steht mittlerweile auf Platz 3 der Abfahrten
in die Europäische Union (http://frontex.europa.eu/assets/Publications/Risk_
Analysis/AFIC/AFIC_2016.pdf). Gegenüber dem Vorjahr stieg der Anteil ägyp-
tischer Staatsangehöriger im ersten Halbjahr 2016 um 580 Prozent, sie rangieren
damit auf Platz 10 der Nationalitäten von Geflüchteten. Zwei Drittel von ihnen
sind unbegleitete Minderjährige.
In Artikel 9 Absatz 1 des „Abkommens über die Zusammenarbeit im Sicherheits-
bereich“ ist geregelt, dass im „Einzelfall“ zu prüfen sein müsse, ob die Zusam-
menarbeit etwa im Widerspruch zu deutschem Recht steht (Bundestagsdrucksa-
che 18/12322, Antwort auf die Schriftlichen Fragen 17 und 18). Der Prüfungs-
maßstab umfasst laut der Bundesregierung „auch die Grundsätze der Rechtsstaat-
lichkeit und der Menschenrechte“. Das Abkommen sei „ohnehin so ausgestaltet,
dass Maßnahmen im Rahmen ihrer Umsetzung keinen Menschenrechtsverletzun-
gen Vorschub leisten können“. Bei Prüfung „möglicher Aktivitäten im Einzelfall“
würden „Erfahrungswerte aus vorangegangenen Maßnahmen der Zusammenar-
beit und regelmäßige Berichte des vor Ort tätigen Verbindungsbeamten des Bun-
deskriminalamts“ berücksichtigt. Hierzu hatte die Bundesregierung bereits in der
Vergangenheit erklärt, sie prüfe „fortlaufend“ ob vermitteltes Wissen oder Aus-
stattungshilfe rechtsstaatlich eingesetzt wird (Bundestagsdrucksachen 18/3054
und 18/7839). Nach eigener Aussage liegen ihr „keine Erkenntnisse“ vor, dass
ihre Unterstützung missbräuchlich angewendet wird. Eine ernsthafte Evaluation
müsste sich aus Sicht der Fragesteller aber auf Angaben von Bürger- und Men-
schenrechtsgruppen stützen, die regelmäßig auf schwerste Verstöße von Militär
und Polizei hinweisen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Inwiefern stuft die Bundesregierung Ägypten entgegen einer FRONTEX-

Analyse (siehe Vorbemerkung der Fragesteller) weiterhin nicht als Haupt-
herkunftsland für zunehmend mehr Menschen ein, die in Europa Schutz su-
chen (Bundestagsdrucksachen 18/11098 und 18/10437)?

2. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung im Anschluss an den Besuch
der Bundeskanzlerin in Kairo „zum Thema illegale Migration“ mit ägypti-
schen Behörden erörtert (Antwort der Bundesregierung zu Frage 13 auf Bun-
destagsdrucksache 18/11953)?

3. Welche weiteren Maßnahmen zur Sicherung der Landgrenze zu Libyen, zur
Sicherung der Seegrenzen Ägyptens, zur Bekämpfung von Schleuser- und
Schmugglertätigkeiten, zur verbesserten Steuerung von Migration und zur
Verbesserung der Lebensbedingungen der in Ägypten lebenden Migranten
und Flüchtlinge hält die Bundesregierung für sinnvoll und geboten?

4. Inwiefern hat die Bundesregierung ihre Prioritäten zur „verstärkten migrati-
onspolitischen Zusammenarbeit mit Ägypten“ zur „Bekämpfung der Schlep-
perkriminalität“ sowie „Verhinderung lebensgefährlicher Versuche, das Mit-
telmeer zu überqueren“ mit der „ägyptischen Seite“ mittlerweile konkreti-
siert (Bundestagsdrucksache 18/11098)?

5. Welche Aus- oder Fortbildungstätigkeiten der Bundespolizeiakademie wur-
den nach einem Besuch der ägyptischen Polizeischule erörtert und/oder kon-
kretisiert?

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6. Inwiefern und mit welchen Beteiligten hat der Workshop des Bundeskrimi-
nalamts zum Thema „Internet-Straftaten, Beobachtung von Websites, die
von Terroristen zur Verbreitung ihres extremistischen Gedankenguts und zur
Vorbereitung von Terroranschlägen missbraucht werden“ mittlerweile statt-
gefunden?

7. Was ist der Bundesregierung über Rück- oder Fortschritte des Migrationsdi-
alogs zwischen Ägypten und der Europäischen Union bekannt?
a) Welche Forderungen hat Ägypten in Bezug auf die Partnerschaftspriori-

täten im Rahmen des EU-Assoziierungsabkommens gestellt, und wie
wurde diesen im Rat der Europäischen Union begegnet?

b) Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Frage, die Finanzierung
von weiteren EU-Projekten in Ägypten an die Einigung im Migrationsdi-
alog und die Verabschiedung von Partnerschaftsprioritäten zu knüpfen?

8. Welche Initiativen der Europäischen Union zur Rückführung von Personen
ohne Aufenthaltsstatus nach Ägypten sind der Bundesregierung bekannt?

9. Wie bewertet die Bundesregierung die Kooperation ägyptischer Behörden
bei der „Rücknahme“ abgeschobener ägyptischer Staatsangehöriger?

10. Was ist der Bundesregierung über die Lage der syrischen Flüchtlinge in
Ägypten bekannt?

11. Auf welche Weise soll Ägypten im EU-VN-Programm „Global Action to
Prevent and Address Trafficking in Persons and the Smuggling of Migrants“
(GLO.ACT) bei der Anwendung und Umsetzung des am 17. Oktober 2016
vom ägyptischen Parlament verabschiedeten Gesetzes zur Bekämpfung ille-
galer Migration und des Menschenschmuggels unterstützt werden (Bundes-
tagsdrucksache 18/11098, Antwort zu Frage 7)?

12. Welche Planungen zum Ausbau einer Kooperation der EU-Agenturen
FRONTEX und Europol mit Ägypten sind der Bundesregierung bekannt?

13. Inwiefern ist die geplante Entsendung eines „European Migration Liaison
Officers“ nach Kairo als „Schnittstelle zwischen nationalen und regionalen
Behörden, internationalen Organisationen und EU-Agenturen im Bereich
Migration“ mittlerweile erfolgt, und wo ist dieser stationiert?

14. Welche Gründe sind der Bundesregierung zur Verzögerung einer Verbesse-
rung der ägyptischen Ausweisdokumente durch Einführung biometrischer
Sicherheitsmerkmale für Pässe bekannt (Bundestagsdrucksache 18/11098,
Antwort zu Frage 12c)?

15. In welchen Zusammenarbeitsformen bzw. Maßnahmen hat das Bundesmi-
nisterium der Verteidigung die Regierung Ägyptens in den Jahren 2015 und
2016 unterstützt?

16. Welche weiteren Unterstützungen außer einem Erfahrungsaustausch im Be-
reich der Bekämpfung improvisierter Sprengfallen, einem Seminar zur inne-
ren Führung sowie Informationsbesuchen beim ägyptischen Sanitätsdienst
will das Bundesministerium der Verteidigung im Jahr 2017 leisten (Plenar-
protokoll 18/220, Mündliche Frage 12)?

17. Was ist der Bundesregierung über Ziele und Maßnahmen eines von Japan
finanzierten UNODC-Programms bekannt, das den Schmuggel über ägypti-
sche und libysche Grenzen adressiert („Countering Illicit Trafficking Going
through Egyptian Borders“, http://gleft.de/1Iw), an dem auch Interpol teil-
nimmt?

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18. Welche weiteren EU-Mitgliedstaaten (etwa Frankreich, Deutschland, Italien,

Niederlande, Großbritannien) sind hierzu wie in dem genannten Dokument
beschrieben nach Kenntnis der Bundesregierung mit ähnlicher Zielsetzung
aktiv?

19. Mit welchen anderen EU-Staaten, die ebenfalls Projekte in Ägypten betrei-
ben, hat sich die Bundesregierung im Rahmen der polizeilichen Aufbauhilfe
für ägyptische Polizeibehörden abgestimmt, um eine Duplizierung von Aus-
bildungs- und Ausstattungshilfen „möglichst zu vermeiden“ (Bundestags-
drucksachen 18/9965 und 18/11098)?

20. An welchem Datum soll das Abkommen zwischen der Regierung der Bun-
desrepublik Deutschland und der Regierung der Arabischen Republik Ägyp-
ten über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich vom 11. Juli 2016 in
Kraft treten?

21. Was ist der Bundesregierung über die Konsequenzen des höchst umstrittenen
Gesetzes zur Arbeit von Nichtregierungsorganisationen, das Ägyptens Prä-
sident Abdel Fattah al-Sisi nunmehr unterzeichnete, für deutsche Staatsan-
gehörige im Land bekannt (Süddeutsche Zeitung vom 30. Mai 2017, „Kairo
verschärft die Repression – das muss Folgen haben“)?
a) Wann hatte die Bundesregierung Präsident al-Sisi zuletzt aufgefordert,

das Gesetz so nicht zu unterschreiben?
b) Welche „Bedeutung für die weitere Ausgestaltung der bilateralen Zusam-

menarbeit“ hat das nunmehr unterzeichnete Gesetz aus Sicht des Auswär-
tigen Amts?

22. Welche Abteilungen des Bundesministeriums des Innern und des Auswärti-
gen Amts sind für die „fortlaufende Prüfung, ob vermitteltes Wissen oder im
Rahmen der Ausstattungshilfe zur Verfügung gestellte Technik im Empfän-
gerland bestimmungsgerecht und rechtsstaatlichen Maßstäben entsprechend
eingesetzt wird“, zuständig (Bundestagsdrucksachen 18/11458 und
18/3054)?

23. Inwiefern haben die in Kairo tätigen Verbindungsbeamten des Bundeskrimi-
nalamts und der Bundespolizei jemals Anhaltspunkte beschrieben, wonach
deutsche Maßnahmen in Ägypten Menschenrechtsverletzungen Vorschub
leisten könnten?

24. In welchen Fällen lagen der Bundesregierung jemals „Erkenntnisse auch
während der laufenden Umsetzung von Unterstützungsmaßnahmen der Aus-
bildungs- und Ausstattungshilfe“ vor, nach denen vermitteltes Wissen oder
zur Verfügung gestellte Technik in Ägypten nicht bestimmungsgerecht und
rechtsstaatlichen Maßstäben entsprechend eingesetzt worden sein könnten?

25. In welchen Fällen wurden in den letzten fünf Jahren während des Planungs-
prozesses oder bei der Durchführung von Maßnahmen entsprechende An-
haltspunkte gefunden, die zu weiteren Untersuchungen führten?

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26. In welcher „geeigneten Weise“ spricht die Bundesregierung Menschen-

rechtsverletzungen gegenüber ägyptischen Stellen an, und inwiefern bzw. in
welchen Fällen hat dies bereits zu spürbaren Ergebnissen geführt (Bundes-
tagsdrucksache 18/12322, Antwort auf die Schriftlichen Fragen 17 und 18)?
a) Mit welchen regierungsunabhängigen Menschenrechtsorganisationen

steht die Bundesregierung hierzu in einem ständigen Dialog (Antwort der
Bundesregierung auf die Schriftlichen Fragen 17 und 18 des Abgeordne-
ten Niema Movassat auf Bundestagsdrucksache 18/12322)?

b) Welche „Warnungen und Bedenken“ hat die Bundesregierung von diesen
regierungsunabhängigen Menschenrechtsorganisationen erhalten, und
welche Schritte hat sie in der Folge unternommen?

Berlin, den 7. Juni 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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