BT-Drucksache 18/12472

Rechtsextremismus und Wehrmachtsverherrlichung in der Bundeswehr

Vom 22. Mai 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12472
18. Wahlperiode 22.05.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Christine Buchholz, Dr. Alexander S. Neu,
Wolfgang Gehrcke, Annette Groth, Dr. André Hahn, Inge Höger, Andrej Hunko,
Kerstin Kassner, Petra Pau, Martina Renner, Kathrin Vogler und der Fraktion
DIE LINKE.

Rechtsextremismus und Wehrmachtsverherrlichung in der Bundeswehr

Im Zusammenhang mit dem Skandal um den Offizier Franco A., der Ende April
2017 festgenommen worden war, hat die Bundesministerin der Verteidigung,
Dr. Ursula von der Leyen, der Bundeswehr ein „Haltungsproblem“ und „Füh-
rungsschwäche auf verschiedenen Ebenen“ vorgeworfen. In der Truppe gebe es
einen „falsch verstandenen Korpsgeist“ (Frankfurter Rundschau, 2. Mai 2017). In
diesem Zusammenhang sagte die Bundesverteidigungsministerin auch, die Wehr-
macht sei „in keiner Weise traditionsstiftend“ für die Bundeswehr.
Die Fragesteller zweifeln nicht daran, dass die Bundesverteidigungsministerin
Recht hat – sie halten sie aber selbst für einen Teil des Problems. So ist es in der
Bundeswehr nicht unüblich, dass Soldaten, die wegen rechtsextremer Tätigkeiten
oder Äußerungen (z. B. Hitlergruß, Hakenkreuz-Schmiererei, Sieg-Heil-Rufe
usw.) aufgefallen sind, im Dienst verbleiben oder weiterhin an der Waffe ausge-
bildet werden. Die Bundesregierung sieht darin gleichwohl keinen Anlass, das
Disziplinarrecht zu ändern, um solche Soldaten einfacher aus der Truppe zu ent-
fernen (vgl. Bundestagdrucksache 18/11882). Sie erklärte die Vorfälle vielmehr
zu „Einzelfällen“.
Die Fragesteller haben demgegenüber mehrfach ihre Ansicht geäußert, die Bun-
deswehr müsse sicherstellen, dass, wer den „Hitlergruß“ entbiete, nicht in der
Bundeswehr verbleiben dürfe. Zur Attraktivität einer Traditionsbildung zur
Wehrmacht verweisen die Fragesteller exemplarisch auf die Tatsache, dass im-
mer noch Kasernen nach Hitler-treuen Offizieren der Wehrmacht benannt sind.
Die Historie um den Offizier Franco A. zeigt, dass auf verschiedenen Ebenen der
Bundeswehr der rechtsextreme Hintergrund des Soldaten bekannt war, aber kei-
nen Anlass zu disziplinarischem Einschreiten gegeben hat. Zwar wertete das
Zentrum für Sozialwissenschaften und Militärgeschichte der Bundeswehr die
Masterarbeit von Franco A. als extremistisch, dies hatte aber keine weiteren Kon-
sequenzen.
Von daher ist auch die Aussage von Generalinspekteur Volker Wieker im „ARD-
Morgenmagazin“ vom 4. Mai 2017, die „Selbstreinigungskräfte“ in der Bundes-
wehr seien unzureichend, zutreffend – sie verweisen aber auch auf die politische
Verantwortung der Bundesverteidigungsministerin, der sie aus Sicht der Frage-
steller nur höchst unzureichend nachkommt.
Dass die Bundeswehr ein strukturelles Problem mit Rechtsextremismus hat, ist
keine neue Erkenntnis. So betonte der Historiker Michael Wolffsohn im

Drucksache 18/12472 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

„TAGESSPIEGEL“ vom 2. Mai 2017, die Bundeswehr sei „attraktiv für Extre-
misten jedweder Couleur“, es gebe einen „Zustrom extremistischen Personals“.
Militär sei „für Menschen mit Gewaltbereitschaft ein ideales Übungsfeld“.
Aus Sicht der Fragesteller ist jetzt unter anderem notwendig, sich die in der Ver-
gangenheit abgeschlossenen Verdachtsprüfungen erneut vorzunehmen und die
gegenwärtig zu prüfenden 280 Verdachtsfälle besonders gründlich zu prüfen. So
bearbeitet der Militärische Abschirmdienst (MAD) Medienberichten zufolge der-
zeit 280 rechtsextremistische Verdachtsfälle. Im vergangenen Jahr hat er in ledig-
lich drei Fällen einen solchen Verdacht bestätigt. Im Jahr davor waren es vier
(Bundestagdrucksache 18/7892), im Jahr 2014 drei (Bundestagdrucksache
18/4912). Dies kann zwar den Tatsachen entsprechen – die Fragesteller halten es
aber auch für denkbar, dass rechtsextreme Vorfälle unter den Teppich gekehrt
werden. Zudem zeigen die Darlegungen der Bundesregierung (vgl. Bundestagd-
rucksache 18/4912, Antwort zu Frage 4), dass beispielsweise die Mitgliedschaft
eines Soldaten auf Zeit in einer rechtsextremistischen Vereinigung nicht als
Dienstvergehen gewürdigt wurde und der Soldat bei einer „verstärkten Dienst-
aufsicht“ im Dienst verblieb.
Falls nicht anders angegeben, beziehen sich die Fragen auf den Zeitraum von
2012 bis 2017.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele rechtsextreme Verdachtsfälle sind vom MAD in den Jahren 2012,

2013, 2014, 2015, 2016 und 2017 abschließend geprüft worden?
a) In wie vielen Fällen wurde dabei der Verdacht aus Sicht des MAD ausge-

räumt?
b) In wie vielen Fällen hat sich der Verdacht aus Sicht des MAD bestätigt?

2. Um welche konkreten Betätigungen ging es bei den bestätigten Fällen (bitte
im Folgenden für jeden Fall einzeln angeben sowie Namen etwaiger rechts-
extremistischer Vereinigungen angeben)?
a) Welche disziplinarischen und strafrechtlichen Maßnahmen wurden gegen

die Betroffenen ergriffen,
b) in welchen Fällen wurde ein Dienstvergehen erkannt,
c) in welchen Fällen wurde ein Dienstverbot ausgesprochen, und
d) in welchen Fällen wurde die Dienstzeit vorzeitig beendet?

3. In wie vielen der abschließend geprüften, aber nicht als bestätigt angesehe-
nen Fälle wurde gleichwohl eine rechtsextreme, antisemitische, fremden-
feindliche, wehrmachtsverherrlichende, sexistische oder sonst aus Sicht der
Bundesregierung unangemessene Handlung oder Äußerung des Beschuldig-
ten bzw. dessen Mitgliedschaft in einer rechtsextremen Vereinigung ermittelt
(bitte jeweils ausführlich darlegen)?

4. In wie vielen Fällen wurde der Verdachtsfall vom MAD wegen Ausschei-
dens des Betroffenen aus der Truppe oder aus anderen Gründen nicht ab-
schließend geprüft?
Welche Anstrengungen werden in solchen Fällen von der Bundeswehr, ggf.
unter Zuhilfenahme der Polizei oder des Verfassungsschutzes, unternom-
men, um dennoch Klarheit darüber zu gewinnen, ob der betreffende Soldat
sich rechtsextremistisch betätigt hat?

5. Um welche konkreten Verdachtsfälle handelt es sich bei den gegenwärtig
vom MAD zu prüfenden 280 (bitte soweit möglich einzeln darlegen)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/12472
6. Ist die Bundesregierung bereit, die vom MAD als nicht bestätigt bewerteten
Verdachtsfälle der Vergangenheit erneut überprüfen zu lassen, um die Mög-
lichkeit, dass rechtsextreme Vorfälle fälschlicherweise nicht als solche ein-
geschätzt wurden oder bewusst vertuscht werden sollten, auszuschließen
(bitte begründen)?

7. Wie vielen, weder vom MAD geprüften noch dem Wehrbeauftragten des
Deutschen Bundestages übermittelten Besonderen Vorkommnissen lagen
fremdenfeindliche, antisemitische, wehrmachtsverherrlichende oder sonst
aus Sicht der Bundesregierung unangemessene Äußerungen oder Handlun-
gen von Angehörigen der Bundeswehr zu Grunde, und welche Schritte wur-
den daraufhin eingeleitet (bitte vollständig angeben)?

8. Trifft es zu, dass ein Kommandeur einer Ausbildungseinheit eine Einladung
aus Frankreich mit den Worten abgelehnt hat, er stelle sich „nicht als Besieg-
ter mit einer deutschen Delegation zu einer Siegesparade“ sowie: „So lange
die Franzosen das Ende des Krieges als ‚victoire‘ feiern, solange nimmt
keine deutsche Delegation, eingeladen oder nicht, an einer solchen Zeremo-
nie teil“, und wenn ja,
a) wann hat sich der Vorfall ereignet,
b) trifft es weiter zu, dass der betreffende Offizier mit einer Rüge versehen

wurde (BILD-Zeitung und FOCUS, 5. Mai 2017),
c) ist über diesen Vorgang eine Meldung an den Wehrbeauftragten ergan-

gen, und wenn nicht, warum nicht,
d) welche Mechanismen gibt es in der Bundeswehr, um solche Vorfälle bzw.

Äußerungen, die aus Sicht der Fragesteller zumindest den Verdacht auf
Nähe zur Wehrmacht bzw. zum NS-Faschismus wecken, auch statistisch,
zu erfassen und auszuwerten?

9. Wie bewertet die Bundesregierung aus heutiger Sicht den Umstand, dass, wie
aus den in der Vorbemerkung der Fragesteller genannten Drucksachen er-
sichtlich, es wiederholt vorkommt, dass rechtsextrem auffällig gewordene
Soldaten weiterhin Zugang zu Waffen haben, und was will sie unternehmen,
um dies abzustellen?

10. Wie viele
a) Soldaten auf Zeit, und
b) Berufssoldaten,
die gegenwärtig Dienst leisten, haben in der Vergangenheit Anlass für eine
Meldung über besondere Vorkommnisse mit mutmaßlich rechtsextremem
Hintergrund gegeben oder waren ein Verdachtsfall für den MAD, und in wie
vielen Fällen wurde der Verdacht bestätigt (bitte jeweils ausführlich darstel-
len)?

11. Wie viele Soldaten auf Zeit oder Berufssoldaten, die gegenwärtig Dienst leis-
ten, waren in der Vergangenheit Mitglied einer rechtsextremistischen Verei-
nigung oder Partei (Mehrfachnennungen in Bezug auf die vorangegangene
Frage bitte kennzeichnen)?

12. Wie häufig wurden in den Jahren seit 2012 wehrmachtsaffine Bilder in den
Unterkünften von Soldaten bzw. Gemeinschaftsräumen innerhalb von Lie-
genschaften der Bundeswehr festgestellt, und wie wurde jeweils damit um-
gegangen (bitte möglichst die einzelnen Fälle darstellen)?

Drucksache 18/12472 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

13. Inwiefern ordnen die militärhistorischen Sammlungen innerhalb der militä-

rischen Liegenschaften nach Einschätzung der Bundesregierung die darin
ausgestellten Exponate, Gemälde usw., die einen Bezug zur Wehrmacht ha-
ben, in ausreichender Form in den historischen Kontext ein und folgen einem
pädagogischen Konzept, das die Vermittlung von Wissen über die Verant-
wortung der Wehrmacht an Verbrechen zum Ziel hat, und welche Schluss-
folgerungen zieht die Bundesregierung daraus?

14. Inwiefern sieht die Bundesregierung mittlerweile ebenfalls die Problematik
einer besonderen Attraktivität der Bundeswehr für Rechtsextremisten, und
welche Schlussfolgerungen zieht sie daraus?

15. Sieht die Bundesregierung nunmehr die Notwendigkeit, die (diszipli-
nar)rechtlichen Möglichkeiten eines Vorgehens gegen rechtsextrem auffällig
gewordene Soldaten zu verschärfen, einschließlich der Möglichkeiten sofor-
tigen Dienstverbots und vorzeitiger Entlassung?

16. Was will die Bundesregierung unternehmen, um die Forderung der Bundes-
ministerin der Verteidigung, die Wehrmacht solle „in keiner Weise traditi-
onsstiftend“ für die Bundeswehr sein, umzusetzen?
a) Welche Konsequenzen ergeben sich in dieser Hinsicht etwa hinsichtlich

der Benennung von Kasernen nach Hitler-treuen Wehrmachtsoffizieren?
b) Ist sie bereit, solche Kasernen nun schleunigst umzubenennen, und wenn

ja, bis wann?
c) Ist sie auch bereit, solche Umbenennungen ggf. auch ohne die Zustim-

mung der jeweiligen Kommunen sowie Kasernenbelegschaften vorzuneh-
men?

17. In welchen konkreten Fällen hat die Bundeswehr in den letzten Jahren die
Initiative zu einer Kasernenumbenennung ergriffen, ist dabei „aber zum Teil
auf harte Gegenpositionen vor Ort gestoßen“ (vgl. BILD am Sonntag,
14. Mai 2017; bitte die jeweiligen Kasernennamen einzeln anführen und an-
geben, von konkret welcher Seite mit welchen Argumenten Gegenpositionen
vertreten wurden, und welche Schlussfolgerungen die Bundesregierung hie-
raus zieht)?

18. In welchem Umfang wird im Rahmen der politischen Bildung innerhalb der
Bundeswehr bislang auf die Verbrechen der Wehrmacht im faschistischen
Raub- und Vernichtungskrieg eingegangen (bitte auch angeben, wie viele
Stunden monatlich oder jährlich jeder Soldat verpflichtend an solchen Bil-
dungsveranstaltungen teilnehmen muss)?
a) Welche Maßnahmen sind vorgesehen, wenn ein Soldat entschuldigt oder

nicht entschuldigt entsprechenden Bildungsveranstaltungen fernbleibt?
Müssen sie zwingend nachgeholt werden?

b) Welches Lehrmaterial findet dabei von Seiten der Dozentinnen und Do-
zenten bzw. Vorgesetzten Verwendung (bitte möglichst vollständig ange-
ben)?

c) Welches Lehrmaterial wird an die teilnehmenden Soldatinnen und Solda-
ten ausgegeben (bitte möglichst vollständig angeben)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/12472
d) Inwiefern teilt die Bundesregierung die Ansicht der Fragesteller, dass es
nicht ausreicht, lediglich die Symbole von Rechtsextremismus und Wehr-
machtsverherrlichung (etwa in Gestalt von Kasernennamen) zu beseiti-
gen, sondern eine Stärkung der politischen Bildung bei Soldaten aller
Dienstgrade unbedingt geboten ist, und welche Anstrengungen will sie in
dieser Hinsicht gegebenenfalls unternehmen?

e) Inwiefern hält sie die Hinzuziehung externen Sachverstands in der politi-
schen Bildung für geboten?

19. Welche wissenschaftlichen Untersuchungen zur Attraktivität der Bundes-
wehr für Rechtsextremisten sind der Bundesregierung aus den letzten fünf
Jahren bekannt, und welche Konsequenzen zieht sie daraus?
Inwiefern sieht sie die Notwendigkeit einer weiteren, unabhängigen Unter-
suchung?

Berlin, den 18. Mai 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.