BT-Drucksache 18/1237

Der Tod des V-Manns "Corelli"

Vom 24. April 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1237
18. Wahlperiode 24.04.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Petra Pau, Martina Renner, Ulla Jelpke, Harald Petzold
(Havelland), Frank Tempel, Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Der Tod des V-Manns „Corelli“

Zum Tod des V-Manns „Corelli“ schreibt der Journalist Andreas Speit in der
„taz.die tageszeitung“ vom 15. April 2014:
„Er hatte mehrere Namen: Thomas tauften ihn seine Eltern; HJ Tommy nannten
ihn die rechten Kameraden, Corelli hieß er beim Bundesamt für Verfassungs-
schutz (BfV). Am Wochenende sickerte durch: Der langjährige Rechtsextremist
und ehemalige V-Mann Thomas R. ist tot.
Der einstige Spitzel hätte viele Fragen zum NSU beantworten können, sagt
David Begrich, Rechtsextremismus-Experte vom Beratungsprojekt Miteinander
e. V. in Sachsen-Anhalt. Denn um das Jahr 2000 herum sei R. einer der ‚Füh-
renden Kader‘ im Spektrum der Freien Kameradschaften und dem Blood-&-
Honour-Netzwerk gewesen.
Doch Thomas R., der nach seiner Enttarnung im Jahr 2012 in ein Zeugenschutz-
programm kam, wird keine Antworten mehr liefern. Einem Spiegel-Bericht
zufolge soll der Verfassungsschutz das parlamentarische Kontrollgremium des
Bundestages am vergangenen Mittwoch über den Tod des früheren Topspitzels
informiert haben.
Thomas R. war seit den neunziger Jahren in der Neonaziszene aktiv. Bei einem
Rechtsrockkonzert 1995 lernte er in Dresden das spätere NSU-Mitglied Uwe
Mundlos kennen. Dem BfV teilte ‚Corelli‘ mit, dass Mundlos mit Freunden die
Kameradschaft Jena gegründet habe. Der Kontakt zwischen R. und Mundlos
scheint nachhaltig gewesen zu sein: Im persönlichen Kontaktverzeichnis von
Mundlos, das Ermittler 1998 beschlagnahmten, fanden sich die Daten von R.
Das Bundeskriminalamt (BKA) schätzte ihn in einem internen Bericht als
‚Namensgeber und Initiator‘ des Nationalen Widerstands Halle/Saale ein. Der
V-Mann gab zudem das Szeneblatt ‚Nationaler Beobachter‘ heraus und betrieb
mehrere Internetprojekte. Auf einem der Onlineportale befand sich das Szene-
magazin ‚Der Weiße Wolf‘. Im Jahr 2002 erhielt das Magazin vom NSU-Trio
2 500 Euro. Das Magazin bedankte sich: ‚Vielen Dank an den NSU, es hat
Früchte getragen.‘ Für den Rechtsextremismus-Fachmann Bergrich wirft allein
diese Nähe die Frage nach weiteren Kontakten zum NSU-Trio auf. Auch die
Rolle eines V-Manns, der staatlich finanziert die rechtsextreme Szene nachweis-
lich mit aufbaute, hätte hinterfragt werden müssen, sagt Bergrich.
Nach dem Auffliegen des NSU musste R. auch beim BKA aussagen. Bei seiner
Vernehmung 2012 blieb der Zeuge den Akten nach verschwiegen. Er log sogar.
‚Zu diesen Typen‘ habe er keinerlei Kontakte gehabt, sagte R. – und konnte nicht
erklären, wie sein Name auf die ‚Garagenliste‘ gekommen sei.

Drucksache 18/1237 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Das BfV erklärte offiziell: Der V-Mann habe mit dem NSU nichts zu tun gehabt
und auch nichts darüber berichtet. Zweifel daran sind berechtigt. Unter dem Na-
men ‚Corelli‘ war R. von 1994 bis 2007 eine Topquelle des BfV. Das Amt stufte
ihn intern mit der höchsten Bewertungsstufe ‚B‘ ein – das hieß: Diese Quelle galt
als zuverlässig. R. zählte wohl zu den Bestverdienern unter deutschen Spitzeln.
Allein das BfV soll ihm insgesamt 180 000 Euro gezahlt haben – das bisher
höchste bekannte Honorar für einen V-Mann.
R. lieferte auch Informationen zur deutschen Sektion des ‚Ku-Klux-Klan‘ (KKK).
Recherchen der taz ergaben: Zu den KKK-Mitgliedern gehörten Kollegen der
vermutlich vom NSU in Heilbronn getöteten Polizistin Michèle Kiesewetter.“
(taz.die tageszeitung, 15. April 2014).
Laut „DER SPIEGEL“ soll Thomas R. „Ende März leblos in einer Wohnung in
Nordrhein-Westfalen aufgefunden“ worden sein. „Nach vorläufigen Ermittlun-
gen der Behörden in Nordrhein-Westfalen gibt es bislang keine Anhaltspunkte
für eine ‚Fremdeinwirkung‘; R. starb laut Sicherheitskreisen an den Folgen einer
zuvor nicht erkannten Diabetes-Erkrankung.“ (DER SPIEGEL, 14. April 2014).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wann genau starb Thomas R. unter welchen Umständen, und was war – nach

bisherigen Erkenntnissen – die Todesursache?
2. Wann genau wurde Thoma R. von wem aufgefunden, und handelt es sich

hierbei um einen Beamten oder mehrere Beamte des BKA oder des BfV?
3. Welche Beamte welcher Behörden wurden zum Auffindeort gerufen?
4. Wie, wann und wen informierte die Behörde, die zuerst von Thomas R.s Tod

Kenntnis nahm, andere Behörden?
5. Wann und durch wen wurden das Polizeipräsidium Bielefeld und die Staats-

anwaltschaft Paderborn eingeschaltet?
6. Welche Behörden haben die Ermittlungen zur Feststellung der Todesursa-

che durchgeführt?
7. Wie wurde der Leichnam wann durch wen identifiziert?
8. Welche gerichtsmedizinischen Untersuchungen zur Feststellung der Todes-

ursache wurden wann durchgeführt, und wann waren diese Untersuchungen
mit welchen Ergebnissen abgeschlossen?

9. Wurde eine toxikologische Untersuchung des Leichnams von Thomas R.
eingeleitet, und wenn ja, wann genau wurde diese toxikologische Untersu-
chung eingeleitet?

10. Wurde die toxikologische Untersuchung schon abgeschlossen, und wenn ja,
wann und mit welchem Ergebnis wurde diese Untersuchung abgeschlossen?

11. Ab wann genau haben Vertreter von Sicherheitsbehörden – wie dies der
„DER SPIEGEL“ berichtet – Medienvertretern mitgeteilt, dass Thomas R.
an den Folgen „einer zuvor nicht erkannten Diabetes-Erkrankung“ gestor-
ben sei (vgl. DER SPIEGEL 14. April 2014), und waren zu diesem Zeit-
punkt schon die toxikologischen Untersuchungen abgeschlossen?

12. Wurde auch den Vertretern des Parlamentarischen Kotrollgremiums des
Deutschen Bundestages mitgeteilt, dass Thomas R. an den Folgen einer
nicht erkannten Diabetes-Erkrankung gestorben sei?

13. Wann genau wurden die Angehörigen von Thomas R. über seinen Tod durch
welche Behördenmitarbeiter informiert, und trifft es zu, dass die Angehö-
rigen nicht zur Identifizierung von Thomas R. hinzugezogen worden sind
und von seinem Tod erst aus den Medien erfahren haben?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1237
14. Befand sich Thomas R. zum Zeitpunkt seines Todes noch im Zeugenschutz-
programm einer bundesdeutschen Sicherheitsbehörde, und wenn ja, welche
Behörde hat das Zeugenschutzprogramm durchgeführt?

15. Wurde Thomas R. vom BKA in ein Schutzprogramm aufgenommen, und
gehört zu dem Schutzprogramm von wichtigen Personen auch eine medizi-
nische Überprüfung der Gesundheit?

16. Wie viele Kosten sind zum Schutz von Thomas R. seit seiner Aufnahme in
das Schutzprogramm entstanden?

17. Wie ernst wurde die Gefährdungslage von Thomas R. Anfang des Jahres
2014 vom BKA eingeschätzt, und welches waren die Gründe, dass Thomas
R. in den Raum Bielefeld ziehen konnte, obwohl seine Tätigkeit für rechts-
extreme Organisationen in dieser Region Anfang der 90er-Jahre begonnen
hatte?

18. Hat das BfV auch Zeugenschutzprogramme für Personen, die als gefährdet
eingestuft werden, wie z. B. V-Leute oder enttarnte Beamte des BfV?

19. Hatten die V-Mann-Führer des BfV, die Thomas R. lange Jahre betreut hat-
ten, auch noch während der Zeit des Schutzprogrammes Kontakt zu ihm,
und wenn ja, wie häufig, und wie sah dieser Kontakt praktisch aus?

20. Hatten die ehemaligen V-Mann Führer des BfV noch aktuelle Telefonnum-
mern und E-Mail-Adressen sowie die aktuelle Anschrift im Kreis Paderborn
von Thomas R.?

21. Haben möglicherweise andere Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter des BfV
während des Zeugenschutzprogramms Kontakt zu Thomas R. gehalten?
Wenn ja, mit welcher Begründung und welchen Aufgaben?

22. Wie beurteilt die Bundesregierung die – jetzt für die Öffentlichkeit neu auf-
getauchte – CD mit dem Titel „NSU/NSDAP“, die offenbar aus dem Zeit-
raum 2006 (vgl. DER SPIEGEL, 19. April 2014, S. 43) oder schon aus dem
Oktober 2003 stammen soll (wie das rechte Internetportal „eigentümlich
frei“ am 19. April 2014 schreibt) und zahlreiche Fotos von Thomas. R ent-
hält?

23. Seit wann ist welchen Bundessicherheitsbehörden diese CD bekannt?
24. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Hersteller, Vertrieb und

Verbreitung der genannten CD einschließlich des Zeitpunkts der Einstellung
ins Internet?

25. War dem BfV diese CD schon seit dem im Jahr 2003 oder 2006 bekannt, und
wenn ja, wie hat das BfV diese CD damals bewertet?

26. Wenn nein, wie bewertet das BfV heute diese CD und die Rolle von Thomas
R. in dem rechtsextremen/rechtsterroristischen Netz?

27. War dem BMI diese CD „NSU/NSDAP“ schon seit dem Jahr 2003 oder 2006
bekannt, und wenn ja, wie hat das Bundesministerium des Innern (BMI)
diese CD damals bewertet?

28. Wenn nein, wie bewertet das BMI heute diese CD und die Rolle von
Thomas R. in dem rechtsextremen/rechtsterroristischen Netz?

29. Wie bewertet die Bundesregierung vor diesem Hintergrund heute die
Spende des NSU an die Zeitschrift „Der Weiße Wolf“ im Jahr 2002?

30. Sollte das BfV schon im Zeitraum von 2003 bis 2006 oder bis zum 4. No-
vember 2011 die CD „NSU/NSDAP“ besessen haben, warum wurde diese
CD nicht dem zweiten Untersuchungsausschuss der 17. Wahlperiode des
Deutschen Bundestages vorgelegt?

Drucksache 18/1237 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
31. Belegt die CD „NSU/NSDAP“ nicht auch nach Ansicht der Bundesregie-
rung eine viel größere Nähe und Einbeziehung der Topquelle des BfV in das
rechtsterroristische Geflecht um Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe, und
wenn nein, wie begründet dies die Bundesregierung?

32. War die Existenz dieser CD „NSU/NSDAP“ einer der Gründe, wieso der
NSU-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages in der 17. Wahl-
periode nur so einen eingegrenzten Zugang zu den Akten des BfV bezogen
auf den V-Mann „Corelli“ erhielt?

Berlin, den 22. April 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.