BT-Drucksache 18/12284

Wiedergenehmigung von Glyphosat

Vom 5. Mai 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12284
18. Wahlperiode 05.05.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Caren Lay, Karin Binder,
Eva Bulling-Schröter, Susanna Karawanskij, Ralph Lenkert, Birgit Menz und
der Fraktion DIE LINKE.

Wiedergenehmigung von Glyphosat

Die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) hat am 15. März 2017 auf Emp-
fehlung des Ausschusses für Risikobewertung (RAC) der ECHA offiziell festge-
stellt, dass die verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht die Kriterien
erfüllen, um Glyphosat als karzinogen, mutagen oder als fortpflanzungsgefähr-
dend zu klassifizieren. Die Europäische Kommission hatte, nachdem die Mit-
gliedstaaten keine qualifizierte Mehrheit für oder gegen die Wiedergenehmigung
von Glyphosat erreichen konnten, die ECHA mit einer Bewertung auf Grundlage
der vorliegenden Studien beauftragt und dazu die Genehmigung von Glyphosat
zunächst bis zum 31. Dezember 2017 verlängert.
Der Ausschuss RAC bewertet Chemikalien generell auf der Grundlage der so ge-
nannten CLP-Verordnung (Classification, Labelling and Packaging), wonach
festzulegen ist, mit welchen Gefahrenhinweisen die Substanzen zu kennzeichnen
sind. Für Glyphosat waren das bisher die Warnhinweise H318 „Verursacht
schwere Augenschäden“ und H411 „Giftig für Wasserorganismen, mit langfristi-
ger Wirkung“. Die ECHA spricht sich nun für die Beibehaltung der jetzigen Ein-
stufung von Glyphosat aus mit dem Verweis, dass die Wahrscheinlichkeit der
Exposition gegenüber dem Wirkstoff, also das Gesundheitsrisiko für Menschen,
die Glyphosat anwenden oder aufnehmen, nicht untersucht wurde. Das sei die
Aufgabe der zuständigen Gremien, wenn sie die Zulassung von Glyphosat erneu-
ern wollen. Als unstrittig wurden die massiven negativen Einflüsse der Chemika-
lie auf die Artenvielfalt bezeichnet (vgl. https://echa.europa.eu/de/-/glyphosate-
not-classified-as-a-carcinogen-by-echa).
Zwischen der Interpretation der ECHA-Bewertung zum Gefährdungspotenzial
des Wirkstoffs auf dem Glyphosat-Informationsportal (eine Initiative der europä-
ischen Glyphosat Task Force – GTF, in der verschiedene Pflanzenschutzmittel-
Unternehmen zusammenarbeiten) und durch Umweltverbände bestehen erhebli-
che Unterschiede. Auch Stimmen aus der Wissenschaft halten das Gutachten
der
IARC (Internationale Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation)
nicht für hinfällig, das eine krebsauslösende Wirkung von Glyphosat als wahr-
scheinlich bewertete.
Der Kernpunkt der Kontroverse, die unterschiedliche wissenschaftliche Bewer-
tung der karzinogenen Eigenschaften, ist durch die Stellungnahme der ECHA
nicht zweifelsfrei ausgeräumt. Das wirft Fragen auf.

Drucksache 18/12284 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Hat die Bundesregierung Kenntnis von der Verordnung (EC) 1272/2008 und
den dort in Punkt 3.6 festgelegten Kriterien zur Einstufung von Chemikalien,
inklusive Pestizidwirkstoffen als krebserregend?

2. Welche Notwendigkeit sieht die Bundesregierung, dass die OECD-Leitli-
nie 116 aus dem Jahr 2012 als eine wegweisende Orientierung für die Behör-
den zur Bewertung von Karzinogenitätsstudien Anwendung findet (bitte aus-
führlich begründen)?

3. Welche Kenntnis hat die Bundesregierung darüber, dass das Bundesinstitut
für Risikobewertung (BfR) einerseits selbst auf die OECD-Leitlinie 116
(S. 116) Bezug nimmt, der zufolge statistische Signifikanz entweder bei
paarweisen Vergleichen oder bei Trendtests ausreicht, um zu schlusszufol-
gern, dass ein Effekt nicht zufällig ist (siehe Addendum, S. 44), dann aber
die Ergebnisse von Trendtests weitgehend außer Acht lässt und zu dem Er-
gebnis kommt, dass es nur in einer einzigen Studie einen signifikanten Effekt
gegeben habe („It should be avoided to base any conclusion only on the sta-
tistical significance of an increased tumour incidence identified in a single
study“, Addendum, S. 3 – bitte ausführlich erläutern)?

4. Wie bewertet die Bundesregierung die Empfehlung der OECD-Leitlinie 116,
für die statistische Bewertung von Tumorhäufigkeiten sogenannte einseitige
Tests (OECD 2012, S. 133) anzuwenden, und welche Schlussfolgerungen
zieht sie daraus, dass zwar bei Anwendung einseitiger Tests für Lymphdrü-
senkrebs (malignant lymphoma) von fünf Mäuse-Krebsstudien im Trendtest
vier und bei paarweisen Vergleichen zwei Studien statistisch signifikant er-
höhte Tumorfrequenzen aufweisen, aber dennoch die deutschen Behörden
(BfR bzw. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin – BAuA) im
CLH-Dossier (siehe S. 93) ableiten, dass im paarweisen Vergleich keine sig-
nifikanten Unterschiede festzustellen seien („Mostly, but not always, trend
tests revealed statistical significance but pairwise comparisons failed to de-
tect a significant difference relative to the control group.“ – bitte ausführlich
erläutern)?

5. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus, dass die deutschen
Behörden (BfR bzw. BAuA) unter Bezugnahme auf eine in der OECD- Leit-
linie 116 (siehe S. 66) erwähnte Limit-Dosis von 1 000 mg/kg feststellen,
dass in den Studien nur leicht erhöhte Krebsraten bei sehr hohen Dosierun-
gen sichtbar waren, obwohl bei Anwendung einseitiger Tests (siehe oben)
signifikant erhöhte Krebsraten für Lymphdrüsenkrebs bei männlichen Mäu-
sen in der Studie von Wood et al. (2009) bei einer Dosis von 810 mg/kg und
in der Studie von Kumar (2001) bei einer Dosis von 1 460 mg/kg festgestellt
wurden, und dass bei der Dosis von 1 460 mg/kg Glyphosat bekanntlich zu
beachten ist, dass nur etwa 20 bis 30 Prozent der verabreichten Menge resor-
biert werde (bitte ausführlich erläutern)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/12284
6. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der mehrmaligen
Feststellung von BfR bzw. BAuA, dass sich die in den bewerteten Studien
festgestellten Tumorfrequenzen im Bereich der historischen Kontrolldaten
befänden, wobei häufig auf die Daten der Charles River Laboratories Bezug
genommen wird, obwohl die Bezugnahme auf diese Daten massiv die Emp-
fehlungen der OECD-Leitlinie 116 (S. 135) verletzt, der zufolge nur histori-
sche Kontrolldaten aus dem gleichen Labor, in dem die Studie durchgeführt
wurde, herangezogen werden sollten, und zwar solche vom gleichen Tier-
stamm, die unter gleichen Haltungsbedingungen innerhalb der letzten fünf
Jahre vor der eigentlichen Studie gewonnen wurden?
Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung daraus, und hält sie
unter diesem Aspekt die Bezugnahme auf die Daten der Charles River Labo-
ratories für gerechtfertigt (bitte ausführlich erläutern)?

7. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den Feststellun-
gen der Behörden, dass sich die Studienergebnisse der Karzinogenitätsstu-
dien an Mäusen widersprechen („In these studies, there was evidence of in-
creases in three types of tumours, all in males: malignant lymphoma, renal
tumours, and haemangiosarcoma, however, there was no consistency between
the studies“, CLH-Dossier, S. 67), obwohl für diese Feststellung Studien ver-
schiedener Länge (18 Monate und 24 Monate) und an unterschiedlichen
Mäusestämmen in einen Topf geworfen wurden?
Welche Schlussfolgerungen zieht die die Bundesregierung in diesem Zusam-
menhang aus der Tatsache, dass bezüglich Lymphdrüsenkrebs (malignant
lymphoma) die Studie von Atkinson et al. (1993) nicht aus der Bewertung
ausgeschlossen wurde, obwohl sie schwere Mängel aufweist, weil darin
nur makroskopisch veränderte Lymphknoten auf Lymphdrüsenkrebs unter-
sucht wurden (bitte ausführlich erläutern)?

8. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung daraus, dass die Stu-
die von Atkinson et al. (1993) von den Behörden nicht ausgeschlossen
wurde, stattdessen aber die Studie von Kumar (2001), obwohl hier konkrete
Belege einer vermeintlichen Virusinfektion fehlen („in the study report itself,
there was no evidence of health deterioration due to suspected viral infec-
tion“, CLH-Dossier, S. 72 – bitte ausführlich erläutern)?

9. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus der Feststellung
der Behörden, dass die Ergebnisse widersprüchlich seien, obwohl bei Lymph-
drüsenkrebs einerseits die Studie von Atkinson et al. (1993) eigentlich hätte
ausgeschlossen werden müssen, und andererseits die Studien von Wood et
al. (2009) und Kumar (2001) bei vergleichbaren Dosierungen, die nicht bzw.
nicht wesentlich über der Limit-Dosis liegen, einen signifikanten und dosis-
abhängigen Anstieg der Tumorfrequenzen aufweisen (bitte ausführlich er-
läutern)?

10. Wie sieht die Bundesregierung die Anwendung des Vorsorgeprinzips ver-
wirklicht, das laut Verordnung (EC) 1107/2009, Artikel 1 Absatz 4 angewen-
det werden sollte, wenn wissenschaftliche Ungewissheit besteht, angesichts
eines signifikanten Anstiegs von Lymphdrüsenkrebs in drei Krebsstudien
von Mäusen, eines erhöhten Risikos für Non-Hodgkin-Lymphomen in meh-
reren epidemiologischen Studien, was sowohl von der IARC als auch vom
BfR als „limited evidence“ gewertet wurde, und dem experimentellen Nach-
weis von zwei Mechanismen (oxidativer Stress, Gentoxizität), durch die Gly-
phosat Krebs auslösen könnte (bitte ausführlich erläutern)?

Berlin, den 5. Mai 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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