BT-Drucksache 18/12169

Kritik an Verwendung der Mittel bei Einstiegskursen der Bundesagentur für Arbeit zulasten der Flüchtlinge

Vom 25. April 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12169
18. Wahlperiode 25.04.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Heike Hänsel, Annette Groth, Andrej Hunko,
Ulla Jelpke, Kerstin Kassner, Katrin Kunert, Kersten Steinke, Kathrin Vogler und
der Fraktion DIE LINKE.

Kritik an Verwendung der Mittel bei Einstiegskursen der Bundesagentur für Arbeit
zulasten der Flüchtlinge

Mit der durch das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 24. Oktober 2015
eingeführten Regelung des § 421 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III)
wurde die Grundlage für spontan eingerichtete Einstiegskurse der Bundesagentur
für Arbeit (BA) geschaffen. Die BA hatte die Möglichkeit erhalten, die Teilnahme
von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern mit guter Bleibeperspektive an
Sprachkursen zur Erlangung erster Kenntnisse der deutschen Sprache zu för-
dern. Darunter wurden allerdings lediglich Personen aus den Ländern Syrien,
Iran, Irak und Eritrea gefasst. Die Eintritte in die Kurse mussten spätestens bis
zum 31. Dezember 2015 erfolgen. Die Teilnahme an den Kursen war auf längstens
acht Wochen begrenzt. Es konnten bis zu maximal 320 Unterrichtsstunden (8 Wo-
chen x 40 Unterrichtstunden je Woche) gefördert werden (www.arbeitsagentur.de/
web/content/DE/Institutionen/Traeger/Einstiegskurse/Detail/index.htm?dfContentId=
L6019022DSTBAI782320).
Einem Medienbericht (ARD-Sendung FAKT vom 6. September 2016) zufolge
hatte die BA Ausgaben, Auftragsvergabe und Erfolg der aus ihren Mitteln im Jahr
2015 initiierten Kurse evaluiert. Vom Prüfdienst Arbeitsmarktdienstleistungen
der BA sind die Kurse stichprobenartig vor Ort daraufhin geprüft worden, ob und
wie die Kurse tatsächlich durchgeführt wurden. Die Herausgabe des Prüfberichts
gegenüber einem Redakteur des „Mitteldeutschen Rundfunks“ in einem Verfah-
ren nach dem Informationsfreiheitsgesetz im August 2016 wurde „zeitlich be-
grenzt abgelehnt, weil die Ergebnisse Gegenstand der Prüfung der Einstiegskurse
durch den Bundesrechnungshof sind und die Veröffentlichung des Prüfberichts
Einfluss auf die Beratungen zwischen dem Bundesrechnungshof und der Bunde-
sagentur für Arbeit haben könnte“ (Bundestagsdrucksache 18/10452). Kritisiert
wird im Rahmen der ARD-Sendung „FAKT“, dass es kaum Qualitätsanforderun-
gen und nur unzureichende Kontrollen gab und dass die Teilnehmerinnen- und
Teilnehmerzahlen oft eingebrochen sind. Diese Kritik hielt die Bundesregierung
in ihrem Bericht zwar an der einen oder anderen Stelle nachvollziehbar, rechtfer-
tigt aber Unregelmäßigkeiten mit der damaligen Sondersituation und den beson-
deren Rahmenbedingungen (Ausschussdrucksache 18(11)746).
Doch auch der Bundesrechnungshof wirft der BA schwere Versäumnisse im Zu-
sammenhang mit Deutschkursen für Flüchtlinge vor. In einem 43-seitigen Prüf-
bericht werden erhebliche Mängel bei der Ausführung und Abrechnung der Kurse
festgestellt. So soll ein großer Teil der eingesetzten Mittel in Höhe von mehr als
300 Mio. Euro de facto ins Leere gelaufen sein. Die BA habe keine ausreichenden
Maßnahmen ergriffen, um den Erfolg der Einstiegskurse strukturiert zu prüfen.

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Die Kurse seien auch aufgrund der schlechten Qualität des Lernmaterials und der
mangelnden Ausstattung der Kurse von schwindenden bis zur Kursauflösung füh-
renden Teilnehmerzahlen geprägt gewesen (dpa vom 28. März 2017). Aus dem
Abschlussbericht geht hervor, dass ungefähr bis zur Kursmitte nur noch 43 Prozent
der angemeldeten Kursteilnehmer anwesend waren. Bezahlt wurden die Kursanbie-
ter aber nach angemeldeten Teilnehmern, unabhängig davon, wie lange die Teil-
nehmer den Deutschkurs besucht hatten (www.mdr.de/fakt/deutschkurse-
106.html). Kursträger nannten vor allem Umzüge in andere Unterkünfte, Termine
im Zusammenhang mit dem Asylverfahren und bei Frauen vor allem fehlende
Kinderbetreuungsmöglichkeiten als Ursache für Kursabbrüche (Bundestagsdruck-
sache 18/10452). Ergebnis: „Wenig Erfolge, kaum Kontrolle, am Ende profitierten
Raubritter – nicht unter den Flüchtlingen, aber unter den Bildungsanbietern“
(www.ndr.de/nachrichten/Kontrollverlust-bei-der-Arbeitsagentur,rechnungshof210.
html).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele Träger haben nach Kenntnis der Bundesregierung wie viele Ein-

stiegskurse für wie viele Asylbewerberinnen und Asylbewerber mit guter
Bleibeperspektive durchgeführt bzw. abgerechnet?

2. Inwieweit trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass unklar bleibt, wie
viele Menschen in den Kursen tatsächlich gelernt haben, da keine Anwesenheits-
listen geführt werden mussten (www.tagesschau.de/inland/arbeitsagentur-
deutschkurse-101.html)?

3. Inwieweit trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass die Träger
Teilnahmebescheinigungen nur auf freiwilliger Basis ausstellten (www.
tagesschau.de/inland/arbeitsagentur-deutschkurse-101.html)?

4. Inwieweit trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass viele Kurse
aufgrund der schlechten Qualität des Lernmaterials und der mangelnden
Ausstattung der Kurse von schwindenden bis zur Kursauflösung führenden
Teilnehmerzahlen geprägt gewesen sind?

5. Warum wurden die von Kursträgern benannten, bereits vorab absehbaren Ur-
sachen für Kursabbrüche, wie zwangsläufige Umzüge in andere Unterkünfte,
Termine im Zusammenhang mit dem Asylverfahren und bei Frauen vor al-
lem fehlende Kinderbetreuungsmöglichkeiten, nicht im Sinne eines effekti-
ven Mitteleinsatzes und einer effektiven Kursteilnahme durch entsprechende
Anpassungen der Rahmenbedingungen behoben?

6. Inwieweit sieht die Bundesregierung darin, dass teilweise Flüchtlinge ihren
Aufenthaltsort wechselten – beispielsweise von der Erstaufnahmeeinrich-
tung in eine andere Unterkunft – und dann an beiden Orten in einem Ein-
stiegskurs als Teilnehmer geführt wurden, einen ursächlichen Grund für
Mehrfachabrechnungen (Abschließende Mitteilung des Bundesrechnungs-
hofes an den Vorstand der Bundesagentur für Arbeit vom 9. Februar 2017)?

7. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, dass über die mit Stand
vom 24. März 2016 untersuchten acht Träger hinaus die Abrechnungen von
weiteren Trägern auf mögliche Mehrfachabrechnungen untersucht wurden
(Abschließende Mitteilung des Bundesrechnungshofes an den Vorstand der
Bundesagentur für Arbeit vom 9. Februar 2017)?

8. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnis über den einen der acht unter-
suchten Träger (Stand: 24. März 2016), bei dem bei 4 110 Teilnehmern 650
mögliche Mehrfachabrechnungen ausgelesen und mit Stand vom 15. März
2016 19 Doppelzahlungen mit einem Finanzvolumen von ca. 32 000 Euro be-
reits ausgezahlt worden war (Abschließende Mitteilung des Bundesrechnungs-
hofes an den Vorstand der Bundesagentur für Arbeit vom 9. Februar 2017)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/12169
9. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnis, in wie vielen Fällen es zu Dop-
pelförderungen und Doppelabrechnungen gekommen ist?

10. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnis, in wie vielen Fällen von der
BA das Geld zurückgefordert wurde?

11. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnisse darüber, dass Träger so viele
Asylbewerberinnen wie möglich angemeldet haben, um diese dann zwar
auch abzurechnen, aber nicht entsprechend tatsächlich die Unterrichtung für
diese Teilnehmerzahl gewährleistet zu haben (Abschlussbericht des Prüf-
dienst für Arbeitsmarktdienstleistungen, Februar 2016)?

12. Inwieweit war es nach Kenntnis der Bundesregierung Ziel der Kurse, auch
Säuglingen und Kindern die deutsche Sprache zu vermitteln (Abschließende
Mitteilung des Bundesrechnungshofes an den Vorstand der Bundesagentur
für Arbeit vom 9. Februar 2017)?

13. Inwieweit trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass die BA die
Sprachkurse auch für Kinder zwischen 0 und 13 Jahren gezahlt hat, obwohl
die Maßnahme als aktive Arbeitsmarktförderung gedacht gewesen ist?

14. In wie vielen Fällen haben sich nach Kenntnis der Bundesregierung Säug-
linge auf den Anmeldelisten befunden?

15. Inwieweit trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass die BA auf
eine zunächst in ihren Vorgaben vorgesehene Altersbeschränkung verzichtet
und damit akzeptiert habe, dass den Trägern die Kursteilnahme von Kindern
und Säuglingen erstattet wird?

16. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Bundesagentur
ein Mindestmaß an Regelungen hätte treffen oder beibehalten müssen, um
einen zweckentsprechenden Einsatz der Beitragsmittel der Arbeitslosenver-
sicherung trotz des unbestritten engen Zeitkorridors zur Umsetzung der Ein-
stiegskurse sicherzustellen?

17. Inwieweit trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass eine kontinu-
ierliche Teilnahme zumeist von jenen Asylbewerberinnen und Asylbewer-
bern erfolgte, die nicht mehr in einer Erstaufnahmeeinrichtung waren, son-
dern bereits in längerfristig zugewiesenen bzw. bereitgestellten Unterkünften
untergebracht waren (Abschlussbericht des Prüfdienst für Arbeitsmarkt-
dienstleistungen, Februar 2016)?

18. Inwieweit trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass bei Trägern,
die erstmals Weiterbildungsmaßnahmen durchführten, die Ausstattung eher
schlecht war, die Anzahl der Plätze für die gemeldeten Teilnehmer nicht aus-
reichte und der Unterricht wenig an den Voraussetzungen der Teilnehmen-
den (Bildungsniveau, Analphabetismus, Vorkenntnisse in Deutsch etc.) aus-
gerichtet war, im Gegensatz zu den meisten etablierten Trägern, die eine bes-
sere Qualität des Unterrichts sowie der Ausstattung und vorhandenen Raum-
kapazitäten sichergestellt haben (Abschlussbericht des Prüfdienst für Ar-
beitsmarktdienstleistungen, Februar 2016)?

19. Inwieweit trifft es nach Kenntnis der Bundesregierung zu, dass es für
Kursanbieter ausreichte, ihre Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit durch
eine Eigenerklärung nachzuweisen, während sonst dafür eine Zulassung durch
das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) oder eine andere
fachkundige Stelle zwingend vorausgesetzt wird (www.augsburger-
allgemeine.de/politik/So-wurde-mit-Deutschkursen-fuer-Fluechtlinge-betrogen-
id41057741.html)?

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20. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnis, dass „Werber“ direkt in Asyl-

bewerberheime gegangen sind, um unter einem Vorwand die Ausweise zu
verlangen, diese kopiert und damit die vorzulegende Teilnahmebescheini-
gung in den Händen gehabt haben (www.augsburger-allgemeine.de/politik/
So-wurde-mit-Deutschkursen-fuer-Fluechtlinge-betrogen-id41057741.html)?

21. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, wie viele zivilrechtliche
Verfahren seitens der BA gegen Träger von Einstiegskursen eingeleitet wurden
(www.wiwo.de/politik/konjunktur/kurse-fuer-fluechtlinge-bundesagentur-
fuer-arbeit-geht-gegen-sprachkurs-betrug-vor/19622810.html)?

22. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnis darüber, wie viele strafrechtli-
che Verfahren seitens der BA gegen Träger von Einstiegskursen eingeleitet wur-
den (www.wiwo.de/politik/konjunktur/kurse-fuer-fluechtlinge-bundesagentur-
fuer-arbeit-geht-gegen-sprachkurs-betrug-vor/19622810.html)?

23. Inwieweit befürwortet die Bundesregierung, dass die im Rahmen des Be-
richts des Bundesrechnungshofes vorgebrachten Vorwürfe lückenlos aufge-
klärt, die strafrechtliche Relevanz geprüft und Rückforderungen gezahlter
Beiträge eingeleitet werden?

24. Inwieweit sieht die Bundesregierung im Zuge des Berichts des Bundesrech-
nungshofes die Notwendigkeit personeller Konsequenzen in der BA?

Berlin, den 24. April 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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