BT-Drucksache 18/12093

Grenzregionen vor Atomrisiken schützen - Export von Brennelementen stoppen

Vom 26. April 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12093
18. Wahlperiode 26.04.2017
Antrag
der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Britta Haßelmann,
Annalena Baerbock, Bärbel Höhn, Christian Kühn (Tübingen), Steffi Lemke,
Peter Meiwald, Dr. Julia Verlinden, Harald Ebner, Matthias Gastel, Kai Gehring,
Stephan Kühn (Dresden), Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, Markus Tressel,
Dr. Valerie Wilms und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Grenzregionen vor Atomrisiken schützen ‒ Export von Brennelementen
stoppen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Gefahren durch alte grenznahe Atomkraftwerke wie Tihange 2 oder Doel 3 in
Belgien sind auch für die deutsche Bevölkerung unzumutbar. Beide Reaktoren können
die Sicherheitsreserven nicht einhalten und müssen vom Netz genommen werden,
wenn Schaden für die Menschen in der Region verhindert werden soll. Die Betreiber
der beiden AKW müssen im Fall eines Reaktorunfalls nicht einmal ansatzweise ange-
messen für Schäden haften. Vor diesem Hintergrund ist es unverständlich, dass die
Bundesregierung die Genehmigung für den Export von Brennelementen aus Deutsch-
land nach Tihange erteilt hat.
Tihange – keine 60 km von der deutschen Grenze entfernt – stellt völlig zu Recht in
den Augen vieler Menschen eine unmittelbare Bedrohung dar. Bei einem Austritt von
Radioaktivität im Fall eines Super-GAUs wären auch deutsche Regionen massiv be-
troffen. Fast monatliche Störfälle und tausende Risse im Reaktordruckbehälter lösen
in Deutschland schlimmste Befürchtungen aus. Die Forderungen der Bundesumwelt-
ministerin nach Stilllegung von Tihange können auf Belgien und den Betreiber aber
nur wenig überzeugend wirken, wenn sie gleichzeitig die Lieferung von Brennelemen-
ten aus der Brennelementefabrik Lingen, die ihr angereichertes Uran auch aus Gronau
bezieht, nach Tihange genehmigt und damit für den Betrieb des AKW sorgt, das ab-
zuschalten sie von der belgischen Regierung verlangt. Diese Doppelzüngigkeit kann
weder in einem von einem vorstellbaren Unfall betroffenen Umfeld (in den Niederlan-
den, in Nordrhein-Westfalen, in Rheinland-Pfalz und in Luxemburg) zur Beruhigung
noch in Belgien zu einer Änderung im Umgang mit dem umstrittenen Atomkraftwerk
Tihange 2 führen. Hier muss die Bundesregierung zu einer stringenten Haltung finden.
Der Export von Brennelementen aus Deutschland nach Tihange wäre rechtlich zu ver-
hindern (vgl. Dr. Cornelia Ziehm 2016: „Anordnung eines Exportstopps für Brennele-
mente aus der Brennelementefabrik Lingen in die Atomkraftwerke Doel (Belgien),
Fessenheim und Cattenom (beide Frankreich)“). Denn im Rahmen der Erteilung einer
Ausfuhrgenehmigung nach § 3 des Atomgesetzes ist gerade auch die beabsichtigte

Drucksache 18/12093 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
Verwendung der zu exportierenden Brennelemente relevant. So ist es eine zwingende
Genehmigungsvoraussetzung, dass die Brennelemente in einer die innere oder äußere
Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland nicht gefährdenden Weise verwendet wer-
den. Dabei werden grundsätzlich alle aus der „Anwendung von Kernenergie“ resultie-
renden Risiken erfasst. Eine Beschränkung auf eine militärische Perspektive gibt es
nicht.
Der Deutsche Bundestag sieht es als erforderlich an, die Genehmigung für den Export
von Brennelementen nach Tihange zu stoppen und auch in weitere Atomkraftwerke
mit schwerwiegenden Sicherheitsdefiziten unweit der deutschen Grenze keine Brenn-
elemente aus Deutschland mehr zu liefern.
Doch auch auf deutscher Seite gibt es in der Grenzregion zu Belgien atompolitische
Probleme, die dringend einer Lösung bedürfen. Es ist unglaubwürdig, von Belgien
einseitige Maßnahmen zum Schutz vor Atomrisiken zu fordern, selbst aber die eigenen
Hausaufgaben nicht zu erledigen. So widerspricht der bis heute andauernde Betrieb
der Urananreicherungsanlage Urenco sowie der Brennelementefabrik in Lingen dem
Geist des im Jahr 2011 beschlossenen Atomausstiegs. Zu einem konsequenten Atom-
ausstieg gehört eben auch der Ausstieg aus der Erzeugung von Brennstoffen für Atom-
kraftwerke.
Und nicht zuletzt gehört dazu auch ein Umgang mit Atommüll, der höchsten Sicher-
heitsstandards genügt. Genau dies wird im Fall des ehemaligen Forschungsreaktors in
Jülich missachtet. Immerhin wurde inzwischen im novellierten StandAG ein Export-
stopp für deutschen Atommüll auch aus Forschungsreaktoren rechtlich verankert, so
dass der lange Jahre ins Auge gefasste Export des AVR-Mülls in die USA endlich vom
Tisch ist. Doch es besteht hier weiterhin ein genehmigungsloser Zustand bei der Zwi-
schenlagerung, der schnellstmöglich abzuändern ist. Die Bundesregierung muss end-
lich ihre Dauerblockade gegen die Ertüchtigung bzw. den Neubau des Zwischenlagers
in Jülich aufgeben (vgl. Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auf Bun-
destagsdrucksache 17/4690 vom 9. Februar 2011).

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. einen sofortigen Exportstopp für die Brennelementelieferungen mit aktuellen
Ausfuhrgenehmigungen der ANF Lingen zu den belgischen Atomkraftwerken
Doel und Tihange anzuordnen;

2. mit Belgien bilaterale Verhandlungen zum Zweck einer unverzüglichen Stillle-
gung insbesondere der beiden Risse-Meiler Tihange 2 und Doel 3 aufzunehmen
und solche Verhandlungen auch mit Frankreich und der Schweiz aufzunehmen,
um auch die dortigen grenznahen Alt-AKW stillzulegen;

3. keine weiteren Ausfuhrgenehmigungen in die die deutsche Sicherheit gefährden-
den Risiko-AKW wie Doel und Tihange in Belgien sowie für andere defizitäre
Alt-AKW entlang der deutschen Grenze zu erteilen;

4. die gesetzlichen Voraussetzungen zur Stilllegung der Urananreicherungsanlage
Urenco in Gronau und der Brennelementefabrik ANF in Lingen zu schaffen;

5. das Genehmigungsverfahren zur weiteren Lagerung von Atommüll am ehemali-
gen Forschungsreaktor Jülich durch eine Ertüchtigung der bestehenden Lager-
halle bzw. den Bau einer neuen Zwischenlagerungshalle voranzutreiben;

6. die Haushaltsmittel für die Option des Exportes von Atommüll aus dem ehema-
ligen Forschungsreaktor Jülich vor dem Hintergrund des Exportverbotes im kürz-
lich beschlossenen Standortauswahlgesetz ersatzlos zu streichen;

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/12093
7. auf europäischer Ebene für eine deutliche Erhöhung der Haftungsanforderungen

einzutreten, insbesondere eine unbegrenzte Betreiberhaftung und eine Deckungs-
vorsorge von mindestens 25 Milliarden Euro.

Berlin, den 25. April 2017

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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