BT-Drucksache 18/12056

Situation der Zivilbevölkerung in Mossul

Vom 10. April 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/12056
18. Wahlperiode 10.04.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Kathrin Vogler, Jan van Aken, Christine Buchholz,
Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger, Andrej Hunko, Katrin Kunert und
der Fraktion DIE LINKE.

Situation der Zivilbevölkerung in Mossul

Die Anti-IS-Koalition will den IS in Mossul, seiner ehemaligen Hochburg im
Irak, mit dem seit letztem Herbst laufenden militärischen „Sturm auf Mossul“
besiegen. Deutschland ist politisch, militärisch und wirtschaftlich in diese Offen-
sive involviert. Die Zivilbevölkerung in der Stadt ist gefangen zwischen den
Fronten des IS und der Anti-IS-Koalition.
Am Sonntag, dem 20. Februar 2017, kündigte der irakische Ministerpräsident
Haider al-Abadi an, die seit Herbst letzten Jahres laufende Militäroffensive gegen
den IS zur Rückeroberung Mossuls trete in ihre zweite Phase; man beginne nun
damit, West-Mossul von der Vorherrschaft des IS zu befreien (19. Februar 2017,
www.iraqinews.com/iraq-war/abadi-offensive-west-mosul/). Mossul gilt als letzte
IS-Hochburg im Irak. Von Mitte Oktober 2016 bis Ende Januar 2017 hatten die
irakische Armee, verbündete Milizen und kurdische Peshmerga darum gekämpft,
den Ostteil Mossuls unter ihre Kontrolle zu bringen; sie wurden dabei von der
westlichen Anti-IS-Koalition unterstützt, die sich bis Mitte Januar mit 558 Luft-
angriffen an diesem Waffengang beteiligte (24. Januar 2017, www.inherentresolve.
mil/News/News-Releases/Article/1058304/iraqi-government-announces-liberation-
of-eastern-mosul/).
Nach offiziellen Angaben gilt der Ostteil der Stadt seit dem 24. Januar 2017 zwar
als „befreit“ (24. Januar 2017, www.inherentresolve.mil/News/News-Releases/
Article/1058304/iraqi-government-announces-liberation-of-eastern-mosul/), kann
aber keineswegs als sicher bezeichnet werden. Die Lage in Ost-Mossul ist wei-
terhin prekär, und aus der Sicht der Fragesteller deutet alles darauf hin, dass der
IS sich immer noch in Ost-Mossul befindet. Bereits am 1. Februar 2017 wurde
der IS erneut in sieben Stadtteilen aktiv, elf Menschen starben in den Vierteln,
die kürzlich erst zu „befreiten Zonen“ erklärt worden waren (1. Februar 2017,
http://derstandard.at/2000051937966/Elf-tote-Zivilisten-bei-IS-Beschuss-in-Mossul?).
Die Situation der aus Ost-Mossul Geflüchteten ist nach UN-Angaben weiterhin
dramatisch. Ihre Zahl war nach Beginn der „Offensive“ im Oktober 2016 sprung-
haft auf 217 000 Menschen angestiegen (19. Februar 2017, Pressemitteilung des
UNHCR). Inzwischen sind 57 000 Flüchtlinge wieder nach Ost-Mossul zurück-
gekehrt. Verschiedene UN-Organisationen hielten es von Beginn an für eine
fatale Strategie, dass die irakische Regierung die Bevölkerung aufgefordert hatte,
in der Stadt zu bleiben und auf die Befreiung zu warten, statt zu fliehen (4. Januar
2017, www.heise.de/tp/features/Mosul-Tausende-fluechten-vor-dem-Haeuser
kampf-3588549.html). Amnesty International berichtete Ende März 2017, dass
auch die irakische Regierung die Bevölkerung Mossuls dazu aufgefordert hatte,

Drucksache 18/12056 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

nicht ihre Häuser oder vermeintlich sichere Orte zu verlassen. Zahlreiche Augen-
zeugen erklärten, dass während der Luftangriffe, bei denen hunderte Zivilisten
getötet wurden, IS-Kämpfer sich in der Nähe der zerstörten Häuser aufhielten
(28. März 2017, www.amnesty.org/en/latest/news/2017/03/iraq-civilians-killed-by-
airstrikes-in-their-homes-after-they-were-told-not-to-flee-mosul/). Nach den Kämp-
fen ermittelten die UN, dass insgesamt 1 096 Bewohner Mossuls seit Beginn der
Angriffe im Oktober 2016 getötet wurden (31. Januar 2017, www.bbc.com/news/
world-middle-east-37702442), nach Angaben eines Mitarbeiters des irakischen
Zivilschutzes sollen es sogar 3 000 Tote sein (www.tagesschau.de/ausland/mossul-
301.html). Nach Angaben des Office for the Coordination of Humanitarian Af-
fairs (OCHA) gab es insgesamt 1 341 Schwerverletzte, darunter 30 Prozent Frauen
und Mädchen, 9 Prozent der Schwerverletzten sind unter fünf Jahre alt (31 Januar
2017, http://reliefweb.int/sites/reliefweb.int-/files/resources/iraqhumanitariansnap
shot_january2017_draft_final.pdf). Darauf, dass für diese Opfer nicht nur der IS
und/oder die Bomben der Anti-IS-Koalition verantwortlich sind, weisen Berichte
hin, die irakische Regierungskräfte in Militär- und Polizeiuniformen bei Folte-
rungen und Misshandlungen von zum Teil jugendlichen Verdächtigen bzw. Ge-
fangenen in Ost-Mosul zeigen (19. Februar 2017, www.theguardian.com/world/
2017/feb/19/violent-videos-threaten-iraqi-campaign-mosul). Die UN zitieren die
Organisation Human Rights Watch, wonach zwischen November 2016 und Feb-
ruar 2017 die irakische Armee, verbündete Milizen und kurdische Peshmerga in
Ortschaften um Mossul Wohnhäuser und zivile Infrastruktur geplündert, beschä-
digt und angezündet hätten, ohne dass es eine militärische Notwendigkeit für
diese Verwüstungen gegeben habe (16. Februar 2017, http://reliefweb.int/report/
iraq/iraq-looting-destruction-forces-fighting-isis).
Der westliche Teil von Mossul, in dem sich auch die Altstadt befindet, ist kleiner
als der östliche, aber viel dichter besiedelt. Die Gassen sind so schmal, dass weder
Panzer noch Humvees hindurch fahren können. In West-Mossul werden
750 000 Menschen vermutet (31. Januar 2017, www.bbc.com/news/world-middle-
east-37702442), die sich unter Kontrolle des IS befinden. Die UN haben seit Mo-
naten keinen Zugang zu diesen Bezirken. Die irakische Nachrichtenplattform
„Niqash“ berichtet, dass die Bewohner ihre Möbel und Kleidung verbrennen, um
kochen zu können (1. Februar 2017, www.niqash.org/en/articles/security/5534/).
Die UN-Koordinatorin der humanitären Hilfe im Irak, Lise Grande, geht davon
aus, dass in den kommenden Wochen ein Großteil der Menschen versuchen wird,
aus der Stadt zu fliehen. Denn in den dichtbebauten Wohnvierteln sind die Zivi-
listen den Kämpfen schutzlos ausgeliefert (30. Januar 2017, www.spiegel.de/
politik/ausland/islamischer-staat-in-mossul-das-schlimmste-kommt-erst-noch-a-
1132054.html). Die Sprecherin des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte,
Ravina Shamdasani, verweist auf die hohe Zahl von Opfern unter der Zivilbe-
völkerung durch die alliierten Bombenangriffe auf Ost-Mossul und fordert ein
komplettes Verbot von Luftangriffen über West-Mossul (24. Januar 2017, www.
businessinsider.com/r-un-says-mosul-air-strikes-kill-civilians-2017-1).
Das Leid der Zivilbevölkerung in Mossul löst in Deutschland keine öffentliche
Debatte aus, die dem Ausmaß dieser humanitären Katastrophe nach Ansicht der
Fragesteller angemessen wäre.
Seit Januar 2015 betreibt die Bundeswehr „Ausbildungsunterstützung“ für „Si-
cherheitskräfte der Regierung der Region Kurdistan-Irak und der irakischen
Streitkräfte“, die sie u. a. im Häuserkampf anleitet (Bundestagsdrucksache
18/10820). Zudem rüstete die Bundeswehr die kurdischen Peshmerga, die beim
„Sturm auf Mossul“ mitkämpfen, mit Milan-Panzerabwehrraketen, Panzerfäus-
ten, mehreren tausend Sturmgewehren und P1-Pistolen sowie mehreren Millio-
nen Schuss Munition aus. Darüber hinaus erhielten die Peshmerga gepanzerte
Dingo-Truppentransporter, Funkgeräte, Nachtsichtgeräte und Zelte im Wert von

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/12056
70 Mio. Euro (18. Oktober 2016, www.welt.de/print/welt_kompakt/article158
845362/Deutschlands-Beteiligung-an-der-Offensive.html; 18. September 2014,
www.welt.de/politik/deutschland/article132390811/Waffendepot-fuer-die-Kurden-
liegt-in-Mecklenburg.html).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie bewertet die Bundesregierung die humanitäre Lage im Irak, insbeson-

dere in Mossul?
2. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung insbesondere über die huma-

nitären Folgen der „Operation Inherent Resolve“ für die Zivilbevölkerung in
Mossul?

3. Welche militärischen und zivilen Quellen nutzt die Bundesregierung für ihre
aktuellen Lageeinschätzungen zur Situation der Zivilistinnen und Zivilisten
in Mossul?

4. Wie bewertet die Bundesregierung das militärische Gebaren der mit deut-
schen Waffen unterstützten Peschmerga-Kämpfer bzw. -Kämpferinnen im
Kampf um Mossul, und welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregie-
rung daraus?

5. Inwiefern hält die Bundesregierung eine Unterzeichnung einer Endverbleibs-
erklärung durch eine Bürgerkriegspartei für hinreichend, um die unkontrol-
lierte Weiterverbreitung gelieferter Waffen zu verhindern, und welche Sank-
tionsmöglichkeiten gibt es bei Verstößen?

6. Hat die Bundesregierung jemals Sanktionen bei einem Verstoß gegen die
Vereinbarungen zur Weiterverbreitung von Rüstungsgütern angewendet,
und wenn ja, welche, und gegen wen?

7. Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass die an die Bodentruppen der
Peschmerga gelieferten Bundeswehrwaffen im Verlauf der Kämpfe in
Mossul nicht von Terrorgruppen erbeutet und gegen die Zivilbevölkerung
eingesetzt werden?

8. Welche Aufgaben soll der von der Bundesregierung gemeinsam mit dem US-
Verteidigungsministerium beauftragte „military contractor“ Janus Global
Operations (bis 2016: Sterling Global Operations), der u. a. im Irak Ölför-
deranlagen militärisch absichert (21. Juli 2016, www.prnewswire.com/news-
releases/janus-global-operations-to-provide-security-risk-management-in-
iraq-for-major-international-oil-company-300302111.html), in Kuwait na-
tionale und US-Munitionsdepots verwaltet (http://kwt.jobs/janus-global-
operations-llc/careers/?) und in Somalia, Mozambik, Libyen und Uganda mit
eigenem Personal Krisenlagen absichert (10. Mai 2016, www.bloomberg.
com/features/2016-uganda-mercenaries/), in Mossul übernehmen?

9. Was weiß die Bundesregierung über das Vorgehen irakischer und kurdischer
Sicherheitskräfte, unter den zurückgekehrten Flüchtlingen in Ost-Mossul
und in den Flüchtlingslagern rund um Mossul nach „verdächtigen“ Männern
(2. Februar 2017, www.hrw.org/news/2017/02/02/iraq-men-fleeing-mosul-
held-secret) und „fanatisierten Kindern“, darunter 9- bis 12-Jährige (10. Januar
2017, www.deutschlandfunk.de/kampf-um-mossul-alles-was-zurueckbleibt-
ist-zerstoerung.1773.de.html?dram:article_id=375987) zu suchen, diese zu
verhaften und an unbekannten Orten zu internieren sowie über den Verbleib
und die aktuelle Verfassung dieser Menschen?

Drucksache 18/12056 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

10. Hält die Bundesregierung die Anfang Februar 2017 vom Bundesminister für

wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Dr. Gerd Müller, ange-
kündigte Summe von 50 Mio. Euro zur Unterstützung der Menschen in und
um Mossul (2. Februar 2017, www.bmz.de/de/presse/aktuelleMeldungen/
2017/februar/170202_pm_013_Wiederaufbau-und-Mossul-Hilfe-
Entwicklungsminister-reist-in-den-Irak/index.html) für ausreichend?
a) Nach welchen Kriterien wurde diese Summe berechnet?
b) Warum hält es die Bundesregierung für angemessen, ca. fünfmal so viel

für den bundesdeutschen Militäreinsatz im Rahmen der Operation Inhe-
rent Resolve auszugeben wie für die die Hilfsleistungen „für die Men-
schen in und um Mossul“?

c) Für welche konkreten Maßnahmen verwendet die Bundesregierung das
zur Verfügung gestellte Geld aus dem Entwicklungsetat, und von wem
(Bundesregierung oder Dritte) sollen diese ausgeführt und kontrolliert
werden?

11. Welche allgemeinen Vorbereitungen werden durch und in Kooperation mit
der Bundesregierung getroffen, um die Zivilgesellschaft im (ehemaligen)
Einflussgebiet der Terrororganisation IS im Irak und speziell in Mossul in
den friedlichen Wiederaufbau einzubeziehen?

12. Hat die Bundesregierung Kenntnisse, inwiefern im Hinblick auf Trauma-Be-
arbeitung und Deeskalationsarbeit Expertinnen und Experten (Lehrerinnen
und Lehrer, Ärztinnen und Ärzte, Psychologinnen und Psychologen, Sozial-
arbeiterinnen und Sozialarbeiter usw.) in Mossul mit in den Prozess des Wie-
deraufbaus einbezogen werden?

13. Beteiligt sich die Bundesregierung an der Aufstockung des Budgets des
„World Food Programs“ für die mehr als 1,4 Millionen vertriebenen Irakerin-
nen und Iraker, welches im Januar um die Hälfte gekürzt worden war (28. Ja-
nuar 2017, http://ffm-online.org/¬2017/01/28/welternaehrungsprogramm-
halbiert-lebensmittelrationen-fuer-irakische-fluechtlinge/), und wenn ja, in
welcher Höhe?

14. Welche Informationen hat die Bundesregierung über die Anzahl und den
Verbleib der seit Oktober 2016 aus Mossul geflüchteten Menschen, und wie
bewertet die Bundesregierung die aktuelle Versorgungslage der Geflüchte-
ten?

15. Wie setzt sich die Bundesregierung dafür ein, dass die rund 3 000 vom IS als
Geiseln genommenen Jesidinnen und Jesiden aus Mossul (10. Januar 2017,
www.deutschlandfunk.de/kampf-um-mossul-alles-was-zurueckbleibt-ist-
zerstoerung.1773.de.html?dram:article_id=375987) und alle anderen Gefan-
genen des IS vor Angriffen geschützt werden und unversehrt bleiben?

16. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, dass die US-geführte Koali-
tion die Zahl der Militärberater für Mossul auf 450 aufstocken will (4. Januar
2017, www.zeit.de/news/2017-01/04/usa-us-gefuehrte-koalition-stockt-
zahl-der-militaerberater-fuer-mossul-auf-450-auf-04212818)?
a) Welche Nationalität haben diese Militärberater?
b) Was ist ihre Qualifikation?
c) Wem sind sie unterstellt?
d) Was ist ihre Aufgabe?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/12056

17. Angesichts der in der Vorbemerkung der Fragesteller geschilderten Men-

schenrechtsverletzungen und Zerstörungen, hat sich die Bundesregierung da-
von distanziert, dass der Kommandeur der Anti-IS-Koalition, US-General
Stephen Townsend, den Einsatz „der Armee, der Polizei und der Milizen“
zur Befreiung von Mossul ausdrücklich gelobt hat (19. Februar 2017,
www.heute.de/zdf-korrespondent-uli-gack-zur-offensive-auf-west-mossul-
46589660.html), bzw. bemüht sich die Bundesregierung, den geschilderten
Übergriffen der Mitglieder der „Anti-IS-Koalition“ nachzugehen und sie ju-
ristisch zur Verantwortung zu ziehen?

18. Kann die Bundesregierung bestätigen, dass der IS bewusst Zivilistinnen und
Zivilisten als „menschliche Schutzschilde“ benutzt und auch Luftangriffe auf
zivile Ziele provoziert?

19. Welche Position bezieht die Bundesregierung zu weiteren Luftangriffen der
Anti-IS-Koalition?

20. Unterstützen Bundeswehrkräfte die Luftangriffe der Anti-IS-Koalition, und
wenn ja, durch welche militärischen Maßnahmen erfolgt diese Unterstüt-
zung?

21. Was schlägt die Bundesregierung vor, wie sich die Menschen in West-
Mossul in Anbetracht der Luftangriffe verhalten sollen?

Berlin, den 11. April 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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