BT-Drucksache 18/120

Auswirkungen von Herstellerrabatten und Nutzenbewertung auf die Arzneimittelversorgung und -ausgaben

Vom 2. Dezember 2013


Deutscher Bundestag Drucksache 18/120
18. Wahlperiode 02.12.2013
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Kathrin Vogler, Sabine Zimmermann (Zwickau),
Harald Weinberg, Birgit Wöllert, Pia Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Auswirkungen von Herstellerrabatten und Nutzenbewertung auf die
Arzneimittelversorgung und -ausgaben

Mit dem Gesetz zur Änderung krankenversicherungsrechtlicher und anderer
Vorschriften (GKV-Änderungsgesetz) hat die damalige Koalition der Fraktionen
der CDU/CSU und FDP mit Wirkung zum 1. August 2010 ein Preismoratorium
für Arzneimittel ohne Festbetrag eingeführt und die Regelung bis zum
31. Dezember 2013 befristet. Für den gleichen Zeitraum wurde der gesetzliche
Herstellerabschlag für zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)
verordnete Arzneimittel ohne Festbetrag von 6 Prozent auf 16 Prozent erhöht.
Diese Maßnahme war überwiegend für die moderate Entwicklung der Arznei-
mittelausgaben der GKV seit dem 1. August 2010 verantwortlich. Die Fraktion
DIE LINKE. hat im Sommer 2013 beantragt, den erhöhten Rabatt und das Preis-
moratorium für zwei Jahre zu verlängern, was aber mit den Stimmen aller ande-
ren Fraktionen abgelehnt wurde (vgl. Änderungsantrag im Ausschuss für Ge-
sundheit des Deutschen Bundestages zum Entwurf eines Dritten Gesetzes zur
Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften, Ausschussdruck-
sache 17(14)438). Begründet wurde die Ablehnung vor allem damit, dass durch
neue Regelungen aus dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG),
dabei vor allem durch den Bestandsmarktaufruf, zukünftig Einsparungen in
etwa gleicher Größenordnung erzielt werden könnten.
Das AMNOG führte zum 1. Januar 2011 grundlegende Neuerungen in der Preis-
findung bei neuen Arzneimitteln ein. Erstes Ziel des AMNOG war es, dass „den
Menschen […] im Krankheitsfall die besten und wirksamsten Arzneimittel zur
Verfügung stehen“ (vgl. Gesetzentwurf auf Bundestagsdrucksache 17/3116).
Der Zusatznutzen für die Patientinnen und Patienten im Vergleich zum Thera-
piestandard (zweckmäßige Vergleichstherapie) soll nach § 130b des Fünften
Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) die Grundlage für die Preisverhandlungen
zwischen Hersteller und dem GKV-Spitzenverband bilden. Die freie Preis-
bildung von Seiten der Hersteller besteht jedoch im ersten Vermarktungsjahr
weiter fort.
Mit dem § 35a Absatz 6 SGB V führte die schwarz-gelbe Koalition als Teil des
AMNOG auch den sogenannten Bestandsmarktaufruf ein. Laut Gesetzesbe-
gründung soll „insbesondere […] der Nutzen von Arzneimitteln bewertet wer-
den, die im Wettbewerb stehen mit Arzneimitteln, für die bereits Nutzenbewer-
tungen beschlossen sind und für die kein Festbetrag festgesetzt werden kann.
Dies können insbesondere Arzneimittel mit gleichem Anwendungsgebiet sein.
Hierdurch soll eine Gleichbehandlung der nicht festbetragsfähigen Arzneimittel
im gleichen Anwendungsgebiet gewährleistet werden“.

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Laut Koalitionsvertrag ist zwischen CDU, CSU und SPD vereinbart worden, die
Nutzenbewertung von Bestandsmarktarzneimitteln vollständig zu streichen
(www.cdu.de/sites/default/files/media/dokumente/koalitionsvertrag.pdf). Statt-
dessen soll das Preismoratorium weitergeführt sowie der gesetzliche Hersteller-
rabatt von derzeit 16 Prozent auf dann 7 Prozent gesenkt werden und damit nur
wenig über dem Niveau vor dem GKV-Änderungsgesetz liegen. Begründet wird
dies in einem früheren Entwurf des Koalitionsvertrages mit „einer Reihe recht-
licher, verfahrenstechnischer und praktischer Probleme“ (www.apotheke-
adhoc.de).
Dieser Entwurf der Koalitionsvereinbarung soll noch die Einschränkung enthal-
ten haben, dass der sogenannte Wettbewerbsaufruf, also der Vergleich neuer
Arzneimittel mit konkurrierenden Bestandsarzneimitteln, ausdrücklich davon
unberührt bliebe (vgl. www.aerztezeitung.de). Am 13. November 2013 wird
eine führende Pharmalobbyistin, die Geschäftsführerin des Verbandes Forschen-
der Arzneimittelhersteller e. V. (vfa), zitiert: „Eine Trennung des Bestandsmark-
tes in Wettbewerbsaufruf und Versorgungsaufruf ist praktisch unmöglich. […]
Die Planungsunsicherheit der Firmen werde sich dadurch noch erhöhen.“
Der Pharmakonzern Pfizer Deutschland GmbH hat am 15. November 2013 mit-
geteilt, dass er die Preisverhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband zu
Bosulif®, einem Arzneimittel gegen seltene Erkrankungen (orphan drug), abge-
brochen hat. Das Arzneimittel kann den Patientinnen und Patienten nur noch per
EU-Import zur Verfügung gestellt werden. Die „Frankfurter Rundschau“ stellt
treffend fest, dass der Rückzug und die damit verbundene Kritik am AMNOG
zeitlich mit dem Beginn der heißen Phase der Koalitionsverhandlungen über die
künftige Gesundheitspolitik zusammenfallen (www.fr-online.de).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Ist die Preisfindung für neue Arzneimittel gemäß AMNOG nach Ansicht der

Bundesregierung zuvorderst ein Instrument zur Kostenreduktion für die ge-
setzliche und private Krankenversicherung, bzw. welche Rolle spielt die nut-
zenbasierte Preisfindung für die Qualität der Versorgung?

2. Inwiefern ist nach Ansicht der Bundesregierung die Bestimmung eines Zu-
satznutzens für neue Arzneimittel konsequent, wenn die Vergleichstherapie
selbst nicht nutzenbewertet ist, bzw. welche Rolle spielt der Bestands-
marktaufruf für die Versorgungsqualität?

3. Wie viele patentgeschützte Präparate ohne Nutzenbewertung befinden sich
derzeit auf dem deutschen Markt, und wie viele sind nutzenbewertet?

4. Sieht die Bundesregierung eine Ungleichbehandlung von neuen gegenüber
anderen festbetragsfreien Arzneimittel im gleichen Anwendungsgebiet,
wenn der Bestandsmarktaufruf wegfiele?

5. Wie häufig wurden bislang in der frühen Nutzenbewertung nach § 35a
SGB V patentgeschützte Arzneimittel als zweckmäßige Vergleichstherapie
herangezogen, und wie häufig generikafähige Arzneimittel?

6. Wie haben sich die Arzneimittelausgaben der GKV in den letzten zehn Jahren
entwickelt?

7. Wie haben sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Arzneimittelausga-
ben der privaten Krankenversicherer in den letzten zehn Jahren entwickelt?

8. Wie haben sich die unterschiedlichen Regelungen aus dem AMNOG nach
Kenntnis der Bundesregierung auf die Arzneimittelausgabenentwicklung der
GKV seit dem 1. Januar 2011 ausgewirkt?

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9. Welche Auswirkungen haben die erhöhten Herstellerrabatte in Verbindung
mit dem Preismoratorium gemäß GKV-Änderungsgesetz seit dem 1. August
2010 auf die Arzneimittelausgaben der GKV entfaltet?

10. Welche Auswirkungen auf die Arzneimittelausgaben der GKV würde ein
gesetzlicher Herstellerrabatt von 7 Prozent bei Fortführung des Preismora-
toriums entfalten?

11. Welche Effekte haben nach Kenntnis der Bundesregierung die genannten, im
Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD vereinbarten Regelungen
auf die Arzneimittelausgaben der privaten Krankenversicherung (PKV)?

12. Welche gesetzlichen Rabatte gelten nach derzeitiger Rechtslage bis zum
31. Dezember 2013 sowie nach dem 1. Januar 2014 (bitte nach festbetrags-
fähig/nicht festbetragsfähig, hier jeweils nach verschreibungspflichtig/apo-
thekenpflichtig und hier jeweils wiederum nach generikafähig/nichtgeneri-
kafähig und unter Berücksichtigung der tatsächlichen Abschlagspflicht und
unter Nennung der jeweiligen Rechtsvorschrift aufschlüsseln)?

13. Sind der Bundesregierung Vorschläge bekannt, wie der Bestandsmarktauf-
ruf auf einfachere Weise zu befriedigenden Ergebnissen führen kann?
Falls ja, welche, und welche Schlussfolgerungen bzw. Konsequenzen zieht
sie aus diesen?

14. Wie bewertet die Bundesregierung die rechtliche Umsetzbarkeit des in Ita-
lien praktizierten Modells eines Forschungspools?

15. Welche rechtlichen, verfahrenstechnischen und praktischen Probleme sind
der Bundesregierung in Bezug auf den Bestandsmarktaufruf bekannt, und
wie hat sie versucht, diesen zu begegnen?
Welche dieser Probleme sind für die Bundesregierung bislang ungelöst, und
welche davon unlösbar?
Welche dieser Probleme sind seit wann bekannt?

16. Ist das Opt-out-Verfahren gesetzlich vorgesehen, und falls nein, gibt es eine
Möglichkeit, Opt-out-Fälle gesetzlich zu unterbinden?

17. Welche anderen Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, Opt-out-Fälle zu
unterbinden, und welche davon zieht sie in Erwägung?

18. Welche sonstigen Rückschlüsse zieht die Bundesregierung aus dem
Opt-out-Fall Bosulif®?

19. Wie häufig ist der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) von der Einschät-
zung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen
(IQWiG) abgewichen, und aus welchen Gründen?

20. Welche Gerichtsverfahren zu Beschlüssen des G-BA sind der Bundesregie-
rung bekannt, und wie wurde jeweils entschieden?

21. Welche Informationen hat die Bundesregierung über die Funktion Deutsch-
lands als Referenzland für Arzneimittelpreise und die Berücksichtigung des
tatsächlichen deutschen Erstattungsbetrages für die Preisgestaltung im Aus-
land (bitte entsprechende Länder und deren Regelungen auflisten)?

22. Wie wird der Erstattungsbetrag nach den Preisverhandlungen für neue Arz-
neimittel veröffentlicht?

23. Wie hoch waren bislang die ausgehandelten Rabatte bei den Preisverhand-
lungen, und mit welchem durchschnittlichen Rabatt hatte die Bundesregie-
rung bei Einbringung des AMNOG gerechnet?

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24. Welche Vorteile bietet die Preisfindung über Verhandlungen zwischen
Krankenkassen und Herstellern im Vergleich zu einer behördlichen Preis-
festsetzung?

25. Wie wird gewährleistet und kann nachgeprüft werden, dass der Zusatznut-
zen eines neuen Arzneimittels tatsächlich maßgeblich für den ausgehandel-
ten Erstattungspreis ist?
Welche weiteren Faktoren spielen nach Kenntnis der Bundesregierung für
das Verhandlungsergebnis eine Rolle?

26. In welchen Ländern Europas findet nach Kenntnis der Bundesregierung
eine Preisfestsetzung durch Behörden oder andere staatlich legitimierte In-
stitutionen für neue Arzneimittel statt?
In welchen Ländern ist diese Preisfestsetzung vorrangig nutzenbasiert?
Welche anderen maßgeblichen Kriterien werden nach Kenntnis der Bundes-
regierung jeweils angewendet?

27. Wie hoch sind nach Kenntnis der Bundesregierung die durchschnittlichen
Arzneimittelpreise (bzw. Erstattungspreise) in den einzelnen Staaten der
Europäischen Union (bitte tabellarisch auflisten)?

28. Welche Länder der Europäischen Union sind der Bundesregierung bekannt,
die trotz Rabatten für praktisch alle Kostenträger einen höheren Listenpreis
ausweisen?

29. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung eine Korrelation zwischen dem
Grad des Zusatznutzens eines Arzneimittels und seiner wirtschaftlichen
Platzierung am Markt?

30. Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung eine Korrelation zwischen dem
Ausmaß des Zusatznutzens eines Arzneimittels und dem Marketingaufwand
des jeweiligen Herstellers?

31. Falls nein, wird der Zweck des AMNOG, den Menschen die besten und
wirksamsten Arzneimittel zur Verfügung zu stellen, durch Marketingmaß-
nahmen für Arzneimittel ohne, mit geringem oder unklarem Zusatznutzen
konterkariert?

32. Sieht es die Bundesregierung als Problem an, dass Pharmafirmen innerhalb
des ersten Vermarktungsjahres, in dem der Erstattungspreis ermittelt wird,
die Möglichkeit haben, mit Marketingmaßnahmen ihr Produkt bei den ver-
schreibenden Ärztinnen und Ärzten zu platzieren?

33. Falls nein, sieht die Bundesregierung einen möglichen Zusammenhang zwi-
schen Marketingmaßnahmen von Pharmaherstellern vor Aushandlung eines
Erstattungsbetrages und der fehlenden Korrelation zwischen Marktplatzie-
rung und Zusatznutzen eines neuen Arzneimittels?

Berlin, den 29. November 2013

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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