BT-Drucksache 18/11961

Diskussion um die Umbenennung der nach dem Wehrmachts-Flieger Helmut Lent benannten Bundeswehr-Kaserne in Rotenburg

Vom 6. April 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/11961
18. Wahlperiode 06.04.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Herbert Behrens, Christine Buchholz,
Annette Groth, Inge Höger, Andrej Hunko, Niema Movassat,
Dr. Alexander S. Neu, Kersten Steinke, Kathrin Vogler und der
Fraktion DIE LINKE.

Diskussion um die Umbenennung der nach dem Wehrmachts-Flieger Helmut Lent
benannten Bundeswehr-Kaserne in Rotenburg

Medienberichten zufolge steht in der Diskussion um eine mögliche Umbenen-
nung der Lent-Kaserne in Rotenburg eine Entscheidung bevor (www.
kreiszeitung.de/lokales/rotenburg/rotenburg-ort120515/abstand-betrachtet-804
875.html).
Die Kaserne ist nach dem Wehrmachts-Oberst Helmut Lent (1918 bis 1944) be-
nannt, der zu den am höchsten dekorierten Piloten der Nazi-Luftwaffe gehört
hatte. Widerständische Positionen gegenüber der Nazi-Diktatur sind von ihm
nicht überliefert. Zur Person Lents gibt es mehrere Gutachten des Militärge-
schichtlichen Forschungsamtes (MGFA) bzw. des Zentrums für Militärge-
schichte und Sozialwissenschaften (ZMS) der Bundeswehr. In einer älteren Aus-
arbeitung (vermutlich 2012) heißt es, es sei aus wissenschaftlicher Sicht „festzu-
stellen, dass Lents militärisches Handeln sich nicht an den Normen des Rechts-
staats und des Völkerrechts orientiert hat und daher heute keinen ‚sittlichen Rang‘
besitzt, wie die Richtlinien es für die Traditionswürdigkeit in der Armee eines
demokratischen Staates fordern“.
Ein weiteres Gutachten vom 28. Januar 2016 (beide Gutachten unter www.
andressen.eu/wp-content/uploads/2016/09/Gutachten-Helmut-Lent.pdf) ist dage-
gen weniger kritisch. Dienstliche Beurteilungen Lents durch Vorgesetzte („steht
fest auf dem Boden der nationalsozialistischen Weltanschauung“) werden als
„Standard-Formulierung“ bezeichnet, ohne zu problematisieren, dass Lent keinen
Grund gab, vom Standardverfahren abzuweichen. Zur Beschäftigung einer ukra-
inischen Zwangsarbeiterin in Lents Haushalt heißt es, das sei damals „keine Aus-
nahmeerscheinung“ gewesen, ohne festzustellen, dass es gleichwohl ein Verbre-
chen war.
Das Gutachten kommt zum Schluss, dass sich Lent einerseits „weitgehend ange-
passt und systemkonform verhielt“, andererseits gebe es „einige Hinweise auf
eine Distanz gegenüber dem Nationalsozialismus“. Lent könne „einerseits nicht
für den Widerstand gegen den Nationalsozialismus reklamiert werden, ist ander-
seits aber sehr wahrscheinlich auch kein ‚Nazi‘ im eigentlichen Sinn gewesen“.
Aus Sicht der Fragesteller ist aber nicht nur relevant, mit welcher Wahrschein-
lichkeit Lent „Nazi im eigentlichen Sinn“ war, sondern auch, dass er durch seine
systemkonforme Aufgabenerfüllung die Verbrechen der Nazis mit ermöglicht
hat. Dass dies in der Tat „keine Ausnahmeerscheinung“ war, sollte kein Grund
sein, ihm heute noch die Ehre eines Kasernennamens zu erweisen.

Drucksache 18/11961 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Unklar aus Sicht der Fragesteller ist, inwiefern in die bisherige Diskussion das
sogenannte Erinnerungsbuch, das im September 1945 von seiner Witwe erstellt
wurde, eingeflossen ist. In diesem Buch wird unter anderem ein Schreiben Lents
an seine Kommandeure vom 22. Juni 1944 zitiert, in dem er ausführte: „Durch
den Einsatz unserer neuen Waffen ist das Vertrauen nicht nur des deutschen Men-
schen in der Heimat, sondern auch des deutschen Soldaten an der Front zur Füh-
rung und vor allem auch zum Endsieg unerhört gewachsen.“ In einem Brief „An
die Herren Kommandeure“ vom 18. August 1944, von dem nicht feststeht, ob er
von Lent verfasst oder lediglich weitergegeben wurde, werden ebenfalls Durch-
halteparolen geäußert. „Denken wir auch immer daran, daß sich eine Kapitulation
oder ein unwürdiger Friede mit der deutschen Ehre nicht vereinbaren läßt“
(Quelle: Ausarbeitung von Michael Quelle auf Basis des Exemplars im Stadtar-
chiv Stade, liegt den Fragestellern vor).
Auf der Homepage der Bundeswehr heißt es im Text „Überblick: Wie Kasernen
ihren Namen bekommen“: „Bei der Auswahl von Persönlichkeiten der Ge-
schichte sind Namensgeber zu berücksichtigen, die sich durch ihr gesamtes Wir-
ken oder eine herausragende Tat um Freiheit und Recht verdient gemacht haben.
Bei der Beurteilung, ob Persönlichkeiten der deutschen Militärgeschichte für die
Bundeswehr überlieferungswürdig sind, können nicht nur soldatische Haltung
und militärische Leistungen zugrunde gelegt werden. Ausschlaggebend ist viel-
mehr, ob ihre Gesamtpersönlichkeit und ihr Gesamtverhalten beispielgebend in
unsere Zeit hineinwirken.“ Die Fragesteller können nicht erkennen, inwiefern
Helmut Lent „beispielgebend in unsere Zeit hineinwirken“ könnte.
Nach Angaben der „Kreiszeitung“ soll eine Soldatenvertretung in der Kaserne im
Mai einen Beschluss fassen. Der Kommandeur des Standortes habe aber schon
durchblicken lassen, dass „innerhalb der Kaserne keiner gewillt ist, den Namen
zu ändern.“ Überhaupt sei die Diskussion nur von außen herangetragen worden.
Nach Auffassung der Fragesteller muss auch die Bundesregierung hier Stellung
beziehen und darf einer Ehrung treuer Diener des Nazi-Regimes nicht indifferent
gegenüberstehen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Seit wann und auf wessen Initiative hin gibt es in der Lent-Kaserne eine Dis-

kussion um den Namenspatron und eine mögliche Umbenennung?
2. Wie fasst die Bundesregierung diese Diskussion zusammen, und welche

Schlussfolgerungen zieht sie daraus?
3. Wie war die Diskussion bislang strukturiert, und wie breit ist sie geführt wor-

den (Teilnahme einfacher Soldaten oder überwiegend Diskussion zwischen
wenigen exponierten Offizieren)?

4. Welche maßgeblichen Positionen wurden in der Diskussion sowohl von Sei-
ten von Bundeswehrsoldaten bzw. Angestellten der Bundeswehr und von
Dritten (Stadtrat usw.) geäußert?

5. Inwiefern trifft es zu, dass im Mai eine Entscheidung getroffen werden soll
(vgl. Kreiszeitung vom 28. März 2017, die auf eine Vertrauenspersonen-Ver-
sammlung verweist und ausführt, es solle auf der Basis der bisherigen Dis-
kussion und noch geplanter historischer Vorträge und Informationsrunden
ein „repräsentatives Meinungsbild“ kommuniziert werden), und welches
Prozedere ist dafür vorgesehen (bitte Angaben zur Zusammensetzung der zu-
ständigen Versammlung bzw. Art der Entscheidungsfindung, wie etwa, ob
eine Abstimmung unter allen Soldatinnen und Soldaten des Standorts vorge-
sehen ist, ob die Entscheidung der Soldaten verbindlich ist usw.)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/11961
6. Welche Veranstaltungen im Vorfeld dieser Entscheidung sind vorgesehen
(bitte angeben, wer dazu jeweils eingeladen werden soll), und inwiefern sind
diese Veranstaltungen öffentlich zugänglich?

7. Inwiefern trifft es zu, dass der Kommandeur der Kaserne geäußert hat, inner-
halb der Kaserne wolle niemand den Namen ändern, und welche Schlussfol-
gerungen zieht die Bundesregierung ggf. aus dieser Feststellung noch vor
Abschluss der Diskussion?

8. Treffen Informationen der Fragesteller zu, denen zufolge der Inspekteur des
Heeres im Jahr 2013 eine Prüfung der Umbenennung der Lent-Kaserne an-
geregt hat, und wenn ja, aus welchen Gründen, und welche Position vertritt
der Inspekteur heute zu dieser Frage?

9. Treffen Informationen der Fragesteller zu, denen zufolge im Jahr 2014 alle
Bilder von bzw. zu Lent im Kasernenbereich entfernt wurden und das „Lent-
Zimmer“ umgestaltet sowie umbenannt wurde, und wenn ja, von wem ging
die Initiative hierfür aus, und aus welchen Gründen wurde so verfahren?

10. Treffen Informationen der Fragesteller zu, denen zufolge in der aktuellen
Standortbroschüre kein Hinweis auf den Namenspatron enthalten ist, wohin-
gegen in der früheren Ausgabe von 1995 noch ausgeführt worden war, Lent
„war als Nachtjäger das, was Oberst Mölders für die Tagjagd war, ein Leit-
bild für die gesamten Nachtjäger“, und wenn ja, wer hat dies angeregt bzw.
entschieden, und aus welchen Gründen?

11. Trifft es zu, dass das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) seine
frühere Einschätzung, Lent habe dem Nationalsozialismus nahegestanden,
heute als falsch einschätzt (vgl. „Debatte um Umbenennung der Lent-Ka-
serne ist noch nicht abgeschlossen“, kreiszeitung.de vom 29. November 2016),
und wenn ja, auf welcher Grundlage beruht diese Neueinschätzung?

12. Welche Rolle sollte nach Auffassung der Bundesregierung in der Diskussion
dem Umstand eingeräumt werden, dass Helmut Lent systemkonform agierte
und von ihm keinerlei widerständische Haltung gegenüber dem Nazi-Regime
überliefert ist, und inwiefern ist dieser Punkt aus ihrer Sicht ausreichend ge-
würdigt worden?

13. Welche Rolle sollte nach Auffassung der Bundesregierung in der Diskussion
dem Umstand eingeräumt werden, dass in Helmut Lents Haushalt eine ukra-
inische Zwangsarbeiterin versklavt war, inwiefern betrachtet sie es als ent-
schuldigenden Umstand, dass dies damals „keine Ausnahmeerscheinung“
war, und inwiefern ist dieser Punkt aus ihrer Sicht ausreichend gewürdigt
worden?

14. Inwiefern ist nach Kenntnis der Bundesregierung das „Erinnerungsbuch“ in
die Diskussion am Standort eingeflossen, bzw. inwiefern soll es noch einflie-
ßen?
a) War der Bundesregierung das Zitat mit den „Endsieg“-Durchhalteparolen

Lents vom 22. Juni 1944 bzw. 18. August 1944 und der kompromisslosen
Ablehnung einer Kapitulation bekannt?

b) Inwiefern betrachtet die Bundesregierung die Haltung, die sich aus diesen
Briefen ablesen lässt, als Motiv für oder gegen eine Umbenennung der
Kaserne?

15. Wie genau hat sich das Bundesministerium für Verteidigung in die Diskus-
sion eingebracht?
Hat das BMVg in der Diskussion einen eigenen Standpunkt vertreten, und
wenn ja, welchen?

16. Wie genau hat sich das ZMS in die Diskussion eingebracht?

Drucksache 18/11961 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

17. Welche Stellungnahmen, Gutachten, Biographien usw. sind vom ZMS bzw.

dem Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA) zur Person Helmut
Lent und seiner Einschätzung erstellt worden, was sind jeweils die wichtigs-
ten Feststellungen, und ist die Bundesregierung bereit, die Ausarbeitungen
vollumfänglich dem Deutschen Bundestag oder der Öffentlichkeit zur Ver-
fügung zu stellen?
Inwiefern sind diese Ausarbeitungen in den Diskussionsprozess am Standort
Rotenburg eingeflossen?

18. Inwiefern ist die Person und das Wirken Helmut Lents aus Sicht der Bundes-
regierung vorbildlich für Soldaten der Bundeswehr?

19. Erfüllt die Namensgebung nach Helmut Lent aus Sicht der Bundesregierung
das Kriterium, „auch heute den Anspruch auf Sinnstiftung für den Dienst in
der Bundeswehr (zu) erfüllen“ (vgl. Vorbemerkung der Bundesregierung auf
Bundestagdrucksache 18/2168), und wenn nein, welche Schlussfolgerungen
zieht sie daraus?

20. Welche Gründe sprechen aus Sicht der Bundesregierung im Allgemeinen da-
für, Kasernen nach (Nazi-)systemkonformen Wehrmachtsoffizieren zu be-
nennen?

21. Inwiefern ist es aus Sicht der Bundesregierung für die Beibehaltung eines
Kasernen-Namens ausreichend, dass der Namensgeber womöglich eine „in-
nere Distanz“ zum NS-Regime hatte, ohne dass er irgendwelche widerstän-
dischen Tätigkeiten entfaltete?

22. Ist es aus Sicht der Bundesregierung für die Beibehaltung eines Kasernenna-
mens ausreichend, dass der Namensgeber wahrscheinlich „kein Nazi im ei-
gentlichen Sinn“ war?
Was genau ist nach Kenntnis der Bundesregierung mit dieser Formulierung
überhaupt gemeint?

23. Welche Kasernen der Bundeswehr sind gegenwärtig noch nach Angehörigen
der Wehrmacht benannt (bitte dabei angeben, inwiefern die Namensgeber
dem militärischen Widerstand oder den sogenannten Rettern in Uniform zu-
gerechnet werden)?

24. Welche Kasernen der Bundeswehr sind gegenwärtig noch nach Angehörigen
der kaiserlichen Armee 1871 bis 1918 oder nach Angehörigen von Freikorps
benannt?

25. Zu welchen gegenwärtigen Kasernenbenennungen oder Benennungen von
Schiffen, Molen, Straßen in Bundeswehr-Liegenschaften usw. liegen Ausar-
beitungen seitens MGFA oder ZMS vor, was sind deren zentrale Aussagen,
und inwiefern ist die Bundesregierung bereit, diese dem Deutschen Bundes-
tag oder der Öffentlichkeit vollumfänglich zur Verfügung zu stellen?

26. In welchen Standorten der Bundeswehr finden nach Kenntnis der Bundesre-
gierung derzeit Diskussionen um eine mögliche Umbenennung statt, und wie
fasst die Bundesregierung den jeweiligen Diskussionsverlauf zusammen?

27. Ist es in der Vergangenheit vorgekommen, dass die Bundesregierung oder
das BMVg selbst Diskussionsanstöße für Umbenennungen gegeben hat, und
wenn ja, in welchen Fällen, und welches Ergebnis hatte die Diskussion?

Berlin, den 6. April 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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