BT-Drucksache 18/11865

Effektivität eines sogenannten Migrationsberatungszentrums in Tunesien

Vom 28. März 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/11865
18. Wahlperiode 28.03.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Heike Hänsel, Sevim Dağdelen, Christine Buchholz,
Annette Groth, Inge Höger, Andrej Hunko, Ulla Jelpke, Jan Korte,
Niema Movassat, Kathrin Vogler, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Effektivität eines sogenannten Migrationsberatungszentrums in Tunesien

Der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Dr. Gerd
Müller hat am 3. März 2017 ein sogenanntes Migrationsberatungszentrum in Tu-
nis eröffnet, das gemeinsam mit tunesischen Behörden betrieben wird (www.bmz.
de/de/presse/aktuelleMeldungen/2017/maerz/170303_pm_026_Minister-Mueller-
eroeffnet-deutsch-tunesisches-Migrationsberatungszentrum/index.jsp). Der Bun-
desminister Dr. Gerd Müller begründete die Eröffnung des Zentrums damit,
„Menschen ohne Bleibeperspektive in Deutschland“ eine „Chance in ihrer Hei-
mat“ zu eröffnen.
Aufgrund der vorliegenden Zahlen scheint es fragwürdig, ob diese Erwartungs-
haltung erfüllt werden kann. Das in Tunis ansässige Zentrum soll nach Auskunft
der Bundesregierung bis Ende dieses Jahres 2 000 Menschen beraten und in Be-
schäftigungsverhältnisse vermitteln, was angesichts der wirtschaftlichen Krise in
Tunesien schwierig umzusetzen sein wird. In dem Land sind besonders hohe Ju-
gendarbeitslosenzahlen von zuletzt gut 35 Prozent (www.swp-berlin.org/fileadmin/
contents/products/aktuell/2012A34_adt_pop.pdf) – in ruralen Gebieten des Sü-
dens liegen sie mitunter höher – zu verzeichnen. Die entwicklungspolitische Sinn-
haftigkeit des Vorhabens steht damit nach Ansicht der Fragesteller grundsätzlich
in Frage.
Entwicklungspolitische Ansätze wie ein Beratungszentrum und Jobprogramme
für Rückkehrer nach Tunesien stehen auch im Widerspruch zur neoliberalen Han-
delspolitik der EU, die den Menschen nach Ansicht der Fragesteller in den
Maghreb-Staaten beständig die Grundlage für Wohlstand und Entwicklung entzieht
(www.swr.de/report/ruecksichtsloses-abkommen-wie-die-eu-ihre-wirtschaftlichen-
interessen-gegenueber-afrika-durchsetzt/-/id=233454/did=14245872/nid=233454/
qzsp1f und www.zeit.de/news/2014-11/04/deutschland-afrika-beauftragter-nooke-
warnt-vor-eu-freihandelsabkommen-epa-04153006). Vor diesem Hintergrund
haben Organisationen der Zivilgesellschaft in Tunesien die Europäische Nach-
barschaftspolitik (ENP) (www.europarl.europa.eu/atyourservice/de/displayFtu.
html?ftuId=FTU_6.5.6.html) und die damit einhergehende „Privilegierte Partner-
schaft“ immer wieder kritisiert, weil Perspektiven für eine wirtschaft-
liche Entwicklung des Landes fehlen (www.iz3w.org/zeitschrift/ausgaben/330_
arabischer_fruehling/brocza#!prettyPhoto/0/). Deshalb braucht die ENP eine
grundlegende Neuausrichtung, die etwa auf gerechten Handel, Zusammenarbeit
im Bereich der regenerativen Energien und den Aufbau eigener industrieller Fer-
tigung in Tunesien setzt, statt auf aggressive Marktöffnung und Migrationsab-
wehr. Die akute und massive Inflation verschlechtert die Perspektiven der Men-
schen zusätzlich.

Drucksache 18/11865 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Bevor diese makroökonomischen Probleme nicht durch einen grundlegenden Wan-
del der EU-Handelspolitik zumindest gemindert werden, drohen niederschwellig an-
gelegte Berufsberatungsprogramme ins Leere zu laufen: Wo es keine Jobs gibt, kön-
nen auch keine vermittelt werden. Zwar zählte das Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge (BAMF) 2016 nur noch 8 000 Flüchtlinge (www.bamf.de/DE/Infothek/
Statistiken/Asylzahlen/Asylgesch%C3%A4ftsstatistik/asylgeschaeftsstatistik-
node.html), die aus den drei Maghreb-Staaten in Deutschland erstmals registriert
wurden – 2015 waren es demnach noch 25 000 –, doch schon diese Zahl liegt
deutlich über der Gesamtkapazität des Beratungszentrums.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. In welcher Höhe hat die Bundesregierung Finanzmittel für das vom Bundes-

entwicklungsminister Dr. Gerd Müller angekündigte Beratungszentrum für
abgelehnte Asylbewerber vorgesehen?

2. Wie viele Mitarbeiter hat dieses Zentrum?
3. Wie groß sind die Räumlichkeiten des Zentrums?
4. Mit welchem Konzept will die Bundesregierung Rückkehrer nach Tunesien

in Jobs bringen?
5. Wie ist die Kooperation mit tunesischen Behörden im Rahmen des Bera-

tungszentrums angelegt?
6. Werden der jeweiligen Gegenseite bis dahin nicht vorliegende Personenda-

ten über Beratungsnehmer zugeleitet, und wenn ja, welche?
7. Wie sollen von der Hauptstadt Tunis aus die vor allem jugendlichen Arbeit-

suchenden in den ländlichen Gebieten im Süden des Landes erreicht werden?
8. Wie viele arbeitslose Menschen soll das genannte Zentrum in den kommen-

den Jahren beraten?
9. Wie viele und welche Arbeitsplätze stehen den 2 000 zu beratenden Arbeits-

losen in diesem Jahr gegenüber?
10. Wie viele und welche Ausbildungsplätze stehen den 2 000 zu beratenden Ar-

beitslosen in diesem Jahr gegenüber?
11. In welchen Bereichen sind die nach Angaben des Bundesministeriums für

wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung entstandenen 13 500 Ar-
beitsplätze durch neu gegründete Unternehmen in Tunesien angesiedelt?

12. Woher stammt die Zahl?
13. Wie viele Flüchtlinge aus Tunesien sind in Deutschland derzeit registriert?
14. Wie viele von ihnen sind nach Ansicht der Bundesregierung rückreisepflich-

tig?
15. Hat die Bundesregierung neben dem Beratungszentrum in Tunesien weitere

arbeitsmarkt-, sozial- oder entwicklungspolitische Maßnahmen für Rückkeh-
rer in die Maghreb-Staaten geplant, und wenn ja, welche?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/11865

16. In welcher Weise beeinträchtigt die Entscheidung des Bundesrates vom 10. März

2016 (www.bundesrat.de/SharedDocs/downloads/DE/plenarprotokolle/2017/
Plenarprotokoll-954.pdf?__blob=publicationFile&v=2) gegen eine Einstu-
fung der Maghreb-Staaten als sichere Aufnahmestaaten die Pläne zur Ein-
richtung eines Beratungszentrums in Tunesien?

Berlin, den 28. März 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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