BT-Drucksache 18/11731

Zusammenarbeit im Flüchtlingsbereich mit Belarus

Vom 17. März 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/11731
18. Wahlperiode 17.03.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Christine Buchholz, Annette Groth,
Dr. André Hahn, Inge Höger, Andrej Hunko, Niema Movassat,
Dr. Alexander S. Neu, Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Zusammenarbeit im Flüchtlingsbereich mit Belarus

Die Europäische Union fördert in Belarus mit 7 Mio. Euro den Bau von Abschie-
beeinrichtungen für „irreguläre Migranten“. In einem bereits im Juli 2016 veröf-
fentlichten Plan der Europäischen Kommission („New detention centres part of
€7 million EU migration project in Belarus“, statewatch.org) heißt es, die zu er-
richtenden Unterkünfte sollten neben offene auch „geschlossene“ Einrichtungen
umfassen („closed and open-type facilities“). Als Ziel wird angegeben, zur Stär-
kung von Menschenrechten und grundlegenden Freiheiten beizutragen. Außer-
dem soll bis 2020 ein Programm zur freiwilligen Rückreise und Reintegration für
„irreguläre“ Migranten geschaffen werden. Zugleich wird allerdings auch die An-
nahme geäußert, die belarussische Regierung werde die von der EU gewünschten
Reformen nicht vollumfänglich umsetzen, weil sie selbst die Flüchtlingsthematik
maßgeblich aus einer „reinen Sicherheitsperspektive“ betrachte. Im Moment gebe
es 117 Haftplätze in Zentren an den belarussischen Grenzen. Im Jahr 2015 seien
zudem über 1 600 „irreguläre Migranten“ in Einrichtungen des Innenministeri-
ums in Haft gewesen.
Belarus ist nicht als Herkunfts- sondern lediglich als Transitland von Flüchtlingen
für die Europäische Union interessant. Die Förderung des Baus von, auch ge-
schlossenen, Unterkünften für „irreguläre“ Migrantinnen und Migranten in Bela-
rus ist aus Sicht der Fragesteller eine Maßnahme zur Abschottung der EU. Bereits
wird jetzt darüber berichtet, dass die polnischen Behörden immer wieder in gro-
ßem Umfang Flüchtlingen den Grenzübertritt verweigern. Der polnische Innen-
minister wird mit den Worten zitiert, die Fluchtbewegungen seien ein „Versuch,
eine neue Migrationsroute zu schaffen, einen Zustrom von Muslimen nach Eu-
ropa“ (ebda.).
Eine Zusammenarbeit mit Belarus im Bereich der Flüchtlingsabwehr und Grenz-
kontrollen ist nichts Neues. Schon in der Vergangenheit hat die Bundesregierung
die „Vorverlagerungsstrategie, mit dem Ziel der Bekämpfung der irregulären
Migration in den Herkunfts- und Transitländern“, als „Säule“ des Grenzmanage-
ments bezeichnet (vgl. Antwort zu Frage 8 auf Bundestagsdrucksache 17/11077).
Über den Umgang der belarussischen Behörden mit Flüchtlingen wird Wider-
sprüchliches berichtet. Auf der einen Seite wird der Umgang insbesondere mit
ukrainischen Flüchtlingen, von denen sich derzeit rund 160 000 in Belarus auf-
halten sollen, gelobt (vgl. „Chef der IOM-Mission in Belarus Zeynal Hajiyev lobt
Arbeit mit Migranten in Belarus“, belta.by vom 31. März 2016). Auf der anderen
Seite wird der belarussische Präsident mit den Worten zitiert, das Abkommen mit
der EU bedeute nicht, dass Flüchtlinge aus der EU künftig in Belarus aufgenom-

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men würden, wozu er die Worte gewählt haben soll, es werde keine „Abfallcon-
tainer“ geben, „wir“ bräuchten keine ausländischen Migranten (vgl. sputniknews.
com vom 20. Januar 2017: „Building Migrant Centers in Belarus Not to Result in
Accepting Refugees From EU“, unter Berufung auf Nachrichtenagentur Belta).
Inhaltlich ähnlich äußerte sich auch der belarussische Innenminister („ЕС
профинансирует создание в Беларуси центров содержания незаконных
мигрантов“, belta.by vom 17. Januar 2017).
Die nachfolgenden Fragen beziehen sich jeweils auf den Kenntnisstand der Bun-
desregierung (unter Berücksichtigung nicht nur eigener, sondern auch durch An-
dere erworbene Kenntnisse).

Wir fragen die Bundesregierungng:
1. Welche Bedeutung hat Belarus nach Kenntnis der Bundesregierung als Ziel-

land für Flüchtlinge sowie als Transitland für Flüchtlinge auf dem Weg aus
Drittländern in die EU (bitte möglichst quantitativ und qualitativ ausführen)?

2. Inwiefern gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung Statusunterschiede
zwischen den ukrainischen Flüchtlingen und Flüchtlingen aus anderen Staa-
ten?

3. Wie viele Flüchtlinge genießen nach Kenntnis der Bundesregierung gegen-
wärtig in Belarus Asyl oder einen vergleichbaren internationalen Schutz
(bitte nach den zehn wichtigsten Herkunftsländern aufschlüsseln und ange-
ben, wie viele Schutzerteilungen es in den letzten fünf Jahren jeweils gege-
ben hat)?

4. Wie lange dauert in Belarus nach Kenntnis der Bundesregierung durch-
schnittlich ein Asylverfahren?
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Anerkennungspraxis
(bitte am Beispiel der zehn wichtigsten Herkunftsländer illustrieren)?

5. Welche Defizite gibt es aus Sicht der Bundesregierung (auch unter Auswer-
tung etwaiger Berichte von NGOs) in Hinblick auf das belarussische Asyl-
system (bitte möglichst nach den Bereichen Aufnahme, Registrierung, An-
tragsbearbeitung, Entscheidungspraxis, Versorgung, Unterbringung aufglie-
dern), und welche hiervon sollen im Rahmen der EU angegangen werden?

6. Wo werden Flüchtlinge, die in Belarus Asyl beantragen, nach Kenntnis der
Bundesregierung derzeit bis zur Entscheidung über ihr Asylgesuch unterge-
bracht, und welche Behörde bzw. welches Ministerium ist für die Unterbrin-
gung verantwortlich?
a) Wie viele Flüchtlinge befinden sich derzeit in solchen Einrichtungen

(bitte nach den zehn wichtigsten Herkunftsländern aufgliedern)?
b) Wie bewertet die Bundesregierung die Aufenthaltsbedingungen in den be-

treffenden Einrichtungen?
c) Wie viele Flüchtlinge sind derzeit in geschlossenen Einrichtungen unter-

gebracht (bitte nach den zehn wichtigsten Herkunftsländern aufgliedern),
und nach welchen Kriterien gehen die belarussischen Behörden bei der
Entscheidung vor, ob Flüchtlinge in offenen oder geschlossenen Einrich-
tungen untergebracht werden?

d) Wie lange ist die durchschnittliche Verweildauer in solchen geschlosse-
nen Einrichtungen?

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7. Wie viele Flüchtlinge, die nicht in Belarus Asyl beantragen, sondern das
Land Richtung EU durchqueren wollen, halten sich nach Kenntnis der Bun-
desregierung derzeit schätzungsweise in Belarus auf?
a) Welche Unterbringungsmöglichkeiten sind für solche Flüchtlinge vorge-

sehen?
b) Welchen Charakter haben die Aufnahmeeinrichtungen, inwiefern handelt

es sich um Gefängnisse, geschlossene oder offene Einrichtungen (bitte
angeben, wie viele Flüchtlinge sich darin derzeit jeweils aufhalten)?

c) Nach welchen Kriterien richten sich die belarussischen Behörden bei der
Frage, wo Flüchtlinge untergebracht werden?

d) Wie lange ist der durchschnittliche Aufenthalt jeweils in offenen und ge-
schlossenen Einrichtungen bzw. Gefängnissen?

e) Wie bewertet die Bundesregierung die Bedingungen in den jeweiligen
Unterkunftskategorien, und welche Einschätzungen von NGOs dazu sind
ihr bekannt (bitte kurz zusammenfassen und Quelle angeben)?

8. Welche Vorstellungen liegen nach Kenntnis der Bundesregierung der Förde-
rung des Baus bzw. der Renovierung von Flüchtlingsunterkünften in Belarus
aus EU-Mitteln zu Grunde hinsichtlich des „geschlossenen“ bzw. „offenen“
Charakters?
a) Nach welchen Kriterien wäre aus Sicht der Bundesregierung zu entschei-

den, welche Kategorien von Flüchtlingen für wie lange in geschlossenen
Einrichtungen eingesperrt werden können?

b) Inwiefern ist nach Kenntnis der Bundesregierung für Flüchtlinge in Bela-
rus, die in geschlossenen Einrichtungen eingesperrt werden, der Rechts-
weg offen, und welche Erfahrungen sind damit gemacht worden?

c) Inwiefern sollen sich die Aufenthaltsbedingungen in geschlossenen Ein-
richtungen von den jetzigen Bedingungen unterscheiden?
Welche Einschätzungen der Absicht der EU, geschlossene Einrichtungen
in Belarus zu errichten bzw. zu fördern, durch belarussische NGOs sind
der Bundesregierung bekannt (bitte kurz zusammenfassen und Quelle an-
geben)?

d) Inwiefern trifft die Darstellung der belarussischen Seite zu (vgl. Vorbe-
merkung der Fragesteller), in den mit Hilfe der EU zu schaffenden Ein-
richtungen sollten lediglich bereits in Belarus „irregulär“ aufhältige
Flüchtlinge untergebracht werden, bzw. inwiefern strebt die EU an, auch
aus der EU abzuschiebende Flüchtlinge darin unterzubringen, wie erklärt
sich die Bundesregierung den allfälligen Widerspruch, und welche
Schlussfolgerungen zieht sie daraus?

9. Wie soll nach Kenntnis der Bundesregierung gewährleistet werden, dass in
offenen wie geschlossenen Einrichtungen psychologische und ärztliche Be-
treuung und Traumaberatung angeboten werden, und soll diese täglich zur
Verfügung stehen oder nur auf Nachfrage der Insassen?
a) Welche Garantie gibt es von Seiten der belarussischen Behörden, dass

diese Betreuungsangebote tatsächlich aufrechterhalten werden, und wer,
wenn nicht die EU, übernimmt die Finanzierung?

b) Für welchen Zeitraum nach Inbetriebnahme der Einrichtungen ist die Fi-
nanzierung sichergestellt?

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10. Sind nach Kenntnis der Bundesregierung bereits Orte identifiziert, an denen

mögliche Neubauten oder Renovierungen bestehender Einrichtungen vorge-
nommen werden sollen, und wenn ja, welche sind dies?
a) Welche davon sollen geschlossene Einrichtungen sein bzw. Einrichtun-

gen mit geschlossenen Abteilungen?
b) Bis wann sollen sie fertiggestellt sein?

Nach welchen Kriterien richtet sich die Auswahl konkreter Standorte, und
welche Gruppen von Flüchtlingen sollen nach welchen Kriterien in wel-
chen Einrichtungen bzw. an welchen Standorten untergebracht werden?

11. Welche Schritte wurden nach Kenntnis der Bundesregierung bislang zur
Umsetzung des Plans, gemeinsam mit Belarus ein Migrationsmanagement
aufzubauen, getan, und inwiefern wurden die angestrebten Ziele umgesetzt?

12. Welche Vorstellungen verbinden EU bzw. Bundesregierung hinsichtlich des
Beitrages zur Stärkung von Menschenrechten und grundlegenden Freiheiten
im Bereich der irregulären Migration, welche Schritte sollen dazu unternom-
men werden bzw. sind bereits unternommen worden?

13. Welche Vorstellungen verbinden EU und Bundesregierung zur Anpassung
des Umgangs mit Flüchtlingen in Belarus an den normativen Rahmen der
EU, welche Schritte sind dazu bislang unternommen worden bzw. noch vor-
gesehen?

14. Ist das angestrebte Übereinkommen mit der IOM bereits erzielt worden, und
wenn ja, wann, und was sind seine wesentlichen Inhalte, und falls nicht; wel-
chen Stand haben die Verhandlungen, und was sollen die wesentlichen In-
halte sein?

15. Zeichnet sich nach Kenntnis der Bundesregierung bereits ab, dass die bela-
russische Regierung nicht bereit ist, alle Aspekte der vorgeschlagenen Re-
formen umzusetzen, und wenn ja, welche Aspekte betrifft dies, und welche
Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung daraus?

16. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung zum Umfang von Zurückwei-
sungen Schutzsuchender an den Grenzen Belarus durch die zuständigen Be-
hörden der EU-Mitgliedsländer (bitte nach EU-Ländern aufgliedern) im Jahr
2016?

17. Welche Vorstellungen gibt es innerhalb der EU nach Kenntnis der Bundes-
regierung, und welche verfolgt sie selbst, hinsichtlich des vorgesehenen Sys-
tems zur Unterstützung freiwilliger Rückkehrer bzw. deren Integration?
a) Welche Gruppen von Flüchtlingen sollen darin einbezogen werden?
b) Soll dies für alle Herkunftsstaaten gelten, und ist mit Integration ihre In-

tegration in Belarus oder in ihren Herkunftsländern gemeint?
18. Mit welchen konkreten Maßnahmen unterstützen die EU sowie die Bundes-

regierung die Ertüchtigung des belarussischen Grenzschutzes an den Außen-
grenzen Belarus zu Drittstaaten, und wer ist jeweils für die Durchführung
bzw. die Koordinierung verantwortlich (bitte Maßnahmen der Jahre ab 2014
sowie vorgesehene Maßnahmen bis 2020 darstellen und jeweils die Kosten
dafür angeben)?

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19. Welche Maßnahmen zur grenzpolizeilichen Zusammenarbeit, Ausbildungs-

hilfe und Ausrüstungsunterstützung mit Belarus gab es in den vergangenen
beiden Jahren durch die EU oder Deutschland, welche gibt es gegenwärtig,
und welche sind für die Zukunft vorgesehen?

Berlin, den 17. März 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

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