BT-Drucksache 18/11730

Umsetzung der Gemeinsamen Fischereipolitik in Deutschland

Vom 20. März 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/11730
18. Wahlperiode 20.03.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Caren Lay, Herbert Behrens,
Karin Binder, Eva Bulling-Schröter, Susanna Karawanskij, Birgit Menz,
Cornelia Möhring und der Fraktion DIE LINKE.

Umsetzung der Gemeinsamen Fischereipolitik in Deutschland

Seit Anfang des Jahres 2013 gilt in den europäischen Gewässern die reformierte
Fischereipolitik der Europäischen Union (Gemeinsame Fischereipolitik – GFP).
Ein wesentliches Kernelement der GFP ist ein Paradigmenwechsel: Es wird die
Grundregel eingeführt, nur noch nach dem Prinzip des maximalen Dauerertrags
(MSY) zu fischen und das bisherige Rückwurfgebot in eine Anlandeverpflichtung
(Rückwurfverbot) für unerwünschte Beifänge umgewandelt. Da ein Großteil der
Fische den Rückwurf ins Meer nicht überlebt, leisten sie auch keinen Beitrag zur
Bestandsstabilisierung ihrer Art. Gleichzeitig gab es auch keine Anreize oder
steuernde Maßnahmen zur Minimierung dieser unerwünschten Beifänge. Deshalb
wird nun bis zum Jahr 2019 in allen EU-Fischereien eine so genannte Anlande-
verpflichtung mit festgelegten Höchstfangmengen umgesetzt, die für alle Fischer
bei allen Fangfahrten gelten. Die Anlandeverpflichtung ist in der Ostsee bereits
seit dem Jahr 2015 in Kraft und wird schrittweise seit dem Jahr 2016 auch in der
Nordsee umgesetzt. Zur Durchsetzung dieses Kernelements der GFP sieht das
EU-Recht umfassende Kontrollen der Fischerei durch die Mitgliedstaaten vor.
Für die Umsetzung in Deutschland ergaben sich dabei Fragen, die von der Bun-
desregierung in der Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE.
zur Gemeinsamen Fischereipolitik auf Bundestagsdrucksache 18/10814 teilweise
beantwortet wurden. Jedoch legten die Antworten der Bundesregierung für die
Fragesteller den Schluss nahe, dass die Wirksamkeit der Kontrollen zur Umset-
zung der Anlandeverpflichtung in Deutschland erhebliche Defizite aufweist. So
lagen im Jahr 2016 die Kontrollen auf See bei 1,5 Prozent der deutschen Fang-
fahrten in der Ostsee und bei 0,7 Prozent der deutschen Fangfahrten in der Nord-
see. Die Kontrolle auf See ist allerdings nach Ansicht der Fragesteller essentiell,
um beurteilen zu können, ob und in welchem Umfang Beifänge anfallen und als
illegaler Rückwurf über Bord gehen. Des Weiteren wurde deutlich, dass die Kon-
trollen bisher vor allem auf die passive Fischerei (z. B. mit Stellnetzen) fokussiert
sind. Hohe Mengen unerwünschter Beifänge fallen jedoch vor allem in der akti-
ven Fischerei mit geschlepptem Fanggerät an. Deshalb sind adäquate Kontrollen
der Beifänge auf See zwingend notwendig für den Vollzug des gesetzlichen Re-
gelwerkes und damit für eine erfolgreiche Stabilisierung der Fischbestände. Nur
mit einer konsequenten Umsetzung und Kontrolle der Anlandeverpflichtung kön-
nen belastbare Daten zu den Beifängen der Fischereien erhoben werden. Das trägt
auch zu mehr Sicherheit bei den wissenschaftlichen Bestandsschätzungen bei.
Sind die Daten zu den Beifängen mangelhaft, wird die Verlässlichkeit der Be-
standsschätzung um bis zu 30 Prozent reduziert (vgl. Antwort der Bundesregie-
rung auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache 18/10814, Frage 19). Die
Drucksache 18/11730 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Bestandsschätzungen sind wiederum die Basis für die wissenschaftlichen Fang-
empfehlungen, aus der sich die Festlegung der jährlichen Gesamtfangmenge ab-
leitet. Auf dieser Grundlage gilt es, die Balance zwischen Bestandsschutz und
Sicherung der Küstenfischerei zu finden bis der maximale Dauerertrag (MSY)
durch nachhaltige Bewirtschaftung erreicht ist.
Auch das so genannte Selbstreporting der Fischerei durch die Logbuchdaten weist
Lücken auf. Die wissenschaftliche Schätzung der untermaßigen Fänge für das
Jahr 2015 sagt aus, dass 17-mal so viel untermaßige Dorsche in der westlichen
Ostsee illegal rückgeworfen wurden (basierend auf Beprobungsreisen und Selbst-
beprobung durch Fischer) als in den Logbüchern gemeldet wurden (vgl. Antwort
der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksache
18/10814, Frage 18). Bedenkt man die wissenschaftliche Fangempfehlung von
917 Tonnen für diesen Bestand im Jahr 2017, werden das Ausmaß solcher Falsch-
meldungen klar mit der möglichen Konsequenz der Überfischung des Bestandes
und massiven Quotenkürzungen im Nachfolgejahr bei diesem Brotfisch der deut-
schen Küstenfischerei.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie hoch schätzt die Bundesregierung das Risiko, dass deutsche Fangschiffe

die Fangmengenbegrenzungen nicht einhalten und das Anlandegebot miss-
achten (bitte begründen)?

2. Nach welchen Kriterien erfolgt von wem die Anzahl und die Auswahl der
Fangschiffe, die auf See kontrolliert werden?

3. Wie viele Fangfahrten deutscher Fischereifahrzeuge mit passivem und akti-
vem Fischereigerät wurden in den Jahren 2014, 2015 und 2016 in der Nord-
see bzw. in der Ostsee durchgeführt (bitte getrennt aufführen)?
Wie viele dieser Fangfahrten (bitte nach Seegebieten und Fanggerätegruppe,
i.e. TR1, TR2, TRSK1, BT1, BT2, GN, LLS, PTB/OTB > 105 mm, PTB/
OTB 90-104 mm, etc. aufschlüsseln) wurden jenseits und wie viele innerhalb
der 12-sm Zone auf See von Inspekteuren kontrolliert (bitte nach Bundeslän-
dern aufschlüsseln)?

4. Wie hoch war die Gesamtzahl deutscher Fangfahrten in der Nordsee und in
der Ostsee in den Jahren 2014, 2015 und 2016, aufgeschlüsselt nach Seege-
bieten und Anzahl der Fangfahrten in der Deutschen Ausschließlichen Wirt-
schaftszone (AWZ), im Verhältnis zur Anzahl der Fangfahrten in deutschen
Küstengewässern, aufgeschlüsselt nach den jeweils zuständigen Kontrollbe-
hörden von Bund und Ländern?

5. Wie hoch war die Anzahl kontrollierter Fangfahrten in der Nordsee im Jahr
2016 bei
a) der gemischten aktiven Fischerei mit Zielarten, die unter das Anlande-

gebot fallen, und
b) der gemischten aktiven Fischerei auf Zielarten, die im Jahr 2016 noch

nicht unter das Anlandegebot fielen
(bitte jeweils aufschlüsseln für die Fangerätegruppen TR1, TR2, BT1, BT2,
TRSK1), und wie hoch war die Gesamtzahl von Fangfahrten für die jeweilige
Gerätegruppe?

6. Wie hoch war die Anzahl kontrollierter Fangfahrten in der Ostsee und Nord-
see in den Jahren 2015 und 2016 bei der passiven Fischerei mit statischem
Fanggerät der Fanggeräteklasse GN und LLS (bitte nach Seegebiet und Jahr
aufschlüsseln), und wie hoch war die Gesamtzahl von deutschen Fangfahrten
für diese Gerätegruppe in den Jahren 2015 und 2016 im jeweiligen See-
gebiet?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/11730
7. Wie hoch war die Anzahl kontrollierter Fangfahrten in der Ostsee in den Jah-
ren 2015 und 2016 bei der gemischten aktiven Fischerei mit Zielarten, die
unter das Anlandegebot fallen (bitte jeweils für die Fangerätegruppen
PTB/OTB > 105mm, PTB/OTB 90-104mm, GN, LLS aufschlüsseln), und
wie hoch war die Gesamtzahl von Fangfahrten für die jeweilige Geräte-
gruppe?

8. Plant die Bundesregierung den Ausbau der Kontrolle zur Einhaltung der
Fangmengenbegrenzung und des Anlandegebotes von Fischereibooten un-
terhalb von 12 Metern Länge auf westlichen Dorsch, um zu gewährleisten,
dass nicht in Tiefen unterhalb von 20 Metern gefischt wird und ist für die
Sonderregelung in dieser Fischerei (Ausnahme von der saisonalen Schlie-
ßung bei Befischung von Wassertiefen oberhalb von 20m) der Einsatz zu-
sätzlicher Kontrollinstrumente für 2017 vorgesehen?

Wenn nein warum nicht?
Wenn ja, welche Kontrollmaßnahmen werden hierfür wie in Zukunft ausge-
baut?

9. Mit welchen Kontrollmechanismen und wie häufig (in Prozent von der Ge-
samtzahl der Fangfahrten dieses Segments) wird von Deutschland die Um-
setzung des Anlandegebotes gemäß Verordnung 1380/2013 Artikel 15 (13)
und die Einhaltung der Fangmengenbegrenzung bei deutschen Fangschiffen
bis 8 Meter Länge kontrolliert?

10. Wie hoch war laut wissenschaftlicher Schätzung die illegale Rückwurfrate
von untermaßigem Dorsch in der westlichen Ostsee in den Jahren 2015 und
2016 (vorläufige Schätzung) bei deutschen Fangschiffen unterhalb von
8 Meter Länge über alles?

11. Was ist das vorrangige Ziel der Kontrolle der Fangzusammensetzung des
letzten Hols als Kontrollinstrument des Anlandegebotes, welche weitere
Nutzbarkeit haben die so gewonnenen Daten und sind sie ein direkter und
gerichtsfester Nachweis für mögliche Fälle von Verstößen gegen das Anlan-
degebot?
Wenn ja, wie funktioniert der gerichtsfeste und direkte Nachweis eines mög-
lichen Verstoßes gegen das Anlandegebot auf Basis dieser Untersuchung?
Wenn nein, welcher installierte oder sonst mögliche Kontrollmechanismus
liefert einen direkten Nachweis über illegal rückgeworfene Fänge und ihre
Qualität?

12. Wie schätzt die Bundesregierung generell die Eignung von CCTV-Systemen
zur Überwachung der Einhaltung des Anlandegebotes ein?

13. Welche Vor- und welche Nachteile sind der Bundesregierung hinsichtlich
der Kontrolle der Fangzusammensetzung des letzten Hols als Instrument zur
Überwachung des Anlandegebotes bekannt im Vergleich zu CCTV-Syste-
men?

14. Wie hoch sind die Gesamtkosten (aufgeschlüsselt nach Personal- und Sach-
kosten) für die Kontrolle der Fangzusammensetzung des letzten Hols pro
Hol, und wie viele Kontrollen dieser Art werden in Deutschland pro Jahr auf
diese Art und Weise durchgeführt, bzw. wie viele Analysen dieser Art sind
auf Basis des jetzigen Kenntnisstandes für repräsentative Aussagen zur Ein-
haltung des Anlandegebots in einer bestimmten Fanggeräteklasse (i.e. TR1,
TR2, etc.) erforderlich?

Drucksache 18/11730 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

15. Inwieweit werden die bei der Kontrolle der Fangzusammensetzung des letz-

ten Hols gewonnenen Daten genutzt, bzw. ab wann ist eine weitere Nutzung
geplant?
Wie belastbar sind die so gewonnenen Resultate und steigern sie die Verläss-
lichkeit wissenschaftlicher Bestandsschätzung?

16. Wie viele und welche Fälle von mutmaßlichen Verstößen gegen das Anlan-
degebot bzw. weiteren fischereirechtlichen Regelungen haben deutsche Fi-
schereiinspektionen bei Seekontrollen in den Jahren 2015 und 2016 in Nord-
und Ostsee festgestellt (bitte nach Jahren und Seegebieten einzeln auflisten)
und an die Bundesanstalt für Ernährung und Landwirtschaft bzw. an die zu-
ständigen Kontrollbehörden der Küstenbundesländer gemeldet, und mit wel-
chen Konsequenzen?

17. Wie wird die Bundesregierung die Einhaltung der im Jahr 2017 erstmals ein-
geführten Tagesfangmengenbegrenzung für Freizeitfischer auf Dorsch der
westlichen Ostsee sichern, und wie hoch ist der hierfür geplante zusätzliche
Kontrollaufwand?

18. Wie hat die Bundesregierung die Einhaltung der Fangmengenbegrenzung
und des Anlandegebotes der Deutschen Ostseefischerei während der Schon-
zeit vom 1. Februar 2017 bis 31. März 2017 kontrolliert, um zu gewährleis-
ten, dass die saisonale Schließung zum Schutz des westlichen Dorschs zu der
wissenschaftlich ermittelten Reduktion der fischereilichen Sterblichkeit
beim westlichen Dorschbestand führt?

19. Wie viel westlicher Dorsch (in Tonnen) wurde auf Basis wissenschaftlicher
Schätzung durch die Ausnahmeregelung für die deutsche Fischerei in Was-
sertiefen bis 20 Meter während der Schonzeit vom 1. Februar 2017 bis
31. März 2017 gefangen, und welche wissenschaftlichen Prognosen liegen
der Bundesregierung vor, wie hoch dabei der Anteil gefangener Dorsche un-
terhalb der Mindestreferenzgröße für die Bestandserhaltung sein wird?

20. Welche wirtschaftliche Bedeutung hat aus Sicht der Bundesregierung die
Ausnahmeregelung für die deutsche Fischerei in Wassertiefen bis 20 Meter
während der Schonzeit vom 1. Februar 2017 bis 31. März 2017 für den Erhalt
der deutschen Küstenfischerei, und wie ist dazu das Einvernehmen mit dem
Berufsstand?

21. Wie lautet die juristische Argumentation auf deren Basis ein Verbot der Platt-
fischfischerei mit Maschenweiten zwischen 80 mm und 105 mm während
der Schonzeit vom 1. Februar 2017 bis 31. März 2017 für westlichen Dorsch
in der Ostsee initial nicht verboten bzw. erlaubt wurde?

22. Welche Kriterien zur Charakterisierung und Analyse des Risikos der Nicht-
einhaltung des Anlandegebotes existieren, und sind diese Kriterien in das Ri-
sikomanagement der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung als
zuständige Kontrollbehörde integriert?
Wenn ja, in welcher Form?
Wenn nein, warum nicht?

23. Welche Kriterien enthält der in Deutschland verwendete Kriterienkatalog für
risikobasierte Prüfungen der Umsetzung des Anlandegebotes für Fangschiffe
je nach verwendetem Fanggerät und Zielfischerei, und welche dieser Krite-
rien sind nationale oder als Gemeinschaftskriterien für mehrere EU-Mit-
gliedstaaten bzw. EU-weit gültig?

Berlin, den 20. März 2017
Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.