BT-Drucksache 18/11715

Einschätzung zur Menschenrechtslage in Eritrea

Vom 15. März 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/11715
18. Wahlperiode 15.03.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Niema Movassat, Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger,
Katrin Kunert, Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Einschätzung zur Menschenrechtslage in Eritrea

Mitte des Jahres 2016 veröffentlichte die UN-Untersuchungskommission (UN:
Vereinte Nationen) zur Menschenrechtslage in Eritrea in Genf ihren zweiten Be-
richt zur Menschenrechtslage in Eritrea (www.ohchr.org/EN/HRBodies/HRC/
CoIEritrea/Pages/commissioninquiryonhrinEritrea.aspx). Die Einschätzung fiel
deutlich aus: von „systematischen Angriffen auf die Menschenrechte“ und „Ver-
brechen gegen die Menschlichkeit“ in Eritrea ist darin die Rede. Das eritreische
Regime wird beschuldigt, seit der Staatsgründung 1991, Menschen zu verskla-
ven, zu foltern, zu ermorden und verschwinden zu lassen. Dem UN-Sicherheits-
rat empfahl der Bericht, den „Fall Eritrea“ vor den Internationalen Strafgerichts-
hof zu bringen.
Anfang des Jahres 2017 berichtete die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ),
dass mehrere europäische Diplomaten den Bericht der UN-Untersuchungskom-
mission in einem Dokument als wenig glaubwürdig bezeichneten (www.faz.net/
aktuell/politik/ausland/zweifel-am-bericht-zur-menschenrechtslage-in-eritrea-14
606109.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2). Die „FAZ“ berief sich dabei
auf einen Heads of Missions-(HoMs-)Bericht, den mehrere europäische Diplo-
maten, unter ihnen der deutsche Botschafter in Eritrea, an den Europäischen Aus-
wärtigen Dienst (EAD) versandt hatten (s. a. die Antwort auf die Schriftliche
Frage 10 des Abgeordneten Niema Movassat auf Bundestagsdrucksache
18/11078). Die Diplomaten zweifeln darin u. a. die Aussage der UN-Untersu-
chungskommission an, die systematischen Menschenrechtsverletzungen seien ein
seit dem Jahr 1991 andauerndes, durchgängiges Phänomen. „Damit stellt sich die
Frage, warum es mehr als zwei Jahrzehnte dauerte, Beweise für solch massive
Verbrechen zu finden“, werden die europäischen Diplomaten zitiert. Auch die
Methode der Untersuchung kritisieren die Diplomaten laut „FAZ“ scharf. So be-
riefe sich der UN-Bericht ausschließlich auf Aussagen von geflohenen Eritreern,
die nach Einschätzung der europäischen Diplomaten ein „persönliches Interesse“
an einer möglichst gruseligen Darstellung der Verhältnisse in ihrer Heimat hätten,
„weil sie ihren Status als politische Flüchtlinge rechtfertigen müssen“. Kritisiert
wird auch, dass alle Aussagen anonym seien, was eine Überprüfung des Wahr-
heitsgehaltes nahezu unmöglich mache. Von Menschenrechtsverletzungen in ei-
nem Ausmaß, wie von der Untersuchungskommission beschrieben, könne nach
eigenen Beobachtungen keine Rede sein. Die Botschafter empfehlen laut „FAZ“
ihren Heimatländern sowie der Europäischen Union deshalb, nicht den Forderun-
gen der UN-Untersuchungskommission zu entsprechen, Sanktionen gegen Eritrea
zu verhängen. Das könne zu einer Hinwendung des Landes zu China führen und
zu einem Abbruch der Beziehungen zu Europa, was im Hinblick auf die Flücht-
lingskrise „nicht hilfreich“ sei.

Drucksache 18/11715 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Die Bundesregierung stellt das in ihrer Antwort auf die Schriftliche Frage 10 des
Abgeordneten Niema Movassat auf Bundestagsdrucksache 18/11078 hingegen
anders dar. Der HoMs-Bericht habe die im UN-Bericht erhobenen Vorwürfe we-
der übernommen noch habe er ihnen widersprochen. Er rate dazu, im Interesse
des Einsatzes für die Menschenrechtslage in Eritrea die Empfehlungen des UN-
Untersuchungsberichts differenziert aufzunehmen. Eine Weitergabe des HoMs-
Berichts an Mitglieder des Deutschen Bundestages verweigerte die Bundesregie-
rung u. a. mit dem Hinweis, es handle sich dabei nicht um ein Dokument von
grundsätzlicher Bedeutung i. S. d. § 7 Absatz 2 des Gesetzes über die Zusammen-
arbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der
Europäischen Union (EUZBBG). Die Fragesteller können die Unstimmigkeiten
zwischen der Wiedergabe des HoMs-Berichts durch die „FAZ“ und durch die
Bundesregierung daher nicht selbst aufklären. Über die verfassungsrechtliche
Pflicht zur Übermittlung von HoMs-Berichten an den Deutschen Bundestag be-
steht seit längerem Streit zwischen diesem und der Bundesregierung (vgl. das
Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages WD 3 –
3000 – 083/15, www.bundestag.de/blob/419282/f30d7cefb2dcfa2b6936cbbb960
ea481/wd-3-083-15-pdf-data.pdf). Solange der Streit nicht gerichtlich geklärt ist,
müssen die Abgeordneten sich die Informationen, die sie für ihre parlamentari-
sche Arbeit benötigen, anhand von parlamentarischen Fragen beschaffen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welchen Titel trug der HoMs-Bericht zu Eritrea, welche Personen waren die

Verfasser des Berichts (bitte um Auflistung der Funktionen bzw. Ebenen al-
ler beteiligten Personen), wann wurde er verfasst, und wie umfangreich war
er?

2. Welche Personen waren nach Kenntnis der Bundesregierung die Verfasser
des Berichts (bitte um Auflistung der Funktionen bzw. Ebenen aller beteilig-
ten Personen)?

3. Was war nach Kenntnis der Bundesregierung der Anlass für die Erstellung
des Berichts?
Handelte es sich um einen in regelmäßigen Abständen erstellten Bericht oder
um einen anlässlich bedeutender politischer Entwicklungen erstellten Be-
richt?

4. Wurde der Bericht neben dem EAD nach Kenntnis der Bundesregierung
auch noch an andere Stellen auf Hauptstadt- und Brüsseler Ebene weiterge-
leitet, die sich mit der Überprüfung der Sanktionsmaßnahmen gegen Eritrea
befassen?
Wenn ja, an welche, und wie, und mit welchem Ergebnis wurde er dort de-
battiert?

5. Von wem wurde der HoMs-Bericht nach Kenntnis der Bundesregierung an
die „FAZ“ übermittelt?
Wieso wurde der Bericht an die „FAZ“ übermittelt, aber nicht an die Mit-
glieder des Deutschen Bundestages?
Wurde ein Ermittlungs- oder Disziplinarverfahren eingeleitet?
Wenn ja, mit welchem Ergebnis?

6. Welche Themen behandelt der HoMs-Bericht im Einzelnen, und wie ist der
Bericht gegliedert (bitte die Überschriften und den jeweiligen Inhalt nen-
nen)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/11715
7. Wird in dem HoMs-Bericht nur der Bericht der UN-Untersuchungskommis-
sion für Eritrea (A/HRC/32/47) oder auch der Bericht der UN-Sonderbericht-
erstatterin für Eritrea (A/HCR/29/41) sowie ggf. weitere Berichte themati-
siert?
Wenn ja, welche sind das?

8. Inwiefern trifft es zu, dass in dem HoMs-Bericht die Vorwürfe des UN-Men-
schenrechtsberichts zu Eritrea als wenig glaubwürdig bezeichnet werden,
wie die „FAZ“ berichtet?

9. Inwiefern trifft es zu, dass in dem HoMs-Bericht die Methode der Untersu-
chung scharf kritisiert wird?

Welches sind die Kritikpunkte im Einzelnen?
10. Stellen sich die Verfasser des HoMs-Berichts tatsächlich „die Frage, warum

es mehr als zwei Jahrzehnte dauerte, Beweise für solch massive Verbrechen
zu finden“?
Könnte dies nach Meinung der Bundesregierung u. a. damit zusammenhän-
gen, dass Eritrea der Untersuchungskommission des Menschenrechtsrats der
Vereinten Nationen sowie der Sonderberichterstatterin die Einreise verwei-
gert hat?

11. Inwiefern haben nach Kenntnis der Bundesregierung die mehr als 20 UN-
Mitgliedstaaten, die Botschaften in Eritrea unterhalten, der UN über die Lage
im Land berichtet?
Was hat insbesondere der deutsche Botschafter berichtet?

12. Was heißt es konkret, wenn die Bundesregierung schreibt, der HoMs-Bericht
habe die im UN-Bericht erhobenen Vorwürfe weder übernommen noch habe
er ihnen widersprochen?

13. Inwiefern trifft es zu, dass der grundsätzlich repressive Charakter des eritre-
ischen Regimes im HoMs-Bericht nicht in Frage gestellt wird, aber von Men-
schenrechtsverletzungen in einem Ausmaß, wie von den UN beschrieben,
nach Beobachtungen der EU-Diplomaten keine Rede sein könne?
Wovon genau könne keine Rede sein?
Auf welche Randnummern des Menschenrechtsberichts bezieht sich das je-
weils?

14. Worauf beruhen die eigenen Beobachtungen der europäischen Diplomaten
nach Kenntnis der Bundesregierung im Einzelnen?
Haben diese auch mit von Repression betroffenen und ausreisewilligen Erit-
reern gesprochen, haben sie Gefängnisse besichtigt etc.?

15. Wie frei und unabhängig können sich die Verfasser des HoMs-Berichts in
Eritrea nach Kenntnis der Bundesregierung bewegen?

16. Inwiefern hat sich ihr Zugang zu unabhängigen Informationen nach Kenntnis
der Bundesregierung seit der Antwort auf die Kleine Anfrage auf Bundes-
tagsdrucksache 18/4505 verbessert?

17. Was bedeutet es konkret, wenn der HoMs-Bericht dazu rät, im Interesse des
Einsatzes für die Menschenrechtslage in Eritrea die Empfehlungen des UN-
Untersuchungsberichts differenziert aufzunehmen, und bezieht sich dieser
Rat pauschal auf alle Empfehlungen des UN-Untersuchungsberichts oder
wird diesbezüglich differenziert (bitte die jeweiligen Randnummern des UN-
Untersuchungsberichts angeben)?

Drucksache 18/11715 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

18. Stellen die Verfasser des HoMs-Berichts bei der Erteilung dieses Rates tat-

sächlich ausschließlich auf den Einsatz für die Menschenrechte in Eritrea ab,
oder werden auch weitere – flüchtlingspolitische, ökonomische, geostrategi-
sche etc. – Interessen benannt?
Falls ja, welche?

19. Inwiefern trifft es zu, dass in dem HoMs-Bericht den Mitgliedstaaten und der
EU empfohlen wird, nicht den Forderungen der UN zu entsprechen, Sankti-
onen gegen Eritrea zu verhängen?

Welche Sanktionen sind damit genau gemeint?
Wie lautet die Begründung für die Empfehlung?
Inwiefern spielt dabei auch die eritreische Flüchtlingskrise eine Rolle?

20. Inwiefern trifft es zu, dass in dem HoMs-Bericht den Mitgliedstaaten und der
EU empfohlen wird, der UN-Empfehlung, Eritreern pauschal Asyl zu ge-
währen, nicht zu folgen?

Wie lautet die Begründung für die Empfehlung?
21. Enthält der HoMs-Bericht sonstige Schlussfolgerungen oder Empfehlungen?

Wenn ja, welche?
22. Inwiefern unterstützt die Bundesregierung den HoMs-Bericht (bitte angeben

welche Punkte jeweils geteilt oder anders bewertet werden)?
23. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den Empfehlun-

gen des Berichts der UN-Untersuchungskommission, insbesondere ab Rand-
nummer 129?

24. Wie will die Bundesregierung die Verbesserung der Menschenrechtslage in
Eritrea im Einzelnen durch Dialog fördern, in dem inhaltlich an den Bericht
der UN-Untersuchungskommission etc. angeknüpft wird (vgl. Antwort auf
die Schriftliche Frage 6 des Abgeordneten Omid Nouripour auf Bundestags-
drucksache 18/10923)?
Welche Ziele verfolgt sie dabei?
Was ist der aktuelle Stand dieses Dialogs, und was sind ihrer Meinung nach
die kontroversen, was die nichtkontroversen Themen?

25. Inwiefern ist die Einhaltung der Menschenrechte Bedingung für jegliche EU-
Unterstützung an Eritrea?

26. Inwiefern ist die Bundesregierung für eine Anpassung bzw. Aufhebung des
UN-Sanktionsregimes gegenüber Eritrea (bitte begründen)?
Welche Position vertreten die anderen Mitgliedstaaten, und was ist die EU-
Position?
In welchen Dokumenten ist bzw. wird die EU-Strategie bzw. EU-Position
festgehalten?

27. Wie definiert die Bundesregierung die Kriterien, die sie zur Bestimmung von
Dokumenten von grundsätzlicher Bedeutung i. S. d. § 7 Absatz 2 EUZBBG
zugrunde legt (Ebene des Verfassers, Wirkcharakter, Zeithorizont, Inhalt)?
a) Ab welcher Ebene des Verfassers geht die Bundesregierung von einer be-

sonderen Bedeutung aus?
b) Was versteht die Bundesregierung unter Wirkcharakter und Zeithorizont,

und wann haben Dokumente aufgrund ihres Wirkcharakters oder Zeitho-
rizonts eine besondere Bedeutung (bitte Beispiele nennen)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/11715
c) Wann billigt die Bundesregierung einem Dokument einen dauerhaften
Charakter oder eine dauerhafte Aussagekraft zu?
Kann das überhaupt je der Fall sein (bitte Beispiele nennen)?

d) Welchen Inhalt muss ein Dokument haben, damit die Bundesregierung
diesem eine besondere Bedeutung beimisst?

e) Muss ein Dokument im Titel den Begriff „Strategie“, „Leitlinie“, „Rah-
mendokument“ o. Ä. tragen, oder kommt es darauf an, dass es materiell
als ein solches Dokument zu qualifizieren ist?
Muss für die Annahme einer besonderen Bedeutung das Dokument selbst
ein Strategiepapier o. Ä. sein, oder reicht es aus, dass ein Dokument in
eine EU-Strategie etc. einfließt?

28. Welche Kriterien legt die Bundesregierung darüber hinaus ihrer Gesamt-
schau zur Definition der grundsätzlichen Bedeutung zugrunde (bitte jeweils
definieren)?

29. Wie nimmt sie die Gesamtschau anhand der Kriterien vor?
30. Wie begründet die Bundesregierung ihre Auffassung, der HoMs-Bericht sei

kein Dokument von grundsätzlicher Bedeutung, da es sich um bloße Be-
standsaufnahmen der Missionsleiter vor Ort handle, angesichts des Umstan-
des, dass das Dokument auch Schlussfolgerungen und Empfehlungen ent-
hält, die möglicherweise in die EU-Position bzw. -Strategie einfließen?

31. Warum werden manche HoMs-Berichte dem Deutschen Bundestag zugelei-
tet (vgl. COLAC – Ecuador – EU HoMs report, May 2014) und andere nicht?

Berlin, den 14. März 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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