BT-Drucksache 18/1159

Abschuss eines syrischen Kampfflugzeugs über angeblich türkischem Luftraum am 23. März 2014

Vom 11. April 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1159
18. Wahlperiode 11.04.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sevim Dağdelen, Wolfgang Gehrcke, Christine Buchholz,
Annette Groth, Heike Hänsel, Andrej Hunko, Niema Movassat,
Dr. Alexander S. Neu, Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Abschuss eines syrischen Kampfflugzeugs über angeblich türkischem
Luftraum am 23. März 2014

Über der syrischen Provinz Latakia schossen türkische Kampfflieger am
23. März 2014 ein syrisches Kampfflugzeug ab. Der Pilot konnte sich durch das
Betätigen des Schleudersitzes retten. Der Abschuss dieses oder eines anderen
syrischen Jets wurde live im regierungsnahen türkischen Fernsehsender „Haber
Türk“ übertragen (www.youtube.com/watch?v=AIL-_VQoV1M). Der Um-
stand, dass der Fernsehsender live vor Ort den Abschuss überträgt, lässt nach
Ansicht der Fragesteller an einem Zufall zweifeln.
Die türkische Regierung behauptete, dass der syrische Jet in den türkischen
Luftraum eingedrungen sei. Die syrische Seite bestritt die in diese Richtung ge-
henden Aussagen des türkischen Premierministers und beschuldigte die Türkei
dagegen der „offenkundigen Aggression“ (www.derwesten.de vom 24. März
2014 „Die Spannungen im syrisch-türkischen Grenzgebiet dauern an“). „Unsere
Reaktion wird stets hart ausfallen, wenn unser Luftraum verletzt wird“, sagte der
türkische Premier Recep Erdoğan bei einer Wahlveranstaltung im nordtürki-
schen Kocaeli (www.dw.de/t%C3%BCrkei-syrien-konflikt-als-mittel-zum-
zweck/a-17519228).
Der Abschuss fand einerseits vor dem Hintergrund des weiter andauernden
Konflikts in Syrien statt und andererseits kurz vor den Kommunalwahlen in der
Türkei. Türkische Oppositionspolitiker vermuteten „hinter dem Kampfjet-Ab-
schuss politische Motive, um kurz vor den Kommunalwahlen […] von der innen-
politischen Krise [in dem Land] abzulenken“ (www.dw.de/t%C3%BCrkei-
syrien-konflikt-als-mittel-zum-zweck/a-17519228).
Am 27. März 2014 kündigte der türkische Premier Recep Erdoğan an, dass die
Internetplattform „YouTube“ gesperrt werden sollte, was kurz darauf auch ge-
schah. Kurz zuvor hatten Unbekannte einen Audiomitschnitt, in dem sich an-
scheinend der amtierende türkische Außenminister Ahmet Davutoğlu, der Chef
des türkischen Geheimdienstes MIT Hakan Fidan, Armeegeneral Yaşar Güler
und der Staatssekretär Feridun Sinirlioğlu über eine mögliche False-Flag-Opera-
tion in Syrien unterhalten, auf „YouTube“ online gestellt (www.spiegel.de/politik/
ausland/tuerkei-erdogan-laesst-youtube-sperren-a-961163.html).
Am 6. April 2014 veröffentlichte die britische Literaturzeitschrift „London
Review of Books“ einen Artikel des renommierten US-amerikanischen Investi-
gativjournalisten Seymour M. Hersh, in welchem dieser die Hintergründe für den
ausgebliebenen US-amerikanischen Angriffskrieg gegen Syrien im August 2013
darstellt. In dem Artikel beschreibt Seymour M. Hersh, dass das britische Militär

Drucksache 18/1159 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
auf der Militärbasis in Wiltshire herausfand, dass die bei den Giftgasangriffen im
syrischen Ghuta am 21. August 2013 benutzten chemischen Waffen nicht aus den
bekannten syrischen Chemiewaffenbeständen stammten. Außerdem schreibt
Seymour M. Hersh über im Frühjahr 2013 gemachte britische und US-amerika-
nische Geheimdiensterkenntnisse, nach denen einige syrische Rebellengruppen
chemische Waffen entwickeln würden. Außerdem hat es laut Seymour M. Hershs
Beobachtungen ergeben, dass al-Nusra das am weitesten entwickelte Programm
zur Herstellung von chemischen Waffen (in diesem Falle Saringas) seit den Be-
mühungen al-Qaidas vor dem 11. September 2011 unterhalten habe. Des Weite-
ren beschreibt Seymour M. Hersh, dass die Regierung von Barack Obama in den
USA und die Regierung Recep Erdoğan in der Türkei ein Abkommen geschlos-
sen haben, Waffen aus lybischen Arsenalen über die Südtürkei zu den bewaffne-
ten Oppositionskräften in Syrien zu transportieren. Darüber hinaus beschreibt
Seymour M. Hersh, dass der türkische Geheimdienst MIT gemeinsam mit al-
Nusra an einem Programm zur Herstellung von chemischen Waffen gearbeitet
haben soll (www.lrb.co.uk/2014/04/06/seymour-m-hersh/the-red-line-and-the-
rat-line).
International für Überraschungen sorgte die Äußerung des türkischen Botschaf-
ters bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE),
Tacan Ildem, am 27. März 2014, in welcher dieser erklärte, dass al-Qaida hinter
den Bombenanschlägen im südtürkischen Reyhanlı im Mai 2013 stehen würde
(www.al-monitor.com/pulse/originals/2014/04/reyhanli-qaeda-bombing-attack-
admits.html). Zunächst hatte die türkische Regierung den syrischen Geheim-
dienst dafür verantwortlich gemacht (www.spiegel.de/politik/ausland/tuerkei-
beschuldigt-syriens-geheimdienst-wegen-anschlag-in-reyhanli-a-899309.html)
und diese These lange aufrechterhalten.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Informationen (Anzahl, Kurs, Geschwindigkeit, Flughöhe, Ab-

schussort), auch geheimdienstliche, liegen der Bundesregierung aktuell über
den Abschuss eines syrischen Kampfflugzeugs am 23. März 2014 vor, das
nach Angaben türkischer Behörden den türkischen Luftraum verletzt haben
und auf syrischem Gebiet westlich der Grenzstadt Kasab (Gouvernement
Latakia) abgestürzt sein soll (dpa vom 23. März 2014), und welche Informa-
tionen durch die NATO liegen in diesem Zusammenhang vor?

2. In welcher Form war laut Kenntnis der Bundesregierung die Integrierte Luft-
verteidigung der NATO (NATINADS) möglicherweise in den Abschuss in-
volviert?
a) In welcher Form hat laut Kenntnis der Bundesregierung die NATINADS

die vorausgegangenen Flugbewegungen verfolgt?
b) Wenn ja, welchen Stellen gegenüber hat die NATINADS diese Flugbewe-

gungen gemeldet?
3. Hat die Bundesregierung auf internationaler Ebene eine unabhängige Unter-

suchung des Vorfalls angeregt und hierbei Unterstützung angeboten, und
wenn nein, warum nicht?

4. Wann und in welchem Umfang hat nach Informationen der Bundesregierung
ein Eindringen syrischer Kampfflugzeuge in den türkischen Luftraum statt-
gefunden, welche Informationen liegen der Bundesregierung hierzu vor, und
in welchen Fällen hat sie zu welchem Zeitpunkt hierzu Stellung genommen?

5. Inwieweit liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, die vor dem Hinter-
grund der Liveübertragung des Flugzeugabschusses im regierungsnahen tür-
kischen Fernsehsender „Haber Türk“ (www.youtube.com/watch?v= AIL-
_VQoV1M) darauf schließen lassen, dass der Abschuss eines oder des in
Rede stehenden syrischen Militärflugzeugs schon Stunden, wenn nicht Tage
vorher geplant worden war?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1159
6. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus der Aussage des türkischen Ministerpräsidenten Recep Erdoğan in
seiner Rede am Wahlabend des 30. März 2014, dass sich „Syrien mit der
Türkei im Kriegszustand“ befinde (www.hurriyetdailynews.com/full-text-
turkish-pm-erdogans-post-election-balcony-speech.aspx?pageID=238&nID
=64341& NewsCatID=338)?

7. Liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber vor, ob der Ende
März 2014 auf „YouTube“ veröffentlichte Audiomitschnitt, in dem sich
mutmaßlich Ahmet Davutoğlu, Hakan Fidan und Yaşar Güler Feridun
Sinirlioğlu über eine mögliche False-Flag-Operation austauschen, authen-
tisch ist?

8. Inwieweit wurde das „YouTube“-Video nach Kenntnis der Bundesregierung
nachrichtendienstlich analysiert, und wenn ja, mit welchen Ergebnissen?

9. Inwieweit liegen der Bundesregierung Erkenntnisse – auch nachrichten-
dienstliche – vor, die auf die Herkunft des „YouTube“-Videos schließen
lassen, und wenn ja, auf wen verweisen diese Erkenntnisse?

10. Inwieweit war der Inhalt des „YouTube“-Videos Thema auf dem NATO-
Außenministertreffen in Brüssel am 1. April 2014, und wenn ja, mit welchen
Erkenntnissen und Ergebnissen sowie welchen Mitteilungen und Informa-
tionen seitens der Türkei?

11. Welche konkreten Maßnahmen wird die Bundesregierung vor dem Hinter-
grund ergreifen, dass die türkische Regierung die Echtheit des Gesprächs
– wenn auch vermeintlich „aus dem Kontext gerissen“ – bestätigt hat, wo-
nach der Außenminister Ahmet Davutoglu, Geheimdienstchef Hakan Fidan,
Unterstaatssekretär Feridun Hadi Sinirlioglu und Vizearmeechef Yasar
Güler über einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Syrien und
einen notfalls zu schaffenden rechtfertigenden Grund für den Angriffskrieg
beraten haben sollen, ob ein völkerrechtswidriges Handeln seitens der tür-
kischen Regierung geplant war bzw. ist?

12. Welche eigenen Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, dass das
türkische Militär auf den bisherigen vermeintlich syrischen Beschuss des
grenznahen türkischen Territoriums immer nur reagiert hat und dieser nicht
von türkischer Seite möglicherweise ganz im Sinne der Intention des „You-
Tube“-Videos selbst inszeniert war (Antwort des Staatsministers Michael
Roth auf die Mündliche Frage 25 der Abgeordneten Sevim Dağdelen;
Plenarprotokoll 18/25)?

13. Sind der Bundesregierungen Richtlinien innerhalb der NATO bekannt, wie
eine Ausrufung des NATO-Bündnisfalls oder die Berufung auf die Bündnis-
solidarität infolge von False-Flag-Operations oder offenkundiger Provoka-
tionen von Gegenangriffen durch einen NATO-Bündnispartner verhindert
werden sollen, und hält die Bundesregierung solche Richtlinien spätestens
angesichts des Abschusses eines türkischen Kampfflugzeuges am 22. Juni
2012, über dessen Umstände die öffentlichen Aussagen der türkischen
Regierung und mehrerer NATO-Vertreter nach Information der Fragesteller
deutlich von den Ergebnissen eines internen NATO-Untersuchungsberich-
tes abweichen, für geboten?

14. Ist es der Bundesregierung bekannt, dass britische Chemiewaffenspezialis-
ten auf der Militärbasis in Wiltshire herausgefunden haben sollen, dass die
bei den Giftgasangriffen im syrischen Ghuta am 21. August 2013 benutzten
chemischen Waffen nicht aus den bekannten syrischen Chemiewaffen-
beständen stammten (www.lrb.co.uk/2014/04/06/seymour-m-hersh/the-
red-line-and-the-rat-line)?

Drucksache 18/1159 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
15. Ist es der Bundesregierung bekannt, dass die britischen und US-amerika-
nischen Geheimdienste im Frühjahr 2013 herausgefunden haben sollen,
dass einige syrische Rebellengruppen chemische Waffen entwickelten (www.
lrb.co.uk/2014/04/06/seymour-m-hersh/the-red-line-and-the-rat-line)?
Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus diesen Erkenntnissen?

16. Ist es der Bundesregierung bekannt, dass die US-amerikanischen Geheim-
dienste herausgefunden haben sollen, dass al-Nusra das am weitesten ent-
wickelte Programm zur Herstellung von chemischen Waffen (in diesem
Falle Saringas) seit den Bemühungen al-Qaidas vor dem 11. September
2011 unterhalten hat (www.lrb.co.uk/2014/04/06/seymour-m-hersh/the-
red-line-and-the-rat-line)?
Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus diesen Erkenntnissen?

17. Ist es der Bundesregierung bekannt, dass die Regierung von Barack Obama
in den USA und die Regierung Recep Erdoğan in der Türkei ein Abkommen
geschlossen haben sollen, Waffen aus lybischen Arsenalen über die Südtür-
kei zu den bewaffneten Oppositionskräften in Syrien zu transportieren (www.
lrb.co.uk/2014/04/06/seymour-m-hersh/the-red-line-and-the-rat-line)?
Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus diesen Erkenntnissen?

18. Ist es der Bundesregierung bekannt, dass die US-amerikanischen Geheim-
diensten Beobachtungen gemacht haben, dass der türkische Geheimdienst
MIT gemeinsam mit al-Nusra an einem Programm zur Herstellung von
chemischen Waffen gearbeitet haben soll (www.lrb.co.uk/2014/04/06/
seymour-m-hersh/the-red-line-and-the-rat-line)?
Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus diesen Erkenntnissen?

19. Ist es der Bundesregierung bekannt, dass der türkische Botschafter bei der
OSZE, Tacan Ildem, am 27. März 2014 erklärte, dass al-Qaida hinter
den Bombenanschlägen im südtürkischen Reyhanlı im Mai 2013 stand
(www.al-monitor.com/pulse/originals/2014/04/reyhanli-qaeda-bombing-
attack-admits.html)?
a) Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundes-

regierung aus diesen Äußerungen des türkischen OSZE-Botschafters?
b) Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die Autobomben-

anschläge in Reyhanlı im Mai 2012?
c) Wie viele zivile und militärische Opfer haben nach Kenntnis der Bundes-

regierung die türkisch-syrischen Grenzscharmützel seit Beginn des
Syrienkonfliktes auf türkischer sowie auf syrischer Seite gekostet (bitte
auflisten nach zivilen und militärischen Opfern sowie auf syrischer bzw.
auf türkischer Seite)?

d) Auf wessen Angaben stützt sich die Aussage des Staatsministers Michael
Roth, dass „72 Zivilisten durch syrische Angriffe zu Tode gekommen
[seien]“ (Plenarprotokoll 18/25)?

Berlin, den 11. April 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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