BT-Drucksache 18/11552

Engagement der Bundesregierung gegen die weltweit tödlichste Infektionskrankheit Tuberkulose

Vom 9. März 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/11552
18. Wahlperiode 09.03.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Niema Movassat, Annette Groth, Inge Höger, Andrej Hunko,
Katja Kipping, Katrin Kunert, Dr. Petra Sitte, Azize Tank, Harald Weinberg,
Birgit Wöllert, Kathrin Vogler, Pia Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Engagement der Bundesregierung gegen die weltweit tödlichste
Infektionskrankheit Tuberkulose

Im Jahr 1993 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Tuberkulose zum in-
ternationalen Gesundheitsnotstand erklärt. Die in der Folge sinkenden Opferzah-
len steigen jedoch seit Jahren wieder an. Nach Angaben der WHO starben welt-
weit im Jahr 2015 etwa 1,8 Millionen Menschen an Tuberkulose (TB), etwa neun
Millionen Menschen infizieren sich jährlich neu. Mit etwa zwei Milliarden Men-
schen trägt fast ein Drittel der Weltbevölkerung das TB-Bakterium in sich. Bei
schätzungsweise 41 Prozent der neu Erkrankten wird TB weder diagnostiziert
noch behandelt (www.who.int/tb/publications/global_report/en/).
TB ist die weltweit tödlichste Infektionskrankheit. TB hat damit HIV/Aids
abgelöst, obwohl sie im Gegensatz zu HIV/Aids meist heilbar ist (www.rki.de/
DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2016/Ausgaben/10_11_16.pdf?__blob=
publicationFile). Weil bei HIV-infizierten Trägerinnen und Träger des TB-Bak-
teriums die Tuberkulose besonders häufig ausbricht, hängen die beiden Epide-
mien eng miteinander zusammen. Tuberkulose ist die Haupttodesursache im Zu-
sammenhang mit Aids, und in einigen Teilen Afrikas haben 75 Prozent der Men-
schen mit HIV auch Tuberkulose (www.unric.org/html/german/mdg/MP_Pover-
tyFacts.pdf).
„Wie keine andere Krankheit spiegelte Tuberkulose die soziale Ungleichheit wie-
der: Geringverdienende starben rund viermal häufiger als die Reichen“, schreibt
die BUKO-Pharma-Kampagne über die Situation in Deutschland Anfang des
20. Jahrhunderts (www.bukopharma.de/uploads/file/Pharma-Brief/2016_01_
spezial_TB.pdf). An der Ungleichverteilung hat sich bis heute nichts Grundsätz-
liches geändert, nur dass die Armen nicht mehr in der gleichen Stadt leben. Etwa
98 Prozent der TB-Infektionen finden in Entwicklungsländern statt (https://reset.
org/knowledge/wenn-armut-krank-macht).
Ein Grund für die steigenden Opferzahlen sind Erreger, bei denen die üblichen
Antibiotika nicht mehr wirken (multiresistente Erreger). Etwa ein Drittel der TB-
Opfer ist trotz Behandlung mit Antibiotika gestorben. Inzwischen gibt es auch
extremresistente Bakterienstämme (XDR-TB), bei denen selbst Reserveantibio-
tika nicht mehr helfen. Die Vermeidung von Resistenzen und die Entwicklung
neuer Antibiotika sind daher besonders wichtige Elemente jeder Anti-TB-Strate-
gie. Die Fragesteller begrüßen, dass die Bundesregierung das Thema Antibiotika-
resistenzen unter anderem im Rahmen ihrer G20-Präsidentschaft auf die interna-
tionale politische Agenda gesetzt hat.

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Die Antibiotikaentwicklung wird in der kommerziellen Forschung nach wie vor
vernachlässigt. Relativ kurze Therapiedauern und ein potentiell restriktiver Ein-
satz versprechen – gerade im Vergleich mit sog. Lifestyle-Produkten – geringere
Profitaussichten. Zudem sind von den großen Infektionskrankheiten überwiegend
arme Regionen betroffen, wo die dann aufgerufenen Preise von den Menschen
oder Gesundheitssystemen nicht gezahlt werden können. Das steht in eklatantem
Widerspruch zu dem großen öffentlichen Interesse, die die Entwicklung neuer
Antibiotika hat. Vor dem Hintergrund eines kommerziellen Forschungssystems,
das auf Grundlage von Profitaussichten agiert – und nicht aufgrund der Bedürf-
nisse von Patientinnen und Patienten weltweit –, muss die öffentliche Hand deut-
lich mehr Verantwortung übernehmen. Doch gerade hier steht Deutschland nicht
gut da. Laut dem G-FINDER-Report 2016 wendete Deutschland im Jahr 2015
nur 0,015 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für öffentliche Pharmaforschung zu
den rund 20 vernachlässigten Krankheiten auf (zum Vergleich: Indien 0,021 Pro-
zent, Frankreich Prozent, Großbritannien Prozent, USA Prozent, www.dsw.org/
en/wp-content/uploads/2017/02/EMBARGOED-G-FINDER-report-2016-full.pdf).
Insgesamt fließen etwa nur 10 Prozent der globalen Forschungsausgaben in
Krankheiten, die etwa 90 Prozent zur globalen Krankheitslast beitragen.
Dr. Greg Elder, medizinischer Koordinator der Medikamentenkampagne von
Ärzte ohne Grenzen fordert: „Regierungen und Pharmaunternehmen müssen
mehr in die Forschung und Entwicklung neuer Therapien investieren, damit Men-
schen vor allem mit antibiotika-resistenter Tuberkulose endlich wirksam und
schneller behandelt werden können. So ein Durchbruch wird jedoch nur möglich
sein, wenn Regierungen die TB-Forschung zur Priorität machen.“ (www.aerzte-
ohne-grenzen.de/statement-zum-who-tuberkulose-bericht-2016).
Obwohl der Globale Fonds zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria
(GFATM) mit 15,1 Millionen Behandlungen seit 2003 der zentrale Player bei der
weltweiten Bekämpfung von Tuberkulose ist, rangiert der deutsche Beitrag in
Relation zur Wirtschaftskraft seit Jahren weit unter dem europäischen Durch-
schnitt. Nichtregierungsorganisationen fordern seit vielen Jahren eine Verdopp-
lung der jährlichen deutschen Zahlungen, die jedoch seit 2008 bei rund 210 Mio.
Euro pro Jahr stagnieren (http://nachrichten.btg/index.php/news/perma/ID/b312f
2277702f99eef661f9f76ba3250/type/TNEWS).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie hat sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Zahl der Todesfälle in-

folge einer TB-Erkrankung weltweit in den letzten fünf Jahren entwickelt,
wie erklärt sich die Bundesregierung diese Entwicklung, und welche Rück-
schlüsse zieht sie für ihre eigene Politik daraus?

2. Welche Maßnahmen der deutschen Entwicklungspolitik bzw. des Konzepts
der Bundesregierung „Globale Gesundheitspolitik gestalten – gemeinsam
handeln – Verantwortung wahrnehmen“ richten sich konkret auf die Be-
kämpfung der Tuberkulose?

3. Welche Maßnahmen der deutschen Entwicklungspolitik bzw. des Konzepts
der Bundesregierung „Globale Gesundheitspolitik gestalten – gemeinsam
handeln – Verantwortung wahrnehmen“ richten sich konkret auf den HIV-
TB-Zusammenhang?

4. Welche Vorschläge zur Bekämpfung von TB hat die Bundesregierung bei
internationalen Treffen unterbreitet, und welche davon haben in Beschlüsse
Eingang gefunden?

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5. Welche Zusammenhänge sieht die Bundesregierung zwischen Tabakkonsum
und TB, und welche Maßnahmen der deutschen Entwicklungspolitik bzw.
des Konzepts der Bundesregierung „Globale Gesundheitspolitik gestalten –
gemeinsam handeln – Verantwortung wahrnehmen“ richten sich konkret auf
die Reduzierung des Tabakkonsums?

6. Welche Umstände führen in armen Regionen der Welt zu Resistenzentwick-
lungen gegen Antibiotika, und welche Maßnahmen der deutschen Entwick-
lungspolitik richten sich konkret gegen diese Umstände?

7. Wie viel Prozent der an TB-erkrankten Menschen sterben nach Kenntnis der
Bundesregierung trotz Therapie, weil sie mit resistenten Erregern infiziert
sind?

8. Welche Informationen hat die Bundesregierung über extremresistente Erre-
gerstämme (lokale Verbreitung, Todesfälle, Ausbreitung)?

9. Wie haben sich nach Kenntnis der Bundesregierung die globalen Kosten für
die Therapie von TB entwickelt?

10. Welche Arzneimittel zur Bekämpfung multiresistenter oder extremresisten-
ter TB-Erreger sind nach Kenntnis der Bundesregierung verfügbar, wie teuer
sind diese Arzneimittel, und welche Informationen hat die Bundesregierung
über die Verfügbarkeit in den am stärksten von TB betroffenen Regionen?

11. Welche Möglichkeiten haben ärmere Staaten, den Preis von teuren patent-
geschützten Arzneimitteln so weit zu senken, dass sie für die Sozialsysteme
oder einzelne Menschen erschwinglich werden?

12. Welche Öffnungsmöglichkeiten sehen diesbezüglich internationale Abkom-
men über geistige Eigentumsrechte vor, und inwiefern ist damit gewährleis-
tet, dass Erkrankte in diesen Regionen Zugang zu den lebenswichtigen Arz-
neimitteln erhalten können?

13. Wie viel Geld gibt die Bundesregierung für klinische Forschung zur Ent-
wicklung von Arzneimitteln gegen vernachlässigte, armutsassoziierte Er-
krankungen aus (bitte für die letzten fünf Jahre nach Projekten, Ausgaben
und Ressortverantwortlichkeiten auflisten)?

14. Welche Arzneimittel der First-line-Therapie und welche Arzneimittel der
Reserve unterliegen nach Kenntnis der Bundesregierung dem Patent- oder
Unterlagenschutz?

15. Wie viel Geld kam nach Kenntnis der Bundesregierung in den letzten fünf
Jahren weltweit für die klinische Forschung zur TB-Bekämpfung
a) aus der Industrie,
b) aus privaten Stiftungen,
c) aus der öffentlichen Hand?

16. Wie bewertet die Bundesregierung das Engagement der Bill & Melinda Ga-
tes Foundation bezüglich Tuberkulose, und wie will sie zukünftig in diesem
Bereich mit der Stiftung konkret kooperieren?

17. Inwiefern sieht die Bundesregierung das verhältnismäßig geringe Engage-
ment der Industrie bei der Antibiotika- und Impfstoffentwicklung als Markt-
versagen an, und welche Rückschlüsse zieht sie daraus?

18. Wann wird nach Kenntnis der Bundesregierung ein ausreichend wirksamer
Impfstoff zur Verfügung stehen?

19. Mit wie viel Geld hat sich die Bundesregierung bisher an der Entwicklung
eines neuen TB-Impfstoffs beteiligt, und wie viel wird sie in den nächsten
vier Jahren hierfür beisteuern?

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20. Warum ist die Bundesregierung trotz Rekordhaushaltsüberschuss und der

von ihr erkannten großen Brisanz der Tuberkulosegefahr nicht bereit, den
GFATM entsprechend der eigenen Wirtschaftskraft auch im europäischen
Vergleich angemessen zu finanzieren und den deutschen Beitrag wie von
zahlreichen unabhängigen Experten und Nichtregierungsorganisationen ge-
fordert zu verdoppeln?

21. Sind nach Ansicht der Bundesregierung in Deutschland genügend (Rönt-
gen-)Kapazitäten zur Diagnostik von TB verfügbar, um Menschen vor der
Aufnahme in eine Gemeinschaftsunterkunft auf TB untersuchen zu kön-
nen?
Falls nein, welche Maßnahmen hat die Bundesregierung unternommen, um
dem abzuhelfen?

22. Inwiefern sind nach Ansicht der Bundesregierung genügend Kapazitäten zur
Versorgung von Patientinnen und Patienten mit offener TB verfügbar, falls
es zu einem Ausbruch kommt?

23. Inwiefern sieht die Bundesregierung hier ein Defizit bei den Vorhaltekosten
für Behandlungsressourcen, die nur im Notfall benötigt werden, und wie ge-
währleistet die Bundesregierung, dass dafür angemessene Ressourcen vor-
gehalten werden?

24. Wird sich die Bundesregierung im Zuge des diesjährigen G20-Gipfels – und
der Diskussion um Antibiotikaresistenzen – auch dafür einsetzen, dass anti-
biotikaresistente Tuberkulose zentral adressiert wird?

25. Welches Bundesministerium beschäftigt sich zentral mit den Empfehlungen
des 2016 veröffentlichten Berichts des vom damaligen UN-Generalsekretär
einberufenen Expertenpanels zum Zugang zu Medikamenten, der wegwei-
sende Reformen in der biomedizinischen Forschung und Entwicklung vor-
geschlagen hat, und wie stellt die Bundesregierung sicher, dass die Empfeh-
lungen aus dem Report sowohl national als auch international umgesetzt wer-
den?

26. Wie wird sich die Bundesregierung dafür einsetzen, dass Forschung und Ent-
wicklung zu neuen und effektiven Diagnostika, Impfstoffen und Antibiotika
zur Vorbeugung und Therapie von Tuberkulose und insbesondere seiner re-
sistenten Formen verbessert wird?

Berlin, den 8. März 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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