BT-Drucksache 18/11512

Die Kopplung von Entwicklungszusammenarbeit und Abschiebungen im Fall der Maghreb-Staaten

Vom 9. März 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/11512
18. Wahlperiode 09.03.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Niema Movassat, Heike Hänsel, Jan van Aken, Annette Groth,
Inge Höger, Andrej Hunko, Dr. Alexander S. Neu, Alexander Ulrich,
Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Die Kopplung von Entwicklungszusammenarbeit und Abschiebungen im Fall der
Maghreb-Staaten

Seit dem terroristischen Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt am Breit-
scheidplatz, ist eine politische Debatte um die Kürzung von Entwicklungsgeldern
für Staaten entbrannt, die aus Sicht der Bundesregierung bei Abschiebungen nicht
ausreichend kooperieren. Eine einheitliche Position hat die Bundesregierung nach
Kenntnis der Fragesteller nicht. Der Bundesminister für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung Gerd Müller lehnt solche Sanktionen beispielsweise
ab. Aber unter anderem der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz
Heiko Maas und der Bundesaußenminister Sigmar Gabriel wollen die sogenann-
ten Maghreb-Staaten notfalls finanziell zwingen, Abschiebekandidaten zurück-
zunehmen. „Den Entzug von Fördergeldern sollten wir nicht ausschließen“, wenn
Länder wie Tunesien, Marokko oder Algerien die Zusammenarbeit ablehnen, er-
klärte Maas. „Wer nicht kooperiert, kann nicht auf Entwicklungshilfe hoffen“,
sagte auch Vizekanzler Gabriel. (vgl. www.taz.de/!5370724/)
Auch Dirk Messner, der Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklung (DIE),
hält solche Kürzungen durchaus für legitim, da Tunesien kein Bürgerkriegsland
sei und die Bundesregierung daher Kooperation erwarten könne. Dirk Messner
betonte, Sanktionen müssen aber tatsächlich die Regierung und nicht die arme
Bevölkerung treffen. Als einziges Beispiel hierfür nannte er eine Kürzung der
Exportförderung (www.welt.de/politik/deutschland/article160738205/Stopp-von-
Entwicklungshilfe-waere-kontraproduktiv.html).
Bernhard Trautner vom DIE hält dem jedoch entgegen, dass Hilfskürzungen bei
den diskutierten Ländern nichts bringen und womöglich auf Deutschland zurück-
fallen. Deutschland fördere dort vor allem den Ausbau erneuerbarer Energien,
Infrastrukturprojekte und Berufsausbildung (www.migazin.de/2017/01/25/hilfs-
kuerzungen-fuer-maghreb-staaten-bringen-nichts/). Der Experte warnt davor, mit
solch falschen Signalen neue Fluchtgründe zu schaffen.
Das Deutsche Institut für Entwicklung widmet sich der Frage, welchen Beitrag
Entwicklungspolitik leisten kann, um Flucht vorzubeugen. Nach seiner Selbstbe-
schreibung (www.die-gdi.de/ueber-das-die/) gehört es zu den führenden Think
Tanks zu Fragen globaler Entwicklung und internationaler Kooperation und berät
Ministerien, Regierungen und internationale Organisationen und bezieht dabei
Stellung zu aktuellen politischen Themen. Das Institut ist in öffentlicher Hand,
denn die Gesellschafter – die Bundesrepublik Deutschland (75 Prozent) und das
Land Nordrhein-Westfalen (25 Prozent) – berufen das Kuratorium des DIE.

Drucksache 18/11512 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Inwiefern gibt es innerhalb der Bundesregierung mittlerweile eine einheitli-
che Position zu der Frage, ob Staaten, die in den Augen der Bundesregierung
zu wenig bei Rückführungen kooperieren, Entwicklungshilfegelder gestri-
chen werden sollen?

Wenn ja, wie ist diese?
Wenn nein, bis wann gedenkt die Bundesregierung, eine solche zu entwi-
ckeln?

2. Gibt es bereits konkrete Pläne hinsichtlich solcher Streichungen von Seiten
der Bundesregierung?
a) Wurden bereits konkrete Länder und Summen benannt?

Wenn ja, welche?
b) Wird dies auch für Länder angedacht, die nicht zu den sogenannten

Maghreb-Staaten zählen?
Wenn ja, welche?

3. Inwiefern hat das Deutsche Institut für Entwicklung (DIE) die Bundesregie-
rung in Fragen von Abschiebungen bzw. Rückführungen beraten?

Wenn ja, wann und wozu genau?
Was waren die Positionen des DIE?

4. Inwiefern hat das DIE die Bundesregierung in Fragen der Kopplung von
Rückführung und Entwicklungszusammenarbeit beraten?
a) Wenn ja, was war die Position des DIE?
b) Welche Risiken und Gefahren sah das DIE bei einer solchen Kopplung?
c) Welche Risiken sieht die Bundesregierung bei einer solchen Kopplung?

5. Inwiefern spiegeln nach Kenntnis der Bundesregierung die vom Direktor des
DIE Dirk Messner in der Vorbemerkung der Fragesteller zitierten Aussagen
die wissenschaftliche Position des DIE wieder?
a) Teilt die Bundesregierung die Einschätzung von Dirk Messner?
b) Auf welchen Annahmen basiert diese Einschätzung?

Hat das DIE der Bundesregierung hierzu wissenschaftliche Untersuchun-
gen, Studien oder Publikationen vorgelegt?
Wenn ja, welche?

c) Hat das DIE deutlich gemacht, welche Maßnahmen seiner Ansicht nach
dazu geeignet sind ausschließlich die Regierung und nicht die Bevölke-
rung zu treffen?

Welche sind das?
d) Hat das DIE sich dazu geäußert, wie sichergestellt werden soll, dass die

lokale Bevölkerung nicht darunter leidet?
6. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Kürzung von Entwick-

lungshilfe nicht dazu führen darf, dass Teile der Bevölkerung darunter lei-
den?
a) Welche Sanktionsmaßnahmen kommen für die Bundesregierung in

Frage?
b) Wie will die Bundesregierung sicherstellen, dass Kürzungen der Entwick-

lungszusammenarbeit nicht die Bevölkerung negativ treffen?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/11512
7. Wie bewertet die Bundesregierung die Aussage des DIE, eine „mittel- bis
langfristige Finanzierungszusage für die Aufnahmegemeinden und -länder“
(www.die-gdi.de/uploads/media/AuS_14.2015.pdf, S.3) aus entwicklungs-
politischer Perspektive wichtig sei?
a) Teilt die Bundesregierung diese Forderung?
b) Widerspricht die Forderung nach einer Kürzung der Entwicklungsgelder

aus Sicht der Bundesregierung einer solchen mittel- bis langfristigen Pla-
nungssicherheit?
Wenn nein, wieso nicht?

8. Trifft aus Sicht der Bundesregierung die von Bernd Trautner beschriebene
Feststellung (www.migazin.de/2017/01/25/hilfs-kuerzungen-fuer-maghreb-
staaten-bringen-nichts/), in den Ländern Marokko, Tunesien und Algerien
würden hauptsächlich Projekte zum Ausbau der erneuerbaren Energie,
Infrastrukturprojekte und Berufsausbildung finanziert werden, zu?
a) Welche weiteren Bereiche werden finanziert?
b) Sollen nach Meinung der Bundesregierung einer oder mehrere dieser Be-

reiche von der Kürzung der Entwicklungsgelder ausgenommen sein?
Wenn ja, warum?
Wenn nein, warum nicht?

c) Inwiefern spielt die Zusage der Bundesregierung, Länder des Südens
beim Klimaschutz zu unterstützen, hierfür eine Rolle?

d) Welche Bereiche dürfen nach Ansicht der Bundesregierung von der Kür-
zung der Gelder betroffen sein?
Warum?

9. Wie bewertet die Bundesregierung die von Bernd Trautner skizzierte Ge-
fahr (www.migazin.de/2017/01/25/hilfs-kuerzungen-fuer-maghreb-staaten-
bringen-nichts/), dass junge Männer sich nach der Abschiebung sich auf-
grund des „Stigmas als Gescheiterte“ zunehmend radikalisieren, auch ohne
vorher in Kontakt mit dem salafistischen Milieu gewesen zu sein?

Wie geht die Bundesregierung hiermit um?

Berlin, den 8. März 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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