BT-Drucksache 18/1151

Das von der Firma Booz Allen programmierte Grenzkontrollsystem PISCES und seine Nutzung auch in der Europäischen Union

Vom 8. April 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1151
18. Wahlperiode 08.04.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Jan van Aken, Sevim Dağdelen, Annette Groth,
Inge Höger, Niema Movassat, Petra Pau, Martina Renner, Kathrin Vogler
und der Fraktion DIE LINKE.

Das von der Firma Booz Allen programmierte Grenzkontrollsystem PISCES
und seine Nutzung auch in der Europäischen Union

Ein früherer Arbeitgeber von Edward Snowden ist der US-Geheimdienstpartner
Booz Allen Hamilton. Die Firma tritt als Unternehmensberatung auf, ist aber
auch mit der Programmierung verschiedener Datenbanken und Kontrollsys-
teme, zu denen auch das Grenzkontrollsystem PISCES zählt, für einen „War on
Terrorism“ befasst (http://cryptome.org/osa-gangs/bah-osa.pdf). Dies geht unter
anderem aus einer Selbstdarstellung aus dem Jahr 2011 hervor, wonach das
PISCES „sammelt, vergleicht und analysiert“ und neben Grenzbehörden auch
anderen „interessierten Gruppen“ offenstehe, die dann auch auf ein Trackingsys-
tem sowie eine Reihe „analytischer Werkzeuge“ zurückgreifen könnten („We
built and deployed worldwide the Personal Identification Secure Comparison
and Evaluation System (PISCES), which allows countries to collect, compare,
and analyze data to secure their borders or other controlled areas. The system
provides border-control officials and other interested groups with a tracking sys-
tem and set of analytical tools to capture and evaluate information of interest,
making PISCES a critical tool in the war on terrorism“).
Dieses PISCES gleicht Daten von Grenzübertritten mit so genannten Watchlists
oder Terrorlisten ab. Es ist ein zentraler Bestandteil des „Terrorist Interdiction
Program“ (TIP) der US-Regierung aus dem Jahr 1997. Rund ein Dutzend
Länder werden in der Aufrüstung der Grenzüberwachung unterstützt. Das
PISCES wird gewöhnlich verschenkt. Zu den „Begünstigten“ gehören etwa Pa-
kistan, Irak oder Jemen. Auch die Türkei war von der Installation des Systems
überzeugt, nachdem seine Vorzüge auch für die Bekämpfung der kurdischen
PKK durch die US-Botschaft gelobt wurden (http://wikileaks.org/cable/2007/
11/07BAGHDAD3805.html). Pakistan hat inzwischen ein eigenes System be-
schafft – wohl, um die Abhängigkeit von der Regierung in Washington aufzu-
geben. Denn das PISCES wird zwar verschenkt. Die USA verlangen aber im Ge-
genzug den Zugriff auf anfallende Informationen, um diese zu analysieren oder
zu speichern (Ratsdokument 15894/1/10).
Auch der Kosovo erhielt ein PISCES, das allerdings 2009 durch ein euro-
päisches „Integriertes Grenzkontrollsystem“ (IBMS) ersetzt werden sollte
(Ratsdokument 16619/12). Diese Plattformen werden von der Europäischen
Kommission ebenfalls verschenkt, um bestimmte Länder auf einen etwaigen
Schengen-Beitritt vorzubereiten. Im Kosovo hatte die US-Regierung aber
Druck ausgeübt, das PISCES zu behalten (http://wikileaks.org/cable/2009/12/
09PRISTINA550.html): Die kosovarische Regierung zeigte sich laut einem

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Bericht der EU-Polizeimission EULEX einverstanden, das EU-System parallel
zu installieren und mit dem PISCES sogar zu synchronisieren. Seit dem Jahr
2004 läuft ein US-PISCES auch in Malta (Ratsdokument 5090/12).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Was ist der Bundesregierung über ein „Personal Identification Secure Com-

parison and Evaluation System“ (PISCES) bekannt?
a) Inwiefern wurde ein PISCES bereits in Ratsarbeitsgruppen behandelt?
b) Inwiefern und mit welchem Inhalt wurden Informationen über PISCES

bereits in Mitteilungen von EU-Polizeimissionen oder NATO-Kampfein-
sätzen (etwa in Afghanistan, Pakistan, Kosovo, Libyen) behandelt?

c) Inwiefern und mit welchem Inhalt wurden Informationen über PISCES
bereits in der bilateralen Kooperation mit den USA behandelt?

d) Inwiefern und mit welchem Inhalt wurden Informationen über PISCES
bereits in Mitteilungen zum Schengener Informationssystem behandelt?

e) Inwiefern und mit welchem Inhalt wurden Informationen über PISCES
bereits in Mitteilungen des „EU-Antiterrorismuskoordinators“ behan-
delt?

f) Inwiefern und mit welchem Inhalt wurden Informationen über PISCES
bereits in Konferenzen bei der EU-Polizeiagentur Europol oder sonstigen
internationalen Zusammenarbeitsformen behandelt?

2. Welche Länder haben nach Kenntnis der Bundesregierung ein PISCES
installiert, und welche Gegenleistungen wurden hierfür erbracht?

3. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, ob ein PISCES in einigen
Ländern nur gratis installiert wird, wenn die USA im Gegenzug den Zugriff
auf anfallende Informationen erhalten?

4. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, ob von den US-Behörden
über PISCES erlangte Daten analysiert oder gespeichert werden?

5. Welche „Watchlists“ oder „Terrorlisten“ werden nach Kenntnis der Bundes-
regierung von den PISCES im Irak, im Jemen, in Afghanistan, Pakistan oder
dem Kosovo abgefragt?

6. Inwiefern werden die anfallenden Daten nach Kenntnis der Bundesregie-
rung auch US-Behörden oder der Internationalen kriminalpolizeilichen
Organisation INTERPOL zugänglich gemacht?

7. Innerhalb welcher Zusammenarbeitsformen hat die Bundesregierung mit
den USA im „Terrorist Interdiction Program“ kooperiert?

8. Was ist der Bundesregierung (etwa über die Zusammenarbeit bei der Be-
kämpfung kurdischer Gruppen) über die Installation eines PISCES in der
Türkei bekannt?

9. Inwiefern werden die anfallenden Daten nach Kenntnis der Bundesregie-
rung auch US-Behörden oder INTERPOL zugänglich gemacht?

10. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, ob Pakistan sein PISCES ge-
gen ein anderes System getauscht hat?

11. Was ist der Bundesregierung über die Funktionsweise von „Integrierten
Grenzkontrollsystemen“ bekannt, deren Einrichtung von der Europäischen
Kommission in Ländern wie dem Kosovo angeregt wird und die hierzu von
der Europäischen Kommission überlassen werden?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1151
a) Inwiefern stehen diese im Zusammenhang mit einem potenziellen, spä-
teren EU- oder Schengen-Beitritt der Länder?

b) Welche Länder haben nach Kenntnis der Bundesregierung IBMS instal-
liert?

c) Wie wurde die Finanzierung geregelt?
d) Inwiefern wurde nach Kenntnis der Bundesregierung auf Expertise wei-

terer Partner, darunter private Firmen, Institute oder Behörden, von EU-
Mitgliedstaaten zurückgegriffen?

12. Was ist der Bundesregierung (etwa über ihre Teilnahme an der EU-Polizei-
mission EULEX oder entsprechende Berichte) darüber bekannt, inwiefern
die US-Regierung im Kosovo Druck ausgeübt hat, das PISCES zu behalten
oder es mit dem IBMS zu synchronisieren, und wie hat sich die kosovari-
sche Regierung nach Kenntnis der Bundesregierung dazu verhalten?
a) Welche Informationssysteme werden vom PISCES im Kosovo abge-

fragt?
b) Inwiefern werden die anfallenden Daten auch US-Behörden oder

INTERPOL zugänglich gemacht?
c) Welche Informationssysteme werden vom IBMS im Kosovo abgefragt?

13. Was ist der Bundesregierung über ein PISCES in Malta bekannt?
a) Welche EU-Systeme werden darüber abfragt?
b) Inwiefern werden die anfallenden Daten auch US-Behörden oder

INTERPOL zugänglich gemacht?
14. Inwiefern hält es die Bundesregierung für denkbar, dass sich Hacker über

das PISCES in Malta Zugriff auf andere, angeschlossene EU-Informations-
systeme verschaffen könnten (Ratsdokument 5090/12) oder dieser hierüber
zumindest erleichtert wäre, zumal es sich um ein System handelt, das nicht
in der EU programmiert wurde?

15. Inwiefern hält es die Bundesregierung für bedenklich, mit PISECES inner-
halb der Europäischen Union ein System zu betreiben, das von einem be-
kannten Partner des US-Militärgeheimdienstes programmiert wurde?
a) Inwiefern hält es die Bundesregierung angesichts der Enthüllungen aus

Dokumenten des Whistleblowers Edward Snowden für angebracht zu
überprüfen, ob das PISCES in Malta eine Hintertür enthält, über die EU-
Systeme ausgespäht werden könnten?

b) Welche Schritte hat sie bereits unternommen, um einen etwaigen Ver-
dacht – auch proaktiv – auszuräumen?

c) Inwiefern wurde diese Problematik nach Kenntnis der Bundesregierung
bereits auf EU-Ebene thematisiert?

16. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, ob US-Behörden über das
PISCES in Malta Daten erhalten?

17. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, ob von den US-Behörden
über das PISCES in Malta erlangte Daten analysiert oder gespeichert wer-
den?

18. Sofern tatsächlich Daten von Reisebewegungen innerhalb der Europäischen
Union von Malta an US-Behörden weitergegeben würden, inwiefern würde
dies aus Sicht der Bundesregierung europäische Datenschutzregeln miss-
achten?

Drucksache 18/1151 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
19. Inwiefern werden Daten aus PISCES nach Kenntnis der Bundesregierung
auch in Informationssysteme von Europol eingestellt, welche Voraussetzun-
gen müssen hierfür gegeben sein, und wer ist dann Besitzerin oder Besitzer
der Daten?

20. Inwiefern und in welchem Umfang haben Bundesbehörden (auch über Um-
wege, etwa INTERPOL oder Europol) Daten aus PISCES erhalten?

21. Inwiefern und in welchem Umfang haben Bundesbehörden (auch über Um-
wege, etwa INTERPOL oder Europol) Daten erhalten, die aus Analysen von
PISCES-Daten generiert wurden?

22. Inwiefern wurden nach Kenntnis der Bundesregierung von INTERPOL
oder Europol bei Bundesbehörden Abfragen getätigt, die auf analysierten
Daten aus PISCES beruhen oder beruht haben?

Berlin, den 4. April 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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