BT-Drucksache 18/11383

Die EU-Sanktionen gegenüber Russland und die Möglichkeiten ihrer schrittweisen Aufhebung

Vom 24. Februar 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/11383
18. Wahlperiode 24.02.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Katrin Kunert, Christine Buchholz,
Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger, Niema Movassat, Dr. Alexander S. Neu,
Alexander Ulrich, Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Die EU-Sanktionen gegenüber Russland und die Möglichkeiten ihrer schrittweisen
Aufhebung

Beim Europäischen Rat im Dezember 2016 in Brüssel haben die Staats- und Re-
gierungschefs der Europäischen Union (EU) eine Verlängerung der bestehenden
EU-Sanktionen gegen die Russische Föderation bis Juli 2017 beschlossen. Diese
Sanktionen stützen sich laut Bundesregierung auf Artikel 28 und 29 des Vertrages
über die Europäische Union (EUV) sowie auf Artikel 215 des Vertrages über die
Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Laut Bundesregierung ist die
„Geltungsdauer der Wirtschaftsmaßnahmen gegen Russland mit der Umsetzung
der Minsker Vereinbarung verbunden“ (Bundestagsdrucksache 18/8933, Antwort
auf die Schriftliche Frage 7). Die eventuelle Aufhebung der Sanktionen sei, so
die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage (Bundestagsdruck-
sache 18/6715), von der Einhaltung übernommener russischer Verpflichtungen
abhängig. Konkret benennt sie die Punkte 9 und 10 des Abkommens, in denen es
um die Wiederherstellung der vollständigen Kontrolle über die Staatsgrenze von-
seiten der Regierung der Ukraine und um den Abzug aller ausländischen bewaff-
neten Formationen, Militärtechnik und ebenfalls von Söldnern vom Territorium
der Ukraine geht. Dabei besteht nach Ansicht der Fragesteller jedoch ein Wider-
spruch in der Argumentation: Die Umsetzung des Minsker Abkommens hängt
nach Ansicht der Fragesteller in erster Linie von der Regierung in Kiew und den
ukrainischen Aufständischen in den sogenannten Volksrepubliken Donezk und
Luhansk im Osten der Ukraine ab. Die ukrainische Regierung dürfte ihrerseits ein
Interesse daran haben, dass die EU-Sanktionen möglichst lange aufrechterhalten
werden, um die Russische Föderation in dem Konflikt zum Einlenken zu bewegen
bzw. um den Aufständischen möglichst wenige Zugeständnisse machen zu müs-
sen. Das könnte das offenbar schwindende Interesse an schnellen Konfliktlö-
sungsfortschritten erklären, was sich in der schleppenden Umsetzungspraxis von
Minsk II auch durch die ukrainische Seite zeigt.
Die Sanktionspolitik ist in wirtschaftlichen und politischen Fachkreisen umstrit-
ten. Ihre wirtschaftlichen Folgen stellen sich in den EU-Ländern meist negativ
dar und sie zeigen nicht die erwarteten Veränderungen in der russischen Politik.
So kam das österreichische Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) zu dem Ergeb-
nis, dass die deutsche Wirtschaftsleistung aufgrund der Sanktionen gegenüber
Russland im Jahr 2015 um etwas mehr als 6 Mrd. Euro eingebrochen ist
(http://derstandard.at/2000050243022/Russland-Sanktionen-vernichteten-400-
000-Jobs). Schätzungsweise 97 000 Arbeitsplätze wurden der Studie zufolge zer-
stört. Besonders betroffen sind in Deutschland wirtschaftliche Ballungsgebiete,
wie z. B. Nordrhein-Westfalen (NRW). Die Industrie- und Handelskammern in

http://derstandard.at/2000050243022/Russland-Sanktionen-vernichteten-400-000-Jobs
http://derstandard.at/2000050243022/Russland-Sanktionen-vernichteten-400-000-Jobs
Drucksache 18/11383 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

NRW schreiben in ihrem Außenwirtschaftsbericht für 2015/2016: „Im Jahr 2011
gehörte Russland mit einem Exportvolumen von 5,7 Milliarden Euro noch zu
den wichtigsten Zielregionen NRWs, mit guten Aussichten für weiteres Wachs-
tum. Durch den Konflikt mit der Ukraine, die daraus resultierenden Sanktionen
des Westens, den weltweiten Verfall des Ölpreises sowie durch eine verfeh-
lte Wirtschaftspolitik hat sich dieses Bild aber komplett gedreht. Von 2011
bis 2015 ist das Exportvolumen um 43,9 Prozent bzw. 2,5 Milliarden Euro ge-
sunken. Im Zuge dessen haben sich auch die Exporte in Richtung Ukraine nahe-
zu halbiert.“ (www.ihk-nrw.de/sites/default/files/publikation_dateien/ihk-
aussenwirtschaftsbericht_2015_2016.pdf).
Angesichts der nachweislichen Beschädigung der deutsch-russischen Beziehun-
gen, der negativen wirtschaftlichen Auswirkungen und der offensichtlichen poli-
tischen Wirkungslosigkeit stellt sich zunehmend die Frage über den künftigen
Ausstieg aus der Sanktionspolitik.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Auf welche europäischen und völkerrechtlichen Rechtsgrundlagen stützen

sich nach Kenntnis der Bundesregierung die von der EU verhängten Sankti-
onen gegen die Russische Föderation, insbesondere im Hinblick auf negative
Auswirkungen gegenüber am Konfliktgeschehen nicht beteiligte deutsche
und russische Wirtschaftsunternehmen sowie Privatpersonen und die damit
verbundenen Eingriffe in unternehmerische Entscheidungsfreiheiten, Eigen-
tums-, Vermögens-, Persönlichkeits- und Datenschutzrechte sowie Bewe-
gungsfreiheiten?

2. Inwiefern sind die EU-Sanktionen gegen Russland nach Ansicht der Bundes-
regierung mit völkerrechtlichen Rechtsgrundlagen wie z. B. dem Artikel 24
Kapitel I und Artikel 2 Kapitel IV der Charta der Vereinten Nationen verein-
bar?

3. Welche sind die konkreten politischen, sicherheitspolitischen und wirtschaft-
lichen Ziele, die die Bundesregierung mit ihrer Befürwortung und Durchfüh-
rung der Sanktionen gegen Russland erreichen will (bitte detailliert ausfüh-
ren)?

4. Woraus ergibt sich nach Auffassung der Bundesregierung aus dem konkreten
Wortlaut des zweiten Minsker Abkommens, dass Russland eigene Verpflich-
tungen übernommen habe?

5. In welcher konkreten Weise sieht die Bundesregierung die Russische Föde-
ration in einer eigenen Verantwortung, die „volle Kontrolle der Regierung in
Kiew über die Grenze zu Russland“ wiederherzustellen (Antwort der Bun-
desregierung auf die Schriftliche Frage 7 auf Bundestagsdrucksache
18/8933), und welche Schritte wären hierfür nach Auffassung der Bundesre-
gierung erforderlich?

6. Für den Abzug welcher konkreten „ausländische(n) bewaffnete(n) Formati-
onen, militärische(n) Ausrüstung und Söldner aus dem Hoheitsgebiet der Uk-
raine“ sieht die Bundesregierung die Russische Föderation in der Verantwor-
tung (vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Schriftliche Frage 7 auf Bun-
destagsdrucksache 18/8933)?

7. Wie würde im Fall einer vollständigen Realisierung des Minsker Abkom-
mens II die Aufhebung der EU-Sanktionen gegen Russland konkret aussehen
(bitte den politischen Mechanismus sowie die Reihenfolge der ggf. einzeln
aufzuhebenden Sanktionsschritte darlegen)?

http://www.ihk-nrw.de/sites/default/files/publikation_dateien/ihk-aussenwirtschaftsbericht_2015_2016.pdf
http://www.ihk-nrw.de/sites/default/files/publikation_dateien/ihk-aussenwirtschaftsbericht_2015_2016.pdf
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/11383

8. Die Erfüllung welcher Punkte des Minsker Abkommens liegt nach Mei-

nung der Bundesregierung ausschließlich in der Verantwortung der ukrai-
nischen Regierung?
a) Welche dieser Punkte sieht die Bundesregierung derzeit als erfüllt an?
b) Welche dieser Punkte sieht die Bundesregierung derzeit als nicht erfüllt

an?
9. Welche konkreten Maßnahmen erwägt die Bundesregierung für den Fall,

dass die ukrainische Seite auf Dauer gegen ihre Vertragspflichten aus
Minsk II verstößt (bitte detailliert darlegen)?

10. Welche konkreten Punkte des Minsker Abkommens II sind nach Meinung
der Bundesregierung ausschließlich in der Verantwortung der Regierungen
der international nicht anerkannten „Volksrepubliken Donezk und Luhansk“
durchzuführen?
a) Welche dieser Punkte sieht die Bundesregierung derzeit als erfüllt an?
b) Welche dieser Punkte sieht die Bundesregierung derzeit als nicht erfüllt

an?
11. In welchem zeitlichen und inhaltlichen Zusammenhang stehen aus Sicht der

Bundesregierung die von den Konfliktparteien in Minsk II übernommenen
Verpflichtungen
a) der Ukraine zur Durchführung einer Verfassungsreform mit dem Ziel ei-

ner Dezentralisierung der Ukraine mit Autonomisierung unter Berück-
sichtigung der Besonderheiten einzelner Gebiete der Regionen Donezk
und Luhansk (Ziffer 11 der Vereinbarung);

b) der Ukraine und der genannten Gebiete zur Durchführung kommunaler
Wahlen (Ziffer 4 und 9 der Vereinbarung) in den genannten Gebieten;

c) der Ukraine und der genannten Gebiete zur Wiederherstellung der vollen
Kontrolle der Regierung in Kiew über die Grenze zu Russland (Ziffer 9
der Vereinbarung)?

12. Verfügt die Bundesregierung über konkrete Vorstellungen, auf welche
Weise die Halbinsel Krim wieder Teil der Ukraine werden könnte?

Gibt es diesbezüglich bereits Handlungsvorschläge?
Wie könnte ein solches Vorgehen unter der Berücksichtigung der Tatsache
aussehen, dass ein wesentlicher Anteil der Bewohnerinnen und Bewohner
der Halbinsel Krim sich als russische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger be-
trachtet bzw. mutmaßlich den mehrheitlichen Verbleib in der Russischen Fö-
deration befürwortet?

13. Wie haben sich nach Kenntnis der Bundesregierung die EU-Sanktionen bis-
lang auf die wirtschaftliche und soziale Situation (z. B. im Bankverkehr mit
den EU-Staaten) der Bewohnerinnen und Bewohner der Krim ausgewirkt
(bitte detailliert ausführen)?

14. Welche Folgen haben die EU-Sanktionen nach Kenntnis der Bundesregie-
rung für die Freizügigkeit der Bewohnerinnen und Bewohner der Krim?

15. Können nach Kenntnis der Bundesregierung die Bewohnerinnen und Be-
wohner der Krim, die im Besitz eines russischen Passes sind, ein Visum für
den Schengenraum beantragen, und falls ja, wo?

Drucksache 18/11383 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

16. Wo genau können nach Kenntnis der Bundesregierung die Bewohnerinnen

und Bewohner der Krim, die im Besitz eines ukrainischen Passes sind, ein
Visum für den Schengenraum beantragen, insbesondere unter Berücksichti-
gung der Tatsache, dass das Überqueren der Grenze zwischen der Halbinsel
Krim und dem ukrainischen Festland in der Realität ein aufwändiges Proze-
dere darstellt?

17. Soll der von der Ukraine angestrebte visafreie Reiseverkehr mit der Europä-
ischen Union ebenfalls für die Bewohnerinnen und Bewohner der Krim gel-
ten, die im Besitz eines ukrainischen Passes sind, und falls ja, dürfte diese
Personengruppe dann künftig visafrei in die EU einreisen?

18. Verfügt die Bundesregierung über einen Ausstiegsplan aus den Sanktionen
gegenüber Russland, wie das Nachrichtenmagazin „DER SPIEGEL
22/2016“, S. 30 berichtet, und wie sieht dieser Ausstiegsplan gegebenenfalls
aus?

19. Wie viele Unternehmen aus Deutschland und Russland haben sich bislang
mit Schadensersatzforderungen an die Bundesregierung im Zusammenhang
mit den EU-Sanktionen gegen Russland gewandt?

20. Welche konkreten Maßnahmen wurden von der Bundesregierung bislang er-
griffen, um Schadensersatzansprüchen von durch die Sanktionen betroffenen
Unternehmen nachzukommen?
Inwieweit gibt es hierzu nach Kenntnis der Bundesregierung gegebenenfalls
auch eigene Regelungen in einzelnen Bundesländern?

21. Wie viele Unternehmen in Deutschland mussten nach Kenntnis der Bundes-
regierung als Folge der EU-Sanktionen gegen Russland bislang Insolvenz
anmelden (bitte nach Jahren auflisten)?

22. In wie vielen Fällen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung bislang Ent-
schädigungsansprüche von Unternehmen aus Deutschland wegen negativer
Auswirkungen der EU-Sanktionen auf ihre Geschäftstätigkeit auf dem
Rechtsweg gestellt?
Welche Rechtsgrundlage ist hierfür nach Kenntnis der Bundesregierung vor-
handen?

23. In welcher Höhe ist nach Kenntnis der Bundesregierung bislang Schadener-
satz an Unternehmen aus Deutschland wegen der EU-Sanktionen gegen
Russland geleistet worden (bitte die absolute Höhe sowie die Spannweiten
der Entschädigungszahlungen angeben)?

24. Inwiefern hat sich die Höhe der Zahlung der staatlichen Exportkreditversi-
cherungen in den Jahren 2012, 2013, 2014, 2015 und 2016 für auf dem rus-
sischen Markt agierende deutsche Unternehmen verändert?
Und wie viele Haftungsfälle sind in diesen Jahren nach Kenntnis der Bun-
desregierung eingetreten?

25. Inwiefern hat sich die Höhe der Zahlungen der staatlichen Exportkreditver-
sicherungen für von den EU-Sanktionen gegen Russland betroffene deutsche
Verlustunternehmen in den Jahren 2014, 2015 und 2016 verändert?

26. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über mögliche Umgehungen der
EU-Sanktionen gegen Russland durch einzelne EU-Mitglieder sowie Dritt-
staaten, die mit der EU zum Beispiel im Rahmen von Assoziierungsverein-
barungen wirtschaftlich eng verflochten sind bzw. eng kooperieren (bitte ein-
zelne EU-Mitglieder bzw. Drittstaaten auflisten)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/11383

27. Welche wirtschaftlichen Auswirkungen haben die EU-Sanktionen gegen

Russland nach Kenntnis der Bundesregierung bislang auf die ukrainische
Wirtschaft?
Welche Branchen der ukrainischen Wirtschaft sind dadurch am stärksten be-
troffen?

28. Was hat die Sanktionspolitik der EU gegenüber Russland nach Kenntnis der
Bundesregierung auf russischer Seite bislang konkret bewirkt?
a) Welche positiven Effekte hat nach Ansicht der Bundesregierung die Sank-

tionspolitik der EU gegenüber Russland bislang erbracht (bitte detailliert
ausführen)?

b) Welchen positiven Beitrag hat nach Ansicht der Bundesregierung die
Sanktionspolitik der EU gegenüber Russland bislang für die Stabilität und
Sicherheit der Ukraine geleistet (bitte detailliert ausführen)?

Berlin, den 24. Februar 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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