BT-Drucksache 18/1138

Leistungsfähigkeit von Stuttgart 21

Vom 2. April 2014


Deutscher Bundestag Drucksache 18/1138
18. Wahlperiode 02.04.2014
Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Karin Binder, Annette Groth,
Michael Schlecht, Hubertus Zdebel und der Fraktion DIE LINKE.

Leistungsfähigkeit von Stuttgart 21

Stuttgart 21 wird gebaut, während der in der Planrechtfertigung zentrale Aspekt
der Leistungsfähigkeitssteigerung durch den Bahnhofsneubau inzwischen stär-
ker in Zweifel steht als je zuvor. Von Kritikern des Projekts Stuttgart 21 (S21)
wurde inzwischen dargelegt (vgl. Abschnitt „Leistungsfähigkeit für die Züge“),
dass die Auslegung sowohl für die Züge wie für die Fußgänger auf eine Maxi-
malbelastung unter dem damaligen wie heutigen Bedarf erfolgte. Das geplante
Wachstum ist in der Spitzenstunde nicht erreichbar, was durch die Gutachten der
Planfeststellung selber belegt ist. Außerdem haben die Deutsche Bahn AG
(DB AG) und ihre Gutachter Aussagen zu höheren Leistungsfähigkeitswerten
inzwischen selbst zurückgenommen bzw. Fehler in den zugrunde liegenden Stu-
dien eingeräumt. Unter diesen Voraussetzungen erscheint die Fortsetzung des
Baus unter Einsatz erheblicher Mittel aus Steuergeldern fragwürdig.

Leistungsfähigkeit für die Züge
Bezüglich der Leistungsfähigkeit von Stuttgart 21 für den Zugverkehr argumen-
tierte die Bundesregierung in früheren Antworten mit dem Planfeststellungs-
verfahren und seiner gerichtlichen Bestätigung (Antwort der Bundesregierung
auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE. vom 19. Oktober 2010 auf
Bundestagsdrucksache 17/3333, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine
Anfrage der Fraktion DIE LINKE. vom 31. Januar 2012 auf Bundestagsdruck-
sache 17/8529, jeweils zu Frage 1). Auch gab die Bundesregierung an, im so-
genannten Stresstest wären „die Regeln der Richtlinie 405 vollumfänglich ein-
gehalten“ worden (Bundestagsdrucksache 17/8529, zu den Fragen 21 und 22).
Hierzu hat sich seither eine grundlegend neue Situation ergeben, nachdem die-
sen Entscheidungen durch neue Aussagen der DB AG und ihrer Gutachter sowie
neue Analysen die sachliche Basis bezüglich der angenommenen Leistungsfä-
higkeit von Stuttgart 21 entzogen ist, wie in der Einwendung von Dr. Christoph
Engelhardt im Anhörungsverfahren zum Planfeststellungsabschnitt (PFA) 1.3
dargelegt ist (im Folgenden kurz „Einwendung“, goo.gl/Xze6jP; siehe auch
„Kritik an den Plänen der Bahn“, www.stuttgarter-zeitung.de vom 24. Februar
2014). Diese Einwendung liefert nach Auffassung der Fragesteller den umfas-
senden Nachweis eines Leistungsrückbaus durch das Projekt Stuttgart 21. Sie
gibt auch die Erläuterungen zu den folgenden Ausführungen.
Es ist fachlich unstrittig und wurde auch ausdrücklich im Planfeststellungs-
beschluss zum PFA 1.1 (S. 150) wie auch im Finanzierungsvertrag des Projekts
vom 30. März 2009 (Anlage 3.2a Anhang 1.1 S. 5 Nummer 1.3.3) festgehalten,
dass für die Bemessung der Infrastruktur die Spitzenstunde „maßgeblich“ ist.

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In dem der Planfeststellung zugrunde liegenden Gutachten von Prof. Dr.-Ing.
Wulf Schwanhäußer war ermittelt worden, dass der neue Tiefbahnhof in der ge-
planten Form auf maximal „32,8 Züge pro Stunde“ limitiert ist (vgl. Wulf
Schwanhäußer, „Stuttgart 21.: – Ergänzende betriebliche Untersuchungen, Teil
3“, 20. Juli 1997, S. 58). In der Ergebnisdarstellung (S. 65/66, ebd.) waren auch
nur „32 bis 35 Gleisbelegungen je Stunde“ für eine „optimale Bemessung“ an-
gegeben worden. Das genehmigende Eisenbahn-Bundesamt (EBA) übersah
nach Auffassung der Einwendung bei der Genehmigung dieser Planung, dass
diese Planung weder den damaligen Bedarf von rund 38 Zügen in der morgend-
lichen Spitzenstunde (Fahrplan Sommer 1996) abzuwickeln vermochte, noch
das geplante Wachstum von +50 Prozent im Fernverkehr und +80 Prozent im
Regionalverkehr (vgl. Die Machbarkeitsstudie Projekt „Stuttgart 21“, 1995).
Die Bundesregierung verweist auch auf die gerichtliche Bestätigung der Plan-
feststellung (Verwaltungsgerichtshof [VGH] Baden-Württemberg vom 6. April
2006, Az. 5 S 1200/12, Rn. nach http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/
document.py?Gericht=bw&Art=en&sid=f65f846338c6eac4c2cfa04a675cdac0&nr
=6718&pos=2&anz=3). Dieses Urteil übersah nach Auffassung der Einwendung
jedoch ebenfalls den Widerspruch zwischen Kapazitätsrückbau und geplantem
Wachstum. Darüber hinaus unterlag es einem weiteren gravierenden Missver-
ständnis aus dem Vergleich von Mittel- mit Spitzenwerten der Betriebspro-
gramme, wodurch Stuttgart 21 scheinbar Reserven aufwies, die jedoch tatsäch-
lich nicht gegeben waren. Insbesondere stützt sich der VGH-Entscheid auch
maßgeblich auf das Gutachten von Prof. Dr.-Ing. Ullrich Martin aus dem Jahr
2005. In Randnummer 72 der Urteilsbegründung wird als Grundlage für die
„überlegene Aufnahmefähigkeit“ von S21 der „optimale Leistungsbereich“ von
„41 bis 50 Zügen je Stunde“ genannt (im Gutachten 42 bis 51 Züge). Prof. Dr.-
Ing. Ullrich Martin hat diese Aussage jedoch inzwischen dahingehend korri-
giert, dass hier die Kapazität des Bahnhofs eher am unteren Ende der Spanne,
also nahe 42 Zügen zu sehen ist (vgl. „Wie viele Züge verkraftet der Tiefbahn-
hof?“, www.stuttgarter-zeitung.de vom 18. Oktober 2013, „Initiatoren: Bürger-
begehren auf gutem Weg“, www.stuttgarter-zeitung.de vom 7. November 2013,
Erläuterung: http://www.leistungsrueckbau-s21.de/fragen/details/#Martin-Gutachten).
Nach Korrektur der unrealistisch niedrigen durchschnittlich 1,6 Minuten Halte-
zeit rechtfertigt die Martin-Untersuchung laut der Einwendung nicht mehr als
rund 32 Züge pro Stunde. Dem VGH-Urteil aus dem Jahr 2006 ist somit nach
Auffassung der Fragesteller in drei wesentlichen Punkten die sachliche Basis
entzogen.
Die Deutsche Bahn AG verwies zur Leistungsfähigkeit zuletzt nicht mehr auf
die Planfeststellung oder das Gutachten von Prof. Dr.-Ing. Ullrich Martin, son-
dern vielmehr auf den sogenannten Stresstest. Die Aussage der Bundesregie-
rung, im Stresstest wären „die Regeln der Richtlinie 405 vollumfänglich einge-
halten“ worden (Antwort der Bundesregierung zu den Fragen 21 und 22 der
Kleinen Anfrage auf Bundestagsdrucksache 17/8529) ist jedoch inzwischen zu
korrigieren: Von März 2012 bis September 2013 hatte dazu ein Austausch von
Argumenten zwischen der DB AG sowie der SMA und Partner AG (SMA) auf
der einen Seite und Vertretern von WikiReal auf der anderen Seite stattgefunden,
vermittelt über das Ministerium für Verkehr und Infrastruktur Baden-Württem-
berg (MVI). Im Verlauf dieser indirekten Diskussion hatten DB AG und SMA
verschiedene Verstöße gegen die Richtlinie 405 eingeräumt (abgestimmtes Pro-
tokoll der „Besprechung railsys wikireal“ von Vertretern des MVI, der DB AG
und der SMA vom 14. März 2012; „Fragen des Landes zum Stresstest“, unda-
tiert, offenbar Mai 2012). Die DB AG und die SMA wurden mit diesen Einge-
ständnissen und auch weiteren Widersprüchen in ihren bisherigen Darstellungen
in einem Fragenkatalog von WikiReal (www.wikireal.org) vom 27. Mai 2013
konfrontiert (Dr. Christoph Engelhardt „Fragenkatalog zum Stresstest an die
Deutsche Bahn AG und die SMA und Partner AG“), worauf das MVI am

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/1138
30. September 2013 mitteilte, dass DB AG und SMA von einer Beantwortung
dieses Fragenkatalogs absehen wollen. Damit sind die im Fragenkatalog thema-
tisierten Eingeständnisse der Richtlinienverstöße unwidersprochen:
– Ein Verspätungsaufbau von einer Minute markiert nicht, wie von der DB AG

in der Stresstestdokumentation dargestellt, die Grenze zur risikobehafteten,
sondern zur mangelhaften Betriebsqualität.

– Die Zulaufstrecken wurden entgegen der Richtlinie nur so weit ausgewertet,
wie sie noch eine günstige Betriebsqualität aufwiesen.

– Die Belegungsgrade waren nicht, wie von der Richtlinie gefordert, ausge-
wiesen worden. Die DB AG behauptet, das nicht tun zu müssen, kann aber
die entsprechende Passage der Richtlinie nicht nennen.

– Die eingebrachten Verspätungen wurden entgegen der in der Richtlinie gefor-
derten Statistik gekappt.

– Die Verwendung von nicht zugelassenen Zeitanteilen im Verspätungsabbau
wurde von der DB AG damit gerechtfertigt, dass man immerhin darauf ver-
zichtet habe, auch andere nicht zugelassene Zeitanteile zu verwenden.

– Durch eine Fehleingabe in das Simulationsprogramm wurden Verspätungen
schon abgebaut, bevor sie überhaupt in die Simulation Eingang gefunden hat-
ten.

Darüber hinaus war verschiedentlich auch die Forderung der Richtlinie nach re-
alistischen Prämissen verletzt worden:
– Die Belastung des Bahnhofs in der morgendlichen Spitzenstunde war un-

realistisch um die in dieser Zeit in Stuttgart eingesetzten Züge entlastet wor-
den. Für diese Züge wird aber auch zukünftig Bedarf sein.

– Nicht erklären konnte die DB AG, warum für die S-Bahn ein Pünktlichkeits-
wert von 98 Prozent verwendet wurde, für die zuvor ein Wert von 82,3 Pro-
zent veröffentlicht worden war.

Die Abschätzung der nötigen Fehlerkorrekturen im Stresstest lässt laut der Ein-
wendung nur noch rund 30 bis 32 Züge als plausible Kapazität für Stuttgart 21
erscheinen. Die Kapazität von Stuttgart 21 reicht damit nicht, um den heutigen
Spitzenstundenbedarf zu bewältigen, geschweige denn, das geplante Wachstum
von 30 bis 50 Prozent zu ermöglichen. Demnach erscheint aus Sicht der Frage-
steller gleich eine Reihe von Kriterien erfüllt, die es erlauben bzw. erforderlich
machen, die Planfeststellung nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG)
zurückzunehmen (§§ 44, 48, 49, 75 VwVfG, § 18e Absatz 4 des Allgemeinen
Eisenbahngesetzes – AEG): Das Projekt Stuttgart 21 leidet „offensichtlich“
unter einem „besonders schwerwiegenden Fehler“, die Realisierung eines deut-
lichen Verkehrswachstums mittels einer Kapazität unter dem aktuellen Bedarf
kann „aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen“, der als Ausbau dekla-
rierte Rückbau verstößt „gegen die guten Sitten“, die Täuschung über die wah-
ren Verhältnisse wurde „mit unrichtigen und unvollständigen Angaben erwirkt“
und die Behörde ist „auf Grund nachträglich eingetretener Tatsachen berechtigt,
den Verwaltungsakt nicht zu erlassen“, da „ohne den Widerruf das öffentliche
Interesse gefährdet würde“ und „schwere Nachteile für das Gemeinwohl zu ver-
hüten“ sind sowie „offensichtliche“ Mängel „auf das Abwägungsergebnis von
Einfluss gewesen sind“.
Der Kopfbahnhof hat, wie von dem Planungsbüro Vieregg-Rössler GmbH er-
mittelt und vom MVI und von der Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg
mbH (NVBW) bestätigt, eine Kapazität von rund 50 Zügen pro Stunde (vgl.
„Kopfbahnhof könnte heute schon mehr Züge abwickeln als S21“,
mvi.baden-wuerttemberg.de vom 22. November 2011). Stuttgart 21 reduziert
also die Kapazität um rund ein Drittel. Im Unterschied dazu hatte die Bundesre-

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gierung in dem Antrag auf EU-Förderung des Bahnprojekts Stuttgart–Ulm vom
12. Juli 2007 (vgl. http://www.bei-abriss-aufstand.de/wp-content/uploads/EU-
Subventionsantrag-S21.pdf) als „erwartetes Ergebnis“ der Förderung angege-
ben, dass der neue Bahnhof die doppelte Leistungsfähigkeit des Kopfbahnhofs
habe. In der Beschreibung des Bahnhofs wurde außerdem angegeben, alle acht
Bahnsteigkanten wären aus allen Richtungen in alle Richtungen befahrbar. Tat-
sächlich sind jeweils nach dem Gleisplan jeweils nur maximal fünf Bahnsteig-
kanten von jedem Zulaufgleis erreichbar. Die Bewilligung der Europäischen
Kommission enthält in ihren Anhängen die „Bedingungen“ der Förderung. Dort
wurden die beiden Angaben als „Hauptziel“ bzw. „Beschreibung“ der Aktivität
genannt (12. Dezember 2008, http://ec.europa.eu/transparency/regdoc/rep/3/
2008/DE/3-2008-8055-DE-F-0.Pdf).
Das EBA hatte den unter anderem mit den obigen Argumenten im Detail be-
gründeten Antrag auf Rücknahme der Planrechtfertigung des Projekts (goo.gl/
v7piM8) mit Schreiben vom 29. Oktober 2013 abgelehnt (goo.gl/vapDZ4). Zur
Begründung wurde angeführt, in der laut Antrag aufgrund von „unrichtigen und
unvollständigen“ Angaben erwirkten Planfeststellung hätte die fehlende Plan-
rechtfertigung im Anhörungsverfahren geltend gemacht werden können. Tat-
sächlich war jedoch die systematische Verdeckung des Leistungsrückbaus erst
jetzt, rund acht Jahre später aufgedeckt worden. Laut EBA ist „eine Fehlerhaf-
tigkeit der den Planfeststellungsbeschlüssen zugrundeliegenden Gutachten zu-
dem nicht erkennbar“ – eine Aussage, zu der keine weiteren Begründungen an-
geführt oder Belege geliefert wurden. Der VGH Baden-Württemberg hätte am
13. August 2012 (Az. 5 S 1200/12, siehe oben) zudem entschieden, die Kapazi-
tätsberechnungen wären nicht zu beanstanden. Tatsächlich hatte der VGH zu
diesen Kapazitätsberechnungen jedoch keine Bewertung vorgenommen.

Leistungsfähigkeit für die Fußgänger
Der Leistungsrückbau bei Stuttgart 21 betrifft auch die Reisendenströme im
Bahnhofsgebäude, die sicher und komfortabel bewältigt werden müssten. Die
DB AG hatte Personenstromanalysen als Grundlage der „Dimensionierung der
Fußgängeranlagen“ erstellen lassen. Hierzu legte Dr. Christoph Engelhardt von
der Faktencheck-Plattform www.wikireal.org am 27. Februar 2013 für die Frak-
tion SÖS und LINKE. im Stuttgarter Gemeinderat eine kritische Analyse vor
(goo.gl/ BMZ8sG). Demnach verringert sich auch bei den bezeichnenderweise
ausdrücklich nur auf die Reisenden aus 32 Zügen pro Stunde dimensionierten
Fußgängeranlagen die Kapazität erheblich und es wird der Vorwurf erhoben,
dass die Vertreter der DB AG am 24. Juli 2012 den Stuttgarter Gemeinderat und
damit einen Finanzierungspartner des Projekts zu wesentlichen Eigenschaften
des Projekts getäuscht hatten. Das S21-Kommunikationsbüro hatte die Vorwürfe
als „haltlos“ bezeichnet und eine „detaillierte Prüfung“ der Studie angekündigt
(vgl. „Zweifel an den Fluchtwegen“, stuttgarter-zeitung.de vom 1. März 2013),
die bis heute jedoch nicht veröffentlicht wurde. Die Aufsichtsräte der Bundes-
regierung und der Aufsichtsratsvorsitzende waren am 4. März 2013 über diese
Umstände informiert worden (vgl. Dr. Christoph Engelhardt, Positionspapier,
goo.gl/vRbwX1 und E-Mail-Anschreiben, goo.gl/QBJEHf), wie schon zuvor am
7. Dezember 2012 über den Leistungsrückbau bei den Zügen (vgl. Dr. Christoph
Engelhardt, Positionspapier, goo.gl/YQz51E und E-Mail-Anschreiben, goo.gl/
YHhnwk).
Ein neueres Gutachten der Firma PTV Planung Transport Verkehr AG für das
MVI kommt zwar zum Schluss, die Ergebnisse der früheren Personenstrom-
analyse seien „auf der sicheren Seite“. Das neue Gutachten hatte jedoch aus-
drücklich nicht die Eingangsparameter der Untersuchungen geprüft, die die Er-
gebnisse wesentlich geschönt hatten. Nach Korrektur dieser teils regelwidrigen
Prämissen erfüllt Stuttgart 21 selbst bei der untersuchten, gegenüber den geplan-
ten Betriebsprogrammen reduzierten Belastung nicht die Minimalanforderun-

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/1138
gen an den Bewegungskomfort (vgl. Analyse von 27. Februar 2013). Das Pro-
jekt ist somit auch ein Rückbau der Kapazität der Fußgängeranlagen des Stutt-
garter Hauptbahnhofs (www.wikireal.org/wiki/Stuttgart_21/Personenzugänge).

Wir fragen die Bundesregierung:
Leistungsfähigkeit für die Züge
1. Inwieweit kann die Planfeststellung noch als Beleg für eine ausreichende Ka-

pazitätsbemessung gelten, wenn Stuttgart 21 laut eben dieser Planfeststellung
auf rund 32 Züge pro Stunde limitiert ist, damals aber schon 38 Züge in der
morgendlichen Spitzenstunde im Hauptbahnhof fuhren und der Bahnhofs-
neubau erhebliches Wachstum ermöglichen sollte?

2. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass das EBA bei der Genehmi-
gung durch unrichtig und unvollständig gemachte Angaben getäuscht wurde
(vgl. dazu die Einwendung und Dr. Christoph Engelhardt, „Warum der Rück-
bau übersehen werden konnte“, goo.gl/M2zXeN; bitte mit Begründung)?

3. Kann die Bundesregierung als Fach- und Rechtsaufsicht über das EBA und
mit ihrer Verantwortung für die Schieneninfrastruktur ausschließen, dass in-
folge fehlerhafter Leistungsnachweise bzw. fehlerhafter Darstellungen in der
Planfeststellung sowie aufgrund unzureichender Leistungsfähigkeit von
Stuttgart 21 eine Rücknahme der S21-Planfeststellung durch das EBA nach
den §§ 44, 48, 49, 75 VwVfG und § 18e Absatz 4 AEG oder auf anderem
Wege geboten wäre?

4. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die Behauptung, im Stresstest
wären „die Regeln der Richtlinie 405 vollumfänglich eingehalten“ worden,
durch die Eingeständnisse der DB AG und der SMA mittlerweile widerlegt
ist (bitte mit Begründung)?

5. Trifft es zu, dass für Stuttgart 21 in der jeweils „für die Bemessung maßgeb-
lichen“ Spitzenstunde entsprechend dem geplanten Wachstum eine Leis-
tungsfähigkeit von rund 50 Zügen pro Stunde zu fordern wäre, entsprechend
einem Wachstum des „Zugangebots“ von „ca. 50 Prozent“ gegenüber dem
Jahr 2001 laut dem Finanzierungsvertrag (www.bahnprojekt-stuttgart-ulm.de/
details/kosten-und-finanzierung/) von 2. April 2009, Anlage 3.2a Anhang 1,
S. 6 (2001 fuhren laut Fahrplan in der Spitzenstunde ab 7.00 Uhr 33,5 Züge)
und einem Wachstum von +30 Prozent gegenüber dem Jahr 2011 laut Erläu-
terungsbericht zum PFA 1.3 (www.rpbwl.de/stuttgart/s21/A-01-
Erl%e4uterungsbericht/ A%2001%20Teil%20I/A-1-Teil-I_110929_EB_Teil_I_
Stand_Stept_11.pdf), S. 30 (im Jahr 2011 fuhren 38,5 Züge in der Spitzen-
stunde ab 6.50 Uhr)?
a) Wenn nicht 50 Züge pro Stunde, welche andere Leistungsfähigkeit in der

„für die Bemessung maßgeblichen“ Spitzenstunde ist für Stuttgart 21 zu
erzielen, und wo ist diese Anforderung beschrieben?

b) Welches Gutachten, das nicht selbst einen Leistungsrückbau beschreibt
oder von seinen Autoren später relativiert wurde, weist eine solche Leis-
tungsfähigkeit nach?

6. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregierung
aus dem der Auslegung von Stuttgart 21 zugrunde gelegten Betriebspro-
gramm, das voraussetzt, dass nachts, wenn der Verkehr üblicherweise auf
null zurückgeht, mehr Züge fahren müssten als mittags (32 Züge jeweils in
den typisch vier Stunden der Hauptverkehrszeit und 19 Züge jeweils in den
typisch 7,5 Stunden der Nebenverkehrszeit und 530 Züge am Tag laut dem
Betriebsszenario nach dem Bundesverkehrswegeplan [BVWP] 2003 der
Planfeststellung)?

Drucksache 18/1138 – 6 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
7. Inwieweit kann die Bundesregierung darlegen, dass der Anspruch des Bun-
desministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) „Ohne eine
moderne und leistungsfähige Schieneninfrastruktur ist ein attraktiver, nach-
haltiger und an den Kundenbedürfnissen ausgerichteter Schienenverkehr
nicht zu leisten. Eine gut ausgebaute Schieneninfrastruktur ist Vo-
raussetzung für Wachstum im Schienenverkehr. Ein Schwerpunkt der Ver-
kehrspolitik ist deshalb, die Qualität der Verkehrswege zu sichern und dort,
wo es nötig ist, durch Neu- und Ausbau Engpässe zu beseitigen.“
(www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Artikel/LA/weiterfuehrung-der-bahnreform-
zukunft-der-bahn.html) erfüllt ist durch den auf 32 Züge ausgelegten und
limitierten Bahnhof, der nach Auffassung der Fragesteller einen Engpass
auf der europäischen Magistrale Paris–Bratislava schaffen wird (vgl. Vorbe-
merkung der Fragesteller)?

8. Wie bewertet die Bundesregierung als Fach- und Rechtsaufsicht des EBA
dessen Begründung der Ablehnung der Rücknahme der Planfeststellung
vom 29. Oktober 2013?
a) Sieht die Bundesregierung hierin eine Täuschung, und ist diese im Nach-

hinein nicht mehr zu beanstanden (bitte mit Begründung)?
b) Ist in einem Planfeststellungsgutachten kein Fehler „erkennbar“, das

nach Auffassung der Fragesteller dem Bahnhofsumbau, der ein Ver-
kehrswachstum ermöglichen soll, einerseits eine Kapazität unterhalb des
aktuellen Bedarfs und weit unter dem geplanten Verkehrswachstum be-
scheinigt, andererseits dieser Planung aber gleichzeitig auch das Prädikat
einer „optimalen Bemessung“ erteilt?

c) Ist in einem Planfeststellungsgutachten kein Fehler „erkennbar“, wenn
nach Auffassung der Fragesteller dort am Tag eine günstigere Betriebs-
qualität ermittelt wurde, indem ein Großteil des geplanten Verkehrs aus
der Simulation herausgenommen und in die nicht betrachtete Nacht ver-
lagert wurde?

d) Aufgrund welcher Aussagen im Urteil des VGH Baden-Württemberg
vom 13. August 2012 (Az. 5 S 1200/12, http://lrbw.juris.de/cgi-bin/
laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&Art=en&az=5%20
S%201200/12&nr=16034) ist der VGH laut EBA der Auffassung, die
„Kapazitätsberechnungen“ wären „nicht zu beanstanden“?

9. Seit wann sind der Bundesregierung, ihren Vertretern im Aufsichtsrat der
DB AG und dem EBA die folgenden, aus der Sicht der Fragesteller gegebe-
nen Fakten bekannt und wie reagierte/reagierten sie jeweils auf
a) Prof. Dr.-Ing. Gerhard Heimerls Auslegung von S21 auf 32 Züge pro

Stunde,
b) Prof. Dr.-Ing. Wulff Schwanhäußers Limitierung von S21 auf 32,8 Züge

pro Stunde,
c) die Rücknahme der 51 Züge auf rund 42 Züge durch Prof. Dr.-Ing. Ullrich

Martin,
d) die eingestandenen Richtlinienverstöße im Stresstest?

10. In welchem Umfang sind aus Sicht der Bundesregierung „Bedingungen“
von Förderanträgen zu erfüllen?
a) Können also auch als „Hauptziel“ erwartete Verbesserungen schon vor

der Projektumsetzung als deutliche Verschlechterungen erkennbar sein
wie das aus Sicht der Fragesteller vorliegende Minus an Leistungsfähig-
keit durch Stuttgart 21 anstelle der zugesagten Verdopplung?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7 – Drucksache 18/1138
b) Können Projektbeschreibungen vollkommen unzutreffend sein, wie im
Fall der wahlfreien Erreichbarkeit der Bahnsteigkanten bei Stuttgart 21,
die aus Sicht der Fragesteller gar nicht gegeben ist?

c) Unter welchen Bedingungen ist dann Subventionsbetrug überhaupt mög-
lich?

Leistungsfähigkeit für die Fußgänger
11. Ist die Bundesregierung oder sind ihre Vertreter im Aufsichtsrat über das Er-

gebnis der vom S21-Kommunikationsbüro angekündigten „detaillierten
Prüfung“ der Analyse von Dr. Christoph Engelhardt vom 27. Februar 2013
informiert (um Veröffentlichung des Prüfberichts wird gebeten)?
Was unternimmt die Bundesregierung oder unternehmen ihre Vertreter im
Aufsichtsrat, um den in dieser Analyse benannten möglichen Verdacht der
Täuschung eines Finanzierungspartners auszuräumen bzw. die Information
der Finanzierungspartner richtigzustellen, oder wird der Verdacht hinge-
nommen?

12. Kann die Bundesregierung in ihrer Verantwortung für die Schieneninfra-
struktur ausschließen, dass für den Tiefbahnhof allein schon durch die auf
die Reisenden aus lediglich 32 Zügen pro Stunde dimensionierten Fuß-
gängeranlagen ein Engpass für den Bahnverkehr auf der europäischen
Magistrale Paris–Bratislava entsteht, und ist dabei gutachterlich berücksich-
tigt, dass die Gemeinschaftsflächen bei rund 50 Zügen pro Stunde sowie die
Bahnsteige bei den geplanten Doppelbelegungen gegebenenfalls erheblich
höher belastet wären und dass sich die Situation für die Fußgänger nach Ein-
planung der Fluchttreppenhäuser, neben denen nur minimale Durchgänge
verbleiben, möglicherweise verschärft hat (bitte mit Begründung)?

13. Besteht aus Sicht der Bundesregierung angesichts der hier dargestellten
Fakten Handlungsbedarf bei EBA oder DB AG in dem Sinne, dass weitere
Baumaßnahmen und Kosten vermieden werden sollten, solange die mög-
lichen Zweifel an Kostenkalkulation und Planrechtfertigung nicht ausge-
räumt sind (bitte mit Begründung)?

Berlin, den 1. April 2014

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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