BT-Drucksache 18/11064

Gefährder in Deutschland

Vom 30. Januar 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/11064
18. Wahlperiode 30.01.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Martina Renner, Dr. André Hahn, Kerstin Kassner,
Katrin Kunert, Harald Petzold (Havelland), Jörn Wunderlich und der
Fraktion DIE LINKE.

Gefährder in Deutschland

Nach Angaben der Bundesregierung ist die Zahl von Personen, die als islamisti-
sche Gefährder eingestuft werden, in den letzten Jahren erheblich gestiegen (vgl.
Antwort der Bundesregierung auf Bundestagsdrucksache 18/7151 sowie auf die
Schriftliche Frage 12 auf Bundestagsdrucksache 18/10923 der Abgeordneten
Martina Renner vom 4. Januar 2017). Mit Stand vom 4. Januar 2017 wurden 547
Gefährder im Bereich des islamistischen Terrorismus genannt. Etwa die Hälfte
davon soll sich in Deutschland aufhalten, davon 80 in Haft. Dazu kommen 366
sogenannte „relevante Personen“ im islamistischen Phänomenbereich.
Die Einstufung einer Person als Gefährder ist umstritten, da es sich nicht um einen
Rechtsbegriff handelt. Die Einstufung beruht lediglich auf Annahmen der Sicher-
heitsbehörden. Gleichwohl kann sie Anlass zu intensivierten polizeilichen oder
auch geheimdienstlichen Maßnahmen sein.
Eine Definition der Begriffe „Gefährder“ und „relevante Person“ hat die Bundes-
regierung unter anderem in der Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE
LINKE. „Sogenannte islamistische Gefährder“ vorgenommen (Bundestagsdruck-
sache 18/7151): Als Gefährder gilt eine Person, „bei der bestimmte Tatsachen die
Annahme rechtfertigen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher
Bedeutung, insbesondere solche im Sinne des § 100a der StPO begehen wird“.
Als „relevant“ gelte eine Person, „wenn sie innerhalb des extremistisch-terroris-
tischen Spektrums die Rolle a) einer Führungsperson, b) eines Unterstützers/Lo-
gistikers, c) eines Akteurs einnimmt und objektive Hinweise vorliegen, die die
Prognose zulassen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeu-
tung, insbesondere solche im Sinne des § 100a StPO, fördert, unterstützt, begeht
oder sich daran beteiligt, oder d) es sich um eine Kontakt- oder Begleitperson […]
handelt.“
Im Bereich des Verfassungsschutzes werden außerdem Jihadisten dem „islamis-
tisch-terroristischen Spektrum“ zugerechnet, mit Stand vom 7. Dezember 2015
waren dies ca. 1 100 Personen (Bundestagsdrucksache 18/7151), wobei hier nur
Jihadisten mit deutscher Staatsangehörigkeit berücksichtigt waren. Bei ihnen
handelt es sich per Definition um Personen, „die terroristische Gewalt als das pri-
märe Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele propagieren und praktizieren“. Nach
den Angaben der Bundesregierung zu schließen, ist nur ein geringer Teil von die-
sen auch als Gefährder bzw. relevante Person eingestuft.

Drucksache 18/11064 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Sofern für nachfolgende Fragen die originäre Zuständigkeit bei den Ländern liegt,
beziehen sich die Fragen auf den Kenntnisstand der Bundesregierung. Es wird
generell darum gebeten, Antworten auf Fragen zu Gefährdern und relevanten Per-
sonen stets nach den unterschiedlichen Phänomenbereichen aufzugliedern.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele Personen werden im polizeilichen bzw. Verfassungsschutzverbund

gegenwärtig als
a) Gefährder,
b) relevante Personen,
c) dem islamistisch-terroristischen Spektrum und
d) salafistischen Bestrebungen zugehörig
eingestuft (erbetene Aufgliederungsmerkmale: Phänomenbereiche, Staatsan-
gehörigkeit Frauen/Männer, Erwachsene/Jugendliche; bitte bei jeder Unter-
frage angeben, wie viele Personen sich jeweils in Deutschland aufhalten, wie
viele in Haft sind und nach wie vielen gefahndet wird und nach Möglichkeit
Mehrfachnennungen angeben)?

2. Wie gliedert sich der Aufenthaltsort der in Deutschland (nicht in Haft) auf-
hältigen Gefährder sowie von relevanten Personen nach Bundesländern auf
(bitte getrennt darstellen)?
Wie viele Einstufungen als Gefährder sowie relevante Person haben die Po-
lizeibehörden der einzelnen Länder jeweils vorgenommen?

3. Wie viele der derzeit gelisteten relevanten Personen gelten als Führungsper-
sonen, Unterstützer/Logistiker, Akteure sowie Kontakt- oder Begleitperso-
nen (bitte Mehrfachnennungen kenntlich machen)?

4. Inwiefern gibt es Erfahrungswerte, dass die Polizei in bestimmten Bundes-
ländern eher zu einer solchen Einschätzung kommt als die Polizei in anderen
Ländern?
Welche Möglichkeiten hat das Bundeskriminalamt (BKA), Personen als Ge-
fährder bzw. relevante Personen einzustufen?

5. Inwiefern können in die Einstufung als Gefährder oder relevante Personen
auch Informationen von Geheimdiensten (in- und ausländischen) einfließen?
Wie bedeutsam sind von Geheimdiensten zugetragene Informationen in die-
ser Hinsicht?

6. Welche Kenntnisse oder Erfahrungswerte gibt es zur Frage der Zuverlässig-
keit der mit der Einstufung als Gefährder und relevante Person verbundenen
Straftatenprognose?
a) Wie viele Personen sind in den Jahren 2015 und 2016 rechtskräftig wegen

einer politisch motivierten Straftat von erheblicher Bedeutung, insbeson-
dere solche im Sinne des § 100a der Strafprozessordnung (StPO) verur-
teilt worden, und wie viele davon waren zuvor als Gefährder bzw. rele-
vante Person eingestuft worden?

b) Wie viele Personen, die in der Vergangenheit als Gefährder bzw. rele-
vante Person eingestuft worden waren, haben danach tatsächlich eine
diesbezügliche Straftat begangen?

c) Wie viele Personen, die in der Vergangenheit als Gefährder bzw. rele-
vante Person eingestuft worden waren, wurden durch rechtzeitiges Ein-
greifen der Sicherheitsbehörden vom Begehen einer bereits konkret ge-
planten oder vorbereiteten Tat abgehalten?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/11064
7. Welche Mechanismen gibt es zur Überprüfung der Validität einer einmal ge-
troffenen Einstufung als Gefährder oder relevante Person?
a) Welche Erfahrungswerte gibt es dabei, und wie häufig und aus welchen

Gründen wurden solche Einstufungen im vergangenen Jahr zurückge-
nommen?

b) Wer ist zur Revidierung einer solchen Einstufung berechtigt?
c) Wie lange kann eine Person nach Einschätzung der Bundesregierung als

Gefährder oder relevante Person eingestuft werden, ohne dass die Straf-
tatenprognose sich bestätigt?

8. Welchen praktischen Nutzen hat die Einstufung als Gefährder oder relevante
Person für die polizeiliche oder nachrichtendienstliche Arbeit?

9. Wie viele Personen sind nach Kenntnis der Bundesregierung bislang insge-
samt in Richtung Syrien/Irak gereist, um dort auf Seiten islamistischer Grup-
pierungen an Kampfhandlungen teilzunehmen bzw. sie anderweitig zu un-
terstützen?
a) Wie hat sich die diesbezügliche Reisedynamik in den letzten Jahren seit

Ausbruch des syrischen Bürgerkrieges entwickelt (bitte pro Jahr aufglie-
dern)?

b) Wie viele Personen haben tatsächlich Unterstützungsleistungen für terro-
ristische Gruppierungen geleistet (bitte nach Möglichkeit angeben, für je-
weils welche Gruppierung), und welche Erkenntnisse hat die Bundesre-
gierung zur Art der Unterstützungsleistung?

c) Wie viele haben sich an Kampfhandlungen beteiligt?
d) Wie viele dieser Reisenden sind als Gefährder bzw. relevante Person ge-

listet, und wie viele Gefährder haben eine Ausbildung an Schusswaffen
bzw. in der Handhabung von Sprengstoff erhalten?

10. Welche unterschiedliche Bedeutung haben, vor dem Hintergrund, dass so-
wohl die Definition von Gefährdern als auch die von relevanten Personen
davon ausgehen, die betreffenden Personen könnten künftig Straftaten von
erheblicher Bedeutung begehen, die Begriffe „bestimmte Tatsachen“ und
„Annahme“ (bei Gefährdern) sowie „objektive Hinweise“ und „Prognose“
(bei relevanten Personen)?

Inwiefern sind diese Begriffe bundeseinheitlich definiert?
11. Wie viele der gelisteten Gefährder, relevanten Personen, Angehörigen des

islamistisch-terroristischen Spektrums werden in der Antiterrordatei geführt?
Falls darin nicht alle geführt werden, warum nicht, und nach welchen Krite-
rien wird eine Nennung in der Datei geregelt?

12. In welchen polizeilichen Datenbanken (Zentraldateien, Verbunddateien)
werden die Einstufungen als Gefährder, relevante Person, Zugehöriger des
islamistisch-terroristischen Spektrums erfasst, und für welche Polizeibehör-
den sind sie abrufbar?

13. Inwiefern führt die Bundesregierung den zahlenmäßigen Anstieg von Ge-
fährdern, relevanten Personen und ggf. auch den von Zugehörigen des is-
lamistisch-terroristischen Spektrums auf eine tatsächliche Zunahme solcher
gewaltbereiter Personen zurück bzw. inwieweit auf eine gestiegene Sensibi-
lität der Polizeibehörden?

14. Wie erklärt sich die Bundesregierung, dass in den Phänomenbereichen links,
Ausländerkriminalität und rechts wesentlich mehr relevante Personen gelis-
tet sind als Gefährder, im Phänomenbereich islamistischer Terrorismus aber
mit 547 Gefährdern signifikant mehr als (366) relevante Personen?

Drucksache 18/11064 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

15. Inwiefern werden Begriffe wie Gefährder und relevante Personen (sinnge-

mäß) auch von den Polizeibehörden im Ausland verwendet, und welche Er-
kenntnisse hat die Bundesregierung darüber, wie viele solcher Personen es
gegenwärtig in Europa gibt (bitte nach den zehn wichtigsten Aufenthaltslän-
dern darstellen und dabei soweit möglich allfällig abweichende Definitionen
der Begriffe angeben)?

16. Welche Daten über wie viele Gefährder sowie relevante Personen wurden im
vergangenen Jahr an welche ausländischen Polizeibehörden weitergegeben?

17. Gegen wie viele der in Deutschland aufhältigen, nicht in Haft befindlichen
ausländischen Gefährder sowie relevante Personen sind derzeit nach Kennt-
nis der Bundesregierung Maßnahmen nach jeweils welchen Bestimmungen
des Aufenthaltsgesetzes angeordnet (bitte nach Gefährdern und relevanten
Personen aufgliedern)?
a) Gegen wie viele sind Maßnahmen nach dem Artikel 10-Gesetz – G10 an-

geordnet?
b) Gegen wie viele sind polizeiliche Telekommunikationsüberwachungen

sowie Observationen angeordnet?
c) Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus ihren diesbe-

züglichen Erkenntnissen?
18. Ist die Definition des „islamistisch-terroristischen Spektrums“ (vgl. Bundes-

tagsdrucksache 18/7151: Jihadisten, „die terroristische Gewalt als das pri-
märe Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele propagieren und praktizieren“) so
zu verstehen, dass die entsprechenden Personen nachgewiesenermaßen ter-
roristische Gewalt als Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele nicht nur propa-
gieren, sondern ebenso praktizieren (bitte ggf. korrigieren)?
Ist der Begriff „praktizieren“ so zu verstehen, dass die Personen nach rich-
terlicher Feststellung terroristische Straftaten begangen haben (bitte ggf. kor-
rigieren), bzw. auf welchen Informationen beruht der Vorwurf des Propagie-
rens und Praktizierens terroristischer Gewalt?

19. Werden Jihadisten des „islamistisch-terroristischen Spektrums“ allesamt
auch als Gefährder geführt, und wenn nein, wie viele gelten als Gefährder
und warum werden nicht alle diese Personen, obwohl sie terroristische Ge-
walt propagieren und praktizieren, nicht als Gefährder geführt, also als Per-
sonen, die voraussichtlich terroristische Gewalt anwenden werden?
Worin liegt der Mehrwert der unterschiedlichen Definitionen bzw. unter-
schiedlichen Kategorien?

20. Beabsichtigt die Bundesregierung eine Neudefinition der Begriffe Gefährder
und relevante Person, und wenn ja, aus welchem Grund und inwiefern?

21. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den bisherigen
Erfahrungen mit der Nutzung der Begriffe Gefährder und relevante Person?

Berlin, den 27. Januar 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

anzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.