BT-Drucksache 18/10962

Erweiterung des Schengener Informationssystems

Vom 20. Januar 2017


Deutscher Bundestag Drucksache 18/10962
18. Wahlperiode 20.01.2017

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Jan van Aken, Christine Buchholz,
Sevim Dağdelen, Annette Groth, Heike Hänsel, Inge Höger, Ulla Jelpke,
Jan Korte, Niema Movassat, Dr. Alexander S. Neu, Harald Petzold (Havelland),
Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Erweiterung des Schengener Informationssystems

Das Schengener Informationssystem (SIS) ist ein zentralisiertes, großes Informa-
tionssystem zur Durchführung von Personen- und Sachkontrollen (z. B. von Rei-
sedokumenten oder Fahrzeugen) an den Schengener Außengrenzen, das der bes-
seren Zusammenarbeit der Strafverfolgungs- und Justizbehörden von 29 europä-
ischen Ländern dienen soll (Kommissionsdokument COM (2016) 880 final). In
seiner 2. Generation (SIS II) verfügt das System über neue Funktionen und Ge-
genstandskategorien, darunter neue Kategorien für Sachausschreibungen; die
Möglichkeit, Abfragen im zentralen System (statt in der nationalen Kopie der Da-
tenbank) durchzuführen; die Möglichkeit, Personen- und Sachausschreibungen
miteinander zu verknüpfen; biometrische Daten (Fingerabdrücke und Gesichts-
bilder); Anhängen einer Kopie des Europäischen Haftbefehls direkt an die Aus-
schreibung von Personen; Angaben über missbräuchlich verwendete Identitäten
zur Verhinderung eines Identitätsbetrugs. Mit mehreren Durchführungsmaßnah-
men wurden die Funktionen des SIS II auch zum Zweck der Terrorismusbekämp-
fung ausgeweitet (Ratsdokument 14260/16). Unter anderem stiegen danach die
jährlichen verdeckten Ausschreibungen nach Artikel 36 Absatz 3 des SIS-II-Be-
schlusses rapide an („Anzahl der Personenausschreibungen zum Zwecke der ver-
deckten oder gezielten Kontrolle im Interesse der nationalen Sicherheit“, Ratsdo-
kument 14260/16, S. 11). Die von der Europäischen Kommission eingesetzte
Hochrangige Expertengruppe für Informationssysteme und Interoperabilität erör-
tert die Verbesserung der Datenqualität von SIS-Ausschreibungen. Die Europäi-
sche Kommission berät außerdem mit den Mitgliedstaaten, gemeinsame Kriterien
für die verschiedenen Kategorien von SIS-Ausschreibungen im Zusammenhang
mit Terrorverdächtigen festzulegen. Das Ziel ist gesondert auszuweisen, wie viele
Ausschreibungen „ausländische terroristische Kämpfer/Terroristen“ betreffen.
Der Ausschuss SIS/VIS entschied, die Ausschreibungen zwecks gezielter Kon-
trolle sowie die Ausschreibungen zum Zwecke der verdeckten oder gezielten
Kontrolle, die unverzüglich gemeldet werden müssen, um die Art des Vergehens,
einschließlich der Kategorie „Aktivitäten mit Terrorismusbezug“, zu ergänzen.
Die Änderung ist aufgrund mehrerer operationeller und technischer Fragen zu-
rückgestellt, die von verschiedenen Mitgliedstaaten aufgeworfen wurden (Rats-
dokument 14260/16, S. 10). Die europäische Agentur für das Betriebsmanage-
ment von IT-Großsystemen (eu-LISA) arbeitet derzeit an einer technischen Be-
wertung verschiedener Alternativen.

Drucksache 18/10962 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Der Europäischen Kommission zufolge gibt es in den Mitgliedstaaten, die das
SIS II nutzen, zurzeit ungefähr zwei Millionen Endnutzer (COM (2016) 880 fi-
nal). In der Mitteilung „Solidere und intelligentere Informationssysteme für das
Grenzmanagement und mehr Sicherheit“ (COM (2016) 205 final vom 6. April
2016) fordert die Europäische Kommission eine Überarbeitung des SIS dahinge-
hend, dass es auch die Nutzung von Gesichtsbildern für die biometrische Identi-
fizierung umfasst. In einem Gesetzgebungsvorschlag will die Europäische Kom-
mission eine Reihe weiterer Maßnahmen zur Optimierung der Wirksamkeit des
SIS vorschlagen. Hierzu gehört eine biometrische Suchfunktion für Fingerabdrü-
cke. Acht Mitgliedstaaten werden hierzu im Jahr 2017 eine Testphase vornehmen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche Defizite sieht die Bundesregierung derzeit im Zusammenhang mit

der Eingabe von Daten in die Datensysteme der Europäischen Union, insbe-
sondere bezogen auf das SIS II, das Europol-Informationssystem (EIS) und
die Kontaktstellen bei Europol?
a) In welchen Situationen sind die Polizei und die Geheimdienste nicht oder

nicht ausreichend in der Lage, Person, Identität und Erkenntnisse in Eu-
ropa sicher zusammenzuführen (Präsident des Bundeskriminalamts –
BKA – Holger Münch auf der BKA-Herbsttagung, 16. November 2016)?

b) Welche gesetzgeberischen und/oder technischen Hindernisse stehen einer
Überwindung dieser Defizite auf nationaler Ebene entgegen?

2. Mit welchen Maßnahmen will die Bundesregierung die Erhebung, Überprü-
fung und Verknüpfung von Informationen für die Aufspürung von an Terro-
rismus und Aktivitäten mit Terrorismusbezug beteiligten Personen und ihrer
Reisebewegungen verbessern?

3. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung inzwischen zur Frage, inwie-
fern das Schengener Informationssystem (SIS II) auch DNA-Daten speichern
und verarbeiten sollte, bzw. wann könnte die Prüfung der Bundesregierung
zu dieser Frage vermutlich abgeschlossen sein (Bundestagsdrucksachen
18/8872, 18/9973, 18/10775)?

4. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung inzwischen zur Frage, inwie-
fern Ausschreibungen nach Artikel 36 SIS II auch die Festnahme ermögli-
chen sollten, auch wenn kein Europäischer Haftbefehl vorliegt, bzw. wann
könnte die Prüfung der Bundesregierung zu dieser Frage vermutlich abge-
schlossen sein (Bundestagsdrucksachen 18/8872, 18/9973, 18/10775)?

5. Welche Mindeststandards sollten die im SIS II eingetragenen Daten aus Sicht
der Bundesregierung erfüllen?

6. Welche eingeschränkten oder uneingeschränkten Zugangsrechte sollten aus
Sicht der Bundesregierung für den Zugang von Europol zum SIS II einge-
räumt werden?

7. Welche Vorschläge und Forderungen enthält ein vom BKA in Abstimmung
mit dem Bundesministerium des Innern erstelltes und mit mehreren Mit-
gliedstaaten abgestimmtes Positionspapier hinsichtlich der verstärkten Ein-
bindung von Europol bzw. einer verstärkten Koordinierungsrolle der Agen-
tur für Aufgaben der Terrorismusbekämpfung (BKA-Präsident Holger
Münch auf der BKA-Herbsttagung, 16. November 2016)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/10962
8. Auf welche Weise wird die Einführung einer recherchierbaren Fingerab-
druckfunktionalität im SIS II (SIS II-AFIS) in Deutschland umgesetzt (Bun-
destagsdrucksache 18/9762)?
a) Welche deutschen Behörden nehmen hierfür an einem EU-Pilotprojekt

teil, wann soll dieses Pilotprojekt beginnen bzw. beendet sein?
b) Wo werden entsprechende Anwendungen getestet?
c) Welche weiteren Mitgliedstaaten und Agenturen sowie sonstige Einrich-

tungen werden nach Kenntnis der Bundesregierung an der Testphase des
AFIS teilnehmen?

9. In welchen Fällen ist deutschen Behörden eine Abfrage der EU-Fingerab-
druckdatenbank Eurodac erlaubt, auch wenn noch kein Abgleich im nationa-
len Fingerabdrucksystem, im Prüm-Verbund und im VISA-System erfolgte
(BKA-Präsident Holger Münch auf der BKA-Herbsttagung, 16. November
2016)?

10. Welche neuen Ausschreibungskategorien sollten aus Sicht der Bundesregie-
rung in das SIS II aufgenommen werden, und welcher Zweck würde damit
verfolgt?
a) In welchen Fällen sollten aus Sicht der Bundesregierung SIS-Ausschrei-

bungen zwingend werden?
b) Was ist der Bundesregierung über die Pläne zur Einrichtung einer neuen

„Ermittlungsanfrage“ im SIS II bekannt, und wie soll diese umgesetzt
werden?

11. Welche Fälle bzw. welche Ausschreibungen von „ausländischen Kämpfern“
im SIS II erfordern aus Sicht der Bundesregierung eine unverzügliche Mel-
dung, und inwiefern sollte dies auch sogenannte Rückkehrer umfassen?

12. Was ist der Bundesregierung über Diskussionen unter den EU-Mitgliedstaa-
ten über die Aufnahme von SIS-Ausschreibungen „Aktivitäten mit Terroris-
musbezug“ oder „Vergehen mit Terrorismusbezug“ bekannt?
a) Wann und wie soll dies zukünftig umgesetzt werden?
b) Für welche Personen oder Fälle sollte aus Sicht der Bundesregierung die

Kennzeichnung „Aktivitäten mit Terrorismusbezug“ oder „Vergehen mit
Terrorismusbezug“ vergeben werden?

c) Für welche Ausschreibungen im SIS II sollte die Kennzeichnung „Akti-
vitäten mit Terrorismusbezug“ oder „Vergehen mit Terrorismusbezug“
aus Sicht der Bundesregierung möglich werden?

d) Auf welche Weise könnte eine Ausschreibung oder Kennzeichnung aus
Sicht der Bundesregierung auch darstellen, was von den auf der Aus-
schreibung beruhenden Maßnahmen erwartet wird?

13. Welche operationellen und technischen Fragen zur Aufnahme der Art des
Vergehens, einschließlich der Kategorie „Aktivitäten mit Terrorismusbezug“
sind der Bundesregierung bekannt, die von verschiedenen Mitgliedstaaten
aufgeworfen wurden und zu denen eu-LISA an einer technischen Bewertung
gebeten wurde?

Drucksache 18/10962 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

14. Was ist der Bundesregierung über Diskussionen unter den EU-Mitgliedstaa-

ten zu Richtkriterien für die Eingabe von Informationen über „ausländische
Kämpfer“ in das SIS II und die Europol-Datenbanken bekannt?
a) Welche Personen würden aus Sicht der Bundesregierung ein solches Kri-

terium erfüllen, und nach welcher Maßgabe könnten diese Personen im
SIS II eingetragen werden?

b) Auf welche Weise sollten diese Kriterien rechtsverbindlich werden?
c) Inwiefern könnten diese Kriterien auch Angehörige oder andere Kontakt-

personen mutmaßlicher „ausländischer Kämpfer“ umfassen?
15. Auf welche Weise haben deutsche Behörden die „europa-weit vereinbarte

Qualifizierung der Fahndungen im Schengener Informationssystem zu soge-
nannten Foreign Fighters“ umgesetzt, und worin besteht die vom BKA-Prä-
sident Holger Münch auf der BKA-Herbsttagung am 16. November 2016 an-
gekündigte „Interimslösung“, mit der das BKA „nach 4 Monaten handlungs-
fähig“ war?

16. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Frage, ob Personen, von
denen angenommen wird, dass sie sich im Prozess der Radikalisierung be-
finden, im SIS II eingetragen werden sollten?
a) Welche Kriterien sieht die Bundesregierung hierzu als sinnvoll an?
b) Inwiefern sollten aus Sicht der Bundesregierung auch „extremistische

Redner“ im SIS II eingetragen werden, und welche Kriterien sollten hier-
für gelten?

17. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, inwiefern die Regierung
Großbritanniens ein „Opt-In“ zum Austausch biometrischer Daten im Rah-
men des Vertrages von Prüm erklären will oder dies bereits tat (ibtimes.co.uk
vom 2. November 2016, „UK set to opt into sharing of crime-fighting DNA
and fingerprint data across the EU“)?

18. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, inwiefern die Eingliederung
des sogenannten FIU.NET (als Netzwerk der Zentralstellen für Verdachts-
meldungen von Finanztransaktionen) in Europol tatsächlich zu einer Verbes-
serung der Zusammenarbeit zwischen zentralen Meldestellen (nicht nur beim
BKA) und Europol führte (Bundestagsdrucksache 18/6239)?

19. Inwiefern und auf welche Weise ist der im Rahmen des FIU.NET geplante
Abgleich verdächtiger Transaktionen bzw. Konten unter den nationalen
Zentralstellen nach Kenntnis der Bundesregierung inzwischen umgesetzt?

20. In welchem Verfahren will das BKA umsetzen, die grenzüberschreitende In-
formationsübermittlung aus und nach Deutschland nicht mehr nur über die
Zentralstelle BKA als Ein- und Ausgangsstelle vorzunehmen, sondern den
Bundesländern das Europol-Informationssystem SIENA „schrittweise“ für
den Direktverkehr zur Verfügung zu stellen (BKA-Präsident Holger Münch
auf der BKA-Herbsttagung, 16. November 2016)?

21. Wo wollen die polizeilichen und/oder geheimdienstlichen Bundes- und Lan-
desbehörden einen „bundesweiten Datenpool für strategische Auswertungen,
gemeinsame Lagebilder und länderübergreifende Schwerpunktsetzungen“
einrichten, der die sogenannten Sondererhebungen überflüssig machen soll
(BKA-Präsident Holger Münch auf der BKA-Herbsttagung, 16. November
2016)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/10962

22. Welche weiteren Vorhaben in Bezug auf die Erleichterung des nationalen

und internationalen Datentausches soll die Arbeitsgruppe der Innenminister-
konferenz, die unter Beteiligung des BKA „weitere Schritte und eine Umset-
zungsstrategie“ hierzu entwickeln soll, zunächst prüfen (BKA-Präsident
Holger Münch auf der BKA-Herbsttagung, 16. November 2016), und wann
soll der Abschlussbericht vorliegen?

23. Wo wird die deutsche nationale Kopie des SIS II betrieben, um das Risiko
zu minimieren, dass deutsche Behörden bei einem Ausfall der Netzverbin-
dung oder des zentralen SIS II nicht über die Option verfügen, wieder auf
das SIS-1+ zuzugreifen?

24. Wie viele Personen sind mit Stichtag 31. Dezember 2016 im SIS II nach Ar-
tikel 36 gespeichert (bitte nach Artikel 36 Absatz 2 und Absatz 3 SIS-II-Be-
schluss differenzieren)?

25. Wie viele Personen sind mit Stichtag 31. Dezember 2016 im SIS II zum Zwe-
cke der verdeckten oder gezielten Kontrolle zur unverzüglichen Meldung ge-
speichert?

26. Bis wann will die Bundesregierung den Gesetzgebungsvorschlag der Euro-
päischen Kommission, der eine Reihe von Maßnahmen zur Optimierung der
Wirksamkeit des SIS enthält, prüfen und bewerten (Pressemitteilung der Eu-
ropäischen Kommission vom 21. Dezember 2016)?

Berlin, den 18. Januar 2017

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
Druck: Printsystem GmbH, Schafwäsche 1-3, 71296 Heimsheim, www.printsystem.de

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