BT-Drucksache 18/10745

Ermittlung und strafrechtliche Verfolgung des sogenannten "Migrantenschmuggels" in der Europäischen Union

Vom 14. Dezember 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/10745
18. Wahlperiode 14.12.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Christine Buchholz, Annette Groth,
Heike Hänsel, Inge Höger, Jan Korte, Katrin Kunert, Dr. Alexander S. Neu,
Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Ermittlung und strafrechtliche Verfolgung des sogenannten
„Migrantenschmuggels“ in der Europäischen Union

Im Februar 2016 eröffneten Europol und Interpol im Rahmen einer gemeinsamen
Konferenz das „Europäische Zentrum zur Bekämpfung der Migrantenschleu-
sung“ (EMSC) (vgl. Bundestagsdrucksache 18/6859). Es soll die „Zerschlagung
von Schleppernetzen“ besorgen (Zeitschrift Bürgerrechte & Polizei/Cilip vom
21. Februar 2016). Das EMSC ist die Erweiterung des von Europol im vorver-
gangenen Jahr in Den Haag gestarteten Lagezentrums „Joint Operation Team
(JOT) Mare“. Es besteht aus den drei Bereichen „Deployments“ (zentraler Kon-
taktpunkt für die „European Union Regional Taskforce“), „Operations“ (opera-
tive Unterstützung der Mitgliedstaaten und Partner) und „Strategy“ (strategische
Unterstützung der Mitgliedstaaten und Partner). Das EMSC verfügt über neuar-
tige „mobile Ermittlungsunterstützungsteams“ (EU Mobile Investigation Support
Teams – EMIST) aus „Experten und Analysten von Europol“, Einsätze erfolgen
in den sogenannten Hotspots in Italien und Griechenland. Dort ermitteln sie auch
Aktivitäten mit Terrorismusbezug. Zu den Aufgaben der EMIST gehört die Er-
stellung von Frühwarnberichten und „operativer und strategischer Produkte“ zur
Einleitung von Ermittlungen oder Durchführung von Razzien (vgl. Bundestags-
drucksache 18/6859). Das JOT Mare bzw. das EMSC erhalten „in geeigneten Fäl-
len“ analytische Unterstützung für Finanzermittlungen zu verdächtigen Finanz-
strömen vom zuständigen Europol-Auswerteschwerpunkt „Sustrans“.
Außerdem startete Europol im September 2015 ein „Monitoring Center zur Ana-
lyse der aktuellen Migrationsströme innerhalb der EU“ (Europol Monitoring
Team – EPMT). Es analysiert und dokumentiert Informationen über die europäi-
sche Migrationslage und erstellt einen täglichen Lage-/Analysebericht für die EU-
Mitgliedstaaten. Das EPMT besteht aus wechselndem Personal und steht unter
der Leitung des Operational Center bei Europol. Am 3. November 2016 führte
das EMSC zusammen mit italienischen Behörden ein „Expertentreffen“ zu Netz-
werken von „Migrantenschmuggel“ auf der zentralen Mittelmeerroute durch
(Pressemitteilung Europol vom 7. November 2016). Zu den teilnehmenden „be-
troffenen“ EU-Mitgliedstaaten gehörten Österreich, Deutschland, Frankreich,
Schweden, Großbritannien, Malta und die Schweiz, ebenfalls eingeladen waren
die Militärmission EUNAVFOR MED, die GSVP-Mission EUBAM Libyen,
Frontex und Interpol sowie „Experten“ aus Libyen, Marokko und Tunesien. Das
Treffen wurde unter der „Europäischen multidisziplinären Plattform gegen kri-
minelle Bedrohungen“ (EMPACT) abgehalten und kann damit von der EU geför-
dert werden. Im Ergebnis soll ein „informelles Expertennetzwerk“ unter italieni-
scher Leitung eingerichtet werden.

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Auch die „Meldestelle für Internetinhalte“ bei Europol befasst sich mit „Schleu-
sungskriminalität“ und geht gegen Fluchthelfer vor (www.europol.europa.eu/
content/europol-internetreferral-unit-one-year). Die Polizeiagentur hat hierfür
türkisch- und arabischsprachige Übersetzer eingestellt. 122 Accounts, die mit „il-
legaler Migration“ in Verbindung stehen sollen, wurden bei den Providern bean-
standet. Die Internetinhalte zur mutmaßlichen „Schleusungskriminalität“ wurden
bislang nicht von der „Meldestelle“ ermittelt, sondern vom EMSC angeliefert.
Die „Meldestelle“ hat sich im Bereich „illegaler Migration“ an sieben operativen
Ermittlungen beteiligt, darunter auch in den sogenannten Hotspots in Griechen-
land. Neben den anderen Europol-Abteilungen hat auch die „Meldestelle“ drei
Mitarbeiter nach Griechenland entsandt.
Am 4. Mai 2016 startete der österreichische Bundesminister für Inneres ein „Joint
Operational Office against Human Smuggling Networks“ (JOO) in Wien (Pres-
semitteilung Bundeskriminalamt Österreich vom 4. Mai 2016). Organisatorisch
ist das JOO Teil des Bundeskriminalamtes in Österreich. Eingebunden in die „Po-
lice Cooperation Convention for Southeast Europe“ (PCC-SEE) mit Beamtinnen
und Beamten aus der Balkanregion beteiligen sich im JOO die „nationalen Ober-
behörden für Schleusungskriminalität“ aus Deutschland, Österreich, Belgien,
Bulgarien, Finnland, Großbritannien, Ungarn, Kroatien, Rumänien, Schweden,
Slowenien, der Slowakei sowie von Europol und Frontex (vgl. Bundestagsdruck-
sache 18/8669). Außerdem dient das JOO als Kontaktstelle für entsprechende Er-
mittlungen von Behörden aus den Herkunftsländern der Migrantinnen und Mig-
ranten. Die Bundesregierung bezeichnet es als das „operative Bindeglied zwi-
schen EMSC und Europol“. Damit das JOO von der Europäischen Union und
Europol gefördert werden kann, integriert es sich ebenfalls in die EMPACT. Im
Jahr 2016 waren beim JOO 38 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt, Eu-
ropol plant die Entsendung von weiterem Personal.
Auch die Agentur für die justizielle Zusammenarbeit Eurojust hat eine „Thematic
Group Illegal Immigrant Smuggling“ eingerichtet, an der Vertreterinnen und Ver-
treter der sogenannten nationalen Tische von Eurojust teilnehmen (vgl. Bundes-
tagsdrucksache 18/8669). Außer Deutschland sind die nationalen Mitglieder von
Bulgarien, Frankreich, Großbritannien, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg,
den Niederlanden, Schweden, Ungarn beteiligt. Schließlich richtete auch Interpol
ein „Specialised Operational Network against Migrant Smuggling“ (ISON) mit
„Experten“ aus den Herkunfts-, Transit- und Zielländern ein (vgl. Bundestags-
drucksache 18/8669). Ziel des ISON ist ein „erhöhter weltweiter polizeilicher In-
formationsaustausch zum Zweck der strafrechtlichen Verfolgung von Schleusern
und Zerschlagung der Schleusernetzwerke“.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Mit welchem Personal hat sich die Bundesregierung im Jahr 2016 am „Eu-

ropäischen Zentrum zur Bekämpfung der Migrantenschleusung“ (EMSC),
am „Joint Operation Team (JOT) Mare“, an „mobilen Ermittlungsunter-
stützungsteams“ (EMIST) und am „Monitoring Center zur Analyse der ak-
tuellen Migrationsströme innerhalb der EU“ (EPMT) beteiligt?

2. Auf welche Weise und für welche Aufgaben soll das EMIST mit EU-See-
streitkräften (EU NAVFOR) zusammenarbeiten, und welche Informationen
werden hierzu untereinander getauscht?

3. Welche Dienste der drei Bereiche des EMSC „Deployments“ (zentraler Kon-
taktpunkt für die „European Union Regional Taskforce“), „Operations“
(operative Unterstützung der Mitgliedstaaten und Partner) und „Strategy“
(strategische Unterstützung der Mitgliedstaaten und Partner) hat die Bundes-
regierung im Jahr 2016 in Anspruch genommen?

http://www.europol.europa.eu/content/europol-internetreferral-unit-one-year
http://www.europol.europa.eu/content/europol-internetreferral-unit-one-year
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/10745
4. An welchen „Expertentreffen“ zur Bekämpfung von „Migrantenschmuggel“
hat die Bundesregierung auf Ebene der Europäischen Union teilgenommen?

5. An welchen dieser „Expertentreffen“ zur Bekämpfung von „Migranten-
schmuggel“ nahmen auch Angehörige militärischer Einrichtungen teil, und
was war der Zweck ihrer Teilnahme (bitte die entsendenden Behörden oder
Institutionen benennen)?
a) Mit welchem Zweck nahmen an einem Treffen im November 2016 bei

Europol auch die EU-Militärmission EUNAVFOR MED sowie die
GSVP-Mission EUBAM Libyen teil (Pressemitteilung Europol vom
7. November 2016)?

b) Welche „Experten“ aus Libyen, Marokko und Tunesien waren nach
Kenntnis der Bundesregierung bei dem Treffen zugegen, und welche Bei-
träge hielten diese?

c) Was ist der Bundesregierung über den Zweck, die Beteiligten und ge-
plante Maßnahmen eines bei dem Treffen eingerichteten „informellen Ex-
pertennetzwerks“ unter italienischer Leitung bekannt?

6. Inwiefern verfügt das Auswärtige Amt über Informationen, ob die EU-Poli-
zeiausbildungsmission EUBAM Libyen die libysche Einheitsregierung da-
bei unterstützt, Orte zu bestimmen, wohin Geflüchtete zu verbringen wären,
wenn die libysche Küstenwache (etwa bei gemeinsamen Patrouillen mit ei-
ner zukünftig in „Phase 3“ ausgeweiteten EU-Militärmission EUNAVFOR
MED) Geflüchtete in Hoheitsgewässern aufgreift (Plenarprotokoll 18/205,
Mündliche Frage 17 des Abgeordneten Andrej Hunko)?
a) Welche libyschen Internierungslager unterstehen nach Kenntnis der Bun-

desregierung der Einheitsregierung, und welche dieser Anstalten werden
von den Milizen geführt, die sich nur manchmal der Einheitsregierung
gegenüber loyal erklären?

b) Welche „allgemeine[n] Angebote zur Zusammenarbeit auch im Sicher-
heitsbereich“ haben der Bundesminister des Auswärtigen Dr. Frank-
Walter Steinmeier und der vormalige deutsche Botschafter für Libyen,
Christian Much, gegenüber dem Vorsitzenden des libyschen Präsidial-
rats Fayez AI-Sarraj gemacht (Bundestagsdrucksache 18/10443, Ant-
wort zu Frage 11; bitte die möglicherweise unterstützenden deutschen
bzw. zu unterstützenden libyschen Ministerien benennen)?

7. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, inwiefern das europäische
Verteidigungsprojekt „Maritime Surveillance“ (MARSUR) mittlerweile
auch den Beteiligten der Militärmission EUNAVFOR MED zugänglich ist,
und an welche Dienste sind diese dadurch angeschlossen?

8. Auf welche Weise und mit welchen Beteiligten untersucht Europol das
Schiffsunglück vor der ägyptischen Küste vom 9. April 2016, bei dem mut-
maßlich mehr als 500 Geflüchtete ertranken, nachdem sie von der ägypti-
schen Küste in die Europäische Union übersetzen wollten (BBC vom 6. De-
zember 2016, „Europol to investigate Egypt mass drowning“)?

9. Welche Maßnahmen zur Priorität „illegale Migration“ werden nach Kenntnis
der Bundesregierung derzeit über die „Europäische multidisziplinäre Platt-
form gegen kriminelle Bedrohungen“ (EMPACT) finanziert, und wer führt
diese Maßnahmen jeweils an?

10. In welche diesjährigen „Bekämpfungsmaßnahmen“ im Rahmen von
EMPACT waren Europol, Frontex und das Interpol-Generalsekretariat ge-
meinsam eingebunden (Bundestagsdrucksache 18/10430), und welche ähn-
lichen Maßnahmen sind für 2017 geplant?

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11. An wie vielen operativen Ermittlungen im Bereich „illegaler Migration“ hat

sich die „Meldestelle für Internetinhalte“ bei Europol nach Kenntnis der
Bundesregierung seit ihrem Bestehen beteiligt, und an welchen dieser Er-
mittlungen waren auch deutsche Behörden beteiligt?
a) Welche Aufgaben übernehmen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der

„Meldestelle“ in den sogenannten Hotspots in Griechenland und/oder Ita-
lien?

b) Wie viele Internetinhalte bzw. Accounts, die mit „illegaler Migration“ in
Verbindung stehen sollen, wurden bei den Providern zur Entfernung ge-
meldet, und wer hat diese Internetinhalte gefunden bzw. angeliefert?

12. Mit welchem Personal hat sich die Bundesregierung im Jahr 2016 am „Joint
Operational Office against Human Smuggling Networks“ (JOO) in Wien be-
teiligt?
a) Welche grenzüberschreitenden Ermittlungen oder Maßnahmen (darunter

auch „Aktionstage“), an denen auch Bundes- oder Landesbehörden betei-
ligt waren, wurden seit ihrem Bestehen vom EMSC oder JOO koordiniert
oder initiiert (http://gleft.de/1xo)?

b) Inwiefern wurden die 38 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beim JOO in-
zwischen aufgestockt, und welche Entsendungen von Europol sind ge-
plant?

13. Welche zukünftigen gemeinsamen Polizeioperationen (Joint Police Operati-
ons) werden derzeit vom EMSC, vom JOO oder im Rahmen von EMPACT
vorbereitet, und wann sollen diese stattfinden?

14. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, in welchen Fällen bzw. in
welcher Häufigkeit das JOO oder Europol bei den Ermittlungen im Jahr 2016
auch Hinweise auf Verbindungen zwischen „Schleusungskriminalität“ und
Terrorismus fand?

15. Auf welche Weise arbeiten Bundesbehörden oder nach Kenntnis der Bun-
desregierung auch Landesbehörden mit dem „INTERPOL Specialist Opera-
tional Network against Migrant Smuggling“ (ISON) zur Ermittlung oder
strafrechtlichen Verfolgung von „Schleusern“ oder zur „Zerschlagung
der Schleusernetzwerke“ zusammen?

16. Welche Auswertungsprodukte deutscher Bundesbehörden im Bereich des
„Migrantenschmuggels“ enthalten „präventive Ansätze mit prädiktiven Ele-
menten“ (Bundestagsdrucksache 18/9764, Antwort zu Frage 1)?

17. Welche grenzüberschreitenden Ermittlungen oder Maßnahmen (darunter
auch „Aktionstage“), an denen auch Bundes- oder Landesbehörden beteiligt
waren, wurden nach Kenntnis der Bundesregierung im Jahr 2016 von
Eurojust koordiniert oder initiiert (vgl. Pressemitteilung Eurojust vom
23. November 2016, „Organised crime group behind illegal immigration dis-
mantled“)?

18. Was ist der Bundesregierung darüber bekannt, in welcher Zahl Geflüchtete
mit Güterzügen aus Italien oder anderen Ländern versuchen, nach Deutsch-
land einzureisen (http://gleft.de/1xn; bitte nach den einzelnen Monaten des
Jahres 2016 darstellen)?

http://gleft.de/1xo
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/10745

19. Mit welchen Maßnahmen wollen die betroffenen Länder Deutschland, Ös-

terreich und Italien wie von Reuters berichtet verschärfte Kontrollen der Gü-
terzüge vornehmen, und inwiefern sind dabei das EMSC, das JOO oder die
bayerische Landespolizei eingebunden?

Berlin, den 13. Dezember 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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