BT-Drucksache 18/10594

Europäisches Reiseinformations- und -genehmigungssystem - Haltung der Bundesregierung nach dem Vorschlag der Europäischen Kommission

Vom 6. Dezember 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/10594
18. Wahlperiode 06.12.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Wolfgang Gehrcke, Annette Groth, Ulla Jelpke,
Inge Höger, Jan Korte, Niema Movassat, Harald Petzold (Havelland),
Kersten Steinke und der Fraktion DIE LINKE.

Europäisches Reiseinformations- und -genehmigungssystem – Haltung der
Bundesregierung nach dem Vorschlag der Europäischen Kommission

Die Europäische Kommission hat mittlerweile eine Machbarkeitsstudie und einen
Verordnungsvorschlag für die Einrichtung eines europäischen Reiseinforma-
tions- und -genehmigungssystems (ETIAS) vorgelegt (Europäische Kommis-
sion – Pressemitteilung vom 16. November 2016). Das System soll auch Rei-
sende, die von der Visumpflicht befreit sind, „verstärkt Sicherheitskontrollen […]
unterziehen“. Vor ihrer Einreise sollen sie „sachdienliche Angaben über geplante
Reisen“ in ein Onlineformular eingeben (Ratsdokument 7644/16, Kommissions-
dokument COM(2016) 205 final vom 6. April 2016, Bundestagsdrucksachen
18/8872 und 18/9973). Laut der Europäischen Kommission könnte dadurch eine
Sicherheitslücke geschlossen werden. Dies sei umso mehr notwendig, als die Eu-
ropäische Union (EU) mit immer mehr Ländern Abkommen zur Aufhebung der
Visumspflicht abschließt.
Jeder Grenzübertritt soll spätestens 72 Stunden vorher angemeldet werden, auf
einem Internetformular müssten die Reisenden neben Personendaten auch Infor-
mationen zum geplanten Aufenthalt mitteilen. Hierzu gehören der Grund der
Reise (etwa zu Tourismus- oder Geschäftszwecken) und ein Reiseplan. In der
Diskussion ist auch, die geplanten Verkehrsmittel angeben zu müssen. Finden die
Sicherheitsbehörden bei der „Vorabkontrolle“ eine Auffälligkeit, kann die Ge-
nehmigung zur Einreise an den Außengrenzen der EU verweigert werden. Als
Beispiele nennt die Europäische Kommission, wenn die betreffende Person „ein
Risiko im Hinblick auf die irreguläre Migration, die Sicherheit oder die öffentli-
che Gesundheit darstellt“. Würden „keine Treffer oder Elemente ermittelt, die ei-
ner weiteren Analyse bedürfen“, wird die Reisegenehmigung im ETIAS „auto-
matisch innerhalb weniger Minuten nach der Antragstellung erteilt“. Für das Ver-
fahren sollen die Antragsteller selbst bezahlen, im Verordnungsvorschlag ist die
Rede von einer „Antragsgebühr“ in Höhe von 5 Euro. Ihre Daten würden fünf
Jahre lang gespeichert.
Für die „Vorabkontrolle“ soll der automatisierte Abgleich außer mit nationalen
Datenbanken auch mit EU-Informationssystemen erfolgen, darunter das Schen-
gener Informationssystem (SIS II), das Visainformationssystem (VIS), Europol-
Datenbanken, Interpol-Datenbanken, die Fingerabdruckdatenbank (Eurodac), das
Strafregistersystem (ECRIS) und das in Planung befindliche Ein-/Ausreisesystem
(EES). Die Polizeiagentur Europol soll für die Risikoanalyse eine „ETIAS-Be-
obachtungsliste“ mit „zielgerichteten, verhältnismäßigen und eindeutigen Vor-
schriften für die Sicherheitskontrolle“ erstellen. Verwaltet würde das ETIAS von
der Europäischen Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen

Drucksache 18/10594 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

(eu-LISA). Die Europäische Agentur für Grenz- und Küstenwache (Frontex)
würde mit der Einrichtung einer Zentralstelle beauftragt, in der die einlaufenden
Informationen auf ihre Korrektheit überprüft werden. Der Zentralstelle würde
auch die Definition von Risikokriterien obliegen, die zuvor einem „ETIAS Scree-
ning Board“ vorgeschlagen würden. Jeder EU-Mitgliedstaat soll eine nationale
Kontaktstelle für das ETIAS benennen, die an die Zentralstelle angeschlossen ist.
Sie treffen die Entscheidung, ob einer Person die Einreise verweigert wird. Im
Konsultationsverfahren werden die nationalen Kontaktstellen bei einer Antrags-
stellung auch von den übrigen Mitgliedstaaten abgefragt.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welchen Mehrwert bringt ein ETIAS aus Sicht der Bundesregierung in Be-

zug auf die Sammlung von Informationen über Personen aus Drittstaaten, die
von der Visumspflicht befreit sind?

2. Inwiefern hält die Bundesregierung ein ETIAS für geeignet, Grenzverfahren
bei der Ankunft der Reisenden „schneller und reibungsloser“ vornehmen zu
können (bitte erläutern)?

3. Welche Kosten veranschlagt die Bundesregierung für die EU-weite Einrich-
tung des ETIAS, und welche Kosten für den nationalen Betrieb kämen
hinzu?

4. Mit welchem Ergebnis bezieht die Bundesregierung bei ihrer Meinungsbil-
dung zu einem ETIAS die „Erfahrungen anderer Staaten wie die USA, Ka-
nada und Australien mit elektronischen Reisegenehmigungsverfahren sowie
Auswirkungen auf den Reiseverkehr“ mit ein?

5. Auf welche Weise könnte ein ETIAS wie von der Europäischen Kommission
vorgeschlagen auf bestehenden Informationssystemen aufbauen bzw. deren
Komponenten „wiederverwerten“ („reuse“)?
a) Inwiefern sollte ein ETIAS aus Sicht der Bundesregierung von dem ge-

planten EU-Ein- und Ausreisesystem (EES) unabhängig sein oder in die-
ses integriert werden?

b) Welche Funktionen des im „Paket Intelligente Grenzen“ der Europäi-
schen Union ursprünglich vorgesehenen „Registrierungsprogramms für
Reisende“ (RTP) könnte ein ETIAS übernehmen (Bundestagsdrucksa-
chen 18/7835 und 18/9973)?

c) Auf welche Weise bzw. mit welchen technischen Verfahren (etwa einem
„Single Search Interface“, siehe Bundestagsdrucksache 18/8872) könnte
ein ETIAS aus Sicht der Bundesregierung mit dem EES „interoperabel“
gemacht werden?

6. Welche „sachdienlichen Angaben über geplante Reisen“ oder geplante Ver-
kehrsmittel sollte ein ETIAS aus Sicht der Bundesregierung unbedingt vorab
erheben?
a) Wann sollte ein geplanter Grenzübertritt durch die Reisenden spätestens

in einem ETIAS angemeldet werden?
b) Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Frage, ob Antragsteller

wie in den USA bei der Einreise auch (freiwillig oder vorgeschrieben)
Angaben zu Nutzerkonten bei sozialen Medien machen könnten oder
müssten?

c) Welche minimale/maximale Gebühr für eine solche Anmeldung hält die
Bundesregierung für verhältnismäßig?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/10594
7. Inwiefern sollte ein ETIAS aus Sicht der Bundesregierung als zentrales Sys-
tem angelegt sein oder eher vorhandene, nationale Systeme vernetzen?
a) Welche nationale Kontaktstelle würde die Bundesregierung für ein zu er-

richtendes ETIAS benennen?
b) Inwiefern sollte die Entscheidung, ob einer Person die Einreise verweigert

wird, aus Sicht der Bundesregierung allein von der nationalen Kontakt-
stelle getroffen werden?

8. Welche (deutschen) polizeilichen oder geheimdienstlichen Behörden sollten
Daten eines ETIAS nutzen dürfen?

9. Mit welchen nationalen und internationalen Datenbanken sollten Angaben
aus dem ETIAS aus Sicht der Bundesregierung Informationen „automatisch“
abgeglichen werden, bzw. inwiefern stimmt die Bundesregierung der von der
Europäischen Kommission in ihrer Pressemitteilung vom 16. November
2016 vorgeschlagenen Liste von mindestens acht europäischen und interna-
tionalen Datenbanken zu?

10. Inwiefern sollte für eine „Vorabkontrolle“ im ETIAS aus Sicht der Bundes-
regierung auch der Zugriff auf das einzurichtende Fluggastdatensystem oder
die Datenbank für vorab übermittelte Fluggastdaten (API-Daten) ermöglicht
werden, bzw., sofern die Bundesregierung hierzu noch keine Haltung hat,
was spräche dagegen?

11. In welchen Fällen bzw. zu welchem Zweck sollten die Ersuchen der Antrag-
steller im ETIAS aus Sicht der Bundesregierung auch im Konsultationsver-
fahren an die nationalen Kontaktstellen der übrigen Mitgliedstaaten weiter-
geleitet werden?

12. Was ist der Bundesregierung über Vorschläge oder Forderungen anderer Re-
gierungen bekannt, in einem ETIAS auch EU-Staatsangehörige zu speichern,
und wie positioniert(e) sie sich dazu?

13. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Frage, inwiefern Europol
Prüm-Partner werden und zur Kreuztreffersuche von DNA-Daten und Fin-
gerabdrücken ermächtigt werden sollte, bzw. wann könnte die Prüfung der
Bundesregierung zu dieser Frage vermutlich abgeschlossen sein (Bundes-
tagsdrucksachen 18/8872 und 18/9973)?

14. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung inzwischen zur Frage, inwie-
fern das Schengener Informationssystem (SIS II) auch DNA-Daten speichern
und verarbeiten sollte, bzw. wann könnte die Prüfung der Bundesregierung
zu dieser Frage vermutlich abgeschlossen sein (Bundestagsdrucksachen
18/8872 und 18/9973)?

15. Welche Haltung vertritt die Bundesregierung zur Frage, inwiefern Aus-
schreibungen nach Artikel 36 SIS II auch die Festnahme ermöglichen sollten,
auch wenn kein Europäischer Haftbefehl vorliegt (Bundestagsdrucksache
18/8872 und 18/9973)?

16. Wann und wo findet bzw. fand die Auftaktsitzung der sechs an der „Aache-
ner Erklärung“ beteiligten Staaten und Bundesländer statt, in der die konkrete
Ausgestaltung von acht Maßnahmenfeldern sowie deren Umsetzungsschritte
beraten bzw. beschlossen werden bzw. wurden (Bundestagsdrucksache
18/10541), und, sofern die Auftaktsitzung bereits stattfand, welche einzelnen
Maßnahmen für „gemeinsame operative Aktivitäten“ und „Auswerte- und
Analyseprojekte“ sind in der Diskussion, der Planung oder der Durchfüh-
rung?

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17. Inwiefern mündete der „Meinungsaustausch“ zwischen dem US-Heimat-

schutzminister und dem Bundesminister des Innern zum gegenseitigen Ab-
gleich von „Reisenden und Asylsuchenden“ („screening of travelers and
asylum seekers“) in ihren Datenbanken mittlerweile in konkrete Vorhaben
(Bundestagsdrucksache 18/8872)?
a) Welche Datenbanken bzw. Datensammlungen sollen bzw. könnten für ei-

nen solchen Abgleich (als Datenquelle und abzugleichende Informations-
systeme) genutzt werden?

b) Nach welcher Maßgabe werden die Datenquellen und abzufragenden Da-
ten ausgewählt?

18. Welche Aufgaben sollen die Europäische Agentur für das Betriebsmanage-
ment von IT-Großsystemen (eu-LISA) und die Grenzagentur Frontex aus
Sicht der Bundesregierung bei der Verwaltung bzw. dem Betrieb des ETIAS
übernehmen?

19. Wer soll aus Sicht der Bundesregierung dem „ETIAS Screening Board“ an-
gehören und beispielsweise für die Definition von Risikokriterien verant-
wortlich sein?

20. Welche Angaben sollte eine von Europol erstellte „ETIAS-Beobachtungs-
liste“ aus Sicht der Bundesregierung enthalten?
a) Inwiefern sollte eine „ETIAS-Beobachtungsliste“ auch Personen und/

oder Organisationen enthalten, die aus Sanktionslisten der Europäischen
Union oder der Vereinten Nationen stammen?

b) Inwiefern sollten Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, die „ETIAS-Be-
obachtungsliste“ um eigene Angaben zu Personen oder Organisationen,
gegenüber denen ein Einreiseverbot auszusprechen ist, anzureichern?

21. Inwiefern hält es die Bundesregierung für sinnvoll oder notwendig, die in
einem EU-weiten Reiseinformations- und -genehmigungssystem erhobenen
Daten auch nach der Ausreise der betreffenden Person weiterhin zu spei-
chern, und welchen Zeitraum hält sie hierfür für sinnvoll?

22. Mit welchen Verfahren bzw. Algorithmen könnten die von den Reisenden
eingegebenen Informationen aus Sicht der Bundesregierung „automatisch“
verarbeitet werden?

23. Welche im ETIAS vorab übermittelten Informationen der Antragsteller
könnten aus Sicht der Bundesregierung auch zur Überprüfung genutzt wer-
den, ob die betreffende Person, wie von der Europäischen Kommission be-
schrieben, ein Risiko im Hinblick auf die „öffentliche Gesundheit darstellt“
und deshalb nicht einreisen darf?

24. In welchen europäischen oder nationalen Informationssystemen sollte die
Ablehnung einer Einreise aus Sicht der Bundesregierung gespeichert wer-
den?

25. Vor welchem Gericht in Deutschland könnten abgelehnte Antragsteller ge-
gen die Untersagung der Einreise prozessieren?

Berlin, den 6. Dezember 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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