BT-Drucksache 18/10576

Registrierte Flüchtlinge aus der Türkei und ihre Asylersuchen

Vom 2. Dezember 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/10576
18. Wahlperiode 02.12.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken,
Christine Buchholz, Sevim Dağdelen, Heike Hänsel, Andrej Hunko, Jan Korte,
Niema Movassat, Kathrin Vogler, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Registrierte Flüchtlinge aus der Türkei und ihre Asylersuchen

Laut einem Bericht des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat
sich die Zahl der Asylsuchenden aus der Türkei im Jahr 2016 massiv erhöht. Von
Januar bis Oktober 2016 sollen 4 437 Menschen aus der Türkei einen solchen
Antrag gestellt haben. Im Vergleich dazu beliefen sich demnach die Zahlen für
2015 auf 1 767 registrierte Flüchtlinge aus der Türkei (www.spiegel.de/politik/
deutschland/tuerkei-immer-mehr-menschen-beantragen-asyl-in-deutschland-a-11
21874.html). Insbesondere vor dem Hintergrund des EU-Türkei-Abkommens, in
dem die Türkei als ein angeblich sicheres Drittland für Flüchtlinge ausgewiesen
wird, aber auch bezüglich der engen bilateralen Beziehungen zwischen Deutsch-
land und der Türkei werfen diese Zahlen Fragen auf.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Womit stehen die gestiegenen EASY-Registrierungszahlen (EASY – Erst-

verteilung der Asylbegehrenden) von Geflüchteten aus der Türkei nach Ein-
schätzung der Bundesregierung im Zusammenhang?

2. Wie viele Geflüchtete aus der Türkei haben von Januar bis Ende November
2016 Asyl beantragt (bitte nach Monaten auflisten und jeweils den Anteil
kurdischer Volkszugehöriger benennen)?

3. Wie viele Asylsuchende aus der Türkei wurden zwischen Januar und Ende
November 2016 im EASY-System zur Erstaufteilung der Geflüchteten auf
die Bundesländer registriert (bitte nach Monaten auflisten)?

4. Wie viele Personen aus der Türkei haben nach Kenntnis der Bundesregierung
von Januar bis Ende November 2016 in anderen EU-Staaten Asyl beantragt
(bitte nach Land und Anzahl aufschlüsseln)?

5. Inwieweit, zu welchem Zeitpunkt, und mit welchem Ergebnis war der Um-
gang mit Asylbegehren von Personen aus der Türkei im Jahr 2016 Thema
innerhalb welcher EU-Gremien, und welche Position hat die Bundesregie-
rung dabei vertreten?

6. Wie waren die Asylentscheidungen in den Jahren 2014 und 2015 bzw. im
bisherigen Jahr (bis inklusive November 2016, bitte für das Jahr 2016 auch
nach Monaten auflisten und für alle Jahre jeweils getrennt die Werte für kur-
dische Volkszugehörige angeben) in absoluten und relativen Zahlen (bitte
jeweils nach Asylentscheidung bzw. gewährtem Status differenzieren und
die bereinigte Gesamtschutzquote angeben)?

http://www.spiegel.de/politik/%0bdeutschland/tuerkei-immer-mehr-menschen-beantragen-asyl-in-deutschland-a-11%0b21874.html
http://www.spiegel.de/politik/%0bdeutschland/tuerkei-immer-mehr-menschen-beantragen-asyl-in-deutschland-a-11%0b21874.html
http://www.spiegel.de/politik/%0bdeutschland/tuerkei-immer-mehr-menschen-beantragen-asyl-in-deutschland-a-11%0b21874.html
Drucksache 18/10576 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
7. Inwiefern können nach Kenntnis der Bundesregierung Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter des BAMF eine Zuordnung von bei der Anhörung vorgebrachten
Verfolgungsgründen der Asylsuchenden aus der Türkei nach – auch ver-
meintlichen – politischen Spektren treffen (z. B.: Gülen Bewegung, kurdi-
sches Spektrum, linkes bzw. sozialistisches Spektrum, kemalistisches Spek-
trum)?

8. Inwiefern kann nach Kenntnis der Bundesregierung das Bundesamt für Ver-
fassungsschutz, der Bundesnachrichtendienst oder das Bundeskriminalamt
eine Zuordnung von bei der Anhörung vorgebrachten Verfolgungsgründen
der Asylsuchenden aus der Türkei nach – auch vermeintlichen – politischen
Spektren treffen; z. B. Gülen Bewegung, kurdisches Spektrum – HDP, DBP,
PKK, KCK –, linkes bzw. sozialistisches Spektrum – MLKP, ESP, TKP-ML,
DHKP-C, Halk Cephesi etc., kemalistisches Spektrum einschließlich der
CHP (bitte auch falls eine teilweise Zuordnung möglich ist, diese angeben
und aufschlüsseln)?

9. Welche Angaben kann die Bundesregierung zu den angegebenen häufigsten
Fluchtgründen von Asylsuchenden aus der Türkei im Verlauf der letzten bei-
den Jahre bzw. aktuell nach dem gescheiterten Putsch Mitte Juli 2016 ma-
chen?

10. Kann die Bundesregierung eine Aufschlüsselung der innerhalb der letzten
zwei Jahre nach Deutschland geflüchteten türkischen Staatsbürger nach Be-
rufsgruppen darlegen (falls ja, bitte ausführlich, auch unvollständige Anga-
ben bitte anführen)?
Wie wird nach Kenntnis der Bundesregierung nach geltendem Recht über
Asylanträge von türkischen Geflüchteten, die im Zentrum der aktuellen
„Säuberungswelle“ des türkischen Staates infolge des gescheiterten Putsches
stehen, entschieden?

11. Inwieweit ist nach Ansicht der Bundesregierung in diesen Fällen die Gefahr
einer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung oder sonstiger Gefähr-
dungen zu bejahen?

12. Inwieweit und auf welche Weise nimmt die Bundesregierung auf Asylver-
fahren Einfluss, bei denen eine Asylanerkennung zu diplomatischen Ver-
wicklungen führen könnte (z. B. hohe Militärangehhörige, hochrangige oder
gesuchte Gülen-Anhänger, PKK-Angehörige)?

13. Ist der Bundesregierung die Zahl der Binnenflüchtlinge innerhalb der Türkei
bekannt, insbesondere für die Jahre 2015 und 2016?
a) Wie ist deren Lage?
b) Inwieweit und aufgrund welcher Kenntnisse geht die Bundesregierung

von einer baldigen Rückkehr der Binnenflüchtlinge in ihre Heimatorte,
einem Verbleib an ihren gegenwärtigen Aufenthaltsorten oder einer wei-
teren Flucht ins Ausland aus?

14. Welche Prognosen hat die Bundesregierung zur weiteren Entwicklung der
Zahl Asylsuchender aus der Türkei für das Jahr 2016 bzw. 2017, und aus
welchen Quellen speisen sich diese Vorhersagen bzw. welche Annahmen
und Faktoren spielen nach Auffassung der Bundesregierung hierbei eine
Rolle (bitte ausführen)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/10576

15. Wie beurteilt die Bundesregierung die Lage von Flüchtlingen in der Türkei,

insbesondere vor dem Hintergrund der Aussagen von Amnesty International,
„die Unterbringung und der Zugang zu Nahrungsmitteln, Bildung, Gesund-
heitsversorgung und Arbeit ist schwieriger geworden, da in Städten lebende
Flüchtlinge kaum staatliche Unterstützung erhalten. Die Unterbringung muss
von ihnen selbst finanziert werden“ (www.amnesty.de/2016/6/3/tuerkei-
ungenuegender-schutz-fuer-fluechtlinge)?

16. Inwieweit hat die Bundesregierung Kenntnis über Proteste und Aufstände in
Flüchtlingslagern in der Türkei, was weiß sie über den Hintergrund dieser
Vorkommnisse, und welche Schlussfolgerungen zieht sie diesbezüglich hin-
sichtlich der Einschätzung der Türkei als angeblich sicherer Drittstaat (bitte
ausführen)?

17. Inwieweit hat die Bundesregierung Berichte von Amnesty International
über – fast tägliche – völkerrechtswidrige Abschiebungen von Flüchtlingen
durch die Türkei bzw. über völlig unzureichende Bedingungen für Asylsu-
chende in der Türkei (www.amnesty.de/2016/6/3/tuerkei-ungenuegender-
schutz-fuer-fluechtlinge) geprüft bzw. bestätigen können, was hat sie diesbe-
züglich unternommen, und welche Schlussfolgerungen hat sie hieraus gezo-
gen, insbesondere in Hinblick auf die Einschätzung der Türkei als angeblich
sicherer Drittstaat im Kontext des EU-Türkei-Abkommens (bitte zu beiden
Berichten getrennt und differenziert antworten und gegebenenfalls beson-
dere Ausführungen dazu machen, warum den Berichten von Amnesty Inter-
national gegebenenfalls nicht nachgegangen wurde oder warum die Bundes-
regierung gegebenenfalls der Auffassung ist, dass diese Berichte anzuzwei-
feln sind)?

18. Inwieweit und mit welchen Mitteln kontrolliert die Bundesregierung, inwie-
weit die im Rahmen des EU-Türkei-Abkommens vereinbarte Einhaltung
„einschlägiger internationaler Standards“ bezüglich der zurückgeschobenen
Flüchtlinge eingehalten werden (Schriftliche Frage 12 der Abgeordneten
Ulla Jelpke auf Bundestagsdrucksache 18/10443), und inwiefern beinhalten
diese Standards auch Minimalanforderungen in Bezug auf die menschenwür-
dige Unterbringung, Versorgung, Gesundheitsversorgung und die Rechtssi-
cherheit (bitte ausführen)?

19. Aus welchem Grund stellt die Aussage des UNHCR-Direktors Vincent
Cochetal für die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Schriftliche
Frage 12 der Abgeordneten Ulla Jelpke auf Bundestagsdrucksache 18/10443
keinen ausreichenden Hinweis darauf dar, dass im Rahmen des EU-Türkei-
Abkommens in die Türkei zurückverbrachte syrische Flüchtlinge dort kei-
nerlei temporären Schutz erhalten hätten und dem Hohen Flüchtlingskom-
missar der Vereinten Nationen (UNHCR) nach dem Putschversuch vom
15. Juli 2016 der Zugang zu Unterbringungen von Flüchtlingen in der Türkei
verwehrt worden sei?

20. Für wie relevant hält die Bundesregierung Angaben des UNHCR und auf
welche weiteren Quellen stützt sie sich bei ihrer Betrachtung der Lage der
Flüchtlinge im Allgemeinen in der Türkei und im Speziellen der aus der EU
Zurückgeschobenen?

21. Welche Anstrengungen hat die Bundesregierung unternommen, um die Aus-
sagen des UNHCR-Europa-Direktors Vincent Cochetal (https://euobserver.
com/migration/135279) zu überprüfen?

http://www.amnesty.de/2016/6/3/tuerkei-ungenuegender-schutz-fuer-fluechtlinge
http://www.amnesty.de/2016/6/3/tuerkei-ungenuegender-schutz-fuer-fluechtlinge
http://www.amnesty.de/2016/6/3/tuerkei-ungenuegender-schutz-fuer-fluechtlinge
http://www.amnesty.de/2016/6/3/tuerkei-ungenuegender-schutz-fuer-fluechtlinge
https://euobserver.com/migration/135279
https://euobserver.com/migration/135279
Drucksache 18/10576 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

22. Welche Einschätzung hat das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfra-

gen (EASO) nach Kenntnis der Bundesregierung zu der Frage, ob die Türkei
als sicherer Drittstaat angesehen werden kann, insbesondere nach dem ge-
scheiterten Putsch vom Juli 2016, und falls eine solche Einschätzung nicht
vorliegen sollte, warum setzt sich die Bundesregierung in den EU-Gremien
nicht dafür ein, dass eine solche Analyse durch das EASO erstellt wird?

23. Ist es zutreffend, dass sich die Bundesregierung in EU-Gremien über Beru-
fungsentscheidungen in Griechenland beklagt, nach denen die Türkei im je-
weiligen Einzelfall nicht als sicherer Drittstaat angesehen werden könne,
weil dies eine schnelle Umsetzung der Vereinbarungen des EU-Türkei-Ab-
kommens behindere (bitte ausführen und darlegen, welche Position die Bun-
desregierung zu dieser Frage vertritt), und falls dies zutrifft, wie ist dies da-
mit vereinbar, dass rechtsstaatliche Verfahren und eine effektive Asylprü-
fung in jedem Einzelfall grundlegende Bestandteile des EU-Rechts sind und
solche Prüfungen auch im Kontext des EU-Türkei-Abkommens zugesagt
wurden?

24. Inwieweit hält die Bundesregierung ihre noch im Juli 2016 und ausdrücklich
im Widerspruch zum Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung Peter
Altmaier geäußerte Auffassung, die Türkei könne als sicherer Herkunftsstaat
angesehen werden (Bundestagsdrucksache 18/9128, Antwort auf die Schrift-
liche Frage 14, S. 10), vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse zumin-
dest im Rückblick für verfehlt, und inwieweit begründet diese nach Ansicht
der Fragesteller bereits damals offenkundig falsche Einschätzung der Lage
in der Türkei durch die Bundesregierung generelle Zweifel an der Verläss-
lichkeit solcher Einschätzungen bezüglich der vermeintlichen Sicherheit von
Herkunftsstaaten (bitte ausführlich begründen)?

Berlin, den 1. Dezember 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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