BT-Drucksache 18/10474

Bildungseinrichtungen fit für die digitale Gesellschaft und die Zukunft machen

Vom 30. November 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/10474
18. Wahlperiode 30.11.2016
Antrag
der Abgeordneten Özcan Mutlu, Kai Gehring, Beate Walter-Rosenheimer,
Katja Dörner, Tabea Rößner, Dr. Konstantin von Notz, Dr. Franziska Brantner,
Ulle Schauws, Doris Wagner, Maria Klein-Schmeink, Elisabeth Scharfenberg,
Kordula Schulz-Asche, Dr. Harald Terpe, Luise Amtsberg, Renate Künast,
Claudia Roth (Augsburg) und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Bildungseinrichtungen fit für die digitale Gesellschaft und die Zukunft
machen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das Leben in der digitalen Welt ist kein Zukunftsszenario mehr, sondern realer Alltag.
Die Digitalisierung durchdringt längst alle Lebensbereiche. Gesellschaft und Wirt-
schaft treiben Entwicklungen voran, stoßen dabei auch auf Regelungslücken und neue
Fragestellungen. Daraus ergeben sich nicht nur Chancen, sondern auch Risiken, die
jede und jeder individuell abwägen können muss. In immer mehr Bereichen zeichnet
sich ab, vor welchen sozialen, politischen und rechtlichen Herausforderungen die di-
gitale Gesellschaft steht. Neue Wissens- und Bildungszugänge stehen nur denjenigen
offen, die über die technologischen Mittel und die entsprechende Medienkompetenz
verfügen. Dadurch öffnet sich die digitale Schere immer mehr und die digitale Spal-
tung der Gesellschaft schreitet voran.
Der Deutsche Bundestag beschäftigt sich seit Langem, zuletzt grundlegend in seiner
Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“, mit der Frage, wie die zu-
nehmende Bedeutung des Internets und die voranschreitende Digitalisierung die Le-
bens- und Arbeitswelt der Menschen verändert und was sich für den Gesetzgeber dar-
aus ergibt. Im Oktober 2016 hat nun auch das Bundesministerium für Bildung und
Forschung unter der Überschrift „Bildungsoffensive für die digitale Wissensgesell-
schaft“ eine Strategie vorgelegt. So dringlich, facettenreich und komplex sich Bil-
dungsfragen in einer digitalisierten Wissensgesellschaft stellen, so wenig umfassend
und konkret ist die Ministeriumsstrategie. Solche Schnellschüsse sind hier fehl am
Platz. Die einzige relativ konkrete Neuigkeit der Strategie ist der „DigitalPakt#D“. Er
sieht vor, dass der Bund ab 2018 mit 5 Milliarden Euro alle 40.000 Schulen in Deutsch-
land mit digitaler Infrastruktur ausstattet. Im Zuge dieses Pakts, so stellt es sich die
Bundesministerin vor, verpflichten sich die Länder, entsprechende pädagogische Vo-
raussetzungen zu schaffen, damit die Hardwareausstattung auch sinnvoll eingesetzt
werden kann. Dazu sollen die nötigen pädagogischen Konzepte entwickelt werden, die
entsprechenden Aus-, Fort- und Weiterbildungen der Lehrerinnen und Lehrer umge-
staltet werden, gemeinsam technische Standards erstellt und zusätzlich die Wartung

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und der Betrieb der Technik übernommen werden. Die enormen Folgekosten, die für
Updates, Technik und Lizenzen entstehen, müssen also ebenfalls von den Ländern al-
leine getragen werden.
Obwohl die Kultusministerkonferenz seit mehr als einem Jahr am gleichen Thema ar-
beitet, einer Strategie „Bildung in der digitalen Welt“, ist der Vorschlag des „Digital-
Pakt#D“ nicht mit ihr abgestimmt. Vielmehr enthält die Skizze des Bundesbildungs-
ministeriums direkte Aufforderungen an die Länder. Von einem echten Konzept kann
bisher also keine Rede sein. In der Broschüre des BMBF ist die Rede vom „Angebot
des Bundes […] mit gleichzeitiger Verpflichtung der Länder“ (S. 6). Ein fragwürdiges
Beispiel von Bund-Länder-Kooperation im föderalen System. Dieses „Top-Down“ be-
fremdet umso mehr, da doch offensichtlich ist, dass nur das gemeinsame Handeln von
Ländern und Bund allen Kindern und Jugendlichen gute Bildungschancen für die di-
gitale Zukunft ermöglicht und zwar unabhängig von deren Wohnort oder Schultyp.
Während also die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten der Länder sich im Oktober
mit der Bundeskanzlerin geeinigt haben, dass der Bund nun immerhin die bauliche
Sanierung von Schulen mitleisten darf, zeigt der Aspekt der Digitalisierung, dass nicht
mal innerhalb der Bundesregierung, entsprechend auch nicht zwischen Bund und Län-
dern, eine echte gemeinsame Strategie entwickelt wird. Weniger als ein Jahr vor der
nächsten Bundestagswahl hat Bildungsministerin Wanka 5 Milliarden bis 2021 für die
digitale Infrastruktur an Schulen vorgesehen. Diese Investitionen, die bislang in keiner
Weise haushälterisch beschlossen und zwischen den Koalitionären nicht abgesprochen
sind, sind dennoch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Der Deutsche Städte- und
Gemeindebund rechnet mit einem Bedarf von mindestens 2,5 Milliarden Euro pro Jahr.
Insgesamt sind die bis zum Jahr 2021 veranschlagten Mittel nicht ausreichend, um die
gesteckten Ziele zu erreichen.
Das Institut für Bildung und Informationsgesellschaft legte kürzlich eine Stakeholder-
Studie vor. In dieser werden Expertinnen und Experten nach ihrer Meinung zu den
Forderungen zum Antrag „Durch Stärkung der digitalen Bildung Medienkompetenz
fördern und digitale Spaltung überwinden“ (Drs. 18/4422) der Fraktionen der
CDU/CSU und SPD befragt. Sie kritisieren die Idee eines „Pakts“ zwischen Bund und
Ländern. Solche Maßnahmen seien Notlösungen, um die Kooperation zwischen Bund
und Ländern zu umgehen. (www.ibi.tu-berlin.de/images/161013_IBI-Studie_
Digitale_Bildung_BT-Beschluss_Langfassung.pdf). Eine Änderung des Grundgeset-
zes, um die Kooperation des Bundes zu ermöglichen, ist zweifelsohne dringend erfor-
derlich. Nur so können kohärente Strategien mit allen Akteuren entwickelt und in die
Breite getragen werden.
Auch innerhalb der Koalition gibt es keine Einigkeit über das Projekt. Als verfassungs-
rechtliche Basis führt die Union Art. 91c GG für den Digitalpakt an. Der ist allerdings
für die Kooperation von Bund und Ländern, nicht von Kommunen, und für die Ein-
richtung und das Betreiben von Verwaltungs-IT gedacht. Der Koalitionspartner SPD
zweifelt daher öffentlich an, dass Art. 91 c GG eine tragfähige Grundlage für den ge-
planten „DigitalPakt#D“ ist.
Wie zerstritten die Koalition beim Thema Digitalisierung ist, zeigt sich auch anlässlich
des IT-Gipfels der Bundesregierung am 16. und 17. November 2016. So hat dort der
Bundeswirtschaftsminister sein eigenes Positionspapier „Digitale Bildung – Der
Schlüssel zu einer Welt im Wandel“ vorgelegt. Darin stellt auch er einen „Digitalpakt“
in der Bildung vor, diesmal als bundesweite Ausstattungsinitiative „1.000 Berufsschu-
len 4.0“. Damit will der Vize-Kanzler und SPD-Vorsitzende nun, dass „die Berufs-
schulen in die Lage versetzt werden, digitale Lerninhalte zu vermitteln, die den jewei-
ligen Ausbildungsberufen und Anforderungen der betrieblichen Praxis entsprechen“
(a. a. O.,S. 15).
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Ebenfalls auf dem IT-Gipfel stellte Bildungsministerin Wanka das Pilotvorhaben
„Schulcloud“ vor. Bei allen Vorteilen, die solche Projekte mit sich bringen, müssen
auch die Schwierigkeiten thematisiert werden. Das BMBF lässt dabei wichtige Folgen
unangesprochen, die sich z. B. rechtlich, sozial oder didaktisch ergeben. Dieses Vor-
gehen verdeutlicht, dass die Bundesregierung sich mit kurzfristigen Erfolgen rühmen
möchte. Der Vielschichtigkeit des Themas wird sie so allerdings nicht gerecht.
Ende November wird auch die Bundesministerin für Arbeit und Soziales wieder in die
Debatte einsteigen und ihr Weißbuch zur Arbeit 4.0 vorlegen, wahrscheinlich auch mit
Bildungsaspekten. Während die Bundesregierung sich mit Vorschlägen und Schnell-
schüssen überschlägt, wird dieses unkoordinierte Vorgehen in keiner Weise der Her-
ausforderung gerecht, die Lernbedingungen, die Lernformen und die Lerninhalte in
Deutschland in allen Bereichen fit zu machen für die digitale Welt im 21. Jahrhundert.
Um das zu ändern, braucht es nachhaltige Konzepte in Absprache mit allen Akteuren
und keine wahllosen Alleingänge und verfrühte Wahlkampfgeschenke.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. zügig eine gemeinsame koordinierte Strategie innerhalb der Bundesregierung zu
erarbeiten, in der alle Ressorts ihre Ansätze aufeinander abstimmen;

2. mit dieser abgestimmten und sinnvollen Strategie als Grundlage mit den Ländern
und Kommunen in Verhandlungen über eine gemeinsame Strategie einzutreten.
Diese Strategie darf nicht aus einem Flickenteppich von Pakten bestehen, sondern
muss aus einem Guss sein und konkrete Aufgaben und Zeitfenster enthalten, wer
bis wann was erreicht haben muss. Zu diesen gemeinsamen Zielen gehört es,
a) individuell jedem Kind und Jugendlichen die größtmögliche Unterstützung

beim Lernen zu gewähren, sei es in ihren Stärken, sei es in ihren bisherigen
Schwächen und dabei digitale Lernmittel einzubeziehen;

b) passgenaue, altersspezifische, wissenschaftlich unterlegte medienpädagogi-
sche Konzepte auszuarbeiten, die individuelle Förderung und inklusives Ler-
nen in allen Bildungsetappen ermöglichen;

c) die inhaltliche Weiterentwicklung von Bildungsplänen und Unterrichtsent-
wicklung, curriculare Entwicklungen, in die Medienpädagogik als Schlüssel-
kompetenz fächerübergreifend integriert wird;

d) die Aus-, Fort- und Weiterbildung von Erziehenden und Lehrenden voranzu-
bringen und dabei im Hinblick auf die Neuen Medien weiterzuentwickeln;

e) die Weiterentwicklung von geeigneten Bildungsmedien und dem entspre-
chenden Inhalt voranzubringen;

f) entsprechende Rahmenbedingungen in der Kita zu schaffen, um eine ange-
messene Begleitung der Medienbildung von Kindern erst zu ermöglichen.
Dabei gilt es, die Eltern in die Medienbildung aktiv miteinzubeziehen;

g) die berufliche Bildung so zu modernisieren, dass junge Menschen auf die
Anforderungen der Arbeitswelt in der digitalen Zeit optimal vorbereitet wer-
den. Dafür müssen neben den betrieblichen und überbetrieblichen Lernorten
insbesondere auch die beruflichen Schulen bundesweit dabei unterstützt wer-
den, die Herausforderungen der Digitalisierung erfolgreich umzusetzen;

h) die Modernisierung und Auf-Stand-Haltung von Infrastruktur und Ausstat-
tung an Schulen und Berufsschulen sicherzustellen;

i) die Hochschulen so auszustatten, dass dort auf neuestem Stand gelernt, ge-
lehrt und geforscht werden kann;

Drucksache 18/10474 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

j) rechtliche Rahmenbedingungen für notwendige Klarheit und Sicherheit si-
cherzustellen und beispielsweise die sogenannte „Störerhaftung“ für Betrei-
ber offener WLAN-Netze abzuschaffen und für die notwendige Rechtssi-
cherheit zu sorgen;

k) die administrative Digitalisierung der Bildungsverwaltung der einzelnen Bil-
dungseinrichtung und der übergeordneten Systeme voranzubringen, wie etwa
Schulverwaltungsprogramme, Bildungs- und Campusmanagementsysteme
anzubieten;

l) zu prüfen, inwieweit Bildungseinrichtungen sehr viel stärker als Standorte
für Freifunkrouter genutzt werden können;

3. Konzepte und Strategien für das Lernen für die digitale Welt auf ihre Wirksam-
keit hin zu evaluieren, damit geeignete Maßnahmen in die Breite getragen werden
können;

4. die finanziellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass der DigitalPakt#D
schon im kommenden Jahr beginnen kann;

5. zügig einen Gesetzentwurf zur im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und
SPD vereinbarten Einführung einer Bildungs- und Wissenschaftsschranke vorzu-
legen. Diese ist als Grundlage für ein bildungs- und forschungsfreundliches Ur-
heberrecht überfällig, damit das Lernen, Lehren und Forschen mit den neuen di-
gitalen Möglichkeiten Schritt halten kann;

6. gleichzeitig mit den Ländern in die Verhandlungen einzutreten, um das Koopera-
tionsverbot in Gänze abzuschaffen, damit Bund, Länder und Kommunen zur Stär-
kung des Lernens in der digitalen Welt zusammenarbeiten können (Drs. 18/3163).

Berlin, den 29. November 2016

Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion

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