BT-Drucksache 18/10326

Umsetzung der Bestandteile der "Aachener Erklärung" zur grenzüberschreitenden Polizeizusammenarbeit

Vom 11. November 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/10326
18. Wahlperiode 11.11.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Andrej Hunko, Annette Groth, Ulla Jelpke, Jan Korte,
Alexander Ulrich, Kathrin Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Umsetzung der Bestandteile der „Aachener Erklärung“ zur grenzüberschreitenden
Polizeizusammenarbeit

Die Innenminister der Niederlande, Belgiens, Deutschlands sowie der Länder
Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen haben die Vertiefung
ihrer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit gegen „Eigentumskriminalität und
Wohnungseinbruchsdiebstahl“ beschlossen (Mitteilungen des Bundesministeri-
ums des Innern sowie der Bundespolizei vom 31. Oktober 2016). Laut dem Bun-
desminister des Innern, Dr. Thomas de Maizière, agierten organisierte Banden
europaweit, weshalb sie national und auf europäischer Ebene bekämpft werden
müssten. Die Gefahr, Opfer eines Wohnungseinbruchdiebstahls zu werden, sei
„für die Bürgerinnen und Bürger die größte Bedrohung ihres persönlichen Sicher-
heitsgefühls“ nach der „Terrorismusgefahr“. Eine „Aachener Erklärung“ benennt
deshalb acht „konkrete Maßnahmenpakete“ zur Verfolgung von sogenannten
„reisenden Tätergruppen“. Sie bestimmen Maßnahmen für „gemeinsame opera-
tive Aktivitäten“ und „Auswerte- und Analyseprojekte“. Unter Leitung und in
Absprache mit den zuständigen Justizbehörden soll zudem die „enge Kooperation
für die Durchführung paralleler Ermittlungen oder gemeinsamer Ermittlungsver-
fahren“ angestrebt werden. Darüber hinaus will das Bundesinnenministerium zur
„Erarbeitung von Ermittlungsansätzen gegen die Täterstrukturen reisender Täter“
die internationale Ermittlungsarbeit mit der Polizeiagentur Europol, anderen EU-
Mitgliedstaaten sowie Herkunftsstaaten der Täterinnen und Täter nutzen. Zu den
„konkrete[n] Bestandteile[n]“der „Aachener Erklärung“ zählt das Bundesinnen-
ministerium:
 „Ein intensivierter und kontinuierlicher Informationsaustausch;
 gemeinsame Auswerte- und Analyseprojekte sowie operative Aktivitäten;
 unter Leitung und in Absprache mit den zuständigen Justizbehörden, streben

die Polizeibehörden eine enge Kooperation für die Durchführung paralleler Er-
mittlungen oder gemeinsamer Ermittlungsverfahren an;

 die Initiierung und Umsetzung grenzüberschreitender Präventionsaktivitäten
sowie der Austausch von ‚Best-practice-Konzeptionen‘, um den Einbau von
Sicherheitstechnik sowie ein sicherheitsbewusstes Verhalten des Einzelnen zu
fördern;

 durch den koordinierten Informationsaustausch zwischen Strafverfolgungs-
und Verwaltungsbehörden sollen Gefahren für die öffentliche Sicherheit und
Ordnung reduziert und das Investieren inkriminierter Gelder in legale Handels-
und Unternehmensstrukturen sowie deren Nutzung für kriminelle Zwecke er-
schwert werden (sogenannter ‚Administrative Ansatz‘);

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 durch eine gemeinsame Beteiligung an nationalen und internationalen Projek-

ten der Sicherheitsforschung, wie z. B. zu Predictive Policing, sollen u. a. neue
Präventions- und Bekämpfungskonzepte entwickelt werden.“

Die „Aachener Erklärung“ ergänzt laut den Mitteilungen die durch die Justiz- und
Innenminister der EU am 13. Oktober 2016 beschlossenen „Schlussfolgerungen
des Rates zu organisierten Wohnungseinbrüchen“. Nähere Angaben zur „Aache-
ner Erklärung“ sind indes nicht bekannt.
In der Onlineausgabe der „WAZ“ zitiert die Funke Mediengruppe am 30. Oktober
2016 aus der Erklärung, diese solle „den Kontroll-, Fahndungs- und Ermittlungs-
druck auf Straftäter […] erhöhen“ und ihnen den Rückzug in Ruheräume er-
schweren. Im November 2016 sollten erste gemeinsame Kontrollen stattfinden,
Unterstützung erfolge durch die Bundespolizei und das Bundeskriminalamt. Ge-
plant seien außerdem Präventionsmaßnahmen sowie „regelmäßige Sicherheits-
konferenzen“. Ein ähnliches Pilotprojekt laufe bereits in den Bundesländern Bay-
ern und Baden-Württemberg, um den Informationsfluss mit Polizeistellen „in
ganz Europa“ zu beschleunigen. Im Artikel nennt die Zeitung als Transportweg
das verschlüsselte Europol-Netzwerk SIENA, die dort transportierten Inhalte ent-
hielten „Fingerabdrücke, Fotos, Telefonnummern, Führerschein, Meldedaten,
Reisebewegungen der Täter sowie ihrer Begleitpersonen“.
Die „WAZ“ berichtet auch, dass Rheinland-Pfalz, Bayern, Baden-Württemberg
und Hessen bereits in einem ähnlichen Acht-Punkte-Plan kooperierten. Im Fokus
stünden „Reise- und Fluchtwege, Absatzmärkte und Bandenstrukturen der Täter“
sowie der Abgleich von Spuren. Die drei Länderpolizeien arbeiten demnach auch
bezüglich der Entwicklung von Vorhersagesoftware („Predictive Policing“) zu-
sammen. Ähnliche Pläne hatte der Bundesminister des Innern, Dr. Thomas de
Maizière, vor einem Jahr im Anschluss an ein informelles Ministertreffen einiger
EU-Staaten mitgeteilt. Laut dem Bundesinnenminister soll die Europäische Kom-
mission ein entsprechendes Forschungsprojekt auflegen (Pressekonferenz zum
G6-Innenministertreffen am 2. November 2015). Mit Blick auf Frankreich er-
klärte Dr. Thomas de Maizière, andere Länder verfügten im Bereich der „Predic-
tive Analytics“ über „mehr Erfahrung als wir“. Die Anstrengungen der Regierun-
gen Deutschlands und Frankreichs zur europaweiten Verbreitung von Software
zur Vorhersage von Einbruchsdiebstahl mündeten schließlich in das EU-Ratsdo-
kument 6876/16, das an alle Mitgliedstaaten verteilt wurde. Im Fokus stehen aber-
mals „reisende Tätergruppen“ („Mobile Organised Crime Groups“). Das Doku-
ment enthält eine Reihe von Maßnahmen, die unter anderem im Rahmen des EU-
Programms „Internal Security“ (ISEC) finanziell gefördert werden sollen. Außer
mit Strafverfolgungsbehörden in Westbalkan-Ländern sollen die Mitgliedstaaten
auch enger mit Georgien, Moldawien und der Ukraine zusammenarbeiten. Hierzu
gehört der Informationsaustausch unter Einbeziehung der Polizeiagentur Europol.
Zur Bekämpfung der „Wanderkriminalität“ hat Europol ein Projekt „Mobile (iti-
nerant) OC Groups“ (MOCG) gestartet. Das Bundeskriminalamt beobachtet das
Thema „Kriminalitätsvorhersage“ unter anderem zur Frage, „welche offenen
Quellen als Grundlage für derartige Vorhersagen dienen können“ (Bundestags-
drucksache 18/5599).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche einzelnen Maßnahmen für „gemeinsame operative Aktivitäten“ und

„Auswerte- und Analyseprojekte“ befinden sich nach Kenntnis der Bundes-
regierung im Rahmen der „Aachener Erklärung“ zu den Bestandteilen
b) intensivierter und kontinuierlicher Informationsaustausch;
b) gemeinsame Auswerte- und Analyseprojekte sowie operative Aktivitäten;

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c) enge Kooperation für die Durchführung paralleler Ermittlungen oder ge-
meinsamer Ermittlungsverfahren an unter Leitung und in Absprache mit
den zuständigen Justizbehörden;

d) Initiierung und Umsetzung grenzüberschreitender Präventionsaktivitäten;
e) Austausch von „Best-practice-Konzeptionen“, um den Einbau von Si-

cherheitstechnik sowie ein sicherheitsbewusstes Verhalten des Einzelnen
zu fördern;

f) koordinierter Informationsaustausch zwischen Strafverfolgungs- und
Verwaltungsbehörden zur Reduzierung von Gefahren für die öffentliche
Sicherheit und Ordnung;

g) Verhinderung des Investierens inkriminierter Gelder in legale Handels-
und Unternehmensstrukturen sowie deren Nutzung für kriminelle Zwe-
cke;

h) gemeinsame Beteiligung an nationalen und internationalen Projekten der
Sicherheitsforschung „wie z. B. zu Predictive Policing“
in der Diskussion, der Planung oder der Durchführung?

2. An welche womöglich bereits vorhandenen Konzepte wird im Rahmen der
„Aachener Erklärung“ hinsichtlich der neuen „Präventions- und Bekämp-
fungskonzepte“ angeknüpft?

3. Welche einzelnen Beiträge werden dabei von den Innenministerien der Nie-
derlande, Belgiens, Deutschlands sowie der Länder Nordrhein-Westfalen,
Rheinland-Pfalz und Niedersachsen erbracht?

4. Auf welche Weise sollen die Bestandteile der „Aachener Erklärung“ an die
Zusammenarbeit im „Vetrag von Prüm“ anknüpfen?

5. Wann sollen die von der „WAZ“ berichteten Maßnahmen zur Erhöhung des
„Kontroll-, Fahndungs- und Ermittlungsdruck[s]“ stattfinden?

6. Auf welche Weise werden die Maßnahmen von der Bundespolizei und vom
Bundeskriminalamt unterstützt?

7. Wann und wo sollen die „regelmäßige[n] Sicherheitskonferenzen“ abgehal-
ten werden, und welche Abteilungen der Ministerien nehmen daran teil?

8. Inwiefern ist geplant, einen wechselnden Vorsitz für die künftige Zusam-
menarbeit zu bestimmen, nach welchem Verfahren wird dieser bestimmt,
und wer hat diesen derzeit inne?

9. Was ist der Bundesregierung über ein Pilotprojekt in den Bundesländern
Bayern und Baden-Württemberg bekannt, das den Informationsfluss mit Po-
lizeistellen „in ganz Europa“ beschleunigen soll und dabei als Transportweg
das verschlüsselte Europol-Netzwerk SIENA nutzt?

10. In welchem Zusammenhang werden die dort transportierten Inhalte „Finger-
abdrücke, Fotos, Telefonnummern, Führerschein, Meldedaten, Reisebewe-
gungen der Täter sowie ihrer Begleitpersonen“ erhoben, und auf welcher
Rechtsgrundlage werden diese verarbeitet?

11. Inwiefern sieht die „Aachener Erklärung“ auch die Zusammenarbeit bei der
Entwicklung, Erprobung oder Evaluierung von Vorhersagesoftware vor
(„Predictive Policing“)?

12. Inwiefern wird der im Rahmen eines informellen Treffens vorgetragene Vor-
schlag des Bundesinnenministers weiterverfolgt, die Europäische Kommis-
sion zur Auflage eines Forschungsprojekts zu „Predictive Policing“ zu be-
wegen (Pressekonferenz zum G6-Innenministertreffen am 2. November
2015)?

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13. Auf welche Weise arbeiten die Behörden des Bundesinnenministeriums der-

zeit mit Behörden oder Organisationen in Frankreich im Bereich „Predictive
Policing“ oder „Predictive Analytics“ zusammen?

14. Auf welche Weise werden die Behörden des Bundesinnenministeriums das
EU-Ratsdokument 6876/16 im Bereich von „Predictive Policing“ oder „Pre-
dictive Analytics“ umsetzen, das Maßnahmen gegen „reisende Tätergrup-
pen“ („Mobile Organised Crime Groups“) bestimmt?

15. Welche Ergebnisse zeitigte die Beobachtung des Bundeskriminalamts zum
Thema „Kriminalitätsvorhersage“, die sich unter anderem der Frage wid-
mete, „welche offenen Quellen als Grundlage für derartige Vorhersagen die-
nen können“ (Bundestagsdrucksache 18/5599)?
a) Welche offenen oder polizeilichen Datenquellen sind aus Sicht der Bun-

desregierung für die Nutzung im Bereich der algorithmusgestützten „Kri-
minalitätsvorhersage“ geeignet?

b) Unter welchen Umständen wäre es aus Sicht der Bundesregierung mög-
lich, auch die automatische Nummernschilderkennung in die algorithmus-
gestützte „Kriminalitätsvorhersage“ einzubeziehen?

16. Welche Schreiben mit Vorschlägen oder Forderungen zur Entwicklung von
Methoden zur digitalen Vorhersage von Gefahren hat das Bundesinnenmi-
nisterium mit welchen Partnern an die Europäische Kommission oder den
Rat gerichtet, und welchen Inhalt haben diese?

17. Auf welchen Treffen des Rates oder der Kommission soll das Thema des
Zugangs von Sicherheitsbehörden zu verschlüsselter Kommunikation nach
Kenntnis der Bundesregierung in den Jahren 2016 und 2017 behandelt wer-
den?

Berlin, den 11. November 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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