BT-Drucksache 18/10185

Übermittlung von über Ausländerinnen und Ausländer erfasste Daten an Polizei und Geheimdienste

Vom 1. November 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/10185
18. Wahlperiode 01.11.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Frank Tempel, Sevim Dağdelen, Dr. André Hahn,
Kerstin Kassner, Jan Korte, Petra Pau, Harald Petzold (Havelland),
Martina Renner, Dr. Petra Sitte, Halina Wawzyniak und der Fraktion DIE LINKE.

Übermittlung von über Ausländerinnen und Ausländer erfassten Daten an Polizei
und Geheimdienste

Nach Festnahme des syrischen Terrorverdächtigen Dschaber al-Bakr wurde im
parlamentarischen Raum die Forderung erhoben, insbesondere den Nachrichten-
diensten einen weitergehenden Zugriff auf Daten von Ausländerinnen und Aus-
ländern in Deutschland zu ermöglichen. Eine Rechtsgrundlage hierfür bildet unter
anderem das Gesetz über das Ausländerzentralregister (AZRG), auf dessen
Grundlage personenbezogene Daten zu Ausländerinnen und Ausländern im In-
land gespeichert werden. In weiteren Fachgesetzen finden sich zahlreiche Befug-
nisse für die Übermittlung oder Erhebung der Daten von Asylsuchenden und Aus-
länderinnen und Ausländern.
Insbesondere das Gesetz zur Verbesserung der Registrierung und des Datenaus-
tausches zu aufenthalts- und asylrechtlichen Zwecken (Datenaustauschverbesse-
rungsgesetz) sah die Bundesregierung als dringende Notwendigkeit, auch um „In-
formationen allen Stellen im Rahmen der erforderlichen Aufgabenerfüllung me-
dienbruchfrei übermitteln zu können“ (Bundestagsdrucksache 18/7203). Neben
der Einführung von bundeseinheitlichen Ankunftsnachweisen für Asylsuchende,
einer schnelleren Registrierung in einem zentralen Kerndatensystem, stehen die
hier bereits genannte medienbruchfreie Übermittlung sowie ein Sicherheitsab-
gleich der Daten Asylsuchender mit Dateien der Polizeien und Nachrichten-
dienste des Bundes im Vordergrund.
Wie den Fragestellern bekannt wurde, wird derzeit über eine Ausweitung der Zu-
sammenarbeit vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit dem
Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und dem Bundesnachrichtendienst
(BND) diskutiert. Laut einem Vermerk zur Vorbereitung eines Gesprächs zwi-
schen dem Bundesministerium des Innern und Vertretern der Koalitionsfraktio-
nen der CDU/CSU und SPD erstellen beide Nachrichtendienste Kriterienkata-
loge, anhand derer das BAMF entscheiden soll, zu welchen Asylsuchenden zu-
sätzliche Informationen aus den Asylanhörungen an die Dienste weitergegeben
werden. Der BND nehme demnach wieder Befragungen von Asylsuchenden auch
im Inland vor, das BfV nehme sogar direkt an Asylanhörungen des BAMF teil.
Damit werden nach Ansicht der Fragesteller Asylsuchende noch im Asylverfah-
ren Gegenstand geheimdienstlicher Ausspähung und Abschöpfung, ohne dass
hierfür eine Rechtsgrundlage besteht.

Drucksache 18/10185 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. In welchem Umfang wurden in den Jahren 2014, 2015 und 2016 auf Basis
von § 15 AZRG Daten an
a) die Bundespolizei zur Erfüllung ihrer grenzpolizeilichen Aufgaben (§ 15

Absatz 1 Nummer 2 AZRG),
b) die Bundespolizei und das Bundeskriminalamt zur Strafverfolgung und

Strafvollstreckung (§ 15 Absatz 1 Nummer 5 AZRG)
übermittelt, und in welchem Umfang wurde die Übermittlung nach § 10 Ab-
satz 1 Satz 3 AZRG versagt?

2. In welchem Umfang wurden in den Jahren 2014, 2015 und 2016 an die Bun-
despolizei, das Bundeskriminalamt, das Zollkriminalamt, das BfV und den
BND Gruppenauskünfte (§ 12 AZRG) erteilt, und in wie vielen Fällen wurde
eine Übermittlung versagt?

3. In welchem Umfang wurden in den Jahren 2014, 2015 und 2016 an
a) das Bundesamt für Verfassungsschutz,
b) die Landesbehörden für Verfassungsschutz,
c) den Militärischen Abschirmdienst (MAD),
d) den Bundesnachrichtendienst
auf Anfrage Daten aus dem Ausländerzentralregister (AZR) auf Grundlage
von § 20 AZRG übermittelt?

4. Welche Behörden des Bundes mit polizeilichen oder nachrichtendienstlichen
Zuständigkeiten sind derzeit zum automatisierten Abruf von Daten aus dem
AZR nach § 22 AZRG zugelassen?
a) In welchem Umfang haben diese Behörden in den Jahren 2014, 2015,

2016 Daten im automatisierten Verfahren abgerufen (bitte nach Behörden
und getrennt nach Grunddaten nach § 14 Absatz 1 AZRG und anderen
Daten auflisten)?

b) Für welche dieser Behörden bestehen entsprechende Rechtsgrundlagen,
aber nicht die technischen Voraussetzungen, und bis wann sollen diese
hergestellt werden?

c) Wer prüft das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen für die
Teilnahme am automatisierten Abrufverfahren und trifft die entsprechen-
den Feststellungen?

d) Wer prüft, ob die beteiligten Behörden die technischen und organisatori-
schen Maßnahmen zur Datensicherung im automatisierten Abrufverfah-
ren durchführen, was sind hierfür die konkreten Kriterien, und wie oft
wird eine solche Überprüfung vorgenommen?

e) Wie ist das Stichprobenverfahren nach § 22 Absatz 3 AZRG, mit dem die
Zulässigkeit der Abrufe geprüft werden soll, im Einzelnen ausgestaltet
(Anteil der Stichprobe am Gesamtvorkommen, Verfahrensschritte, betei-
ligte Stellen, etc.)?

f) Wie soll dieses Verfahren in Bezug auf die Nachrichtendienste des Bun-
des zukünftig ausgestaltet werden, auch im Hinblick darauf, dass schon
der Name, zu dem die Dienste eine Abfrage stellen, der Vertraulichkeit
unterliegt und Rückschlüsse auf ihre Arbeit zulassen könnte?

g) Handelt es sich bei der Angabe von Verwendungszwecken, die im auto-
matisierten Verfahren anzugeben sind (§ 22 Absatz Satz 1 AZRG), um
ein Freitextfeld, und wenn nein, welche Liste von Verwendungszwecken
steht dort zur Auswahl?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/10185
5. Welche Befugnisse bestehen für Polizeibehörden und Nachrichtendienste
des Bundes und nach Kenntnis der Bundesregierung der Länder, um Daten
über Asylsuchende oder anerkannte Flüchtlinge bei den Ausländerbehörden
zu erheben?

6. In welchem Verfahren (bitte die einzelnen Schritte beschreiben) werden der-
zeit aus dem BAMF die Daten von Asylsuchenden an
a) die Bundespolizei,
b) das Bundeskriminalamt,
c) das Zollkriminalamt,
d) das BfV,
e) den MAD,
f) den BND
zum Zweck des Sicherheitsabgleichs übermittelt, und was ist für jede ein-
zelne Behörde die Rechtsgrundlage für den Empfang dieser Daten?

7. Auf welche Dateien greifen die Polizeien und Nachrichtendienste des Bun-
des im Rahmen des Sicherheitsabgleichs derzeit zurück (bitte für alle Behör-
den einzeln angeben)?

8. Nach welchen Voraussetzungen und in welchen Formaten bzw. Verfahren
führen Behörden des Bundes eine Abfrage auch bei ausländischen Stellen
durch, mit denen (derzeit noch) keine gemeinsamen Dateien bestehen?

9. Wird durch das BKA im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung auch eine Ab-
frage oder ein Abgleich mit den Daten aus dem Visa-Konsultationsverfahren
durchgeführt, und in welchem Umfang fallen dabei Treffer an?

10. Wie viele Stellen und Planstellen sind derzeit im BfV und im BND für die
Durchführung des Sicherheitsabgleichs vorgesehen, wie viele davon sind be-
setzt, und ist hier ein Stellenaufwuchs für das kommende und in der Perso-
nalplanung auch für die folgenden Jahre vorgesehen, und wenn ja, in wel-
chem Umfang?

11. Welche Behörden werden in welcher Form über das Bestehen von Sicher-
heitsbedenken hinsichtlich bestimmter Asylsuchender durch
a) die Polizeien,
b) die Nachrichtendienste
des Bundes unterrichtet, und was folgt aus dem Bestehen von Sicherheitsbe-
denken?

12. Treffen die Angaben im Artikel der „DIE ZEIT“ „Hilfsspion Flüchtling“
vom 14. Januar 2016 zu, dass das BfV in den Jahren 2013/2014 vom BAMF
Informationen zu 200 interessanten Asylbewerbern, der BND 435 solcher
Informationen erhalten hatten, wie sind ggf. die korrekten Zahlen für beide
Jahre, und wie sind die Zahlen für die Jahre 2015 und 2016 (die Fragesteller
gehen davon aus, dass die relativ geringe Fallzahl ohne weiteres eine händi-
sche Auswertung zulässt, sollten hierzu keine statistischen Daten gesammelt
werden)?

Drucksache 18/10185 – 4 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode

13. Inwieweit genügen die Rechtsgrundlagen für initiative Datenübermittlungen

aus dem BAMF an die Nachrichtendienste den rechtlichen Anforderungen
des vom Bundesverfassungsgericht entwickelten „Doppeltürmodells“, nach
dem einer Übermittlungsermächtigung immer eine entsprechende Erhe-
bungsermächtigung gegenüberstehen muss?

14. Wird die Bundesregierung ggf. Initiativen ergreifen, um die für das BAMF
in Anwendung der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung fehlenden
Rechtsgrundlagen zu schaffen?

15. Geht die Bundesregierung sogar von einer Übermittlungspflicht des BAMF
an die Dienste bei Vorliegen entsprechender Anhaltspunkte für eine „Erfor-
derlichkeit“ der Datenübermittlung aus, und für welche anderen Behörden
geht die Bundesregierung für eine allein aus den Erhebungsbefugnissen der
Dienste abgeleitete Pflicht zur eigeninitiativen Übermittlung von personen-
bezogenen Informationen aus?

16. Wie viele Planstellen welcher Eingruppierung sind derzeit der Stelle, die im
BAMF für die Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden beauftragt ist
(„Sicherheitsreferat“), zugeordnet?
Befinden sich darunter auch abgeordnete Mitarbeiter anderer Behörden, und
wenn ja, welcher?

17. Wie viele Verbindungsbeamte von BfV und BND sind derzeit im BAMF
tätig?

18. Gibt es darüber hinaus weitere Mitarbeiter von BfV und BND, die im BAMF
tätig sind, deren tatsächliche Zugehörigkeit zum BfV bzw. BND dort aber
nicht bzw. nur einem eingeschränkten Kreis von Kolleginnen und Kollegen
bekannt ist?

19. Was sind die Kriterien, nach denen Befrager des BAMF potentiell interes-
sierende Fälle an das BAMF-interne „Sicherheitsreferat“ melden sollen?

20. Nach welchen Kriterien entscheidet das „Sicherheitsreferat“ über die Über-
mittlung von Informationen an das BfV oder den BND (bitte getrennt ange-
ben)?

21. In welchem Umfang und seit wann hat der BND seine Befragungstätigkeit
von Asylsuchenden oder anerkannten Flüchtlingen im Inland wieder aufge-
nommen, und welche Gründe gab es für die Wiederaufnahme dieser Praxis?

22. Besteht im Rahmen des Befragungswesens des BND die Praxis, dass der
BND das BAMF auf das besondere Interesse an einer bestimmten Person
auch von sich aus hinweist (etwa, weil durch die Befragung durch den BND
Nachfluchtgründe geschaffen werden könnten)?

23. Nimmt das BfV aufgrund von Hinweisen aus dem Sicherheitsreferat des
BAMF Kontakt zu Asylsuchenden oder Personen mit geklärtem Asylstatus
auf, um sie offen oder verdeckt abzuschöpfen?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 5 – Drucksache 18/10185

24. Trifft es zu, dass Mitarbeiter des BfV seit der Woche vom 10. Oktober 2016

an Asylanhörungen des BAMF teilnehmen, und
a) welche Organisationseinheit innerhalb des BfV ist darin involviert,
b) nach welchen Kriterien werden die Asylsuchenden ausgewählt, an deren

Anhörung das BfV teilnimmt,
c) in welcher Form (offen/unter Legende, aktiv/passiv) nimmt das BfV an

Asylanhörungen teil,
d) was ist das Ziel dieser Maßnahme,
e) sieht die Bundesregierung hier einen Konflikt zwischen der Asylanhö-

rung, die nach deutschem und EU-Recht vertraulich und mit dem Ziel
durchzuführen ist, Fluchtgründe zu erfahren und eine Entscheidungs-
grundlage für eine Asylentscheidung zu erhalten, und dem vollkommen
andersartigen Interesse des BfV an Strukturerkenntnissen über (vermeint-
liche) extremistische Bestrebungen?

Berlin, den 1. November 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

Satz: Satzweiss.com Print, Web, Software GmbH, Mainzer Straße 116, 66121 Saarbrücken, www.satzweiss.com
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