BT-Drucksache 18/10153

Mögliche "Krankfärberei der Versicherten" durch gesetzliche Krankenkassen

Vom 20. Oktober 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/10153
18. Wahlperiode 20.10.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Harald Weinberg, Sabine Zimmermann (Zwickau),
Katja Kipping, Azize Tank, Kathrin Vogler, Birgit Wöllert, Pia Zimmermann
und der Fraktion DIE LINKE.

Mögliche „Krankfärberei der Versicherten“ durch gesetzliche Krankenkassen

Am 19. September 2016 stellte das Bundesversicherungsamt (BVA) seinen Tä-
tigkeitsbericht 2015 vor (www.bundesversicherungsamt.de/fileadmin/redaktion/
Presse/epaper/index.html#88). Darin werden verschiedene Strategien von gesetz-
lichen Krankenkassen beschrieben, ihre Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds
künstlich in die Höhe zu treiben. Demzufolge sollen Krankenkassen nachträglich
zusätzliche Diagnosedaten erfasst haben, so dass vermehrt Diagnosen aufgenom-
men werden, „denen Einfluss auf die Höhe der Zuweisungen aus dem Gesund-
heitsfonds zukommt“ (S. 88). Das sah das BVA offenbar als rechtswidrig an und
hat dem Bericht zufolge aufsichtsrechtliche Verfahren eingeleitet und die ange-
schriebenen Krankenkassen hätten „schriftlich versichert, keine auf eine Nacher-
fassung hin ausgerichteten Diagnoseprüfungen mehr vorzunehmen“ (ebenda). In
einem Fall sei aber ein Verpflichtungsbescheid erlassen worden.
Das BVA hat sich auch mit sogenannten Kodierberatungen befasst, bei denen
Ärztinnen und Ärzte durch Krankenkassen oder deren Dienstleister mit dem Ziel
beraten werden, vermehrt die für die Kassen profitablen Diagnosen bei ihren Ver-
sicherten festzustellen (S. 89). Laut der „Welt am Sonntag“ vom 18. September
2016 werden den Hausärzten im Auftrag der Krankenkassen Listen mit Patien-
tinnen und Patienten vorgelegt und sie gebeten, „bei dem einen oder anderen eine
Krankheit zu diagnostizieren, die für den großen Geldtopf [der Gesundheitsfonds,
Anm.] relevant ist“.
Eine weitere Strategie bieten Dienstleistungsunternehmen wie die Firma A. an.
Sie machen laut der „Welt am Sonntag“ „den Kassenmanagern ein Angebot, das
äußerst attraktiv klingt: Sie wollen gegen Provision dafür sorgen, dass die Kasse
viel Geld aus dem Finanzausgleich bekommt – zum Beispiel mithilfe von Call-
centern, die Versicherte anrufen“ (ebenda). So sollen zum Beispiel Versicherte
nach einem „milden Herzinfarkt mit nur geringer Beeinträchtigung“ kontaktiert
werden, um „ihnen Angst zu machen“ und sie trotz Beschwerdefreiheit zum Arzt-
besuch zu bewegen. „Das lohne sich, denn pro Patient gibt es für die Diagnose
,behandlungsbedürftige Folge nach Herzinfarkt‘ 998 Euro“ (ebenda). Die Firma
A. sichere für die Diagnose Arthrose neben einen „Return on Investment“ von
4,4 Prozent auch eine „Geld-zurück-Garantie“ zu (ebenda).
Richtig profitabel wird es für die Krankenkassen, wenn die Ärztinnen und Ärzte
direkt mit ins Boot geholt werden. In sogenannten Betreuungsstrukturverträgen
„belohnen Krankenkassen Ärzte finanziell dafür, dass sie ganz bestimmte Krank-
heitsdiagnosen ihrer Patienten an die Krankenkassen melden“ (Berliner Morgen-
post, 26. September 2016, www.morgenpost.de/politik/article208297205/Dubiose-

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Aerztevertraege-Kassen-verschwenden-eine-Milliarde.html). Die Krankenkas-
sen geben Ärztinnen und Ärzte damit einen finanziellen Anreiz, die Versicherten
bei finanziell interessanten Krankheiten eher als krank zu diagnostizieren, als sie
es sonst getan hätten. Diese „Krankfärberei der Versicherten“ (Welt am Sonntag
vom 25. September 2016) sei unter Krankenkassen ein bekanntes Phänomen, wie
sich aus Reaktionen auf den zitierten Artikel der „Welt am Sonntag“ vom
18. September 2016 ergab. Eine Versicherte hätte demnach berichtet, ohne ihr
Wissen als Diabetespatientin diagnostiziert worden zu sein (ebenda).
Durch diese Strategie, Zuweisungen künstlich in die Höhe zu treiben, zeichnen
sich weitreichende negative Folgen für Versicherte ab. Wolfgang Schnaase vom
Vorstand der Betriebskrankenkasse (BKK) Mobil Oil erläuterte: „Das schlägt
sich in höheren Ausgaben für Ärztehonorare nieder und damit letztlich in höhe-
ren Beiträgen“ (ebenda), also in steigenden Zusatzbeiträgen für die Versicher-
ten. Die Techniker Krankenkasse schätzt die Provisionszahlungen von Kassen
an Ärztinnen und Ärzte auf 900 Mio. Euro pro Jahr. Insgesamt würden etwa
1 Mrd. Euro „sinnlos verschwendet“ (www.morgenpost.de/politik/article208297205/
Dubiose-Aerztevertraege-Kassen-verschwenden-eine-Milliarde.html). Als po-
sitiv sehen die Fragesteller, dass aufklärende Hinweise zu den Betreuungsstruk-
turverträgen aus den Reihen der Krankenkassen selbst, namentlich von der
BKK Mobil Oil und der Techniker Krankenkasse kamen. Es ist allerdings wenig
verwunderlich, dass beide Kassen unter der Aufsicht des Bundesversicherungs-
amts (BVA) stehen, dem oftmals eine rigidere Prüfungspraxis nachgesagt wird
als der Aufsicht durch die Landesbehörden (vgl. etwa Dienst für Gesellschafts-
politik, 27. August 2015, S. 7f).
Das BVA nimmt diese Entwicklungen offenbar zur Kenntnis: „Insgesamt ist eine
Tendenz zu erkennen, der zufolge korrigierende ,Interventionen‘ im Hinblick auf
bereits übermittelte Leistungsdaten eher zurückgehen, wohingegen ,Beratungs-
konzepte‘ oder auch selektivvertragliche Abrechnungsbestimmungen in Anknüp-
fung an die Diagnosedokumentation in den Vordergrund zu rücken scheinen“
(BVA Tätigkeitsbericht 2015, S. 89). Inwieweit das BVA als Aufsichtsbehörde
für die bundesunmittelbaren Krankenkassen weiter aktiv wird und insbesondere
das gesetzlich geforderte Wirtschaftlichkeitsgebot für derartige Verträge zwi-
schen Krankenkassen und Kassenärzteschaft überprüft, geht aus seinem Tätig-
keitsbericht nicht hervor.
Dr. Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse, bekannte in
der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ vom 9. Oktober 2016: „Wir
Krankenkassen schummeln ständig“. Dr. Jens Baas weiter: „Es ist ein Wettbe-
werb zwischen den Kassen darüber entstanden, wer es schafft, die Ärzte dazu zu
bringen, für die Patienten möglichst viele Diagnosen aufzuschreiben.“ Martin
Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbands, warf Dr. Jens Baas da-
raufhin am 10. Oktober 2016 Schummelei vor und bezeichnete den Vorstoß als
„vorgezogene Halloween-Aktion“. Dr. Jens Baas klar erkennbares Ziel sei es,
zum Vorteil seiner Kasse auf einen Rückbau des Risikostrukturausgleich (RSA)
hinzuwirken. Laut Martin Litsch hätten sich die Ersatzkassen die erhoffte „Beute“
aus diesem Rückbau von 500 Mio. Euro bereits aufgeteilt (http://aok-bv.de/presse/
pressemitteilungen/2016/index_17264.html).
Der Wettbewerb zwischen den Krankenkassen wurde seit über 20 Jahren sukzes-
sive verschärft, insbesondere durch das Gesundheitsstrukturgesetz (Union, SPD,
FDP), das GKV-Modernisierungsgesetz (SPD, Grüne, Union) sowie für Selektiv-
verträge, insbesondere das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (Union, SPD).
Franz Knieps, zur Zeit des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) Ab-
teilungsleiter im Bundesministerium für Gesundheit und heute Vorstand des
BKK Dachverbands e. V., beschrieb die Erwartungen damals so: „Das GKV-
WSG öffnet Türen für eine neue Ausgestaltung des Wettbewerbs im Gesundheits-
wesen. Dahinter liegen neue Welten. Wie diese Welten aussehen werden, bestim-
men in erster Linie die Akteure des Gesundheitswesens selbst durch ihr konkretes

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Handeln. Von diesem Handeln wird es abhängen, ob sich der Wettbewerb von
einem auf Risikoselektion ausgerichteten Preiswettbewerb hin zu einem Wettbe-
werb um die bessere Versorgungsqualität und um ein optimales Preis-Leistungs-
Verhältnis fortentwickelt. […]Wettbewerb unter den Bedingungen des GKV-
WSG steht ungeachtet aller interessengeleiteter Kritik allein auf dem Prüfstand
des Praxistests, inwieweit die gesundheitspolitischen Ziele wie Qualität, Effizienz
und Solidarität erreicht werden. Andere Kriterien, insbesondere die institutionel-
len und monetären Interessen der Akteure, sind und bleiben demgegenüber zweit-
rangig. Wettbewerb ist demnach für den Verfasser kein Selbstzweck, keine Ideo-
logie, kein eigenständiges ordnungspolitisches Merkmal, sondern stets ein Instru-
ment zur funktionalen Steuerung eines wertegebundenen solidarischen Gesundheits-
systems“ (www.barmer-gek.de/barmer/web/Portale/Versicherte/Komponenten/
gemeinsame__PDF__Dokumente/Publikationen/Knieps__08,property=Data.pdf).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie hat sich die Zahl der für den morbiditätsorientierten Risikostrukturaus-

gleich (Morbi-RSA) relevanten diagnostizierten Erkrankungsfälle seit Beste-
hen den Morbi-RSA entwickelt (bitte insbesondere für die großen Volks-
krankheiten Bluthochdruck, Diabetes mellitus, psychische Erkrankungen,
insbesondere Depressionen auflisten und die verschiedenen Schweregrade
bei hierarchisierten Morbiditätsgruppen – HMG berücksichtigen)?

2. Inwiefern kann die Bundesregierung erkennen, dass sich die Zahlen für
Morbi-RSA relevante Diagnosen und für höhere Schweregrade innerhalb der
hierarchisierten Morbiditätsgruppen (HMG) anders entwickelt haben als sol-
che, die für die Mittelzuweisungen aus dem Gesundheitsfonds weniger rele-
vant sind?

3. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung zu Art und Umfang von nach-
träglichen Diagnoseänderungen zugunsten Morbi-RSA-relevanter Diagno-
sen?

4. Inwiefern hält die Bundesregierung solche nachträglichen Diagnoseänderun-
gen für rechtswidrig bzw. hält die Bundesregierung eine rechtliche Klarstel-
lung für angezeigt, um solche nachträglichen Diagnoseänderungen zu unter-
binden?

5. Welche rechtlichen Schritte stehen anderen Kassen offen, die durch nach-
trägliche Diagnoseänderungen mittelbar geschädigt werden?
Sind diese Möglichkeiten bislang bereits genutzt worden, und wenn ja, in
welchen Fällen?

6. Wie war der im Tätigkeitsbericht des BVA genannte Fall gelagert, in dem
das BVA das Verfahren an die für die Kassenärztliche Vereinigung als zu-
ständige Aufsichtsbehörde abgegeben hat?

7. Welcher Art war der Verpflichtungsbescheid, den das BVA laut seines Tä-
tigkeitsberichts 2015 an eine Krankenkasse wegen nachträglicher Diagno-
seänderungen erlassen hat, und inwiefern wurde die Einhaltung dieses Ver-
pflichtungsbescheids durch die Krankenkasse von der Aufsicht überprüft?

8. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Art und Ausmaß solcher
Einflussnahme der Krankenkassen bzw. der von ihnen beauftragten Dienst-
leistungsunternehmen?

9. Inwiefern sind mittelbar gesundheitliche Nachteile für die Versicherten
durch solche Einflussnahmen denkbar, und welche Rückschlüsse zieht die
Bundesregierung daraus?

10. Welche Dienstleistungsunternehmen mit einem solchen Angebot außer der
in den Medien genannten Firma A. sind der Bundesregierung bekannt?

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11. Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Umsatz solcher spezi-

alisierter Dienstleister, und wie hoch schätzt sie die Mittel des Gesundheits-
fonds, deren Verteilung an die Kassen durch diese Dienstleister beeinflusst
wird?

12. Welche Krankenkassen sind der Bundesregierung bekannt, die ein solches
Angebot angenommen haben?

13. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Art und Ausmaß von Ko-
dierberatungen von Ärztinnen und Ärzten durch Krankenkassen oder von
ihnen beauftragte Unternehmen, die mit dem Ziel, die Mittelzuweisungen
aus dem Gesundheitsfonds zu erhöhen, durchgeführt werden?

14. Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Mittel des Gesundheitsfonds, de-
ren Verteilung an die Kassen durch diese Kodierberatungen beeinflusst
wird?

15. Kennt die Bundesregierung Namen von Dienstleistungsunternehmen mit ei-
nem solchen Angebot oder von Kassen, die derartige Praktiken durchführen
(lassen), und wenn ja, welche?

16. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Art und Ausmaß von Be-
treuungsstrukturverträgen zwischen Ärztinnen und Ärzten oder deren Ver-
bänden und Krankenkassen oder von ihnen beauftragte Unternehmen, die
bestimmte Diagnosestellungen honorieren und dabei das Ziel verfolgen, die
Mittelzuweisungen aus dem Gesundheitsfonds zu erhöhen?

17. Inwiefern widersprechen solche Betreuungsstrukturverträge nach Ansicht
der Bundesregierung dem Wirtschaftlichkeitsgebot, das für Selektivverträge
nach § 140a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) vorgeschrieben
ist?

18. Inwiefern beinhaltet das für Selektivverträge nach § 140a SGB V geltende
Wirtschaftlichkeitsgebot, dass diese nicht nur für die einzelne Krankenkasse,
sondern für die gesetzliche Krankenversicherung insgesamt wirtschaftlich
sein müssen?
Besteht hier nach Ansicht der Bundesregierung gesetzgeberischer Ände-
rungsbedarf?

19. Inwiefern geht nach Ansicht der Bundesregierung mit solchen Betreuungs-
strukturverträgen eine Verbesserung oder Verschlechterung der Versor-
gungsqualität einher?

20. Welchen Zusammenhang sieht die Bundesregierung zwischen dem Aufkom-
men solcher Betreuungsstrukturverträge und dem Anstieg bestimmter
Morbi-RSA-relevanter Diagnosen?

21. Wie viele dieser Betreuungsstrukturverträge wurden nach Kenntnis der Bun-
desregierung bislang abgeschlossen, wie viele Ärztinnen und Ärzte sind in-
volviert, und wie viele Versicherte sind in Krankenkassen versichert, die
diese Betreuungsstrukturverträge abgeschlossen haben?

22. Inwiefern hält die Bundesregierung das geschätzte Volumen von 900 Mio.
Euro für Betreuungsstrukturverträge und für ca. 1 Mrd. Euro p. a. für alle
genannten Strategien von Krankenkassen, die Zuweisungen aus dem Ge-
sundheitsfonds zu erhöhen, für realistisch?

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23. Können diese Praktiken Auswirkungen auf die Berechnung der hierarchisier-

ten Morbiditätsgruppen (HMG) haben, da bei unrichtig oder zu schwer ge-
stellten Diagnosen das Bundesversicherungsamt relativ zur gestellten Diag-
nose zu geringe Folgekosten feststellt?
Kann dies also zur Folge haben, dass Kassen, die diese Tricks nicht anwen-
den, objektiv zu geringe Zuweisungen erhalten?
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus?

24. Wie hoch sind jeweils die Zusatzhonorare, die Ärztinnen und Ärzte im Rah-
men von Betreuungsstrukturverträgen erhalten, und welche erwünschte oder
unerwünschte Handlungsanreize werden dadurch nach Ansicht der Bundes-
regierung gesetzt?

25. Um wie viele Prozentpunkte könnte der durchschnittliche Beitragssatz sin-
ken, wenn die Krankenkassen 1 Mrd. Euro p. a. weniger Ausgaben hätten?

26. Inwiefern verstoßen Ärztinnen und Ärzte nach Ansicht der Bundesregierung
gegen Berufs- oder Sozialrecht, wenn sie aufgrund solcher Betreuungsstruk-
turverträge Diagnosen anders stellen, als sie es sonst getan hätten?

27. Inwiefern verstoßen Ärztinnen und Ärzten nach Ansicht der Bundesregie-
rung gegen Berufs- oder Sozialrecht, wenn sie wie in der „Welt am Sonntag“
vom 25. September 2016 beschrieben ohne das Wissen der Versicherten Di-
agnosen ausstellen?
Welche Rückschlüsse zieht die Bundesregierung daraus, dass die genannten
Betreuungsstrukturverträge aufgrund ihrer immanenten Anreize solche Re-
aktionen offenbar hervorrufen für einen möglichen Gesetzgebungsbedarf?

28. Auf welcher Rechtsgrundlage werden nach Kenntnis der Bundesregierung
solche Betreuungsstrukturverträge abgeschlossen, und welche Kriterien, ins-
besondere bezüglich (Behandlungs-)Qualität, Wirtschaftlichkeit und Trans-
parenz, haben diese Verträge zu erfüllen?

29. Inwiefern hält die Bundesregierung die Geheimhaltung, die Selektivverträge
nach § 140a SGB V in der Regel kennzeichnen, für einen Grund für uner-
wünschte Formen solcher Verträge, und inwiefern erwägt sie, eine Veröf-
fentlichungspflicht von Selektivverträgen einzuführen, um den Versicherten
angesichts der Auswirkungen auf die Patientenversorgung eine informierte
Entscheidung bei der Kassenwahl zu ermöglichen?

30. Inwiefern erfolgt die Sondervergütung innerhalb der Betreuungsstrukturver-
träge außerhalb der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung und damit au-
ßerhalb der ausgehandelten Ausgaben der vertragsärztlichen Vergütung?

31. Welche Folgen kann nach Kenntnis der Bundesregierung eine fehlerhaft ge-
stellte oder fehlerhaft zu schwer gestellte Diagnose für Patientinnen und Pa-
tienten haben, die nach der Diagnosestellung eine Versicherung abschließen
wollen, für die der Gesundheitszustand relevant ist, z. B. eine Berufsunfä-
higkeits- oder Lebensversicherung?

32. Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die behauptete uneinheit-
liche Aufsichtspraxis in Bund und Ländern (vgl. unter anderem Dr. Jens Baas
in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung vom 9. Oktober 2016 oder
Dienst für Gesellschaftspolitik vom 27. August 2015), welche Rückschlüsse
zieht sie daraus, und beabsichtigt die Bundesregierung, auf eine bundesein-
heitliche Überwachung hinzuarbeiten?

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33. Inwiefern handelt es sich bei

a) nachträglichen Diagnoseänderungen,
b) Beeinflussung von Versicherten mit dem Ziel, durch eine veränderte In-

anspruchnahme mehr Geld aus dem Gesundheitsfonds zu erlangen,
c) Kodierberatungen von Ärztinnen und Ärzten mit dem Ziel vermehrter

RSA-relevanter Diagnosen und
d) Betreuungsstrukturverträgen mit dem Ziel, vermehrter RSA-relevanter

Diagnosen
nach Einschätzung der Bundesregierung jeweils um rechtswidrige Praktiken,
und inwiefern sieht die Bundesregierung jeweils gesetzgeberischen, verord-
nungsgeberischen oder aufsichtsrechtlichen Handlungsbedarf?

34. Welche Prüfungen, Beanstandungen oder Sanktionen wurden nach Kenntnis
der Bundesregierung durch das BVA oder andere Aufsichtsbehörden auf-
grund
a) nachträglicher Diagnoseänderungen,
b) Beeinflussung von Versicherten mit dem Ziel, durch eine veränderte In-

anspruchnahme mehr Geld aus dem Gesundheitsfonds zu erlangen oder
c) Kodierberatungen von Ärztinnen und Ärzten mit dem Ziel vermehrter

RSA-relevanter Diagnosen
durchgeführt bzw. verhängt (bitte jeweils Art und Höhe der Sanktion sowie
die entsprechende Krankenkasse angeben)?

35. Welche rechtlichen Schritte stehen nach Kenntnis der Bundesregierung an-
deren Krankenkassen oder Versicherten offen, die durch eine der beschrie-
benen Praktiken geschädigt werden?

36. Inwiefern kann nach Ansicht der Bundesregierung von Verschwendung von
Beitragsgeldern gesprochen werden?

37. Inwiefern hält die Bundesregierung eine rechtliche Klarstellung für ange-
zeigt, um die genannten Praktiken jeweils zu unterbinden?

38. Inwiefern wäre eine stärkere Orientierung an den Ist-Kosten der Kassen statt
an Pauschalen für Diagnosen hilfreich, den beschriebenen Wettbewerb um
Diagnosen zu reduzieren und den Kassen somit die Möglichkeit zu geben,
sich fokussierter um ihren eigentlichen Auftrag zu kümmern?

39. Bei welchen der angesprochenen Praktiken handelt es sich nach Ansicht der
Bundesregierung um Verträge zu Lasten Dritter?

40. Haben Krankenkassen, die eine dieser Praktiken angewendet haben, juris-
tisch oder politisch induzierte Rückzahlungsforderungen zu befürchten?
Hat das BVA in einem solchen Fall bislang schon einmal Rückzahlungsfor-
derungen wegen zu Unrecht zu viel gezahlter Zuweisungen des Gesundheits-
fonds an einzelne Kassen durchgesetzt?

Berlin, den 20. Oktober 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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