BT-Drucksache 18/10093

Zur sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt in der Türkei

Vom 19. Oktober 2016


Deutscher Bundestag Drucksache 18/10093
18. Wahlperiode 19.10.2016

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Harald Petzold (Havelland), Sevim Dağdelen, Nicole Gohlke,
Heike Hänsel, Andrej Hunko, Cornelia Möhring, Dr. Alexander S. Neu,
Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Zur sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt in der Türkei

Anfang August 2016 wurde die transsexuelle Aktivistin Hande Kader getötet.
Nach Angaben von Transgender-Europe wurden mehr als 40 Transsexuelle
oder Transgender seit dem Jahr 2008 in der Türkei getötet (http://transrespect.
org/wp-content/uploads/2016/05/TvT_TMM_IDAHOT2016_Tables_EN.pdf).
Anfang August 2016 wurde die enthauptete Leiche eines schwulen syrischen
Flüchtlings gefunden (www.n-tv.de/panorama/Schwuler-Syrer-in-der-Tuerkei-
enthauptet-article18344811.html). Homosexuelle Handlungen werden in der
Türkei zwar nicht strafrechtlich verfolgt, jedoch Lesben, Schwule, Transsexu-
elle und Transgender häufig angegriffen und Strafverfolgungsbehörden selten
der Täter habhaft.
Der Gay-Pride in Istanbul wurde in den letzten zwei Jahren untersagt und Nicht-
regierungsorganisationen (NGOs) zu sexueller und geschlechtlicher Vielfalt
werden in den letzten Jahren verstärkt in ihrer Arbeit behindert (z. B.
www.queeramnesty.de/laender/artikel/kategorie/tuerkei/view/tuerkei-urgent-
action-lgbti-veranstaltungen-verboten.html). In den Medien haben NGOs zu
diesem Themenfeld keine Möglichkeit, über ihre Arbeit zu informieren
(www.bento.de/queer/homosexualitaet-in-der-tuerkei-wie-die-lgbt-szene-auf-
unterdrueckung-reagiert-835703/). Der Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan
sprach wiederholt abwertend über nichtheterosexuelle Lebensweisen und be-
zeichnete Homosexualität als nicht vereinbar mit dem Islam (z. B.
www.queer.de/detail.php?article_id=25989). Leider führt die Ausrufung des
Ausnahmezustandes in einem Staat nicht zur Stärkung der Menschrechtssitua-
tion von Minderheiten. Es ist auch nach der Verlängerung des Ausnahmezu-
standes in Türkei nichts Gegenteiliges zu erwarten.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Welche staatlichen und nichtstaatlichen Verfolgungen von Lesben, Schwu-

len, Transsexuellen, Transgendern und Intersexuellen (LSBTTI) in der Tür-
kei sind der Bundesregierung bekannt?

2. Inwieweit sind der Bundesregierung gegen LSBTTI verhängte Bußgelder,
Hausdurchsuchungen und polizeiliche Gewalt bekannt?

3. Wie viele gegen LSBTTI gerichtete Hassverbrechen, Angriffe und Morde
sind der Bundesregierung in der Türkei bekannt?

Drucksache 18/10093 – 2 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode
4. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung der Europäischen Kom-
mission, dass nach wie vor der Grundsatz der Nichtdiskriminierung gesetz-
lich und in der Praxis nicht ausreichend durchgesetzt werde bzw. insbeson-
dere die Rechte von LSBTTI nicht ausreichend gewahrt seien (Europäische
Kommission, Türkei-Bericht 2015, SWD(2015) 216 draft)?

5. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung der Europäischen Kom-
mission, dass die geschlechtsspezifische Gewalt, Diskriminierung und Hass-
rede gegen sowie die Wahrung der Rechte von LSBTTI Anlass zu großer
Besorgnis gäben (Europäische Kommission, Türkei-Bericht 2015, SWD(2015)
216 draft)?

6. Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung der Europäischen Kom-
mission, dass die Türkei ein umfassendes Rahmengesetz für die Bekämpfung
von Diskriminierungen verabschiedet habe, das den EU-Standards entspricht
und die Rechte von Frauen und Kindern sowie von LSBTTI wirksam ge-
währleistet (Europäische Kommission, Türkei-Bericht 2015, SWD(2015)
216 draft)?

7. Inwieweit spricht nach Kenntnis der Bundesregierung das Verbot der Gay-
Prides in Istanbul 2015 und 2016 und das gewaltsame Vorgehen der Polizei
für den mangelnden Willen des Gouverneurs bzw. der Sicherheitsbehörden,
die Sicherheit der Demonstration zu gewährleisten (www.n-tv.de/politik/
Polizei-loest-Gay-Pride-Demo-in-Istanbul-auf-article17984306.html)?

8. Inwieweit sieht die Bundesregierung in den Drohungen gegen die Gay-Pride-
Demonstration, deren Verbot und dem gewaltsamen Vorgehen gegen diese
ein Indiz dafür, dass immer mehr Islamisten das Klima in der Türkei bestim-
men (www.taz.de/!5313381/), und wenn ja, wie beurteilt die Bundesregie-
rung dies?

9. Inwieweit besteht nach Kenntnis der Bundesregierung nach wie vor ein Dis-
ziplinarsystem der Streitkräfte, das Homosexualität als „psychosexuelle Stö-
rung“ definiert, und wenn ja, wie beurteilt es die Bundesregierung und die
medizinischen Vorschriften des Militärs, wonach Homosexualität als Krank-
heit gilt (Europäische Kommission, Türkei-Bericht 2015, SWD(2015) 216
draft)?

10. Inwieweit bestehen nach Kenntnis der Bundesregierung nach wie vor in der
Türkei strafrechtliche Bestimmungen, die die Darstellung von „unnatürli-
chem“ Sexualverhalten unter Strafe stellen (Europäische Kommission, Tür-
kei-Bericht 2015, SWD(2015) 216 draft), und wie beurteilt die Bundesregie-
rung diese?

11. Inwiefern hat die Bundesregierung die Situation von LSBTTI im Rahmen
von Gesprächen mit der Türkei bzw. der türkischen Regierung thematisiert?

12. Welche Veränderungen der Situation von LSBTTI sind der Bundesregierung
nach dem gescheiterten Putschversuch vom 15. Juli 2016 bekannt, und wie
beurteilt sie diese?

13. Wie vielen Menschen aus der Türkei wurde in Deutschland ein Asylrecht
gewährt, weil sie in der Türkei wegen ihrer sexuellen und/oder geschlechtli-
chen Orientierung/Identität verfolgt wurden (bitte eine Aufstellung für die
letzten fünf Jahre)?

14. Wie vielen Menschen aus der Türkei wurde in Deutschland ein Asylrecht
gewährt, weil sie in der Türkei wegen ihres Engagements für geschlechtliche
und sexuelle Vielfalt verfolgt wurden (bitte eine Aufstellung für die letzten
fünf Jahre)?

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3 – Drucksache 18/10093

15. Inwiefern war oder ist die Menschenrechtssituation von LSBTTI ein Thema

im Rahmen der Verhandlungen um den Beitritt der Türkei in die Europäische
Union?

16. Inwiefern sind deutsche LSBTTI-Touristinnen und -Touristen in der Türkei
durch staatliche oder nichtstaatliche Verfolgung gefährdet?

17. Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung im Rahmen der Bekämpfung
von Fluchtursachen ergreifen, um LSBTTI-Netzwerke in der Türkei institu-
tionell zu stärken?

18. Welche LSBTTI-Netzwerke oder Gruppen wurden oder werden in der
Türkei durch Mittel des Bundes (z. B. im Rahmen der Entwicklungshilfe)
bislang unterstützt (bitte eine Aufstellung für die letzten fünf Jahre)?

Berlin, den 18. Oktober 2016

Dr. Sahra Wagenknecht, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

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