BT-Drucksache 17/9949

Die Energiewende aus der Sackgasse führen

Vom 13. Juni 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9949
17. Wahlperiode 13. 06. 2012

Antrag
der Abgeordneten Bärbel Höhn, Hans-Josef Fell, Sylvia Kotting-Uhl, Oliver
Krischer, Undine Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch, Dr. Hermann E. Ott, Dorothea
Steiner,
Cornelia Behm, Harald Ebner, Bettina Herlitzius, Dr. Anton Hofreiter,
Sven-Christian Kindler, Stephan Kühn, Friedrich Ostendorff, Markus Tressel,
Daniela Wagner, Dr. Valerie Wilms und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die Energiewende aus der Sackgasse führen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Vor einem Jahr hat der vom Deutschen Bundestag mit übergroßer Mehrheit ge-
fasste Beschluss zur Rückkehr zum Atomausstieg große Erwartungen auf eine
echte Energiewende geweckt. Der atompolitische Kurswechsel der Bundes-
regierung nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima schien den Weg frei zu
machen für eine Politik, die konsequent auf erneuerbare Energien, Energieeffi-
zienz und Energiesparen setzt. Und das Wort vom „Gemeinschaftswerk Ener-
giewende“ nährte die Hoffnung auf die Überwindung bestehender Blockaden
und eine bessere Koordination der Energiepolitik von Bund und Ländern.

Ein Jahr später steckt die Energiewende in einer Sackgasse. Die Bundesregie-
rung hat es versäumt, diese Chance zu nutzen und die Umstellung der Energie-
versorgung auf erneuerbare Energien, Effizienz und Energieeinsparung voran-
zutreiben. Selbst Koalitionspolitiker wie der Bayerische Ministerpräsident Horst
Seehofer sprechen mittlerweile von einem „verlorenen Jahr für die Ener-
giewende“. Statt ein Gemeinschaftswerk zu begründen, hat die Bundesregierung
mit einseitigen Solarkürzungen eine parteiübergreifende Zweidrittelmehrheit
des Bundesrates gegen sich aufgebracht. Und schon mehren sich in der Regie-
rungskoalition wieder die Stimmen, die fordern, die Energiewende abzubrem-
sen, den Ausbau der erneuerbaren Energien zu drosseln und stattdessen mehr
klimaschädliche Kohlekraftwerke zu bauen oder gar den Atomausstieg wieder
in Frage zu stellen.

Der Erfolg der Energiewende wird maßgeblich davon abhängen, inwieweit es
gelingt, sie zu einem gesamtgesellschaftlichen Projekt zu machen. Der aller-
größte Teil der Bevölkerung steht nicht nur hinter dem Umbau der Energiever-
sorgung hin zu erneuerbaren Energien als Ziel der Energiewende, viele Men-

schen sind auch bereit, sich selbst zu engagieren und in den Umbau der
Energieversorgung zu investieren. Über die Hälfte der installierten Kapazität zur
regenerativen Stromerzeugung liegt heute nicht bei Energiekonzernen, sondern
in der Hand von Bürgerinnen und Bürgern. 100 Kommunen haben sich inzwi-
schen dazu verpflichtet, ihre Energieversorgung komplett auf erneuerbare Ener-
gien umzustellen, in Schleswig-Holstein wollen Bürgerinnen und Bürger selbst
in den Bau neuer Stromleitungen investieren, um die Realisierung zu beschleu-

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nigen. Überall im Land herrsche Aufbruchsstimmung, doch dieser Elan wird
von der Bundesregierung in eklatanter Weise ignoriert. Investoren, Unterneh-
men, Bürgerinnen und Bürger, die sich für die Energiewende stark machen, wer-
den durch Nichtstun oder falsche Weichenstellungen ausgebremst. Selbst Ban-
ken halten sich in bedenklicher Art mit Investitionen, vor allem in die
Solarenergie aber auch bei Bioenergien, zurück.

Als besonders schädlich erweist sich mehr und mehr die soziale Schieflage, mit
der die Bundesregierung Kosten und Nutzen der Energiewende verteilt. Wäh-
rend die Industrie großzügig von Netzentgelten und EEG-Umlage (EEG: Erneu-
erbare-Energien-Gesetz) befreit wird, steigen die Kosten für Privathaushalte und
Mittelstand über Gebühr. Allein die EEG-Umlage könnte durch eine faire Aus-
gleichsregelung für energieintensive Unternehmen um bis zu 1 Cent pro Kilo-
watt sinken. Doch statt diese Einsparpotenziale zu nutzen, treibt die Bundes-
regierung durch immer neue Ausnahmetatbestände die Kosten unnötig in die
Höhe. Das ist ungerecht und eine zunehmende Gefahr für die Akzeptanz der
Energiewende. Dazu kommt, dass die erheblichen Preissenkungseffekte des
erneuerbar erzeugten Stroms an der Börse von über 0,6 Cent/Kilowattstunde
(kWh) nicht an die Privatverbraucher weitergegeben werden, während die In-
dustrie davon zusätzlich neben ihren EEG-Befreiungen direkt profitiert.

Immer noch richtet die Bundesregierung ihre Energiepolitik im Kern an den
Interessen der konventionellen Energiewirtschaft aus. Anstatt den Umstieg auf
ein flexibles und leistungsfähiges Energieversorgungssystem auf Basis erneuer-
barer Energien voranzutreiben, stellt die Bundesregierung die Absicherung des
Geschäftsmodells der Energiekonzerne in Form von Großkraftwerken in den
Mittelpunkt. So sollen auch in Zukunft große Braun- und Steinkohlekraftwerke
für die Grundlastversorgung sorgen. Dafür sollen nach Willen der Bundesregie-
rung auch neue, hochgradig klimaschädliche und unflexible Kohlekraftwerke
gebaut werden. Dabei sind Grundlastkraftwerke nicht in der Lage, die mit wei-
terem Ausbau der erneuerbaren Energien zunehmenden Angebotsschwankun-
gen von Wind- und Solarstrom auszugleichen. Damit würde die Energiewirt-
schaft des letzten Jahrhunderts bis weit nach 2050 konserviert – mit drastischen
Auswirkungen auf das Klima und die wirtschaftliche und technologische Ent-
wicklung in Deutschland. Denn in den kommenden Jahrzehnten werden insbe-
sondere diejenigen Länder wirtschaftlich erfolgreich sein, denen es gelingt, sich
von immer teurer werdenden fossilen Brennstoffimporten zu lösen und neue,
klimafreundliche und effiziente Technologien auf den Markt zu bringen.

Kernaufgaben der Energiewende sind bislang nicht wirklich angegangen wor-
den. So ist die Bundesregierung auf europäischer Ebene weiter der größte
Bremser beim Thema Energieeffizienz. Sie bekämpft die von der EU-Kom-
mission vorgeschlagene verbindliche Einsparverpflichtung der Energieversor-
ger und erstickt damit die Entwicklung eines Markts für Energieeffizienz im
Keim. Das von der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel im Jahr 2007 durchge-
setzte EU-Einsparziel von 20 Prozent bis 2020 versucht ihre Regierung 2012
auf europäischer Ebene selbst abzuschwächen und zu verwässern, weil sie ihre
Hausaufgaben nicht gemacht hat. Um den Anstieg der Kosten für Energie – vor
allem für Strom – wirksam entgegenzuwirken, muss endlich konsequent Ener-
gie durch effizientere Produkte gespart werden.

Auch der Netzausbau kommt nicht voran. Innerhalb der nächsten zehn Jahre gilt
es, die Stromnetze fit zu machen und an den schnellen Ausbau der erneuerbaren
Energien anzupassen – eine Aufgabe, die in einem modernen Industrieland
durchaus leistbar ist. Doch haben Netzbetreiber unter den gegebenen Rendite-
bedingungen oftmals kaum Interesse an der Realisierung neuer Stromtrassen
und haben in der Vergangenheit immer wieder Planungen verzögert. Ebenso

haben unklare und in den letzten Jahren mehrfach wechselnde Verwaltungsver-
fahren bei der Planung und Realisierung von Stromtrassen zu Verzögerungen

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geführt, die bei einer besseren Koordination hätten verhindert werden können.
Vor diesem Hintergrund ist es unangebracht und kontraproduktiv, Verzögerun-
gen beim Netzausbau vor allem auf den Widerstand der Bürgerinnen und Bürger
zurückzuführen, wie es Bundesregierung und Netzbetreiber immer wieder tun.

Verschlechterte Förderbedingungen und das Fehlen eines klaren Bekenntnisses
zum Ausbau der erneuerbaren Energien verunsichert die Erneuerbaren-Branche
zunehmend. Vier Novellen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes innerhalb von
zweieinhalb Jahren haben jegliche Planungssicherheit und das Vertrauen von
Investoren in die Politik erschüttert. Die Wirkungen zeigen sich bereits: Die
Investition in neue Fertigungsanlagen geht bereits zurück. Der deutsche Markt
für erneuerbaren Energien verliert trotz der Energiewende international an
Bedeutung. So zeichnet sich bereits eine rückläufige Investitionstätigkeit ab. Die
Nutzung der Biokraftstoffe ist bereits seit Jahren rückläufig, die Nutzung von
Wärme aus erneuerbaren Energien stagniert und die Investitionen z. B. in neue
Biogasanlagen sind in diesem Jahr bereits stark zurückgegangen. Dies alles ist
zur Energiewende kontraproduktiv und muss korrigiert werden.

Der Zubau neuer Kraftwerkskapazitäten lahmt. Das Wachstum erneuerbarer En-
ergien hat zur Folge, dass konventionelle Kraftwerke seltener benötigt werden,
sich ihre Zahl der Volllaststunden folglich verringert. Dieser Effekt ist nicht neu,
sondern bereits vor Jahren vorhergesagt worden. Doch bis heute fehlt jegliche
Reaktion der Bundesregierung auf diese Situation. So wurde wertvolle Zeit ver-
schenkt. Jetzt wächst der Druck, endlich Investitionssicherheit zu schaffen. Mit
so genannten Kapazitätsmärkten oder -mechanismen – also einer Vergütung für
die Bereitstellung von Kapazitäten zur Abdeckung der Stromversorgung durch
Ausschreibungsmodelle – wurde ein geeignetes Instrument vorgeschlagen, das
nunmehr im Markt eingeführt werden sollte. Ziel muss es sein, die wirtschaft-
liche Basis und damit die Planungssicherheit für das Back-up-System des von
erneuerbaren Energien bestimmten Stromversorgungssystems zu schaffen. Ent-
scheidend dafür ist, dass die Kapazitätsmärkte nicht nur auf fossile Kraftwerks-
neubauten beschränkt werden, sondern auch Potenziale der Laststeuerung
(Demand-Side-Management), Stromspeicherung und Verstetigung der erneuer-
baren Energien (z. B. über Biogas) integriert werden. Diese Kapazitäten müssen
durch hohe Anforderungen an Effizienz, Emissionen, Flexibilität und Verfüg-
barkeit technologieoffen qualifiziert werden und auf Gebiete mit konkreten Hin-
weisen auf Kapazitätsengpässen beschränkt werden können.

Auch die Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) kann einen wesentlich größeren Bei-
trag zu einer effizienten und klimaschonenden Energieversorgung leisten, als
dies momentan der Fall ist. Die Bundesregierung hat es jedoch bei der Novelle
des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetzes (KWKG) im Frühjahr 2012 versäumt, da-
für die notwendigen Anreize zu setzen. Trotz guter Ansätze wird die Bundes-
regierung das Ziel, im Jahr 2020 25 Prozent des Stroms aus KWK zu erzeugen,
mit dem jüngst beschlossenen Gesetz deutlich verfehlen. Hier wurde eine wei-
tere große Chance vergeben, der Energiewende einen entscheidenden Schub zu
geben.

Die Erschließung von Speicherpotenzialen wird verzögert. Es ist unumstritten,
dass es erheblich größerer Speichermöglichkeiten für Strom bedarf. Hierin liegt
zweifelsohne eines der vordringlichsten Forschungsthemen. Die Bundesregie-
rung zögert jedoch bei der Finanzierung von Forschungsvorhaben und hat bisher
keine Anreize für den wirtschaftlichen Betrieb von Stromspeichern geschaffen,
um Innovation und Wettbewerb in diesem wichtigen Zukunftsmarkt zu fördern.
Doch auch binnen weniger Jahre könnte die Erschließung neuer Speicherpoten-
ziale im Ausland, etwa in Skandinavien und den Alpenländern, wesentlich zur
Stabilisierung des Netzes beitragen. Entsprechende Kabelkapazitäten müssten

und könnten rasch geschaffen werden. Doch die Verhandlungen der Bundesre-
gierung mit Norwegen sind halbherzig und haben dazu geführt, dass die Firma

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Statnett sich offenbar zunächst für eine Leitung nach Großbritannien entschei-
den will.

Selbst den Atomausstieg hat die Bundesregierung längst nicht auf allen Ebenen
verwirklicht. So werden immer noch hohe Forschungsgelder in die Erforschung
neuer Nukleartechnologien gesteckt, in die Kernspaltung genauso wie in die
Kernfusion. Mit Exportunterstützungen wird der Neubau von Atomtechnologie
unterstützt und die Europäische Atomgemeinschaft Euratom, das Fundament
des europäischen Atomkraftausbaus, wird von der Bundesregierung immer noch
finanziell und institutionell gefördert.

Die Bundesregierung hat die Energiewende in eine Sackgasse geführt. Deutsch-
land braucht einen unumkehrbaren Prozess hin zu einer klimaverträglichen,
sicheren und dauerhaft bezahlbaren Energieversorgung auf Basis erneuerbarer
Energien.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

die Energiewende durch folgende Maßnahmen zu forcieren:

1. Masterplan Energiewende

Die Bundesregierung soll unverzüglich einen Masterplan Energiewende be-
schließen, der die Maßnahmen im Bereich erneuerbarer Energien, Kraft-
werksbau, Effizienz und Einsparung, Netzausbau, Speicherung und Energie-
marktreform zusammenführt. Das „Energiekonzept“ der Bundesregierung
erfüllt diesen Anspruch nicht einmal ansatzweise, stammt es doch noch aus
der Zeit vor der Reaktorkatastrophe in Fukushima und der Atomwende.

2. Klimaschutzgesetz

Die Bundesregierung soll dem Deutschen Bundestag ein Klimaschutzgesetz
vorlegen, das gegenüber 1990 verbindliche CO2-Reduktionsziele von
40 Prozent bis 2020, 60 Prozent bis 2030, 80 Prozent bis 2040, 95 Prozent bis
2050 sowie verbindliche Sektorzielen für den Verkehr, Wärme und Strom-
bereich und ein regelmäßigen Monitoring vorschreibt. So wird die für neue
Investitionen in die Energieversorgung notwendige langfristige Planungs-
sicherheit geschaffen.

3. Bessere Koordination

Die Energiewende bedarf dringend einer besseren Koordination der beteilig-
ten Bundesministerien. Diese Funktion muss vom Bundeskanzleramt über-
nommen werden. Ein Bundesbeauftragter für die Energiewende ist einzurich-
ten.

4. Gesellschaftliche Mitwirkung stärken

Die gesellschaftliche Mitwirkung an der Energiewende muss verstetigt und
besser organisiert werden, z. B. durch die Einrichtung eines Nationalen Fo-
rums Energiewende, über das Umwelt- und Verbraucherverbände, Energie-
wirtschaft u. a. kontinuierliche am Prozess beteiligt werden.

5. Ausbau der erneuerbaren Energien vorantreiben

Der Ausbau der erneuerbaren Energien geht schneller und dynamischer
voran als von der Bundesregierung prognostiziert. Das muss die Bundesre-
gierung als Chance begreifen, ihr bescheidenes Ziel von 35 Prozent Strom
aus erneuerbaren Energien im Jahr 2020 auf mindestens 45 Prozent anzuhe-
ben. Wer stattdessen nach einer Drosselung der erneuerbaren Energien ruft,

untergräbt die Energiewende. Im Wärmemarkt stagniert der Ausbau der er-

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neuerbaren Energien stattdessen auf niedrigem Niveau. Die Bundesregierung
muss daher ein Wärmegesetz auf den Weg bringen, welches auch den Be-
stand einschließt und wirksame Impulse für den Ausbau der erneuerbaren
Energien auch im Wärmemarkt setzt.

6. Solarbranche erhalten

Die Bundesregierung muss sich zum Solarstandort Deutschland bekennen
und die Abwicklung der deutschen Solarindustrie stoppen. Es braucht kon-
krete Stützungsmaßnahmen, um den Solarunternehmen eine Zukunft in
Deutschland zu sichern. Dazu gehören z. B. eine Forschungsoffensive so-
wie ein neues Kreditprogramm für Investitionen in die Modernisierung
neuer Produktionskapazitäten sowie zur finanziellen Absicherung von So-
larkraftwerken mit deutscher bzw. europäischer Technik. Ebenso muss mit
China und anderen Ländern über faire Marktzugangsbedingungen verhan-
delt werden.

7. Energiewende solide finanzieren – Sondervermögen auflösen

Die Programme und Maßnahmen zur Unterstützung der Energiewende wie
das CO2-Gebäudesanierungsprogramm, das Marktanreizprogramm für er-
neuerbare Wärme oder die Forschungsgelder für Energieeffizienz sollen wie-
der aus dem Sondervermögen „Energie- und Klimafonds“ in die Einzelpläne
der jeweiligen Fachressorts überführt und klimaschädliche Programme wie
das Förderprogramm für fossile Kraftwerke und die Stromsubventionen für
die stromintensiven Unternehmen abgeschafft werden. Ungerechtfertigte kli-
maschädliche Subventionen bei der Ökosteuer, beim Flugverkehr und bei der
Dienstwagenbesteuerung müssen zur Gegenfinanzierung der nötigen Maß-
nahmen abgebaut werden.

8. Energieeffizienz fördern und fordern

Die Bundesregierung muss ihren Widerstand gegen die EU-Energieeffizienz-
linie aufgeben und sich für verbindliche Energiesparmaßnahmen, ein verbind-
liches Einsparziel von 20 Prozent bis 2020 sowie Einsparvorgaben für Ener-
gieversorger und die Vorbildfunktion der öffentlichen Hand stark machen.

Die Rate der Gebäudesanierung soll auf jährlich 3 Prozent angehoben wer-
den, das Gebäudesanierungsprogramm der KfW Bankengruppe ist dazu wie-
der auf 2 Mrd. Euro zu erhöhen und zu verstetigen. Seine Verankerung im
völlig unterfinanzierten „Energie- und Klimafonds“ muss rückgängig ge-
macht werden und die erforderlichen Mittel durch Kürzungen klimaschäd-
licher Subventionen ergänzt werden.

Zudem soll ein neuer Energiesparfonds in Höhe von 3 Mrd. Euro aufgelegt
werden. Insbesondere einkommensschwache Haushalte sollen davon profi-
tieren. Die Modernisierungsmieterhöhungen nach einer energetischen Sanie-
rung sollen von 11 auf 9 Prozent sinken und auf Energiesparmaßnahmen und
altersgerechten Umbau beschränkt werden, um eine faire Lastenverteilung
zwischen Vermietern und Mietern zu wahren.

9. Netzausbau bürgerfreundlich und umweltverträglich voranbringen

Bisher geht der Netzausbau viel zu schleppend voran. Der Netzentwicklungs-
plan wird in den kommenden Jahren das zentrale Element der Netzausbau-
planung sein. Um dieses jedoch sinnvoll einzusetzen, muss die Planung
transparent gestaltet sein. Auch müssen Übertragungsnetzbetreiber und Bun-
desnetzagentur die Beteiligung der Öffentlichkeit am Planungsprozess ernst
nehmen.

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Die Bundesregierung soll in Zusammenarbeit mit den Ländern einvernehm-
liche Regeln bei der weiteren Planung der Stromtrassen beschließen und die
Koordination der Planung verbessern. Das gilt in besonderem Maße für die
Anbindung der Offshore-Windparks in Nord- und Ostsee, um weitere Ver-
zögerungen bei der Realisierung dieser Projekte zu verhindern.

Um den stockenden Netzausbau auf Bundesebene auf der Höchstspan-
nungsebene und für neue Gleichstromübertragungsnetze (Hochspannungs-
Gleichstrom-Leitungen – HGÜ) in Gang zu setzen, soll eine Bundesnetz-
gesellschaft für die neuen HGÜ geschaffen werden, bei der die öffentliche
Hand bestimmenden Einfluss hat. Um den Ausbau im konventionellen
Übertragungsnetz zu beschleunigen, sollen Neubauprojekte öffentlich aus-
geschrieben werden können, wenn der Netzbetreiber diese nicht innerhalb
einer angemessenen Frist realisieren kann.

Lokale Konflikte beim Neubau von Leitungstrassen sollen dadurch vermie-
den oder gelöst werden, dass eine frühzeitigere und umfassendere Bürger-
beteiligung stattfindet und eine Teil-Erdverkabelung ermöglicht wird, in-
klusive der Umlage anfallender Mehrkosten auf die Netzentgelte.

Die Möglichkeiten eines Smart Grids mit dezentralem Erzeugungs- und
Lastmanagement und Integration der erneuerbaren Energien auf Verteil-
netzebene müssen vollumfänglich erfasst werden, um ihren Einfluss auf die
Reduktion des Neubaus von großen Hochspannungstrassen zu ermitteln.
Gleiches gilt für die Evaluation der Möglichkeiten von Temperaturmoni-
toring und neuer Leiterbeseilung bestehender Hochspannungstrassen.

10. Speicherproblem angehen

Ein Netzumbau ohne den Aufbau geeigneter Speichertechnologien wird
angesichts des rasch wachsenden Anteils erneuerbarer Energien nicht funk-
tionieren. Mit Pumpspeicherkraftwerken, Batteriespeichern und Erdgas-
speichern stehen verschiedene auch kombinierbare Optionen zur Wahl.
Pumpwasserspeicherkraftwerke haben sich schon seit Jahrzehnten bewährt,
sind aber nicht beliebig erweiterbar. Andere Technologien stehen an der
Schwelle des Markteintrittes, sind aber zum Teil noch nicht ausgereift oder
noch zu teuer. Hier gilt es kurzfristige nicht nur Forschungsprogramme auf-
zulegen, sondern auch die Markteinführung anzureizen. Nur so kann sicher-
gestellt werden, dass ab 2020, wenn zunehmend Speicherkapazität benötigt
wird, tragfähige und bezahlbare technischen Lösungen tatsächlich bereit-
stehen.

Dazu gehört auch, die enormen Speicherpotenziale in Norwegen für in Eu-
ropa erzeugten Strom gemeinschaftlich zu erschließen und entsprechende
Leitungskapazitäten zu realisieren. Die Bundesregierung soll mit Norwe-
gen unverzüglich Verhandlungen zur Realisierung von Leitungsprojekten
beginnen, die es ermöglichen, Strom aus Deutschland in den norwegischen
Stauseen zu speichern.

11. Kapazitätsmärkte schaffen

Die Umstellung auf erneuerbare Energien erfordert die Schaffung einer
Sekundärstruktur, um zeitweise auftretende Erzeugungsschwankungen auf-
zufangen. Kapazitätsmärkte können dafür ein ideales Instrument sein. Die
Bundesregierung soll durch Ausschreibungsmodelle anhand von Effizienz-,
Emissions-, Flexibilitäts- und Verfügbarkeitsanforderungen die bestqualifi-
zierteste Technologie für die Bereitstellung von (regionalen) Kapazitäten
vergüten. Aufgrund dieser Anforderungen werden Demand-Side-Manage-
ment (DSM), Stromspeicher, erneuerbare Energien (Biogasanlagen) und

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Gaskraftwerke in Kraft-Wärme-Kopplung Priorität genießen. Die Kosten
der Vergütung sollen auf das Netznutzungsentgelt umgelegt werden.

12. Ausbau der hocheffizienten Kraft-Wärme-Kopplung vorantreiben

Die Bundesregierung hat in ihrer Novelle des Kraft-Wärme-Kopplungs-
Gesetzes bereits einige sinnvolle Maßnahmen für den Ausbau der hochef-
fizienten KWK umgesetzt. Das Ziel von 25 Prozent KWK im Jahr 2020
wird damit jedoch verfehlt werden. Vor allem der Ausbau kleiner, dezentra-
ler und intelligent vernetzter Mini-KWK-Anlagen, welche eine ideale Er-
gänzung zur Stromerzeugung aus fluktuierenden erneuerbaren Energien
darstellen, wird mit dem vorliegenden Gesetz nahezu ausbleiben. Die Bun-
desregierung soll daher für den Ausbau der KWK nochmals innerhalb und
außerhalb des KWKG stärkere Anreize schaffen und bürokratische Hemm-
nisse beseitigen.

13. Für faire Preise sorgen

Die Bundesregierung soll die weitgehenden Befreiungen der Industrie von
EEG- und Netzkosten zu Lasten von Mittelstand und Privathaushalten deut-
lich einschränken. Außerdem soll sie eine wirksame Kontrolle der Preisbil-
dung sicherstellen, etwa über eine Markttransparenzstelle, die das Gebaren
der Energieversorger wirksam überprüft und den Energieverbrauchern nutzt.

14. Europäischer Klimapolitik intensivieren

Die Bundesregierung soll die Energiewende in Deutschland europäisch ab-
sichern. Insbesondere soll sie Klimaschutz in der EU wieder voranbringen.
Das heißt konkret: 30 Prozent CO2-Reduktion bis 2020 müssen jetzt durch-
gesetzt werden. Außerdem bedarf es einer Veränderung des Handels mit
CO2-Emissionszertifikaten. Der enorme Überschuss an Verschmutzungs-
rechten hat deren Preis dauerhaft in den Keller getrieben. Der Überschuss
soll einmalig abgebaut, die Zertifikatmenge verknappt werden, um wieder
zu einem annähernd realen Preisniveau zurückzufinden. Zudem soll ein
Mindestpreis für die Zertifikate eingeführt werden.

Unter Überführung der Aspekte der nuklearen Sicherheit und Proliferation
in europäische Richtlinien soll die Bundesregierung auf eine Abschaffung
des Vertrages zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom)
mit seinen Privilegien in Finanzierung und Forschungsförderung hinarbei-
ten. Europäische und nationale Forschungsgelder sind von der Unterstüt-
zung der Kernspaltung und Kernfusion hin zur Unterstützung der Ener-
giewende umzuwidmen.

Berlin, den 12. Juni 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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