BT-Drucksache 17/9947

Verbesserung des Schienenverkehrs zwischen Deutschland und Polen

Vom 13. Juni 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9947
17. Wahlperiode 13. 06. 2012

Antrag
der Abgeordneten Stephan Kühn, Dr. Anton Hofreiter, Dr. Valerie Wilms,
Bettina Herlitzius, Daniela Wagner, Cornelia Behm, Harald Ebner, Hans-Josef Fell,
Bärbel Höhn, Memet Kilic, Sven-Christian Kindler, Sylvia Kotting-Uhl,
Oliver Krischer, Undine Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff,
Dr. Hermann E. Ott, Dorothea Steiner, Markus Tressel und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Verbesserung des Schienenverkehrs zwischen Deutschland und Polen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Mehr als 20 Jahre nach Öffnung der Grenzen und acht Jahre nach dem Beitritt
Polens zur Europäischen Union treffen Bahnfahrgäste zwischen Deutschland
und Polen auf ein unzureichendes Angebot an grenzüberschreitenden Fernver-
kehrsverbindungen auf der Schiene. Das heutige Angebotsniveau im grenz-
überschreitenden Verkehr wird der Bedeutung der Verbindungen insbesondere
vor dem Hintergrund der europäischen Integration in keiner Weise gerecht. Es
bestehen immer noch erhebliche Defizite bei der grenzüberschreitenden Eisen-
bahninfrastruktur.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung daher auf,

1. sich mit der Republik Polen auf einen verbindlichen Zeitplan für den Aus-
bau wichtiger grenzüberschreitender Eisenbahnstrecken in den Korridoren
Berlin–Szczecin, Berlin–WrocΩaw und Dresden–WrocΩaw zu verständigen,

2. sich mit der Republik Polen beim Korridor Berlin–WrocΩaw auf eine Aus-
bauvariante zu einigen,

3. insbesondere folgenden Vorhaben eine höhere Priorität einzuräumen:

a) Elektrifizierung und zweigleisiger Ausbau des Abschnitts Passow–
Szczecin Gumiece der Verbindung Berlin–Szczecin,

b) Elektrifizierung und zweigleisiger Ausbau des Abschnitts Cottbus–Horka
Gbf (–Görlitz) als zu favorisierende Variante der Verbindung Berlin–
WrocΩaw,

c) Elektrifizierung des Abschnitts Dresden-Klotzsche–Görlitz–We ±gliniec

der Verbindung Dresden–WrocΩaw,

4. auf Eisenbahnverkehrsunternehmen einzuwirken, dass auf den Korridoren
Berlin–Warszawa, Berlin–Szczecin, Berlin–WrocΩaw und Dresden–
WrocΩaw ein angemessenes Fernverkehrsangebot eingerichtet wird, das der
Bedeutung dieser grenzüberschreitenden Verbindungen insbesondere für die
europäische Integration Rechnung trägt,

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5. darauf hinzuwirken, dass das Eisenbahn-Bundesamt und die polnische Bahn-
behörde Urza±d Transportu Kolejowego (UTK) einen Vertrag über die ge-
meinsame Zulassung von Fahrzeugen nach dem Vorbild einiger Nachbarlän-
der (z. B. Schweiz, Belgien und die Niederlande) abzuschließen („Cross
Acceptance“) mit dem Ziel, dass bisher zeit- und kostenintensive Prozedere
bei der Zulassung von Triebfahrzeugen und Reisezugwagen zwischen den
Vertragspartnern zu vereinfachen und zu straffen.

Berlin, den 12. Juni 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Gab es bis Anfang der 90er-Jahre zahlreiche Direktverbindungen zwischen
Deutschland und Polen, sind heute im Gegensatz dazu nur wenige Verbindun-
gen verfügbar. Die Angebotsdichte im deutsch-polnischen Fernverkehr erreicht
heute mit sieben Zugpaaren ein Drittel des Niveaus der 70er-Jahre und hat da-
mit einen neuen Tiefpunkt erreicht: Kein anderes Nachbarland ist auf der
Schiene so schlecht erreichbar. Der hochwertige Fernverkehr auf der Schiene
konzentriert sich im Wesentlichen auf den Korridor Berlin–Frankfurt (Oder)–
Poznan´–Warszawa. Szczecin und WrocΩaw sind noch mit jeweils einem Fern-
verkehrszugpaar mit Deutschland verbunden. Im Falle WrocΩaws allerdings mit
einer völlig unattraktiven und gegenüber dem Pkw nicht konkurrenzfähigen
Fahrzeit von fünf Stunden und 22 Minuten. Bereits in den 30er-Jahren wurde
die Strecke Berlin–Breslau in zwei Stunden und 40 Minuten zurückgelegt.
Diese Fahrzeit wäre auch heute noch konkurrenzfähig zum Pkw. Für den Korri-
dor Berlin–WrocΩaw steht seit Jahren eine Grundsatzentscheidung über die
konkrete Streckenführung des Fernverkehrs aus. Solange diese Entscheidung
nicht gefällt wird, sind alle Ausbauplanungen blockiert. Vieles spricht aus heu-
tiger Sicht dafür, die Strecke Cottbus–Horka(–Görlitz) zu elektrifizieren, um so
ab Horka die so genannte niederschlesische Magistrale, deren Ausbau bis zum
Jahr 2016 abgeschlossen sein soll, mit zu benutzen. Für diese Ausbauvariante
sprechen die im Vergleich zu allen anderen Varianten vergleichsweise modera-
ten Investitionen und die schnelle Realisierung. Schließt man die Elektrifizie-
rungslücke von nur 73 Kilometern zwischen Cottbus und Horka, könnten Fern-
verkehrszüge von Berlin nach WrocΩaw erstmals durchgehend mit E-Loks be-
spannt werden; die Fahrzeit würde über diese Strecke auf etwa drei Stunden
und 20 Minuten zusammenschmelzen und damit ein gegenüber dem Pkw kon-
kurrenzfähiges Fernverkehrsangebot ermöglichen.

Wie fragil das jetzige Fernverkehrsangebot zwischen Deutschland und Polen
heute ist, zeigt die aktuelle Entwicklung: Der Euro-City (EC) nach Szczecin
soll bereits im Juni 2012 wieder eingestellt werden. Das Ergebnis des einge-
schränkten und wenig attraktiven Fernverkehrsangebots: Der Anteil der Eisen-
bahn im grenzüberschreitenden Personenverkehr zwischen Deutschland und
Polen ist auf 2 Prozent abgesunken.

Der polnische Bahnkonzern PKP und die Deutsche Bahn AG planen anlässlich
der Fußballeuropameisterschaft immerhin eine neue Euro-City-Direktverbin-
dung zwischen Berlin und Gdan´sk. Der EC „Daniel Fahrenheit“, der die Unter-
wegshalte in Bydgoszcz, Poznan´ und Frankfurt (Oder) bedient, soll für die
knapp 600 Kilometer lange Strecke etwas mehr als sechs Stunden brauchen.

Zwischen Berlin und Poznan´ ergibt sich zusammen mit dem Berlin-Warszawa-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9947

Express so tagsüber ein annähernder Zweistundentakt. Gdan ´sk ist erstmalig
wieder umsteigefrei erreichbar. Bisher dauert eine Fahrt mit ein- oder mehrma-
ligem Umsteigen zwischen siebeneinhalb und zehn Stunden.

Der VBB Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg GmbH schätzt, dass mit weite-
ren durchgreifenden Angebotsverbesserungen die Fahrgastzahlen im deutsch-
polnischen Schienenverkehr binnen einer Dekade verdoppelt werden könnten.

Genau diese Angebotsverbesserungen stehen insbesondere auf den Achsen
Berlin–Szczecin, Berlin–WrocΩaw und Dresden–Görlitz–WrocΩaw weiterhin
aus. Der teilweise desolate Zustand der Infrastruktur, mit eingleisigen nicht
elektrifizierten Abschnitten und herabgesetzten Streckenhöchstgeschwindig-
keiten schränkt den Spielraum für neue Angebote erheblich ein. Der Ausbau
der Eisenbahninfrastruktur zwischen Deutschland und Polen wurde immer wie-
der angekündigt und seit nunmehr zwei Jahrzehnten verschleppt. Lediglich für
die so genannte niederschlesische Magistrale (Knappenrode–Horka–Hoyers-
werda–Bundesgrenze) ist der Ausbau bis zum Jahr 2016 jetzt absehbar. Dage-
gen sind praktisch alle grenzüberschreitenden Fernstraßenprojekte realisiert
bzw. im Bau.

Die Eröffnung des Berliner Großflughafens – auch wenn sie erneut verschoben
wurde – unterstreicht noch einmal wie dringlich eine Verbesserung der grenz-
überschreitenden Schienenverbindungen ist. Für die westpolnischen Wojewod-
schaften wird der neue Berliner Großflughafen der nächstgelegene Flughafen.
Eine bessere Anbindung würde den Flughafen für zusätzliche Nutzer attraktiv
machen. Faktisch wird der Flughafen Berlin Brandenburg auf der Schiene aller-
dings nur sehr eingeschränkt und umständlich aus West- und vor allem Süd-
westpolen erreichbar sein. Der Verkehr wird vorerst fast ausschließlich auf der
Straße stattfinden.

Der dringend notwendige Ausbau der Eisenbahninfrastruktur in den Korridoren
Berlin–Szczecin, Berlin–WrocΩaw und Dresden–WrocΩaw dient nicht allein der
Verbesserung des Angebots im Schienenpersonenverkehr, auch der Schienen-
güterverkehr würde kapazitiv von den geplanten Ausbauvorhaben profitieren.
Derzeit steht dem Güterverkehr zwischen beiden Ländern nur eine elektrifi-
zierte Strecke, der Grenzübergang bei Frankfurt (Oder), zur Verfügung. Die In-
betriebnahme der durchgehenden Elektrifizierung dieser Strecke durch die pol-
nische Staatsbahn PKP und die Deutsche Reichsbahn im Mai 1988 war die
letzte nennenswerte Investition für den Güterverkehr auf der Schiene. Mit dem
kürzlich vereinbarten Ausbau der „niederschlesischen Magistrale“ wird eine
zweite Ost-West-Achse für den wachsenden Schienengüterverkehr Richtung
Osteuropa geschaffen, von der vor allem die Relationen von den deutschen
Seehäfen in den stark industrialisierten Südwesten Polens profitieren.

Der Außenhandel mit Polen hat sich seit dem EU-Beitritt dynamisch entwi-
ckelt; so haben sich die deutschen Exporte seitdem mehr als verdoppelt. In der
Außenhandelsbilanz ist Polen bei den Ausfuhren mittlerweile auf Rang 10 und
bei den Einfuhren auf Rang 12 aufgerückt. An der Aufwärtsentwicklung des
deutsch-polnischen Handels hat vor allem der Güterverkehr auf der Straße par-
tizipiert. Das stagnierende Güterverkehrsaufkommen auf der Schiene zwischen
Deutschland und Polen sowie das gleichzeitig seit dem EU-Beitritt Polens um
rund zwei Drittel gewachsene Aufkommen im grenzüberschreitenden Straßen-
güterverkehr ist nicht zuletzt auf die fortdauernden Defizite der Eisenbahnin-
frastruktur zurückzuführen – weitere Streckenelektrifizierungen und die Besei-
tigung eingleisiger Abschnitte tragen nachhaltig zur Stärkung der Wettbewerbs-
position des Schienengüterverkehrs bei.

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